Ernährung und KlimaNachhaltige Ernährung: Vom Wissen zum Handeln

Klimawandel, Welthunger, Fehlernährung: Das Ernährungssymposium der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. hat die aktuellen Probleme des Ernährungssystems und Handlungsoptionen aufgezeigt.

Globale Hungerproblematik vor einem Obst- und Gemüsehändler.
1STunningART/stock.adobe.com

Das globale Ernährungssystem steht vor einigen Herausforderungen. Um diese zu überwinden, ist eine Ernährungswende nötig.

Inhalt

Herausforderungen des globalen Ernährungssystems

Welthunger und Klimagerechtigkeit

Pandemie der Fehlernährung

Zoonosen, Entwaldung und Biodiversitätsverlust

Planetary Health

Globale Agrarsysteme

Politische Maßnahmen im Kontext der Agrar- und Ernährungswende

Von der Theorie in die Praxis

Umwelt, Klima und Gesundheit leiden unter dem aktuellen Ernährungssystem – eine nachhaltige Ernährungswende ist unumgänglich. Das zweitägige Ernährungssymposium der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) informierte über die Probleme des globalen Ernährungssystem und zeigte Handlungsoptionen für einen nachhaltigen Ernährungs- und Agrarsektor auf.

Herausforderungen des globalen Ernährungssystems 

Sechs Impulsvorträge eröffneten das Ernährungssymposium. Die Referent*innen griffen die Problematik des globalen Ernährungssystems aus verschiedenen Perspektiven auf:

Welthunger und Klimagerechtigkeit

Dr. Martin Frick, Direktor des World Food Programme Büros für Deutschland, Österreich und Lichtenstein, betonte den drastischen Anstieg der „akut hungernden Menschen“. Im Jahr 2019 litten 135 Mio. Menschen an akuter Hungersnot. Im Dezember 2021 bereits 276 Mio. Menschen. Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ist von ca. 345 Mio. Hungernden die Rede. Wieso steigt die Anzahl der Hungernden so dramatisch? Frick nennt folgende Auslöser, die sogenannten „4 C’s“:

  • Conflict: Anhaltende Kriege wie z.B. in Pakistan, Afghanistan oder im Jemen sorgen für humanitäre Krisen. 60 Prozent aller Hungernden weltweit leben in Krisengebieten.
  • Covid: Erschöpfung der Volkswirtschaften weltweit durch die COVID-19-Pandemie.
  • Climate: Auswirkungen des Klimawandels (z. B Hitzewellen, die für Missernten sorgen)
  • Costs: Steigende Kosten für Energie, Grundnahrungsmittel und Transport 
Pandemie der Fehlernährung

Als Fehlernährung gilt einerseits die Unterernährung in Schwellenländern und anderseits die Überernährung in den westlichen Ländern, so Prof. Martin Smollich vom Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.

Die Fehlernährung in westlichen Ländern gilt als Ursache für sogenannte „nicht-übertragbare Krankheiten“ (NCDs). Adipositas, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Top 5 der NCDs in den westlichen Ländern [1].

Smollich betonte vor allem den dramatischen Anstieg von Adipositas in den letzten Jahrzehnten – auch als „Adipositas Tsunami“ bezeichnet. 25 Prozent aller Krebserkrankungen sind ernährungsabhängig und treten häufig infolge von Adipositas auf. „Das bedeutet auf eine Adipositas-Pandemie … wird in den nächsten Jahrzehnten eine Krebs-Pandemie folgen“, warnt Smollich [2][3].

Zoonosen, Entwaldung und Biodiversitätsverlust

Prof. Simone Sommer, Direktorin des Instituts für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik an der Universität Ulm, schilderte, inwiefern unsere Ernährung Zoonosen, Biodiversitätsverluste und Entwaldung vorantreibt. Als ernährungsabhängiger Hauptreiber für Zoonosen gilt die Massentierhaltung (z.B. Schweinegrippe, Vogelgrippe). Die Abholzung für Soja-, Palmölanbau und Rinderweiden treibt nicht nur den Biodiversitätsverlust, sondern auch die Entwaldung und den Klimawandel an, so Sommer [4].

