GeriatrieKräftigung wider das Altern

Körperliche Aktivität und Training zählen zu den wichtigsten Faktoren für Selbstständigkeit, körperliche und geistige Unversehrtheit im Alter. Krafttraining ist eine zentrale Stellgröße.

Sport, Bewegung, Bewegungstherapie, Alter, Krafttraining, Griffkraft
Quelle: K. Oborny/Thieme

Krafttraining bildet eine zentrale Stellgröße bei der Gesunderhaltung im Alter.

von Maximilian Köppel und Dennis Hamacher

Kurz gefasst

Was ist zu diesem Thema bereits bekannt?

  • Mit dem demographischen Wandel steigt auch die Prävalenz von altersassoziierten Erkrankungen und Multimorbidität.
  • Körperliche Aktivität und Training haben eine positive Wirkung auf die Mortalität und Morbidität.
  • Lebenslange körperliche Aktivität ist eine zentrale Gesundheitsressource.

Welche neuen Erkenntnisse bringt der Artikel?

  • Durch lebenslanges körperliches Training bewahren Menschen auch im hohen Alter die Leistungsfähigkeit der um Dekaden jüngeren Durchschnittsbevölkerung.
  • Durch körperliche Aktivität kann die vorzeitige Sterblichkeit durch Multimorbidität so gut wie aufgehoben werden.
  • Training besitzt eine neuroprotektive Wirkung.
  • Krafttraining stellt eine zentrale Stellgröße in der Gesunderhaltung dar.

Inhalt

Alter und Fitness

Knochendichte

Skelettmuskulatur

Zusammenhang von Kraft und Mortalität

Krafttraining in der Onkologie

Krafttraining und Gehirn-Fitness

Training und Multimorbidität

Training als Jungbrunnen

Gerade in Anbetracht des demografischen Wandels und der Überalterung der Bevölkerung mit für das Jahr 2050 schätzungsweise 30 Millionen über 60-Jährigen in der Bundesrepublik [1] und ca. 2 Milliarden weltweit [2] muss die wachsende Personengruppe der Älteren verstärkt in die Aufmerksamkeit der Gesundheitsversorgung rücken und das biologische Alter trotz fortschreitendem kalendarischen Alter so „jung“ wie möglich gehalten werden. Während das kalendarische Alter den Zeitraum, der seit der Geburt vergangen ist, beschreibt, findet im Kontext des biologischen Alters, der körperliche Funktionszustand sowie die Ausprägung kognitiver und motorischer Fähig- und Fertigkeiten Berücksichtigung, welche durch körperliches Training gefördert werden können.

Alter und Fitness

Mit leichten Variationen zwischen den motorischen Kompetenzen liegt im Alter zwischen 20 und 35 Jahren der potenzielle Höhepunkt der motorischen Leistungsfähigkeit [3]. Wurde dieser Leistungsgipfel erreicht, kommt es jenseits von diesem zu einem quasi linearen Abfall der Leistungsfähigkeit in den Folgejahrzehnten, welcher sich ab dem 7. bzw. 8. Lebensjahrzehnt nochmals beschleunigt.

Diese Beobachtungen sind allerdings nur dann richtig, wenn über den gesamten Beobachtungszeitraum immer die maximale Leistungsfähigkeit herangezogen wird. So kann der individuelle Höhepunkt bei einer sehr sparsamen Bewegungsbiografie, aber einem späteren Einstieg in körperliches Training, durchaus auch erst jenseits der 40er eintreten. Wurde ein hohes Leistungsniveau erreicht, z. B. im Fall ehemaliger Spitzenathleten, zeigen diese Menschen auch in fortgeschrittenem Alter (> 70 Jahre) noch Leistungen, welche mit denen von 20 bis 30 Jahren jüngeren Personen der Normalbevölkerung übereinstimmen [3][4].

