KopfschmerzLebensstil beeinflusst Kopfschmerz bei Jugendlichen

Lange Bildschirmzeiten, unregelmäßige Mahlzeiten, spätes Zubettgehen, Substanzkonsum: Veränderbare Lebensstilfaktoren beeinflussen die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Jugendlichen.

Stehende Holzgliederpuppe hält sich den Kopf, Kopfschmerz
K. Oborny/Thieme

Kopfschmerz: Lebensstilfaktoren sollten in die Anamnese und Therapie einbezogen werden.

Eine bevölkerungsbasierte kanadische Studie zeigt: Lebensstilfaktoren beeinflussen die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Das Risiko stieg in der Studie bei:

  • spätem Zubettgehen,
  • langen Bildschirmzeiten,
  • unregelmäßigen Mahlzeiten,
  • Konsum von Alkohol, Zigaretten, Cannabis.

Die Studie aus Kanada untersuchte in einer Querschnittsbefragung Kopfschmerzauslöser im Alter von 5-17 Jahren (n=4.978.370; Durchschnittsalter 10,9 Jahre; 48,8 % weiblich). Die Kopfschmerzhäufigkeit wurde dichotomisiert erfragt als „höchstens 1x/Woche“ oder „mehr als 1x/Woche“ (definiert als häufige Kopfschmerzen).

Kopfschmerzen häufiger bei "Nachteulen" und langen Bildschirmzeiten

Insgesamt 6,1 % hatten häufige Kopfschmerzen. Die Wahrscheinlichkeit für häufige Kopfschmerzen stieg signifikant mit dem Alter (OR 1,31) an und war beim weiblichem Geschlecht höher (OR 2,39). Im für Alter/Geschlecht bereinigten Rechenmodell stieg das Risiko signifikant mit einem späten Chronotyp („Nachteulen“, aOR 1,1) sowie langen Bildschirmzeiten (≥21 Stunden gegenüber 0,0 in der letzten Woche, aOR 2,97) an.

Alkohol, Rauchen und Cannabis

Bei den 12- bis 17-Jährigen spielte auch Substanzkonsum eine Rolle (≥1/Woche Alkohol vs. nie: aOR 3,50; „binge drinking“ ≥ 5x im letzten Monat vs. nie: aOR 5,52, tägliches Zigarettenrauchen vs. nie: aOR 3,81, täglich E-Zigaretten vs nie: aOR 3,1, täglicher Cannabiskonsum vs. nie: aOR 3,59).

In der gesamten Kohorte war eine tägliche häusliche Rauchexposition mit häufigen Kopfschmerzen assoziiert (aOR 2,0). Die Wahrscheinlichkeit häufiger Kopfschmerzen sank mit der Regelmäßigkeit der Mahlzeiten (aOR 0,90, p < 0,001).

Es gab dagegen keinen Zusammenhang mit der angegebenen körperlichen Aktivität.

„Die Ergebnisse zeigen, dass Lebensstilfaktoren die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Als sogenannte potenziell modifizierbare Risikofaktoren sollten sie in der Praxis angesprochen werden, denn hier gilt es gegenzusteuern“, so Kopfschmerzexperte Prof. Hans-Christoph Diener.

Hintergrund: Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen

Drei von vier Jugendlichen kennen das Phänomen rezidivierender Kopfschmerzen [1]. Die Gesamtprävalenz wird für das Kindes- und Jugendalter heute mit bis zu 60 % angegeben [2]. Schon im Kindesalter gehören Kopfschmerzen zu den häufigsten Schmerzen – mit Eintritt in die Schule verfünffacht sich die Häufigkeit [2].

Bei den primären Kopfschmerzen stehen mit 41 % Spannungskopfschmerzen an erster Stelle [3], aber auch Migräne kommt vor (9,4 %). Bei 32,5 % der Betroffenen besteht ein Mischtyp beider Formen. Für die Behandlung ist die richtige Diagnose essenziell. Ungewöhnlich ist, wenn bereits Kleinkinder (< 3 Jahren) über Kopfschmerzen klagen. Hier (aber grundsätzlich natürlich in jedem Alter) dürfen ernste Erkrankungen, die zu sekundären Kopfschmerzen führen, wie Meningitis, Hirntumoren oder Blutungen nicht übersehen werden. Bei der kinderärztlichen Anamnese und Untersuchung wird nach bestimmten Hinweisen („red flags“) [4] gesucht (z.B. Trauma, plötzlich neu aufgetretene oder im Verlauf zunehmende Kopfschmerzen, zusätzlich bestehende Übelkeit/Erbrechen, Fieber, nächtliches schmerzbedingtes Erwachen, Wesensveränderung oder weitere neurologische Symptome).

