GesundheitspolitikFachgesellschaften fordern Ernährungsscreening in Krankenhäusern

Mangelernährung ist keine Frage des Körpergewichts. Mit einem einfachen Screening ließe sich in Krankenhäusern krankheitsbedingte Mangelernährung identifizieren.

Krankenhausessen: Betttisch mit Frühstück
K. Oborny/Thieme

Monoton, farblos und für (fast) alle Patient*innen gleich: Krankenhausessen in Deutschland ist nur selten bedarfsorientiert bei etwaiger Mangelernährung.

Ernährungskompetenz an Kliniken muss dringend gestärkt werden

In Deutschland ist es noch immer keine Selbstverständlichkeit, dass sich die ernährungsmedizinische Versorgung kranker Menschen an ihrem Ernährungszustand und am individuellen Nährstoffbedarf orientiert. Bei etwa 20 bis 30 Prozent der Menschen, die stationär behandelt werden müssen, findet sich eine Mangelernährung. Ein Bündnis aus 24 medizinischen Fachgesellschaften fordern deshalb ein verpflichtendes Ernährungsscreening sowie den Einsatz interprofessioneller Ernährungsteams.

„Modern und bedarfsgerecht“ soll die Krankenhausversorgung der Zukunft sein – so das Credo der Regierungskommission, die derzeit Vorschläge für eine Umstrukturierung des deutschen Klinikwesens erarbeitet. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muss dringend auch die Ernährungskompetenz an den Kliniken gestärkt werden, fordert das Bündnis.

In einer Stellungnahme wenden sie sich mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Ernährungsversorgung in deutschen Krankenhäusern an das Bundesministerium für Gesundheit.

Folgen eines schlechten Ernährungszustands unterschätzt

Welche gravierenden gesundheitlichen Folgen ein schlechter Ernährungszustand haben kann, wurde lange Zeit unterschätzt. Der Internist und Ernährungsmediziner Prof. Matthias Pirlich beschreibt sie: „Heute weiß man, dass bei mangelernährten Patient*innen der Krankheitsverlauf negativ beeinflusst und Heilungsprozesse verzögert werden. Die Prognose der Betroffenen verschlechtert sich, die Komplikationsrate und sogar das Sterberisiko steigen, ebenso die Behandlungsdauer und -kosten.“

Diesen Risiken ließe sich wirksam begegnen, wenn Patient*innen bei der Aufnahme in die Klinik gezielt auf Anzeichen einer Mangelernährung untersucht und bei Bedarf ernährungsmedizinisch behandelt würden. 

Ein Ernährungsscreening fordert die DGEM seit Jahren. „Im Rahmen der Reform sollte es nun als Mindeststrukturvoraussetzung festgeschrieben werden“, sagt Pirlich. Diese Forderung beziehe sich auf die Krankenhäuser aller drei Versorgungsstufen (Levels). Ebenso fordert das Positionspapier ein Ernährungsassessment bei festgestelltem Mangelernährungsrisiko, die Erstellung individueller Therapiepläne sowie einer evidenzbasierten Ernährungstherapie. Kliniken der Versorgungsstufen II und III sollten zudem dazu verpflichtet werden, interprofessionelle Ernährungsteams unter fachärztlicher Leitung einzurichten, heißt es in der Stellungnahme weiter. Diese Präventions- und Therapiekonzepte müssten adäquat im DRG-System abgebildet und vergütet werden.

Die Fachgesellschaften stützen sich mit ihren aktuellen Forderungen auf eine Vielzahl von Studien, die belegen, dass die Genesung von Klinikpatient*innen durch eine individuelle Ernährungstherapie wirksam unterstützt werden kann. Diese Erkenntnis bildet auch die Grundlage für internationale Vereinbarungen, wie die bereits im Jahre 2003 verabschiedete Resolution des Europarats zur Verbesserung der Ernährungsversorgung in Krankenhäusern und die sog. Vienna Declaration – Nutritional care is a human right vom September 2022.

„Die dort aufgeführten Maßnahmen sind in Deutschland bislang nur bruchstückhaft umgesetzt“, sagt Pirlich. Die Umstrukturierung des Krankenhaussystems biete nun die einmalige Chance, hier aufzuholen.

Mangelernährung: Keine Frage des Körpergewichts

  • Das Mangelernährungsscreening ist ein einfaches, validiertes Verfahren, ein Risiko für eine krankheitsbedingte Mangelernährung zu identifizieren.
  • Besonders häufig sind ältere Menschen und Menschen mit chronischen oder schweren Erkrankungen von einer Mangelernährung betroffen. 
  • Von Patient*innen, die stationär in eine Klinik aufgenommen werden müssen, weisen rund 20 bis 30 Prozent Zeichen einer Mangelernährung auf. 
  • Angesichts des demografischen Wandels wird diese Zahl in den nächsten Jahren voraussichtlich noch ansteigen.
  • Mangelernährung ist keine Frage des Körpergewichts: Zeichen einer Mangelernährung (z.B. Muskelabbau, Mikronährstoffmangel) können auch in den Industrienationen bei vielen übergewichtigen Menschen beobachtet werden.

Unterstützende Fachgesellschaften:

Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM), Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE), Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG), Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU), Deutsche Krebsgesellschaft (DKG), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung (DGK), Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Senologie (DGS), Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG), Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM), Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin (DGA).

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin

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