Der Großteil des Sojas wird als Futtermittel in der Massentierhaltung verwendet. Nur ein geringer Anteil dient der direkten Lebensmittelproduktion. In Deutschland wird nur 20 Prozent der Getreideernte zu Lebensmitteln verarbeitet [5].

Planetary Health

Dr. Marco Springmann, Wissenschaftler am Environmental Change Institut der Universität Oxford, ging auf die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Ernährung ein. Das aktuelle Ernährungssystem schadet dem Klima und der Umwelt. Besonders die Herstellung tierischer Lebensmittel ist mit hoher Landnutzung, Artensterben und Treibhausgasemissionen verbunden. Im gesundheitlichen Kontext werden Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas oder Herzkrankheiten u.a. mit einem übermäßigen Fleischkonsum verbunden. Springmann stellte die Planetary Health Diet vor, die von der EAT-Lancet-Commission in Zusammenarbeit mit 37 Wissenschaftler*innen entwickelt wurde. Die Planetary Health Diet, ist ein nachhaltiger Speiseplan, der als Basis für eine gesundheits- und umweltverträgliche Ernährung dienen soll [6]. 

Eine nachhaltige Ernährung im Sinne der Planetary Health Diet bedeutet:

  • sich überwiegend pflanzlich zu ernähren,
  • tierische Produkte nur in Maßen zu konsumieren,
  • den Verzehr stark verarbeiteter und zuckerhaltiger Nahrungsmittel zu vermeiden.
Globale Agrarsysteme

Der Volkswirt Dr. Benjamin Bodirsky knüpfte vier Problemfelder des globalen Ernährungssystems auf:

  • Unter- und Überernährung: Weltweit leiden mehr Menschen an Übergewicht als an Untergewicht. „In einem Szenario, wo wir alle Trends so fortsetzen wie wir sie in der Vergangenheit gesehen haben, da sehen wir, dass wir im Grunde im Jahr 2050 mit 4 Milliarden übergewichtigen Menschen und mit 1,5 Milliarden adipösen Menschen rechnen können weltweit“, warnt Bodirsky [7].
  • Globale Erwärmung: Von der Herstellung bis hin zum Transport und Konsum von Nahrungsmitteln entstehen derzeit hohen Kosten für unsere Umwelt. Das globale Ernährungssystem verursacht 1/3 der gesamten Treibhausgase. Auf globaler Ebene sind Landwirtschaft (10-15 %), Entwaldung und Trockenlegung von Moorböden (10-15 %) die Posten mit den höchsten CO2-Emissionen [8].
  • Stickstoffverschmutzung: Bodirsky betonte hier wieder die Rolle der Landwirtschaft.  Die Landwirtschaft gilt als größter Treiber des globalen Stickstoffkreislaufs. Die Ammoniak-Emissionen sind besonders problematisch, da sie einen Großteil der Feinstaubbildung verursachen [9].
Politische Maßnahmen im Kontext der Agrar- und Ernährungswende

Stefanie Wunder, Teamleiterin Ernährung bei Agora Agrar, führte an, dass die Ernährungspolitik ein relativ junges Politikfeld ist und bislang nicht alle Problemfelder des Ernährungssystems diskutiert werden. Ein Beispiel ist der Zusammenhang zwischen Ernährung und Entstehung von Pandemien. Es müsse viel stärker ressourcenübergreifend gedacht, Zusammenhänge (z. B. zwischen Produktion und Konsum) aufgedeckt und Strategien in diesem Sinne erarbeitet werden. Für die deutsche Ernährungspolitik soll bis 2023 eine Ernährungsstrategie auf Bundesebene etabliert werden.

Wunder kritisierte zudem die Annahme, dass allein der Konsument für eine nachhaltige Entwicklung verantwortlich ist: „Da braucht es einen Paradigmenwechsel hin zu politischer Gestaltung von Ernährungsumgebungen … also alles was letztendlich Kaufentscheidungen oder sozusagen den Zugang zur Ernährung trägt“.

