Interview„Änderungen im Ernährungsverhalten bilden einen der größten Hebel in der planetaren Krise“

Etwa 30 Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen sind dem Ernährungssystem zuzuordnen. Der effektivste Hebel wäre, tierische Produkte deutlich zu reduzieren. Ein Gespräch mit Dr. Lisa Pörtner.

Klimawandel, globale Erwärmung, Wüste und grüne Landschaft
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Etwa 30 Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen sind dem Ernährungssystem zuzuordnen. Der effektivste Hebel wäre, tierische Produkte deutlich zu reduzieren. Ein Gespräch mit Dr. Lisa Pörtner.

Sie sind Internistin mit den Zusatzbezeichnungen Ernährungsmedizin und Geriatrie. Inwieweit haben Sie in der Praxis den Einfluss des Klimawandels bei Ihren Patient*innen bemerkt?

Gerade im Sommer, wenn Hitzephasen auftreten, kommen häufig Patient*innen mit Exsikkose, Nierenversagen, einer Verschlechterung ihrer kardiovaskulären oder pulmonalen Erkrankungen in die Notaufnahme. Auch auf den Stationen haben wir deutlich bemerkt, dass die Hitze eine extreme Belastung für die Patient*innen darstellt. In der Geriatrie habe ich mit sehr alten Patient*innen gearbeitet, und für diese häufig multimorbiden Menschen stellt die Hitze eine immense Gesundheitsbelastung dar. Sie führt beispielsweise zur Verschlechterung einer Herzinsuffizienz. Wir haben keine Erhebungen dazu durchgeführt, aber man hatte den Eindruck, dass die Todesrate in der Klinik in diesen Hitzephasen erhöht war.

Haben Sie bei Patient*innen auch Ängste erlebt, eine Klimaangst?

Bei den älteren Patient*innen, mit denen wir in der Klinik viel zu tun haben, ist das noch kein so großes Thema. Erhebungen zeigen aber deutlich, dass immer mehr junge Menschen von Klima- und Zukunftsängsten betroffen sind [z.B. hier]. Und diese Ängste sind absolut angemessen angesichts der Situation, in der wir uns befinden.

Was sind derzeit die größten Bedrohungen für die Gesundheit im Zusammenhang mit dem Klimawandel?

Wenn wir uns die aktuelle Situation anschauen, stellt in unseren Breitengraden die Hitze das größte Problem dar. Sie bedeutet eine immense Gesundheitsbelastung und führt regelmäßig zu einer Übersterblichkeit; im Sommer 2018 sind in Deutschland beispielsweise 8700 Menschen an Hitzefolgen gestorben. Dann beobachten wir eine Zunahme von Extremwetterereignissen wie Starkregen und Überschwemmungen. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 sind in Deutschland 134 Menschen gestorben, viele weitere wurden traumatisiert. Was wir hierzulande auch beobachten, ist eine Zunahme der Allergien und eine Verlängerung der Allergiesaison. Seit einigen Jahren sehen wir außerdem, dass sich bestimmte Infektionserreger weiter nach Norden ausbreiten, beispielsweise die FSME. Und auch für die psychische Gesundheit spielt die Klimakrise eine zunehmend große Rolle.

Wichtig ist aber auch: Andere Länder im globalen Süden sind bereits sehr viel stärker von den gesundheitlichen Folgen der Klimakrise betroffen, beispielsweise durch sehr viel heftigere Extremwetterereignisse oder eine zunehmend kritische Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung.

Allein in Berlin und Brandenburg gab es zwischen 2018 und 2020 1400 Hitzetote. Wie sind wir in Deutschland auf Hitzewellen eingestellt?

Wir sind in Deutschland auf Hitzewellen völlig unzureichend vorbereitet. Hitzephasen führen regelmäßig zu einer Übersterblichkeit. Im Jahr 2003 waren es beispielsweise 70.000 zusätzliche Todesfälle in Europa. Andere Länder wie z.B. Frankreich haben im Anschluss reagiert und ihre Versorgungslage verbessert. In Deutschland ist dies nicht passiert, wir haben bisher nur wenige Kommunen mit Hitzeaktionsplänen und sind daher auf den Notfall nicht vorbereitet.

