Kindliche GesundheitPhytotherapie bei Infekten in der Pädiatrie

Seit Jahrhunderten werden Kinder erfolgreich mit Phytotherapie behandelt. Durch ihren Einsatz können oft auch Antibiotika und somit Resistenzen reduziert werden.

Teddybär sitzt auf einem Bett mit weißen Laken.
Dmitry Sunagatov/stock.adobe.com

von Karl Rüdiger Wiebelitz

Inhalt

Grundlagen

Phytotherapeutische Ansatzpunkte

Phytotherapeutische Wirkungen

Indikationen und Behandlungsansätze

Grenzen der Phytotherapie

Neben Prävention mit Vorsorgen und Impfungen stellen Infektionen in jeder Praxis für Kinder- und Jugendmedizin einen wesentlichen Schwerpunkt dar. Die Infektiologie findet sich – zumindest im ambulanten Bereich – immer wieder im Spagat zwischen theoretischem Wissen, begrenzten zeitlichen, diagnostischen und wirtschaftlichen Ressourcen und Erwartungen der Patienten bzw. ihrer Sorgeberechtigten[1]. Die zunehmende Resistenzentwicklung erschwert zugleich ärztlich Sinnvolles [2].

Am häufigsten sind Infektionen des Magen-Darm-Traktes, der oberen und unteren Atemwege und der Harnwege und des Urogenitaltraktes sowie der Haut und der Schleimhäute.

Die folgende Übersicht fokussiert daher auf diese Anwendungsbereiche. Sowohl Infektionsmöglichkeiten als auch phytotherapeutische Optionen sind so vielfältig, dass hier nur eine umfangreiche Übersicht gegeben werden kann, die sich an der täglichen Arbeit in einer Praxis für Kinder- und Jugendmedizin orientiert, die aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Grundlagen

Im Vergleich zur „Erwachsenenmedizin“ hat die Phytotherapie bei Kindern und Jugendlichen zwei Besonderheiten: Zu vielen Medikamenten fehlen Untersuchungen der oberen beiden Evidenzgrade für die Kinderheilkunde (Off-Label-Use: Neugeborene 80 %, Säuglinge 60 %, Kleinkinder/Jugendliche 34 %, stationär 25–90 %, ambulant 13,2 % je nach Erkrankung und Alter): Sowohl Wirksamkeit als auch Unbedenklichkeit gelten als „wissenschaftlich nicht bewiesen“!

Die Lage ist für die meisten Phytopharmaka vergleichbar, mit dem Unterschied, dass aufgrund des in der Regel mindestens jahrzehntelangen Einsatzes die Unbedenklichkeit als weitgehend gesichert gelten kann.

Zusammenfassung

Bei Infektionen vor allem im ambulanten Bereich kann eine primäre Verwendung von Phytotherapeutika die Notwendigkeit für synthetische Antibiotika erheblich reduzieren und dadurch Nebenwirkungen der Antibiotikatherapie vermeiden, die Resistenzentwicklung eindämmen helfen und den Eintrag von Arzneimitteln, insbesondere von Antibiotika, in Grundwasser und Gewässern reduzieren.

Für viele Phytopharmaka fehlen im Kinder- und Jugendbereich altersspezifische Studien, sodass eine Zulassung durch das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) bzw. die EMA (European Medicines Agency) oft erst ab 12 oder sogar 18 Jahren erteilt wurde, obwohl teilweise seit Jahrzehnten bis Jahrhunderten auch jüngere Patienten damit behandelt wurden.

Auf der anderen Seite sind Kinder und Jugendliche von der Aufhebung der Erstattungspflicht im „Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung“ für nicht verschreibungspflichtige Phytopharmaka weitgehend ausgenommen: Für Kinder bis zwölf Jahren und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bezahlen die Krankenkassen rezeptfreie apothekenpflichtige Arzneimittel (Voraussetzung: < 5 % Äthanol oder < 0,5 g Äthanol/Dosis oder Arzneibuchtinktur). Die meisten Phytopharmaka können daher bis zum Alter von 12 bzw. 18 Jahren zu Lasten der GKV verordnet werden.