Knochendichte

Durch körperliche Inaktivität kann eine altersassoziierte Verschlechterung bei beinahe allen körperlichen Parametern beobachtet werden. Warming, Hassager und Christiansen [5] beobachteten eine mit dem Alter korrelierte Reduktion der Knochendichte, die sich bei Frauen insbesondere mit Eintritt der hormonellen Veränderungen in der Menopause deutlich beschleunigt. In einer Querschnittsstudie mit Probanden in einer Altersspanne von 54 bis 73 Jahren wiesen ehemalige Leistungssportler wesentlich höhere Knochendichten auf als die Personen in der sedentären Kontrollgruppe [6]. Die Altersdifferenzen, von Warming und Kollegen [5] herangezogen, war bei den ehemaligen Athleten verglichen mit der Kontrollgruppe eine Verjüngung des Knochenalters von bis zu 5 Jahrzehnten zu beobachten.

Etherington und Kollegen [7] konnten diesbezüglich einen positiven Dosis-Wirkungs-Zusammenhang von Aktivitätsniveau und Knochendichte mit ehemaligen Spitzenathleten am einen und körperlich inaktiven Personen am anderen Extrem des Aktivitätskontinuums nachweisen. Auch hier bestätigt sich eine mehrere Dekaden umspannender Unterschied des Knochenalters.

Neben diesen korrelativen Ergebnissen, bei denen die starke Assoziation von körperlicher Aktivität und Knochendichte auch durch andere Faktoren verzerrt sein kann, konnten die 65- bis 78-jährigen Teilnehmer eines multimodalen, heimbasierten Trainingsprogramms innerhalb einer Interventionszeit von 18 Monaten die Knochendichte in den Lendenwirbelkörpern um eine halbe Standardabweichung (d = 0,49), im Femurhals sogar um d = 0,6 Standardabweichungen im Vergleich zur Kontrollgruppe verbessern. Die Kontrollgruppe war allerdings nicht inaktiv, sondern führte ein niederschwelliges Trainingsprogramm durch, welches wohl dazu beitrug, dass die Knochendichte zumindest nicht zurückging [8]. Im Kontext der Alterszusammenhänge von Warming und Kollegen [5] entsprechen diese Effekte einem Altersunterschied von 0,5 bis zu 2 Jahrzehnten (in Abhängigkeit von der knöchernen Struktur und der Referenzkategorie). Als positiver Zusatzeffekt zeigte die Trainingsgruppe mit der hohen Trainingsintensität eine um ⅓ niedrigere Sturzrate als die niederintensiv trainierende Kontrollgruppe.

In einer systematischen Übersichtsarbeit fanden Zhao, Zhao und Xu [9] einen ebenfalls positiven Effekt von Krafttraining auf die Knochendichte, der insbesondere durch die Kombination von Krafttraining und dem Training mit Gewichtswesten und hohen Impulsen (z. B. durch Sprünge) gefördert wurde.

Skelettmuskulatur

Genau wie bei den Knochen ist auch die Qualität der Skelettmuskulatur Produkt ihrer Beanspruchung. Hierbei kann es durch ein gezieltes Training zu enormen Drehmomentverbesserungen kommen, wobei insbesondere jene Personen profitieren, welche ein vergleichsweise niedriges Ausgangsniveau aufweisen [10][11][12][13].

Dementsprechend empfiehlt es sich über die gesamte Lebensspanne, aber insbesondere für Personen höheren Alters, ein gezieltes Muskeltraining aufzunehmen, um die Lebensqualität und den körperlichen Funktionsstatus bestmöglich aufrechtzuerhalten. Entsprechend der Arbeiten von Porter et al. sowie Hazell und Kollegen [14][15] sowie der Meta-Analyse von Tschopp und Kollegen [16] scheinen gerade schnell- und reaktivkräftige Übungen eine besonders positive Wirkung auf die Lebensqualität und den körperlichen Funktionsstatus älterer Personen zu besitzen. Die Autoren sprechen diesen Kraftdimensionen sogar einen höheren prädikativen Wert als der Maximalkraft auf jene proximalen Gesundheitsparameter zu. In einer Arbeit mit Frauen oberhalb der 6. und 8. Lebensdekade bestätigten Caserotti und Kollegen dies für beide Altersgruppen, wobei eine gleichermaßen gute Trainierbarkeit beobachtet wurde [17]. Dieser funktionale Mehrwert von Schnell- und Reaktivkrafttraining sehen Steib et al. insbesondere darin begründet [13], dass den Teilnehmern eines solchen Trainings Alltagsaktivitäten wie Treppensteigen oder das Aufstehen aus sitzender Position weniger Mühe bereitet. Auf muskelphysiologischer Ebene erklärt sich dieser Zusammenhang auch dadurch, dass ältere Personen verglichen mit jüngeren Menschen weniger für schnell- und reaktivkräftige Bewegungen notwendige Typ-2-Muskelfasern besitzen, wohingegen die Zahl der ausdauernden Typ-1-Fasern sich nicht merklich unterscheidet [18].