Es ist leider zudem so, dass hitzeassoziierte Erkrankungen in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung kaum eine Rolle spielen. Man kann davon ausgehen, dass sehr viele hitzeassoziierte Erkrankungen übersehen werden, einfach weil die Sensibilität für diese Krankheitsbilder noch fehlt. Es ist daher schwierig, das Ausmaß der gesundheitlichen Hitzefolgen detailliert zu erfassen, da hitzeassoziierte Erkrankungen nicht entsprechend eingeordnet und kodiert, also auch nicht erfasst werden.

Wie müssten wir aufgestellt sein, um für Hitzeperioden gewappnet zu sein?

Wir bräuchten unbedingt Hitzeaktionspläne in allen Kommunen, Bundesländern und auch auf Bundesebene. Dazu müssen die gesetzlichen und strukturellen Voraussetzungen geschaffen und dann die entsprechenden Vorbereitungen getroffen werden. Diese Vorbereitungen fangen auf städtebaulicher Ebene an – wir brauchen mehr Grünflächen, müssen der Bildung von Hitzeinseln vorbeugen.

Auf struktureller Ebene sind z.B. Frühwarnsysteme, Kooperationen zwischen Behörden, dem Rettungsdienst, Pflegeeinrichtungen und Kliniken notwendig. Eine entsprechende Vorbereitung kann z.B. sein, dass bestimmte Räume zur Kühlung vorgehalten werden, falls einmal eine extreme Hitzewelle auftritt. Vor einer so extremen Hitzewelle, wie sie 2021 in Kanada aufgetreten ist, sind auch wir in Deutschland nicht gefeit.

Also: Wir brauchen Hitzeaktionspläne und die Vorbereitung auf allen Ebenen. Und jede einzelne Institution selbst muss sich vorbereiten, um ihre Patient*innen, Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen zu schützen.

Gibt es Aktivitäten, passiert in dieser Richtung bereits etwas?

Es passiert auf jeden Fall schon etwas. Die Deutsche Allianz Klima und Gesundheit (KLUG e.V.) setzt sich z.B. sehr stark für den Hitzeschutz ein. Aber wir stehen noch am Anfang, es muss noch sehr viel mehr passieren. Die Sensibilität für das Thema ist jedoch deutlich gewachsen. Es lässt sich nicht mehr ignorieren, dass wir immer stärkere Extreme erleben.

Sie engagieren sich bei der Deutschen Allianz Klima und Gesundheit (KLUG e.V.), die sich mit genau diesen Fragen beschäftigt. Was sind die wichtigsten Ziele der KLUG e.V. und wie arbeitet der Verein?

Die Ziele sind einmal die Sensibilisierung für die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise bzw. der planetaren Krise. Wir erleben ja nicht nur eine Klimakrise, sondern auch eine planetare Krise mit einem dramatischen Artensterben und einer zunehmenden Umweltverschmutzung und -zerstörung. Wir klären über die gesundheitlichen Folgen dieser Krisen auf und setzen uns in verschiedenen Bereichen für engagierte Klima- und Umweltschutzmaßnahmen ein. Gleichzeitig rufen wir zu Klimaanpassungsmaßnahmen auf, die notwendig sind, um die menschliche Gesundheit zu schützen – wie den Hitzeschutz. Und: Wir setzen uns für ein klimaneutrales Gesundheitswesen ein, denn auch der Gesundheitssektor muss seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Wir haben ein wachsendes Team an hauptamtlich tätigen Personen, die sich um bestimmte Projekte wie den Hitzeschutz oder Weiterbildungsformate kümmern. Ich persönlich bin für den Bereich Ernährung zuständig. Gleichzeitig haben wir ein starkes, ehrenamtlich tätiges Netzwerk aus Expert*innen in Gesundheitseinrichtungen und vielen wissenschaftlichen Institutionen, die für den größten Teil unserer Wirkung verantwortlich sind.

Kann prinzipiell jeder bei KLUG mitarbeiten, der im medizinischen Bereich tätig ist?

Ja, jeder kann sich bei uns engagieren.

Dr. med. Lisa Pörtner ist Fachärztin für Innere Medizin mit Zusatzbezeichnung Geriatrie und Ernährungsmedizin. Nach langjähriger klinischer Tätigkeit ist sie aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Klimawandel und Gesundheit der Charité und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung tätig und forscht dort zu gesunder und nachhaltiger Verpflegung an Gesundheitseinrichtungen. Zudem ist sie bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) für den Bereich „Ernährung und Planetary Health“ zuständig.