Aufgrund des in der Regel mindestens jahrzehntelangen Einsatzes von Phytopharmaka kann die Unbedenklichkeit als weitgehend gesichert gelten.

Für rund 30 Phytopharmaka existieren auf der Basis von AWBs Kinderzulassungen ab unterschiedlichem Alter (6 Monate, 2 Jahre, 4 Jahre etc.) [3].

Beispiele für Phytopharmaka mit Studien zum Nachweis der Wirksamkeit, Anwendungsbeobachtungen zur Ermittlung der altersbezogenen Kinderdosierung und Prüfungen der Verträglichkeit sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Bronchicum Elixier S, Bronchicum (Kapseln und Tropfen)

  • Bronchipret (Saft)

  • Contramutan (Saft und Tinktur)

  • Echinacin (Tropfen)

  • Esberitox (Tropfen und Tabletten)

  • Hedelix (Saft)

  • Hustagil (Saft)

  • Iberogast (Tropfen)

  • Prospan (Saft, Tropfen, Zäpfchen)

  • Sinupret forte (Tropfen, Dragees)

  • Tonsilgon N (Tropfen, Dragees)

  • Tussamag Hustensaft N

  • Umckaloabo (Tropfen)

  • Phytohustil Hustenreizstiller

  • Phytobronchin (Saft)

  • Angocin Anti-Infekt (Tabletten)

Von rund 110 in der Pädiatrie infrage kommenden monografierten Drogen existieren von 92 theoretische Kinderdosierungsberechnungen und von den wichtigsten Drogen zur Anwendung bei Erkältung und Magen-Darm-Erkrankungen empirische Untersuchungen von 106 Pädiatern [4].

Dosierungsberechnungen für Kinder erfolgen nach

1. Körpergewicht (Säuglinge, Kleinkinder):

Dosis Erwachsener x 1,5 x kg
60 kg

2. Körperoberfläche (ältere Kinder):

Dosis x Oberfläche Kind
1,73m

3. Alter (Note for Guidance on Clinical Investigation of Medicinal Products in Children):

  • Säugling, Kleinkind: ⅓ der Erwachsenendosis

  • Schulkind: ½ der Erwachsenendosis

  • Kind 10–12 Jahre: ⅔ der Erwachsenendosis

  • Jugendlicher: Erwachsenendosis

Bei Substanzen mit großer therapeutischer Breite erfolgt die Dosierung nach Altersstufe, bei geringer therapeutischer Breite nach Körpergewicht oder Körperoberfläche.

Ethanol ist zwingend notwendig für einige Phytopharmaka (mittelpolare und apolare wirksamkeitsmitbestimmende Pflanzeninhaltsstoffe). Die Alkoholdehydrogenase (ADH) funktioniert nennenswert erst ab dem Alter von 8 Monaten. Daher ist bei jüngeren Säuglingen von einer Anwendung ethanolhaltiger Phytopharmaka abzuraten. Im Alter von 1½ bis 7 Jahre ist ein Abbau von ~ 0,3 ‰ Ethanol/Stunde möglich (0,2–0,3 g/kg Körpergewicht; Erwachsene, männlich: ca. 0,15 ‰/h = 1‰ in 7 h, weiblich: ca. 0,1‰/h = 1‰ in 10 h). Bei 3 × 10 Tropfen mit 50 Vol.% Ethanol erfolgt der Abbau bei einem Kind mit 15 kg KG in ~10 Minuten, bei 30 kg KG in ~5 Minuten. Auch eine Reihe von Lebensmitteln enthalten erlaubterweise bis zu 0,5 Vol.% Ethanol.