Muskeltraining und Funktionsstatus

Schnell- und reaktivkräftige Übungen scheinen eine besonders positive Wirkung auf Lebensqualität und Funktionsstatus zu haben.

 

Diese Beobachtungen werden durch die Trainingsstudie von Kryger und Andersen bestätigt [19]. Hierbei führten 11 Personen im Alter von 85 bis 97 Jahren ein 12-wöchiges, intensives Krafttraining (80 %-1RM) mit 3 Trainingseinheiten à 45 Minuten pro Woche durch. Im Mittel zeigten sich bei den Probanden isokinetisch gemessene Drehmomentsgewinne von über 47 % sowie eine Zunahme des Quadriceps-Querschnitts von 10 %. Dieses Querschnittswachstum konnte insbesondere auf eine Hypertrophie der Typ-2-Muskelfasern zurückgeführt werden, deren Querschnitt sich um 22 % vergrößerte. Analog verschob sich die Verteilung der Myosin-Heavy-Chains (MHC) zugunsten des schnelleren MHC-Typ-II. In einer vergleichbaren Studie von Slivka et al. wurde ebenfalls ein deutlicher Kraftzuwachs, allerdings keine Beeinflussung der Muskelfasertypen oder der MHC durch ein 12-wöchiges Krafttraining bei 3 wöchentlichen Trainingseinheiten mit 70 % des 1RM gefunden [20]. Um die optimale Belastungssteuerung für betagte Menschen zu finden und die divergierenden Studienergebnisse zu erklären, sind weitere Trainingsstudien mit adäquater Belastung vonnöten.

Zusammenhang von Kraft und Mortalität

Gerade in Bezug auf die Prävention, was hier sowohl die Vorbeugung von Krankheiten als auch des Todes umfassen soll, beschränkt sich die bewegungswissenschaftliche Evidenz fast ausschließlich auf die aerobe Ausdauer [21]. Dies wird gerade dann deutlich, betrachtet man die von der WHO empfohlenen täglichen 10 000 Schritte, einem Parameter für geleistete Arbeit, als Differenzierungsmerkmal in epidemiologischen Studien oder in der Promotion von Bewegung [22]. Relativ stiefmütterlich behandelt ist im Gegensatz hierzu die Rolle des Krafttrainings bzw. der Kraftfähigkeit.

Ruiz et al. konnten in einer groß angelegten prospektiven Kohortenstudie über einen medianen Follow-Up-Zeitraum von knapp 20 Jahren 503 Todesfälle beobachten [23]. Die Autoren fanden im stärksten Tertil – die Kraft wurde mithilfe des 1-RM in Beinpresse und Brustpresse erhoben – eine im Mittel um 34 % reduzierte altersadjustierte Gesamtmortalität, verglichen mit jenen Personen im schwächsten Tertil. Dieses Muster bestätigte sich auch für Krebs- und kardiovaskuläre Erkrankungen. Im komplett adjustierten Modell konnte der Mehrwert auch unter Berücksichtigung von BMI, Raucherstatus, Aktivitätsniveau und Ausdauerfähigkeit demonstriert werden, weswegen die Kraftfähigkeit eine eigenständige Gesundheitsressource und nicht nur als Surrogat, z. B. eines aktiven Lebensstils, angesehen werden darf.

Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen auch Sasaki et al. in einer prospektiven japanischen Kohortenstudie [24]. Innerhalb des Beobachtungszeitraums von 27 Jahren konnten die Forscher 2483 Todesfälle verzeichnen. Die isometrisch erhobene Griffkraft zeigte hierbei einen protektiven Effekt mit Blick auf das Sterberisiko, wobei eine um 5 kg (5 kilopond, d. h. ca. 50 N) höhere Griffkraft mit einer Risikoreduktion von 10 % einhergeht. Dieser Effekt konnte dabei über alle erhobenen Altersgruppen (35 – 74 Jahre zum Erhebungszeitraum) und mehrere Todesursachen nachgewiesen werden.