Wie ist Ihre Erfahrung, und gibt es Daten, wie bekannt die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit in den Gesundheitsberufen bzw. im Gesundheitswesen sind?

Es gibt dazu eine aktuelle Umfrage von KLUG und unserem neuen Thinktank, dem Centre for Planetary Health Policy (CPHP). Die Umfrage unter Ärzt*innen hat gezeigt, dass es insgesamt ein geringes Bewusstsein gibt für die Gesundheitsgefährdung der Patient*innen durch die Klimakrise. Das entspricht auch meiner persönlichen Erfahrung: In der Klinik, in der ich zuletzt tätig war, war ich die Einzige, die sich aktiv mit dem Thema beschäftigt und versucht hat, darüber aufzuklären. Das heißt, hier besteht extrem hoher Fortbildungsbedarf. Aber es besteht auch ein sehr großes Interesse an Weiterbildung. Die Ärzt*innen sehen in der Praxis, dass beispielsweise hitzeassoziierte Erkrankungen zunehmend häufiger auftreten.

Der Gesundheitssektor selbst produziert ca. 5 Prozent der Treibhausgasemissionen weltweit.

Weltweit sind es ca. 4,4 Prozent und in Deutschland etwa 5,2 Prozent.

Gibt es Bereiche im Gesundheitswesen, die besonders viel Potenzial zur Einsparung von CO2-Emissionen haben?

Es gibt sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor große Einsparpotenziale. In beiden Bereichen ist das Einsparen bei Energie und Heizung besonders vielversprechend. Im stationären Sektor bietet die Ernährung der Patient*innen ein wichtiges Handlungsfeld. In beiden Bereichen spielt zudem die Nutzung/Verordnung von Medikamenten eine wichtige Rolle. Vor allem im ambulanten Sektor ergibt sich außerdem durch die vielen Patientenkontakte ein großes Potenzial durch eine Aufklärung der Patient*innen: Hier besteht die Möglichkeit zur klimasensiblen Gesundheitsberatung. Wir können mit Patient*innen in Kontakt treten und über Lebensstiländerungen aufklären, die sowohl das Klima schützen als auch sehr gesundheitsfördernd sind wie eine aktive Mobilität und eine stärker pflanzenbasierte Ernährung.

Haben Sie Beispiele für die klimafreundliche Medikamentenverordnung?

In der Klinik betrifft es z.B. das in der Anästhesie eingesetzte Narkosegas Desfluran, das besonders negative Auswirkungen auf das Klima hat. Hier gibt es Alternativen mit einem deutlich geringeren CO2-Fußabdruck. Im ambulanten Sektor haben Inhalativa großes Potenzial: Würden anstatt Inhalern Pulverinhalatoren verordnet, ließen sich deutlich Emissionen einsparen. Insgesamt wäre eine schonendere, zurückhaltendere Verschreibung von Medikamenten eine wichtige Maßnahme – und auch aus medizinischer Sicht macht ein „Deprescribing“ ja oft Sinn.

Wo könnte eine Einzelpraxis ansetzen, die sich auf den Weg bringen möchte, klimaneutral zu arbeiten?

Man könnte sich folgende Dinge anschauen:

  • Welche Medikamente verschreibe ich? Insbesondere bei den Lungenerkrankungen kann man, wo möglich, auf Pulverinhalativa umsteigen.
  • Wie kann ich Energiesparmaßnahmen umsetzen? Zum Beispiel kann man LED-Lampen einsetzen, auf Ökostrom wechseln und schauen, inwiefern bei der Heizung eingespart werden kann.
  • Wie kann ich eine aktive Mobilität unterstützen? Sowohl beim Team als auch bei den Patient*innen beispielsweise die Anfahrt mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln thematisieren und fördern.
  • Kann ich Ressourcen einsparen? Zum Beispiel indem ich auf unnötige Untersuchungen verzichte, Verbrauchsmaterialien reduziere und wo möglich recyceltes Material einsetze.

Und es ist sinnvoll, sich mit dem Thema klimasensible Gesundheitsberatung auseinanderzusetzen.

Wo kann man sich dazu genauer informieren?