Alternativ kann der abdestillierte oder sprühgetrocknete ethanolfreie(!) dickflüssige Extrakt bzw. Trockenextrakt in einem Propylenglykol-Glycerol-Wassergemisch, 1,2-Propandiol allein, Polyethylenglykol 400 (= Macrogol 400: ADI-Wert laut WHO 25 mg/kg Körpergewicht in Lebensmitteln), Sorbitol 70 %ig oder Xylitol (toxikologisch geeigneter) gelöst werden.

Phytotherapeutische Ansatzpunkte

Grundsätzlich kann bei der Phytotherapie unterschieden werden, ob sie komplementär, zum Beispiel zur Linderung von Nebenwirkungen, oder alternativ, d. h. anstelle von konventionellen Therapien mit synthetischen Medikamenten eingesetzt wird.

Eine in der Praxis häufig sinnvolle Variante ist die sequenzielle komplementäre Behandlung: Bei nicht akut lebensbedrohlichen Erkrankungen werden Phytotherapeutika überbrückungsweise bis zum Vorliegen diagnostischer Ergebnisse, z. B. Erregernachweis mit Resistogramm, eingesetzt, und bei Eintreffen der Ergebnisse wird mit den Patienten beziehungsweise den Sorgeberechtigten gemeinsam beurteilt, ob die bisherige Therapie ausreicht oder ob ein Einsatz klassischer Antibiotika sinnvoll ist. Oft sind die Symptome zu diesem Zeitpunkt (in der Regel nach 2 Tagen, bei dazwischenliegendem Wochenende nach 4 Tagen) bereits verschwunden oder teilweise abgeklungen.

Auf der anderen Seite ergibt sich aus den bakteriologischen Ergebnissen auch bei positivem Keimnachweis aufgrund von mittlerweile auch im ambulanten Bereich erschreckend häufigen multiplen Resistenzen, dass eine rationale Behandlung mit klassischen Antibiotika sehr schwierig ist, weil entweder nur noch parenteral applizierbare Antibiotika wirksam sind oder die verbleibenden Antibiotika ohne Resistenz für Kinder nicht oder weniger geeignet sind (Chinolone, Tetrazykline, Linezolid oder Chloramphenicol). Bei diesen in meiner Praxis häufig vorkommenden Ergebnissen entscheiden Eltern sich meistens für eine Fortsetzung der Phytotherapie, auch wenn noch keine völlige Beschwerdefreiheit erreicht wurde.

Phytotherapeutische Wirkungen

In der Phytotherapie bei Infektionskrankheiten gibt es kausale Therapien mit antibakteriell, antiviral und/oder antimykotisch wirksamen Phytotherapeutika und supportive Therapien mit sekundär oder symptomatisch wirksamen Arzneipflanzen.

Antibakteriell oder bakteriostatisch wirksam sind unter anderem Kamille (Matricariae flos; in vitro auch gegen Helicobacter pylori), Salbei (Salviae folium), Thymian (Thymi herba), Umckaloabo, Kümmel (Carvi fructus/aetheroleum), Medizinische Hefe (Faex medicinalis), Melisse (Melissae folium; Öl schwach antibakteriell), Bärentraubenblätter (Uvae ursi folium; u. a. Hydrochinonfreisetzung aus Glukuronsäurekonjugat durch Bakterien, insbesondere E. coli), Goldrutenkraut (Solidaginis herba), Cranberry (Vaccinii macrocarpon fructus), Kapuzinerkresse (Tropaeoli maji herba), Meerrettich (Armoraciae rusticanae radix), Johanniskraut (Hyperici herba), Augentrost (Euphrasia – leicht antibakteriell) und Kiefernnadelöl (schwach antiseptisch).

Antiviral wirken beispielsweise Kamille (in vitro auch gegen Aciclovir-resistente HSV1-Viren), Salbei (in vitro auch gegen Aciclovir-resistente HSV1- und HSV2-Viren), Thymian (in vitro auch gegen HSV1- und HSV2-Viren und Aciclovir-resistente Viren), Kapuzinerkresse (virustatisch), Melisse (virustatisch) und Eichenrinde (Quercus cortex).