Die einzige primäre Kopfschmerzdiagnose, bei der ein Einsatz schmerzstillender Medikamente wie Paracetamol, Ibuprofen und Triptane (letztere ab 12 Jahren) gerechtfertigt sind, ist eine nachgewiesene Migräne. Dennoch nehmen etwa 80 % der Jugendlichen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen regelmäßig Schmerztabletten [1]. Hier besteht längerfristig wie bei Erwachsenen die Gefahr, dass sich sekundär ein sogenannter Medikamentenübergebrauchskopfschmerz („medication-overuse headache“, MOH) entwickelt [1, 2].

Lebensstilmodifakation vs. Schmerzmedikamente

Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind oft eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, die nicht selten chronisch wird. Ungefähr jedes zweite Kind mit wiederkehrenden Kopfschmerzen wird im späteren Leben noch immer darunter leiden [3]. Daher ist es besser, möglichst frühzeitig nach den Ursachen zu suchen, statt unbedacht Schmerzmedikamente einzunehmen.

Wie bei Erwachsenen auch, werden bei Kindern und Jugendlichen bestimmte „moderne“ Lebensstilfaktoren bzw. Verhaltensweisen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen in Verbindung gebracht. Darüber hinaus besteht eine Assoziation mit dem Auftreten von Depression und Angststörungen.

Auch wenn kausale Zusammenhänge schwer zu ermitteln sind, so ist klar, dass Kinder mit Kopfschmerzerkrankungen oft im Alltag (Schule, Familie, Freunde, Hobbies) stark beeinträchtigt sind – wobei der Schmerz das Sozialleben beeinflusst und umgekehrt. Eine gründliche Suche nach möglichen Kopfschmerzursachen führt oft bereits zu hilfreichen Behandlungsansätzen. Neben klassischen innerfamiliären Belastungssituationen spielen sowohl eine Überorganisation des kindlichen Alltags, eine Reizüberflutung mit fehlenden Ruhepausen [4], aber auch Langeweile und daraus entstehende Gewohnheiten eine Rolle.

Selbstmanagement

Es gibt verschiedene Projekte zum (Selbst-)Management bzw. zur Prophylaxe von Kopfschmerzen bei Kinder und Jugendlichen, da Haus- und Kinderarztpraxen oft nicht die Zeit haben, der Komplexität der Erkrankung gerecht zu werden.

Ein Beispiel ist das Projekt DreKiP [2] am Universitätsklinikum Dresden, ein multimodales Kinderkopfschmerztherapieprogramm. Nach dem Assessment in der Kinderkopfschmerzambulanz läuft das Programm schulbegleitend über 2–3 Monate. Es beinhaltet 8 Module (Kopfschmerzedukation, Stressbewältigung, Entspannungstechniken, körperliche Aktivierung/Fitness, Klettertherapie/Selbstwirksamkeit, Kunsttherapie/Defokussierung, Yoga und Riechtraining), zusätzlich finden edukative Eltern-Workshops statt.

„Wir wissen heute, dass viele neurologische Erkrankungen, die seit Jahren zunehmen, zu einem großen Teil auch lebensstilbedingt sind“, so Prof. Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Natürlich beweisen nicht alle statistischen Assoziationen eine Kausalität, aber Programme wie das aus Dresden, die an der Modifikation möglicher Auslöser ansetzen, zeigen gute Erfolge. In der aktuellen Studie war auch Cannabis ein relevanter Risikofaktor. Auch unter diesem Aspekt ist die Freigabe dieser Droge in Deutschland kritisch zu sehen.“

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Literatur

[1] BMBF. Kopfschmerzen bei Kindern: Aktiv werden hilft! 2021; https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/kopfschmerzen-bei-kindern-aktiv-werden-hilft-14161.php

[2] Zaranek L et al. Das Dresdner Kinder/Jugendkopfschmerzprogramm DreKiP. Ärzteblatt Sachsen 2024; https://www.uniklinikum-dresden.de/de/das-klinikum/universitaetscentren/usc/publikationen/DreKiP_rzteblattSachsen_2024.pdf 

[3] DMKG. Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen. https://www.dmkg.de/patienten/kopfschmerzen-bei-kindern-und-jugendlichen

[4] Weber P. Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter. Editorial. Dtsch Arztebl Int 2013; https://www.aerzteblatt.de/archiv/149939/Kopfschmerzen-im-Kindes-und-Jugendalter

[5] Nilles C et al. Lifestyle Factors Associated With Frequent Recurrent Headaches in Children and Adolescents: A Canadian Population-Based Study. Neurology 2024; doi: 10.1212/WNL.0000000000209160