Von der Theorie in die Praxis 

Der zweite Tag des Symposiums fokussierte sich auf die praktische Umsetzung einer nachhaltigen Ernährung. Folgende Fallbeispiele wurden vorgestellt:

  • Frankfurter Studentenwerk: Die Mensen des Studentenwerks bieten den Student*innen täglich mindestens ein veganes Gericht (Stand 2018: ein veganes Gericht pro Woche) an und achten gezielt auf die Verwendung von Bio-Lebensmitteln und Vollkornprodukten. Der Fleischanteil in den Gerichten wird durch die Beimischung von Gemüse und Hülsenfrüchten reduziert.
  • LWL Kliniken Münster und Lengerich: Die Kliniken bevorzugen regionale und saisonale Lebensmittel in Bio-Qualität. Beim Kauf des Fleisches wird auf eine artgerechte Tierhaltung geachtet. Täglich wird ein vegetarisches oder veganes Gericht für Patient*innen angeboten.
  • Solidarische Landwirtschaft „FrohLaWi“:  Mitglieder*innen des Vereins dürfen Wünsche und Ideen bezüglich des Gemüseanbaus äußern. Als Gärtner*innen beteiligen sich die Mitglieder an den Gartenarbeiten und können gegen eine monatliche Gebühr Ernteanteile in Form von Erntekisten erhalten.
  • Clarissa Juse: Die Journalistin möchte das Konzept der Planetary Health Diet möglichst nahbar machen und stellt über verschiedene Medienkanäle nachhaltige Rezepte vor. Ihre Beiträge fokussieren sich auf die praktische Umsetzung durch Rezeptideen und nicht auf theoretisches Faktenwissen, so Juse. „Das Lecker ist wichtig, nicht der Fokus auf Zwang oder Verzicht, sondern, dass das Essen tatsächlich auch gut ist.“

Handlungsoptionen: Was kann jede*r Einzelne beitragen?

Dr. Eva Maria Schwienhorst-Stich, Uniklinikum Würzburg, stellte verschiedene Handlungsoptionen für eine nachhaltige Entwicklung vor. Dabei unterschied sie folgende Ebenen:

  • Mikroebene (individueller Lebensstil): Energieverbrauch, Ernährung, Mobilität, Konsum überdenken und nachhaltiger gestalten
  • Mesoebene (z.B. Schulen, Universitäten, Arbeitgeber): Aufklärung zu Klimawandelfolgen, transformative Bildungsangebote schaffen, klimaneutrale Einrichtungen
  • Makroebene (z.B. Gesellschaft, Politik): Hitzepläne konzipieren, nachhaltige Stadtentwicklung fördern, wissenschaftliche Politikberatung, Demonstrationen veranstalten

Sarah Bersa

[1] World Health Organization (WHO). Ten threats to global health. 2021

[2] Heer EV, Harper AS, Sung H et al. Cancer 2020; 126(20): 4553-62. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32770762/

[3] Chambers AC, Dixon SW, White P et al. Br J Surg 2020; 107(5): 595-605. https://academic.oup.com/bjs/article/107/5/595/6093635

[4] The Intergovernmental Science Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES). IPBES workshop on biodiversity and pandemics. 2020; https://ipbes.net/sites/default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf

[5] Leibniz-Forschungsnetzwerk Biodiversität. 10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung. 2022; https://doi.org/10.5281/zenodo.6257476

[6] EAT-Lancet Commission. Healthy Diets From Sustainable Food Systems. 2019; https://eatforum.org/content/uploads/2019/01/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf

[7] Bodirsky BJ, Dietrich JP, Martinelli E et al. The ongoing nutrition transition thwarts long-term targets for food security, public health and environmental protection. Scientific Reports 2020; 10: 19778. https://www.nature.com/articles/s41598-020-75213-3

[8] Crippa M, Solazzo E, Guizzardi D et al. Food systems are responsible for a third of global anthropogenic GHG emissions. Nature Food 2021; 2: 198-209. https://www.nature.com/articles/s43016-021-00225-9

[9] Sutton MA, Bleeker A, Howard CM et al. Our Nutrient World: The challenge to produce more food and energy with less pollution. 2013; https://wedocs.unep.org/20.500.11822/10747

Lesen Sie im neuen Spezialthema:

  • Blutegeltherapie und Cantharidenpflaster gegen Schmerzen
  • Schröpfen: Therapieoption bei Schmerzen
  • Evidenzbasierte Aromatherapie bei Schmerzen
  • Heilpflanzen bei Rückenschmerzen