Wir haben bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit das Projekt „Klimafreundliche Praxen“. Auch bei Health4Future gibt es dazu Material. Die Hamburger Gruppe hat einen Leitfaden für eine klimafreundliche Praxis entwickelt.

Wie kann man im Gespräch mit Patient*innen Klimawandel und Gesundheit thematisieren?

Hier sind die wichtigsten Bereiche die Mobilität und die Ernährung. Das Thema klimasensible Gesundheitsberatung wird zunehmend wissenschaftlich untersucht. Ich denke, man sollte sich zu den Themen informieren und einfach im Gespräch schauen, wo der Patient steht. Es vielleicht erst einmal kurz ansprechen, mit einem Satz einbinden, sich herantasten.

In diesem Semester gab es auch zwei Veranstaltungen unserer Planetary Health Academy zu diesem Thema, die auf YouTube verfügbar sind.

Eines Ihrer Spezialgebiete ist die Ernährung im Kontext der Planetary Health. Wie hängen Ernährung und Klima zusammen und wie groß ist der Anteil der Ernährung am Klimawandel?

Ernährung und Klima hängen sehr eng zusammen. Die Ernährung hat aber eben nicht nur auf das Klima, sondern auch auf viele andere Umweltbereiche deutliche Auswirkungen: z.B. auf das Artensterben, die Landnutzung, Nährstoffkreisläufe. Das heißt, Änderungen im Ernährungsverhalten bilden einen der größten Hebel, der planetaren Krise etwas entgegenzusetzen. Circa 30 Prozent der menschengemachten Treibhausgase sind dem Ernährungssystem zuzuordnen, das ist immens.

Unser Ernährungssystem produziert zudem eine große Menge der besonders klimaschädlichen Treibhausgase Methan und Lachgas. Das ist im Hinblick auf den geringen Zeithorizont, der uns noch zur Verfügung bleibt, um die Klimakrise zu begrenzen, von besonderer Bedeutung.

Wo liegt das größte Potenzial, sich klimafreundlich zu ernähren?

Die Antwort ist einfach: Wir müssen weg vom hohen Konsum tierischer Produkte, hin zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung. Hier liegt das mit Abstand größte Potenzial, weil tierische Lebensmittel in der Regel einen deutlich größeren Klimafußabdruck haben als pflanzliche.

Heißt das am besten gar kein Fleisch mehr und Verzicht auf Milch und Milchprodukte?

Das heißt keinesfalls „gar kein“, sondern in Maßen. Ein wissenschaftlich anerkanntes Konzept ist die Planetary Health Diet. Bei dieser Ernährungsweise geht es darum, tierische Produkte zu reduzieren, aber nicht unbedingt zu eliminieren. Insbesondere sollte das rote Fleisch von Wiederkäuern deutlich reduziert werden.

Und am besten regional und bio?

Das ist gar nicht Teil der Planetary Health Diet. Natürlich brauchen wir eine nachhaltigere Landwirtschaft. Ein Bio-Produkt ist nicht unbedingt klimafreundlicher, aber sicher umweltfreundlicher als Produkte aus konventioneller Landwirtschaft. Aber Regionalität bedeutet nicht per se nachhaltig: Regional kann auch bedeuten, regionales Fleisch aus Massentierhaltung zu kaufen, das ist dann nicht umweltfreundlich. Das Wichtigste ist, was man isst – tierisch oder pflanzlich. Wo das Lebensmittel herkommt, ist erst nachgeordnet relevant.

Haben Sie ein paar Beispiele, welche Nahrungsmittel neben Fleisch einen besonders ungünstigen Fußabdruck haben?

Bei Fleisch sind es vor allem die Sorten der Wiederkäuer (Rind- und Lammfleisch). Bestimmte Milchprodukte wie Butter oder Käse, bei denen viel Milch als Rohstoff benötigt wird, sind ebenso recht umweltschädlich. Und auch Produkte aus Aquakultur, insbesondere Meeresfrüchte, haben einen hohen Klimafußabdruck. Auch bei den pflanzlichen Produkten gibt es ein paar Ausreißer, z.B. Reis, Kaffee oder Kakao. Diese sind aber trotzdem nicht so klimaschädlich wie die tierischen Produkte.

 

Wie gesund ist klimafreundliche Ernährung?