Zusätzliche antimykotische oder fungistatische Wirkungen haben Kamille, Salbei und Kapuzinerkresse.

Im Folgenden werden Heilpflanzen mit sekundär den Krankheitsverlauf beeinflussenden oder symptomatischen Wirkungen angegeben:

  • Ulkusprotektiv ist u. a. Kamille.

  • Immunstimulierend sind u. a. Kamille, Eibisch (Althaeae readix/folium; Steigerung der Phagozytose) und Medizinische Hefe (phagozytosestimulierend).

  • Die Sekretion fördert u. a. Salbei, die Sekretion hemmt u. a. Eichenrinde.

  • Schleimlösend wirkt u. a. Kiefernnadelöl, hustenlösend (expektorierend) u. a. Thymian.

  • Die mukoziliäre Clearance verbessert u. a. Thymian, die mukoziliäre Aktivität hemmt u. a. Eibisch.

  • Reizlindernd und den Vagusreiz dämpfend wirkt u. a. Eibisch, krampflösend sind u. a. Kamille, Goldrutenkraut, Thymian (bronchospasmolytisch), Kümmel und Melisse.

  • Entzündungshemmend sind u. a. Kamille (COX-2-Hemmung durch Chamoviolin), Salbei, Goldrutenextrakt, Cranberry, Johanniskraut, Augentrost und Eichenrinde.

  • Adstringierend wirken u. a. Salbei und Ratanhia, schleimhautprotektiv wirkt u. a. Eibisch.

  • Wundheilungsfördernd sind u. a. Kamille und Johanniskraut, die Durchblutung fördern u. a. Cranberry (vasodilatatorisch), Kapuzinerkresse, Meerrettich, Johanniskraut und Kiefernnadelöl.

  • Den Schmerz lindern u. a. Thymian, Augentrost und Eichenrinde (mild oberflächenanästhesierend), den Juckreiz lindern u. a. Eichenrinde und Augentrost.

  • Diuretisch wirken u. a. Schachtelhalmkraut und Goldrutenkraut.

  • Gallensekretionsfördernd ist u. a. Artischockenextrakt.

  • Den Appetit regen u. a. Salbei, Thymian (Anregung der Speichel- und Magensaftsekretion) und Kümmel (Förderung der Magensaftsekretion) an.

Indikationen und Behandlungsansätze

Obere Luftweginfekte

Rhinitis

Hyperosmolare Kochsalzlösung (3 % oder 6 %) hat eine abschwellendere Wirkung als Tropfen oder bei Inhalation über Ultraschallvernebler.

Inhalationen mit Menthol, Campher und Eukalyptusöl sind wegen des Kratschmer(-Holmgren)-Reflexes (über den Trigeminus ausgelöster reflektorischer Atemstillstand mit Herzstillstand durch Einwirkung stark reizender Stoffe auf die Nasenschleimhaut) größeren Kindern vorbehalten [5].

Inhalationen unter einem Badetuch über einer Schüssel auf stabilem Tisch mit Kamille (Blüten!) und/oder Salbei wirken entzündungshemmend und antibakteriell bei bakterieller Superinfektion.

Sinusitis

Sinupret enthält:

  • Holunderblüten (Flavonoide, Sitosterine, Hydroxyzimtsäurederivate)

  • Eisenkraut (Iridoidglykoside, Kaffeesäurederivate, Flavonoide)

  • Enzianwurzel (Bitterstoffe)

  • Schlüsselblumenblüten mit Kelch (Flavonoide, Triterpensaponine)

  • Sauerampferkraut (Flavonoide, Tannin, Polysaccharide)

Die Wirkungen sind antiviral z. B. gegen RSV-Viren und Influenza A; antiphlogistisch, sekretolytisch und mukolytisch, COX-2, 5-LOX, iNOS, TNF-α, IFN-γ, IL-6 werden gehemmt.