Newman und Kollegen fanden ebenfalls eine substanzielle Reduktion des mittleren Sterberisikos von 36 % bei Männern bzw. 56 % bei Frauen pro positive Standardabweichung der Kraftfähigkeit (38 Nm im Quadriceps; 10,7 kg und ca. 105 N Griffkraft) [25]. Interessant ist in diesem Fall, dass die Autoren keinen prädikativen Mehrwert der Quadricepskraft gegenüber dem Griffkraft beobachten konnten. Allerdings weisen die Autoren der Kraftfähigkeit einen größeren prädikativen Nutzen auf die Sterblichkeit als dem Muskelquerschnitt zu.

In der groß angelegten internationalen PURE-Studie [26], in welche die Daten von 140 000 Personen aus 17 Ländern einflossen, konnten Leong und Kollegen mit einer Follow-Up-Zeit von 4 Jahren eine Risikoerhöhung von 16 % pro 5 kg Kraftverlust im Griffkraft auf die unspezifische Mortalität beobachtet werden (vgl. auch [27]).

Kraft und Mortalität

Menschen über 70 Jahre profitieren besonders von einer hohen Kraftfähigkeit [28]. 

 

Während in den vorangegangenen Untersuchungen Personen über die gesamte Altersspanne erhoben wurden, haben Guadalupe-Grau et al. lediglich Personen jenseits des 70. Lebensjahres verschiedenen Krafttests unterzogen [28]. Es zeigte sich, dass diese Population ganz besonders von einer hohen Kraftfähigkeit profitiert. So verzeichnet das adjustierte Modell eine Risikoreduktion vom schwächsten zum stärksten Quartil von bis zu 80 % (bei großer Unschärfe des Schätzers).

Dieser hohe Nutzen der Kraftfähigkeit auf die Sterblichkeit von älteren Menschen konnten auch Ling und Kollegen bestätigen. Hierbei wurde die Griffkraft von 555 Personen im Alter von 85 Jahren erhoben und entsprechend ihrer Handkraft in Tertile eingeteilt. Auch hier zeigt sich eine Proportionalität von Griffkraft und Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb des fast 10-jährigen Beobachtungszeitraums, wobei das schwächste Drittel eine um 35 % erhöhte Sterblichkeit aufwies [29]. Besonders gefährdet (Hazard Ratio = 1,72) waren hierbei Personen, die einen großen Kraftverlust verzeichneten. Bei derartigen Beobachtungsstudien muss immer berücksichtigt werden, dass wegen des explorativen Charakters der Studien nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei den beobachteten Zusammenhängen lediglich um Scheinkorrelationen handelt, wobei beide Variablen über eine Drittvariable wie den Gesundheitsstatus miteinander assoziiert sind. So ist davon auszugehen, dass Personen mit vergleichsweise schlechtem Gesundheitszustand sowohl eine relativ niedrige Kraft als auch eine reduzierte fernere Lebenserwartung besitzen (wobei in den zitierten Studien versucht wurde, durch Selektion der Probanden und statistische Kontrolle diesen Effekten so gut wie möglich vorzubeugen).

Krafttraining in der Onkologie

Systematisches Krafttraining hat inzwischen auch Einzug in die onkologische Bewegungstherapie und allgemeine Akzeptanz in diesem Forschungs- und Therapiefeld gewonnen. Dabei konnten die Patienten durch Krafttraining positive Effekte verzeichnen auf

  • verschiedene medikamentenassoziierte Nebenwirkungen wie die krebsassoziierte Fatigue nach [30] aber auch während der Therapie [31][32],
  • den Verlust an Knochendichte [33] und
  • auf die körperliche Funktionsfähigkeit [34][35].

Die Unbedenklichkeit sowie positive Effekte auf die Armfunktion und die Symptomatik konnten auch für das Training mit Lymphödemen der oberen Extremität bestätigt werden [36], die häufig als nach Lymphknotenresektionen auftreten.