Wenn wir sagen, für eine klimafreundliche Ernährung müssen wir uns zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung bewegen, ist das etwas, was wir aus ernährungsmedizinischer Sicht schon seit Langem empfehlen. Darin liegt ein immenses Potenzial für die menschliche Gesundheit. Das wäre also für alle eine Win-win-Situation, weil viele Patient*innen etwas umsetzen würden, was umweltfreundlich und gesundheitsförderlich ist.

Auch Zoonosen und Infektionskrankheiten hängen mit der Ernährung zusammen. Wie ist das zu erklären?

Zoonosen sind Infektionserkrankungen, die vom Tier auf den Menschen überspringen. Dieses Risiko für Zoonosen und Pandemien hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen, das schätzt auch der Weltbiodiversitätsrat so ein. Gründe dafür sind die Umweltzerstörung, die Ausdehnung der Landwirtschaft, Landnutzungsänderungen. Unsere Ernährung ist für 80 % der Entwaldung und damit der Zerstörung verbleibender natürlicher Lebensräume verantwortlich. Wir kommen dadurch immer mehr in Kontakt mit Wildtieren, und damit steigt auch das Infektionsrisiko.

Neben den Wildtieren spielen aber auch unsere Nutztiere bei der Entstehung von Zoonosen eine große Rolle. Wir halten immer mehr Tiere unter schlechten Bedingungen auf engstem Raum, und auch dadurch steigt das Übertragungsrisiko an. Eine neue Studie hat leider gerade aufzeigt, dass es in diesem Jahrhundert durch die zunehmende Klimaerwärmung und voranschreitende Landnutzungsänderungen durch die Landwirtschaft zu einer weiteren Durchmischung von Infektionserregern in der Tierwelt kommen und das Pandemierisiko deutlich steigen wird.

Ein gutes Argument, sich klimafreundlich zu ernähren.

Genau. Ein weiterer Aspekt mit Bezug zu unserer Ernährungsweise, der uns in der Medizin immer mehr zu schaffen macht, sind die antibiotikaresistenten Bakterien. Auch hier besteht ein enger Zusammenhang mit der industriellen Landwirtschaft und der Massentierhaltung, wo doppelt so viele Antibiotika eingesetzt werden wie in der Humanmedizin. Dadurch steigt das Risiko für Antibiotikaresistenzen deutlich an.

„Wir müssen weg vom hohen Konsum tierischer Produkte, hin zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung.“

Auf dem Deutschen Ärztetag 2021 hat man sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 im Gesundheitswesen klimaneutral zu werden. Halten Sie das für realistisch?

Ich glaube, wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Der Bericht des Weltklimarats besagt, dass wir nur noch ein ganz kleines Möglichkeitsfenster haben, um einen katastrophalen Klimawandel abzuwenden. Das heißt, wir müssen uns von der Notwendigkeit bestimmen lassen. Und von daher muss es heißen, wo der Wille ist, ist auch ein Weg. Ja, ich halte es für möglich, wenn der Wille wirklich da ist. Wir brauchen eine ganz engagierte Politik, wir müssen uns alle gemeinsam einsetzen, jeder an seiner Stelle. Dann ist es auch zu schaffen. Die Alternative wäre einfach katastrophal. Und von daher müssen wir es gemeinsam schaffen.

Machen wir es noch mal konkret: Wie sieht die Alternative aus und über welches Zeitfenster sprechen wir?

Der Bericht des Weltklimarates zeigt: Mit jedem Zehntel Grad Erwärmung werden die Auswirkungen der Klimakrise katastrophaler – in allen Bereichen. Die gesundheitlichen Folgeschäden nehmen zu, mehr Menschen verlieren ihren Lebensraum, die Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln wird kritischer. Je wärmer es wird, desto mehr Arten sterben aus, die Ökosysteme der Erde verändern sich immer drastischer. Zudem steigt mit zunehmender Erwärmung das Risiko, dass wir Kipppunkte in natürlichen Systemen erreichen. Dann wird sich die Klimakatastrophe verselbstständigen, und wir laufen nur noch hinterher. Das Leben, das wir dann auf diesem Planeten führen können, wird nichts mehr mit unserer heutigen Gegenwart zu tun haben. Es klingt drastisch, aber schlussendlich geht es dann auch um das Überleben unserer eigenen Art.