Nebenwirkungen sind gelegentlich Magen-Darm-Beschwerden wie Magenschmerzen, Übelkeit; selten sind Überempfindlichkeitsreaktionen der Haut wie Hautausschlag, Rötung, Juckreiz; schwere allergische Reaktionen sind Angioödem, Atemnot, Gesichtsschwellung.

Als Darreichungsformen stehen Saft/Tropfen (< 2 J.), Liquitabs (< 6 J.) und Dragees (< 12 J.) zur Verfügung.

Eine sinnvolle Ergänzung sind Inhalationen mit Kamillenblüten und/oder Salbei. Sie wirken entzündungshemmend und antibakteriell.

Otitis media

Die Klinik ist durch heftig stechende Ohrschmerzen (nachts stärker als tags), Schallleitungsschwerhörigkeit, Fieber, Kopfschmerzen, Ohrgeräusch, berührungsempfindlichen und/oder druckschmerzhaften Warzenfortsatz geprägt. Das Trommelfell hat initial vermehrte Gefäßzeichnung, ist später gerötet und hinten oben vorgewölbt und kann spontan perforieren, woraufhin die Schmerzen nachlassen. Das Sekret ist meist dünnflüssig und weißlich-serös.

Die Erreger sind meist viral, sodass spätestens seit der Jahrtausendwende eine unkomplizierte Otitis media auch in der konventionellen Medizin nicht (mehr) primär antibiotisch behandelt werden soll. Die Therapie besteht in abschwellungsfördernden Nasentropfen (NaCl 3 %, Xylometazolin für maximal 5–7 Tage), Schmerzmittel und Antibiotika nur bei Problemfällen. Eine Parazentese ist bei starker Vorwölbung des Trommelfells und/oder chronischer Hörstörung indiziert.

Die Schmerzsymptomatik wird am wirkungsvollsten durch ein Zwiebelsäckchen (fein gehackte Zwiebel, nicht erhitzen[!], in Tuch einpacken und 15 Minuten auf das Ohr legen) gelindert. In der Regel sind die Schmerzen nach einmaliger Anwendung dauerhaft oder zumindest länger weg (Ausnahme: begleitende Mastoiditis). Wirkungslosigkeit ist meist durch Zerstörung der ätherischen Öle beim Erhitzen bedingt.

Unterstützend können Otovowen Tropfen (Aconitum napellus Dil. D6; Capsicum annuum Dil. D4; Chamomilla recutita Ø; Echinacea purpurea Ø; Hydrargyrum bicyanatum Dil. D6; Hydrastis canadensis Dil. D4; Iodum Dil. D4; Natrium tetraboracicum Dil. D4; Sambucus nigra Ø; Sanguinaria canadensis Ø) gegeben werden.

Konjunktivitis

Euphrasia Augentropfen (5–6 × täglich) lindern den Juckreiz, reduzieren die Entzündung und wirken wohl auch leicht antibakteriell. Selbst bei positivem Erregernachweis ist bei mehr als 95% meiner Patienten kein Antibiotikaeinsatz nötig.

Augentrostkraut (Euphrasiae herbae) wurde aus hygienischen Bedenken bei Eigenherstellung von der Kommission C negativ monografiert. Keine Bedenken bestehen gegen filtrierte keimfreie Auszüge. Wegen der negativen Monografie ist Augentrost nur als anthroposophisches oder homöopathisches Präparat erhältlich (z. B. Euphrasia AT Wala).

Kamillenblüten für die Anwendung am Auge sind nicht als Einzelpräparat auf dem Markt, jedoch in Kombination mit Augentrostkraut erhältlich (Euphralia).

Stomatitis

Kamillenblütentee, Salbeitee und Ratanhia-Mundspülung wirken entzündungshemmend und schmerzlindernd.

Laryngitis/Pharyngitis/Tonsillitis

Kamillenblütentee und Salbeitee wirken entzündungshemmend, antibakteriell und schmerzlindernd. Umckaloabo reduziert Schluckbeschwerden, Halsschmerz, Speichelfluss, Rötung und Fieber (randomisierte plazebokontrollierte doppelblinde Studie).

