FatigueLong-COVID: Chronische Erschöpfung durch systemische Entzündungshemmung?

Eine systemische Entzündungshemmung im Organismus könnte für die chronische Erschöpfung bei Long-COVID mitverantwortlich sein. Belege dafür fanden Forscher*innen in einer Studie. 

erschöpfter Mann hat die Hände vor dem Gesicht
Tiko/stock.adobe.com; posed by a model

Chronische Erschöpfung ist ein häufiges und meist sehr belastendes Symptom von Post-COVID.

Nicht überschießende Entzündungsreaktion, sondern antientzündliche Stoffe als Auslöser

Ein Team der Universität Wien hat neue Hinweise auf Auslöser für die Erschöpfungszustände nach einer SARS-COV-2 Infektion vorgelegt. Die Gruppe konnte zeigen, dass eine überschießende antientzündliche Reaktion für Long-COVID mitverantwortlich sein dürfte:

Die Forscher*innen fanden Belege für eine systemische Entzündungshemmung bei Long-COVID-Patient*innen:

  • In Blutanalysen zeigten sich geringe entzündungsfördernde Aktivitäten sowie das Vorherrschen entzündungshemmender Mediatoren im Blutplasma.
  • Die Metabolomics-Analysen zeigten einen anhaltenden katabolen Metabolismus, was für die chronischen Erschöpfungssymptome verantwortlich sein könnte.

Auf der Suche nach möglichen molekularen Grundlagen des Long-COVID-Syndroms führten die Forscher*innen in einer explorativen Studie massenspektrometrie-basierten postgenomischen Analyse-Verfahren bei ausgewählten Patienten-Kohorten durch. Die Stärke dieser Verfahren liegt in einem sehr umfassenden Abbild von Ist-Zuständen, also der Verfolgbarkeit von gerade in einem Patienten ablaufenden Krankheitsprozessen.

Die rekrutierten Patient*innen wurden in 3 Gruppen eingeteilt:

  • Gruppe 1: gesunde Personen ohne SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese
  • Gruppe 2: symptomfrei genesene Personen mit SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese
  • Gruppe 3: Personen mit SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese, die nach mindestens 3 Monaten an chronischem Erschöpfungssyndrom und mindestens einem weiteren Long-COVID-Symptom litten

Die Forscher*innen führten bei allen Patient*innen Blutuntersuchungen durch, darunter Entzündungswerte und bei jeweils 13 Patient*innen einer Gruppe eine sog. Multi-Omics-Analyse. 

Klassische Entzündungsmarker fehlen

Bei viralen Infektionen kommt es normalerweise zu einer sehr starken Aktivierung des Immunsystems. Bei praktisch allen untersuchten Long-COVID-Patient*innen waren entsprechende Entzündungsmarker wie Zytokine, Akutphase-Proteine und Eicosanoide kaum auffindbar. Sie lagen bei den Long-COVID-Patient*innen unter den Werten Gesunder oder waren nicht nachweisbar, so Studienautor Christoph Gerner.

Erstaunlicherweise waren die Unterschiede bei Long-COVID-Patient*innen im Vergleich zu symptomlosen genesenen Patient*innen deutlicher als zu gesunden Kontrollen. "Dieser Befund machte deutlich, dass tatsächlich bei symptomlosen Genesenen ein gewisser Rest an Entzündungsreaktionen nachweisbar war, während Long-COVID-Patient*innen einen gegenteiligen Befund aufwiesen", so Gerner.

Enzündungshemmer vermehrt nachweisbar

Die Forscher*innen konnten einige antientzündlich wirkende Proteine, Lipide und Metaboliten bei Long-COVID-Patient*innen finden. Diese könnten einerseits die wichtigsten Long-COVID-Symptome mitverursachen. Andererseits könnten diese antientzündlich wirkenden Stoffe auf die Bildung alternativ polarisierter Makrophagen als Ursache hinweisen.

"Die molekulare Signatur einer Entzündungshemmung war sehr deutlich sichtbar", so Gerner. Die Studie liefert z.B. den Hinweis, dass eine erhöhte Infektiosität des Virus über einen Mangel an Akutphase-Proteinen (z.B. SERPINA5) erklärbar ist. Zudem waren die antientzündlichen Metabolite Taurin und Hypaphorin bei LCS-Patient*innen stark erhöht. Von Hypaphorin ist bekannt, dass es in Tieren spontan Schlaf induzieren kann, was einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erschöpfungssyndrom nahelegt.

Alternativ polarisierte Makrophagen dominieren Krankheitsbild

In den Blutplasma-Analysen von Long-COVID-Patient*innen zeichnete sich eine aktive Beteiligung sog. alternativ polarisierter Makrophagen ab. Diese bilden sich typischerweise nach Infektionen und koordinieren regenerative Prozesse. Die Forscher fanden bei den Long-COVID-Patient*innen ein für alternativ polarisierte Makrophagen charakteristisches molekulares Profil. Dies könne ein möglicher Aspekt des Pathomechanismus sein.

Natürlich sind mit dieser Arbeit nicht alle Long-COVID-bezogenen Fragen geklärt. In einer gerade gemeinsam mit Gerhard Garhöfer von der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien abgeschlossenen Studie untersuchte die Joint Metabolom Facility die Ursachen für das erhöhte Arteriosklerose- und Herzinfarkt-Risiko nach überstandenen Infektionen. "Die Pathologie der Long-COVID-Erkrankung kristallisiert sich immer deutlicher heraus, was natürlich eine völlig neue Einschätzung von Risikofaktoren und Therapie-Optionen ermöglicht", so die Studienautor*innen. Die Forscher*innen sind zuversichtlich, in naher Zukunft deutlich verbesserte Diagnosemöglichkeiten für Long-COVID und vor allem Monitoring-Verfahren zur Bewertung von Therapie-Effekten anbieten zu können. 

Quelle: Universität Wien/Ni

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