Hinsichtlich des Langzeiteffekts von Bewegungstherapie auf die Mortalität von Krebspatienten liegen bislang 2 Arbeiten vor [37][38]. In der 1. Arbeit von Courneya et al. wurden 242 Burstkrebspatientinnen zufällig einer Kontroll-, einer Ausdauer- und einer Krafttrainingsgruppe zugewiesen und trainierten 3-mal pro Woche bei moderater Intensität (60–70 % VO2 max bzw. 60–70 % 1RM) parallel bis 3 Wochen nach Beendigung der Chemotherapie [37]. Bei einer medianen Follow-Up-Zeit von 89 Monaten beobachteten die Forscher eine um 47 % höhere erkrankungsfreie Überlebensrate in den Interventionsgruppen (beide Interventionsgruppen wurden für das Follow-Up zusammengefasst) verglichen mit der Kontrollgruppe und eine um 40 % niedrigere Gesamtüberlebenswahrscheinlichkeit. Die Rezidivrate der ehemaligen Interventionsteilnehmerinnen lag im Mittel sogar 66 % unter jener der Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse verfehlen wegen der für derartige Risikokalkulationen notwendigen hohen Stichprobengröße statistische Signifikanz, weswegen die Schätzgrößen damit mit einer hohen Unsicherheit behaftet sind, dennoch zeigen sie einen deutlichen Trend auf.

Dieser Trend konnte auch von Wiskemann et al. für ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining bei Patienten nach allogener Stammzelltransplantation bestätigt werden [38]. Die Patienten der Interventionsgruppe führten hierbei ein leicht bis moderates Ausdauertraining 3- bis 5-mal die Woche und 2-mal die Woche ein Krafttraining mit Gymnastikbändern durch. Das Training begann 1 bis 4 Wochen vor der Transplantation, wurde während des Krankenhausaufenthalts aufrechterhalten und nach der Entlassung bis zu 8 Wochen weitergeführt. In dem Follow-Up nach 2 Jahren zeigte die ehemalige Interventionsgruppe mit 12 % eine deutlich reduzierte absolute Mortalitätsrate verglichen mit den 28 % in der Kontrollgruppe.

Krafttraining und Gehirn-Fitness

Das Altern geht mit einer Verminderung der kognitiven Funktionen und einer erhöhten Anfälligkeit für neurodegenerative Erkrankungen einher. Hauptsymptome solcher Erkrankungen können z. B. der Verlust von Nervenzellen sein, was wiederum die Verminderung der kognitiven Funktionen erklärt. Genauer zählen zu den natürlichen neurodegenerativen Prozessen u. a. die Abnahme von Wachstumsfaktoren B. Insulin-like growth factor-1; IGF-1: Insulinähnlicher Wachstumsfaktor-1, der Wachstum und Differenzierung von Zellen begünstigt) und neurotrophe Faktoren, die unter anderem die Anzahl synaptischer Verbindungen, Neurotransmitter (z. B. Dopamin) und Neurotrophine (z. B. BDNF) erhöhen sowie die Zunahme inflammatorischer Prozesse begünstigen [39][40][41][42][43]. Vor allem eine Reihe von Tierstudien bestätigt, dass körperliche Aktivität einen positiven Einfluss auf die Produktion von neurotrophen Faktoren und Wachstumsfaktoren und somit auf die adulte Neurogenese (Bildung neuer Nervenzellen) hat. Eine hervorragende Nachricht für Sporttherapeuten ist also, dass insbesondere mit gut durchgeführtem gesundheitsorientiertem Krafttraining den neurodegenerativen Prozessen präventiv begegnet werden kann. „Ein gesundheitsorientiertes Krafttraining beschreibt die differenzierte Wahl und Gestaltung von Inhalten, Mitteln, Methoden und Belastungsnormativen, um das muskuloskelettale System adäquat zu beanspruchen und eine kontrollierte und sichere Ausführung alltäglicher, beruflicher und/oder sportlicher Bewegungen zu ermöglichen“ [43].