Untere Luftwegsinfekte

Bronchitis ist eine der am häufigsten in Allgemeinpraxen gestellten Diagnosen [6]. Die Abgrenzung zu Laryngitis auf der einen und Pneumonie auf der anderen Seite ist unscharf. Die Ursachenabgrenzung, wie häufig eine Virus-, Bakterien- oder Pilzinfektion oder auch andere Ursachen (allergisch, toxisch) vorliegen, ist spärlich publiziert, obwohl im stationären Bereich eine Differenzierung mit Keimnachweis besser vergütet wird.

Ambulant erworbene Pneumonien sind nach den Durchfallerkrankungen die weltweit am zweithäufigsten registrierten Infektionskrankheiten [7]. Bei ambulant erworbener Pneumonie wird bei Kindern selbst im stationären Bereich der Einsatz spezifischer Antibiotika („narrow spectrum“) empfohlen [8].

Phytotherapeutisch ist eine Vielzahl von Pflanzen mit unterschiedlichen Wirkungen einsetzbar: Anisblüten (expektorierend, broncholytisch), Efeublätter (expektorierend, broncholytisch), Eibischwurzel (reizlindernd), Fenchel (reizlindernd), Huflattichblätter (bis zu 0,015 % Pyrrolizidinalkaloide → „Kontraindikation Kinder + Schwangere“ [theoretisch], reizlindernd), Isländisches Moos (reizlindernd), Königskerzenblüten (reizlindernd), Malvenblüten/-blätter (reizlindernd), Spitzwegerich (reizmildernd, adstringierend, antibakteriell), Süßholzwurzel (sekretolytisch, expektorierend, mineralokortikoide NW), Thymian (bronchospasmolytisch, expektorierend, antibakteriell), Schlüsselblumenblüten (sekretolytisch, expektorierend), Primelwurzeln (sekretolytisch, expektorierend), Wollblumen (reizlindernd, expektorierend), Meerrettich (entzündungshemmend, broncholytisch, antimikrobiell). Umckaloabo hemmt die Erregeranheftung an die Atemwegsschleimhaut im Sinne eines Schutzfilmes und schützt damit vor Infektion bzw. Superinfektion, optimiert die Phagozytenfunktion, erhöht die Aktivität der natürlichen Killerzellen, verbessert den Gasaustausch zwischen Lunge und Blut und erhöht die Zilienschlagfrequenz.

Bronchicum (Efeu/Thymian) ist trotz des Alkoholgehaltes bereits ab 6 Monaten, das alkoholfreie Prospan (Efeu) uneingeschränkt erst ab einem Jahr, Hedelix (Efeu) bereits ab Geburt zugelassen.

In meiner Praxis sind nahezu alle nicht stationär behandlungsbedürftigen unteren Luftweginfekte zufriedenstellend ohne Einsatz synthetischer Antibiotika behandelbar. Am häufigsten kommen dabei Kochsalzinhalationen, bei Schulkindern (sowie bei ausgewählten kleineren Kindern, die in der Regel mit den Eltern zusammen unter einem Tuch inhalieren) Inhalationen mit Kamillenblütentee und Salbeitee (mit sehr guter antientzündlicher, antitussiver und antibakterieller Wirkung), Efeu-, Thymian- und Eibischwurzelextrakte als Hustensäfte, Eukalyptusöl und Kiefernnadelöl (z. B. Eucabal) zur Brusteinreibung sowie Umckaloabo, in ausgewählten Fällen auch Angocin (Meerrettich und Kapuzinerkresse) zum Einsatz.

Magen-Darm-Infekte

Durchfallerkrankungen

Medizinische Hefen (Perenterol) verkürzen die Krankheitsdauer. Medizinische Kohle und Kaffeekohle sowie Birkenkohle führen zu Eindickung und resorbieren Gifte.

