ErschöpfungWarum wird Arbeit zunehmend zur Belastung?

Immer mehr Arbeitnehmer*innen erleben Erschöpfung, Resignation, Überforderung. Prof. Martin Teufel hat zusammengefasst, was dahintersteckt.

Frau sitzt erschöpft auf einer Bank, den Kopf in den Händen
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Zeitdruck, Arbeitsverdichtung, rascher Wandel in der Arbeitswelt: Die Digitalisierung führt zu Beschleunigung - positiv und negativ.

Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Wachstum in Wirtschaft, Ökologie, Medizin: Viele, v.a. technische Neuerungen bieten ungeahntes Potenzial und Gestaltungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite befördern sie das individuelle Erleben von Beschleunigung nicht nur positiv: Es können sich Erschöpfung, Resignation und Überforderung einstellen.

Erschöpfung bleibt etwas Subjektives, berichtete Prof. Martin Teufel auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin. Erschöpfung habe mit Wahrnehmung, Psyche und Erwartungshaltung zu tun. Sie lässt sich nicht standardisiert mit Methoden der modernen Medizin messen. 

Moderne technologische Entwicklungen können durch Beschleunigung motivieren. Auf der anderen Seite kann Beschleunigung aber auch zur Bedrohung werden, wenn Menschen in ihrem Alltag das Kontrollgefühl verlieren. Etwa wenn man sich einer Situation von außen ausgesetzt fühlt, wenn Pausen fehlen, Gestaltungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind. Dann können Überforderung und Resignation die Folgen sein.

Steigende Zahlen psychischer Erkrankungen

2022 waren es durchschnittlich 15 Arbeitstage, die aufgrund von Erkrankung nicht wahrgenommen werden konnten. Davon sind 15% psychische Erkrankungen und somit der dritthäufigste Grund für Krankschreibungen. Auch die Rate der Arbeitsunfähigkeitsfälle durch Depression/Burn-out steigt stetig und lag 2022 bei 6,8 Fällen pro 1000 Einwohnern.

2022 gab es 163.907 Neuberentungen aufgrund reduzierter Erwerbsfähigkeit. Von diesen waren 42,3% bedingt durch psychische Erkrankungen, davon wiederum machen stressbedingte psychosomatische Erkrankungen mit 39,4% den größten Teil aus.

Beruf und Ausbildung gelten als größte Stressfaktoren, noch vor individuellen hohen Ansprüchen an sich selbst oder zum Beispiel dauerhafter Erreichbarkeit, wie sie in modernen digitalen Zeiten zur Regel wurde.

Warum wird Arbeit zunehmend zur Belastung?

Psychische Erkrankungen wie Burnout und Depression erwachsen häufig aus dem Arbeitsumfeld. Psychische Erkrankungen bilden inzwischen den dritthäufigste Grund für Krankschreibungen.

Warum speziell die Arbeit zunehmend zur Belastung wird, hat laut der Arbeitskräfteerhebung eine Reihe von Gründen:Mehr als die Hälfte der Arbeitenden empfindet seelische Belastungen am Arbeitsplatz. Dazu gehören vorrangig Zeitdruck oder Arbeitsüberlastung. Durch diesen wahrgenommenen Stress kann es zu körperlichen Symptomen kommen oder gar zu Verschlechterungen bereits bestehender Erkrankungen.

Arbeitnehmer fühlen sich durch Digitalisierung signifikant belastet, insbesondere durch

  • raschen Wandel,
  • anhaltendes Gefühl, sich stetig weiterentwickeln zu müssen,
  • Prozesse verdichten sich massiv,
  • „Arbeitsbiotope“, die es Menschen ermöglichen, spezifische Kompetenzen mit den Anforderungen überein zu bekommen, verschwinden.

Damit Digitalisierung gelingt, müssen die Bedenken der Menschen ernst genommen werden. In einer Studie wurden als häufigste erlebte Belastungen genannt: Leistungsüberwachung (17%), Verletzungen der Privatsphäre (14%), Überflutung mit Informationen (9%), Unzuverlässigkeit neuer Technologien (10%).

Welche sind die größten Stressfaktoren?

Die Stressstudie der Techniker Krankenkasse identifizierte als Stressfaktoren:

  • 47 % Schule, Studium oder Beruf
  • 46 % hohe Ansprüche an sich selbst
  • 25 % ständige Erreichbarkeit

In einer Arbeitskräfteerhebung gaben 59,2 % der Befragten an, sich seelischen Belastungen ausgesetzt zu fühlen. Gründe dafür waren v.a. Zeitdruck oder Arbeitsüberlastung.

Stress beeinflusst nicht nur die Psyche. Es ist gut belegt, dass Stress auch Auswirkungen auf der somatischen Ebene hat:

  • Stress wirkt sich auf zahlreiche körperliche Erkrankungen aus (insbesondere durch Stresshormone)
  • Stress kann auf lange Zeit zu Burn-out und Leistungseinbußen führen.
  • Stress begünstigt nicht nur psychische Krankheiten, sondern auch somatische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Magen-Darm-Erkrankungen.

Ressourcenstärkung, Resilienz, Akzeptanz

Für psychosomatische Interventionen konnte die Wirkung gezeigt werden für Menschen, die an Stress-Erkrankungen wie Erschöpfungssyndromen mit Depression oder Ängsten leiden, sowie für Menschen, die körperlich erkrankt sind oder anhaltende körperliche Symptome haben, deren Ursache rein somatisch nicht oder nicht ausreichend zu behandeln ist.

Im Vordergrund stehen Strategien wie:

  • Ressourcenstärkung und das Entwickeln von Resilienz,
  • Anpassung im Umgang mit veränderten körperlichen oder psychischen Zuständen und
  • eine nachfolgende Akzeptanz, wenn Leistungsfähigkeit vielleicht nicht mehr auf das vorherige Niveau zurückkehren kann.

Selbstwirksamkeit und Erwartungshaltung sind in der psychosomatischen Therapie zentral adressierte Mechanismen im Prozess der Verhinderung oder Besserung von Symptomen.

Neben der Behandlung von psychosomatisch erkrankten Menschen sind Präventionsstrategien essenziell. Eine frühzeitige Vermeidung von Krankheitsentstehung, bevor Krankheiten einen schwergradigen und/oder chronischen Verlauf nehmen, ist möglich.

Neben der Krankenhausbehandlung kann eine psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme arbeitsplatzbezogene Beschwerden nachweislich lindern, um so Berentungsnotwendigkeiten entgegenzuwirken. Zeitnahe ambulante und (teil-)stationäre Behandlungskapazitäten müssen zur Verfügung stehen. Je früher eine zielgerichtete psychosomatisch-psychotherapeutische Intervention folgt, desto effektiver und wirksamer ist sie.

Quelle: Pressekonferenz Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie/28.2.2024/Ni

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