Um die Gesundheit im Alter optimal zu fördern, wurden insbesondere einige Untersuchungen zum Verständnis von molekularen neurobiologischen Signalwegen, die mit Altern verbunden sind, durchgeführt. Heute wissen wir: Körperliche Aktivität ist neuroprotektiv [44][45]. Das bedeutet, dass durch körperliche Aktivität Nervenzellen und -fasern durch molekularbiologische Mechanismen vor dem Absterben bewahrt werden und dadurch ein Krankheitsverlauf verzögert werden kann. Natürlich kann auf diesem Weg auch die Lebensqualität betroffener Patienten erhöht werden. Weiterhin konnte in anderen Studien beobachtet werden, dass eine Reduktion der Muskelmasse einen direkten Einfluss auf die Atrophie zerebraler Strukturen hat, was auch auf diesem Weg eine Verminderung kognitiver Funktionen bedingt [46][47]. Zudem werden altersbedingte neurokognitive Veränderungen (Verschlechterungen) von peripheren Sarkopenie-bedingten Abbauprozessen katalysiert [43][46][47], das bedeutet, die negativen altersbedingten Veränderungen werden durch eine Sarkopenie beschleunigt.

Sport und Neuroprotektion

Körperliche Aktivität ist neuroprotektiv. Nervenzellen und -fasern werden vor dem Absterben bewahrt, ein Krankheitsverlauf kann verzögert werden.

 

Es wird angenommen, dass die neuroprotektiven Anpassungseffekte durch Krafttraining vor allem durch Steigerung von Wachstumshormonen wie IGF-1 [48] sowie durch die Abnahme des Homocysteins und durch die Erhöhung des Neurothrophins BDNF und des vaskulären Endothelwachstumsfaktors (engl.: vascular endothelial growth factor; VEGF: eine natürlicherweise im Organismus vorkommende, nichtessenzielle schwefelhaltige Aminosäure, die mit neurodegenerativen Schädigungen und Demenzerkrankungen assoziiert ist.) bedingt sind [43]. IGF-1 und BDNF stimulieren neurophysiologische Prozesse, z. B. die Proliferation und Differenzierung neuronaler Zellen und/oder die Synaptogenese. VEGF evoziert die Neubildung und Verzweigung von zerebralen Blutgefäßen, was wiederum eine verbesserte Gehirnperfusion bedingt [49].

Suo und Coautoren berichteten im Jahr 2016 erstmals vom Vermögen des Krafttrainings, kortikale Dicke im hinteren zingulären Kortex bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung erhalten oder gar steigern zu können [50] (wobei in der gleichen Studie ein kognitives Training keinerlei Effekte zeigte). Dieses Ergebnis unterstreicht die Relevanz des Krafttrainings insbesondere bei fortgeschrittener Neurodegeneration.

Es ist also nicht verwunderlich, dass einige Studien eine Verbesserung exekutiver Funktionen nicht nur nach Ausdauertraining, sondern auch infolge von Kraftinterventionen beobachten konnten [51][52][53][54][55][56][57][58]. Die Untersuchungsergebnisse bezüglich kognitiver Outcomes einer Metaanalyse [40] deuten zudem auf eine höhere Wirksamkeit durch kombinierte Interventionsprogramme, die Krafttraining mit einbeziehen (aerobe körperliche Aktivität + Krafttraining vs. pure aerobe körperliche Aktivität) hin und wurden durch eine neuere Metaanalyse [59] untermauert. Demzufolge hat das Krafttraining neben dem Ausdauertraining eine spezifische Rolle zur Verbesserung der Gehirn-Fitness im Alter.

Vilea und Coautoren berichteten, dass aerobes Training und Kraftübungen die kognitiven Funktionen durch die Stimulation unterschiedlicher neuro-plastischer Mechanismen verbessern [60]. Diese relativ neue Studie zeigte, dass aerobe Übungen eher die glutamatergen Signalwege modulieren, wobei Krafttraining Veränderungen in der Proteinkinase C (PKC: spielt wichtige Rolle bei der zellulären Signalweiterleitung) und in inflammatorischen Prozessen begünstigt [60] und somit in der Prävention und Therapie von neurodegenerativen Funktionen differenziert angewendet werden sollte (hierzu wird jedoch noch weitere Forschung benötigt).