Quellstoffe wie Indische Flohsamen binden Bakterientoxine und überschüssige Flüssigkeit.

Gerbstoffdrogen, z. B. Eichenrindentee, dichten die Oberfläche der Darmschleimhaut ab und erschweren das Eindringen toxischer Substanzen und pathogener Keime.

Gastritis

Iberogast Classic (Schöllkraut, Angelikawurzel, Melissenblätter, Mariendistelfrüchte, Süßholzwurzel, Kamillenblüten, Kümmel, Pfefferminzblätter, Schleifenblume; ab 3 Jahren) und Iberogast ADVANCE (Melissenblätter, Süßholzwurzel, Kamillenblüten, Kümmel, Pfefferminzblätter, Schleifenblume; ab 12 Jahren, obwohl stoffmäßig eine Teilmenge von Iberogast Classic) mildern erfahrungsgemäß rasch die Beschwerden/Bauchschmerzen und führen zum Rückgang einer sonografisch darstellbaren Magenwandverdickung.

Cholezystitis

Das Choleretikum Artischockenextrakt (Hepar SL) wurde bei Oberbauchschmerz rechts, mit Ultraschall genau über der Gallenblase lokalisierbar und im Ultraschall verdickter und echogenitätsvermehrter Gallenblasenwand erfolgreich eingesetzt.

Harnwegsinfekte

Bärentraubenblätter (Cystinol akut) und Goldrutenkraut (Cystinol long) sind erst ab 12 Jahren zugelassen. Nach entsprechender Aufklärung (off-label) setze ich beide Phytopharmaka auch bei Kindern ab etwa 6 Jahren ein.

Bärentraubenblätter sind arbutinhaltig und werden von mir maximal für die Dauer von 2 Wochen verwendet (Fachinfo: ohne ärztliche Aufsicht höchstens eine Woche).

Meerrettich und Kapuzinerkresse (Angocin) können als pflanzliche Antibiotika bei unkompliziertem Harnwegsinfekt ohne CRP-Erhöhung eingesetzt werden.

Cranberry gibt es leider in Deutschland nicht als Medikament, sondern nur als Nahrungsergänzungsmittel – mit entsprechend anderen Toleranzen in Bezug auf Inhaltsqualität und Inhaltsmenge.

Vulvovaginitis, Balanitis und Urethritis

Sitzbäder in Kamillenblütentee bei Mädchen und Bäder des Penis in einem kleinen Glas mit Kamillenblütentee bei Jungen führen in der Regel rasch zu Beschwerdefreiheit.

Hauterkrankungen

Superinfektionen von Neurodermitis und anderen ekzematösen Hauterkrankungen können gut mit Kamillenblütentee- und Eichenrindentee-Auflagen behandelt werden. Auch Johanniskrautöl kann eingesetzt werden.

Herpes-simplex-Läsionen sind mit Melissenblätterextrakt (Lomaherpan) bei fehlender Toxizität gut behandelbar. Eine Studie zeigte eine mit Aciclovir vergleichbare Wirksamkeit. Leider ist Lomaherpan inzwischen nicht mehr apothekenpflichtig, sondern frei verkäuflich, sodass die früher mögliche Kostenübernahme durch die GKV auch bei Kindern unter 12 Jahren entfällt.

Panaritien

Oft ist eine Kombination aus jodhaltiger Salbe nachts und mehrfach täglichen Bädern in Kamillenblüten und/oder Salbeitee erfolgreich.

Grenzen der Phytotherapie

Neugeborene und Säuglinge im Alter von < 3 Monaten

Aufgrund des unreifen bzw. nicht trainierten Abwehrsystems können Infektionen sehr rasch zu systemischen lebensbedrohlichen Infektionen führen, sodass die Indikation für eine kalkulierte antibiotische Therapie wesentlich großzügiger zu stellen ist.