Was tun Sie persönlich, um klimafreundlich zu leben?

Ich versuche, in allen Bereichen meinen ökologischen Fußabdruck so deutlich wie möglich zu reduzieren. Ich ernähre mich pflanzenbasiert, ich fahre Fahrrad und Zug, ich fliege nicht. Ich habe meinen Konsum deutlich reduziert, versuche, gebrauchte oder sehr langlebige Produkte zu kaufen. Fast noch wichtiger als der eigene Fußabdruck ist aber der ökologische Handabdruck, der aktive Einsatz für den gesellschaftlichen Wandel. Das heißt, ich spreche in meinem Umfeld über das Thema, ich versuche, Menschen aufzuklären, ich bin schon lange ehrenamtlich in der Klimabewegung aktiv. Und ich habe mich beruflich so umorientiert, dass ich all meine Zeit darin investieren kann, an der gesellschaftlichen Transformation mitzuarbeiten, die wir so dringend brauchen.

Zu welchen Themen in diesem Zusammenhang forschen Sie?

Wir arbeiten im Moment an der Charité an einem Forschungsprojekt zur Essensversorgung in Kliniken und Pflegeheimen. Wir beschäftigen uns damit, wie diese klimafreundlicher und gesünder gestaltet werden kann.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wie schätzen Sie es ein, wie klimafreundlich ist die Ernährung derzeit in Krankenhäusern?

Die Ernährung in den meisten Krankenhäusern ist definitiv nicht klimafreundlich. Es gibt nicht sehr viele Daten dazu, aber eine Schweizer Studie zeigt beispielsweise, dass ca. 17 Prozent der Emissionen eines Krankenhauses der Ernährung zuzuordnen sind – v.a. durch den hohen Anteil an tierischen Produkten. Und auch hier gilt wieder: Es geht nicht nur um das Klima, sondern auch um andere Aspekte wie Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung, Zerstörung natürlicher Lebensräume, Artensterben – da spielt die Ernährung sogar noch eine größere Rolle. Das heißt, hier besteht immenses Potenzial und eine immense Verantwortung der Kliniken, in diesem Bereich aktiv zu werden.

Warum tragen gerade auch Ärzt*innen und Menschen in Gesundheitsberufen im Zusammenhang mit Planetary Health Verantwortung?

Es ist einfach wichtig zu wissen, dass Umweltveränderungen wie Klimakrise, Artensterben, Umweltverschmutzung, Zerstörung von natürlichen Lebensräumen extrem negative Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen haben. Deshalb kommt uns eine besondere Verantwortung zu: zum einen, unsere eigenen Emissionen im Gesundheitswesen zu senken, und zum anderen, daran mitzuarbeiten, unsere Patient*innen vor diesen negativen Gesundheitsauswirkungen zu schützen und uns in der Transformation zu engagieren. Denn klar ist: Ein gesundes Leben ist nur auf einem gesunden Planeten möglich.

Begegnen Sie immer noch Menschen, die am Klimawandel zweifeln?

Nein, Zweiflern eigentlich nicht. Ich denke, das größte Problem sind Menschen – v.a. jene in Entscheidungspositionen –, denen bewusst ist, dass es die Klimakrise gibt, die den Handlungsdruck aber nicht verstehen. Meine Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen noch nicht begreifen, wie dramatisch die Situation wirklich ist und was auf uns zukommt, wenn wir nicht sehr schnell aktiv werden. Das halte ich für das größere Problem.

Wie argumentieren Sie in solchen Situationen?

Was heißt argumentieren? Mit Aufklärung kommt man weiter, wiederholte Aufklärung über die wissenschaftlichen Fakten. Die Daten liegen alle vor. Der Weltklimarat hat gerade wieder einen extrem dramatischen Bericht vorgelegt. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. Die Politik thematisiert es zu wenig, die Medien versagen hier auf ganzer Linie. Es braucht einfach sehr viel mehr Aufklärung, weil wir die Menschen mitnehmen müssen. Die Menschen sind bereit, Veränderungen und Einschränkungen hinzunehmen, wenn sie wissen, warum und was der Preis ist, wenn wir es nicht tun. Das haben wir in der Corona-Pandemie gesehen. Hier gibt es ganz viel Nachholbedarf.

Das Interview führte Anke Niklas.