Zu guter Letzt ist es noch wichtig zu wissen, wie wir das Krafttraining gestalten sollen, denn die Ausprägung der neuroprotektiven Effekte ist von einer reizwirksamen Dosis-Wirkungs-Beziehung abhängig. Das Review von Chang et al. [61] macht deutlich, dass ein Krafttraining mit einer Intensität von 60–80 % des EWM, das mit ca. 7 Wiederholungen à 2 Übungssätzen pro Übung 2-mal pro Woche durchgeführt wird, reizwirksam ist [43], und kann deshalb als erste Empfehlung für das Krafttraining mit Ziel der Verbesserung der Gehirn-Fitness ausgesprochen werden (weitere ausdifferenzierte Studien sind jedoch nötig, um die genaue Dosis-Wirkung-Beziehung zu verstehen).

Training und Multimorbidität

Mit der älterwerdenden Gesellschaft wird auch ein gesundheitlicher Panoramawandel vonstattengehen. Konkret: Die Zahl der Multimorbiden wird deutlich in die Höhe gehen. Wie körperliche Aktivität, Sport und Training hierbei nützen und ob die angeführten Nutzpotenziale eine additive Wirkung bei multimorbiden Patienten besitzen bzw. welches Wirkgefüge hier anzutreffen ist, wurde bislang nur unzureichend untersucht. Dies wird daher aber in naher Zukunft ein wichtiger Forschungsbereich [62].

In einer prospektiven Kohortenstudie konnte in der inaktiven Referenzgruppe eine doppelt so hohe Prävalenz für Multimorbiditäten festgestellt werden als in der Gruppe, die mindestens 1-mal pro Woche mit hoher Intensität aktiv war [63]. Insgesamt zeigte sich ein negativer, linearer Dosis-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Aktivitätsintensität und Prävalenz von Multimorbidität. Über den 10-jährigen Beobachtungszeitraum verzeichnete die am intensivsten aktive Gruppe den niedrigsten absoluten Anstieg in der Prävalenz von Multimorbidität.

Entsprechend einer weiteren Arbeit scheinen sich die Effekte von Aktivitäten verschiedener Intensität sogar zu ergänzen. Loprinzi konnte hier einen unabhängigen protektiven Effekt beobachten [64], was sich ebenso mit den Sitzzeiten als von der körperlichen Aktivität unabhängigem Risikofaktor verhält [65]. Durch ein Kräftigungstraining konnte der Effekt des aktiven Alltags außerdem zusätzlich erhöht werden [66]. In einer weiteren prospektiven Kohortenstudie beobachtete man in derselben Arbeitsgruppe einen Anstieg des Sterberisikos von 23 % pro chronischer Erkrankung. Lediglich Personen, deren körperliches Aktivitätsniveau über 8000 MET-Minuten pro Monat (ca. 30 MET-h/Woche) lag, konnten diesen Anstieg des Mortalitätsrisikos aufheben [62].

Training als Jungbrunnen

Die oben dargestellte Evidenz zusammengenommen macht deutlich, dass Menschen von körperlichem Training in jedem Alter, besonders aber mit beeinträchtigtem Gesundheitszustand und auch in höherem Alter, profitieren. Gerade was den Bewegungsapparat betrifft scheinen Reaktiv- und Schnellkraftbelastungen auch für diese Altersgruppe, entgegen der üblichen Meinung, derartige Trainingsformen seien eher dem Leistungssport vorbehalten, geeignet zu sein.

Insgesamt fällt bei Sichtung der Literatur auf, dass zu wenige gut konzipierte Studien existieren, aus denen mit Blick auf die Trainingskomposition Ableitungen für die Praxis vorgenommen werden können. Gerade Krafttraining wurde in der gesundheitsorientierten Bewegungswissenschaft bis vor ca. 10 Jahren zu stiefmütterlich behandelt. Krafttraining muss daher ebenso wie Ausdauertraining und ein aktiv gestalteter Alltag als integrale Säule zur Erhaltung der Selbstständigkeit gesehen werden, wie in der DVGS-Bewegungspyramide dargelegt [67].

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Die Literaturliste finden Sie hier

Der Artikel ist erschienen in der Zeitschrift Bewegungstherapie und Gesundheitssport 5/2018

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Maximilian Köppel, Institut für Sport- und Sportwissenschaft, Ruprecht-Karls Universität Heidelberg

Dr. Dennis Hamacher, Institut III, Sportwissenschaft, Otto-von Guericke-Universität Magdeburg

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