Lediglich ekzematöse Hautläsionen, bei denen im Abstrich – nach bereits klinisch erfolgreicher Therapie – pathogene Bakterien nachgewiesen wurden, sowie „schmierige Näbel“ ohne Rötung der umgebenden Bauchhaut und ebenso späterem Nachweis pathogener Erreger habe ich im Einzelfall bei entsprechender Compliance mit Kamillenblütentee-Auflagen und/oder Eichenrindentee-Auflagen erfolgreich behandelt.

Onkologische Erkrankungen mit therapiebedingter Agranulozytose

Aufgrund des unterdrückten Abwehrsystems können Infektionen sehr rasch zu systemischen lebensbedrohlichen Infektionen führen, sodass die Indikation für eine kalkuliert antibiotische Therapie, in der Regel eine Kombinationstherapie, sehr großzügig zu stellen ist.

Kinder mit zyanotischen und anderen schweren Herzfehlern

Hier wird häufig kardiologischerseits bei fieberhaften Infekten eine antibiotische Behandlung vorgegeben. Im Einzelfall waren die im Sputum nachgewiesenen Erreger dann resistent gegen das verordnete Antibiotikum bei fieberhafter Bronchitis mit grünem Sputum, sodass die trotzdem eingetretene klinische Besserung möglicherweise der parallel durchgeführten Inhalation mit Kamillenblütendampf zu verdanken war.

Endokarditis

Es liegen keine publizierten Daten zu erfolgreichen phytotherapeutischen Behandlungen vor.

Mastoiditis

Aufgrund der Nähe zu den Meningen ist die Indikation für eine Antibiotikatherapie großzügig zu stellen. In ausgewählten Fällen war eine Behandlung mit Angocin (Kapuzinerkresse/Meerrettich) erfolgreich.

Pyelonephritis

Bei Harnwegsinfekten mit Fieber und CRP-Erhöhung ist aufgrund der Gefahr für das Nierenparenchym bei anzunehmender Pyelonephritis umgehend eine kalkulierte antibiotische Therapie zu beginnen.

Schwere lebensbedrohliche Infektionen, z. B. Meningitis oder Sepsis

Neben der indizierten konventionellen Therapie haben Phytopharmaka allenfalls eine unterstützende oder supportive Funktion.

Dr. med. Karl Rüdiger Wiebelitz
Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin mit den Schwerpunktbezeichnungen Hämatologie/Onkologie und Neonatologie, den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Naturheilverfahren

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

[1] Bornemann R, Tillmann R. Entwicklung der Antibiotikaverordnungen im ambulanten pädiatrischen Sektor in Bielefeld 2015–2018. Monatsschr Kinderheilkd 2022; 170: 379-391 https://doi.org/10.1007/s00112-020-00895-y

[2] Eichinger M, Andreas M, Hoeppe A. et al Kinder- und Jugendgesundheit in der Klimakrise. Monatsschr Kinderheilkd 2023; 171: 114-123 https://doi.org/10.1007/s00112-022-01685-4

[3] Schilcher H, Dorsch W. Phytotherapie in der Kinderheilkunde. 4. Auflage. Stuttgart: Wissenschaftl. Verlagsgesellschaft 2006

[4] Dorsch W, Loew D, Meyer-Buchtela E. et al Kinderdosierung von Phytopharmaka. 3. Auflage. Kooperation Phytopharmaka (Hrsg.). 2002 ISBN 3-929964-15-5

[5] Kratschmer F.. Über Reflexe von der Nasenschleimhaut auf Atmung und Kreislauf. SB Akad Wiss Wien 62 (1870) 147-170

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Akute_Bronchitis Stand: 12.3.2023

[7] WHO. Revised Global Burden of Disease (GBD) 2002 estimates: Incidence. 2004 Stand: 5. März 2013

[8] Queen MS, Myers AL, Hall M. et al Comparative effectiveness of empiric antibiotics for community-acquired pneumonia. Pediatrics 2014; 133 (01) e23-29 DOI: 10.1542/peds.2013-1773.

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