Diabetes mellitusErnährung und/oder Medikament bei Diabetes mellitus

Die verschiedenen Formen des Diabetes mellitus können durch eine alleinige Ernährungstherapie nicht adäquat behandelt werden. Eine Ernährungstherapie ist jedoch ergänzend zur Medikation unerlässlich.

Gesunde Nahrungsmittel in Schalen.
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Abwechslungsreich, überwiegend pflanzlich und gewichtsorientiert nach den Empfehlungen der DGE soll die Ernährung auch bei Diabetes mellitus sein.

von Harald Fischer und Karin Barwich

Beim Diabetes mellitus handelt es sich um eine Störung des Glukosestoffwechsels, bei der auf unterschiedliche Art und Weise erhöhte Blutzuckerwerte entstehen. Der ICD 10 (derzeit gültige Klassifikation) unterscheidet zwischen Diabetes vom Typ 1, Typ 2 und sonstigen Diabetesformen.

Beim Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine autoimmunologisch vermittelte Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen des Pankreas, die innerhalb von wenigen Wochen bis wenigen Monaten zu einer kompletten Ausschaltung der körpereigenen Insulinproduktion führt und nur durch Insulinsubstitution behandelt werden kann. Dabei muss die körpereigene Insulinproduktion möglichst genau nachgebildet werden, um zu hohe oder zu niedrige Blutzuckerwerte zu vermeiden.

Er entsteht vorwiegend bei Kindern und jungen Menschen, kann aber auch im späteren Erwachsenenalter auftreten. Die genetische Komponente der Erkrankung ist gering. Da die endogene Insulinproduktion völlig erloschen ist, hängt eine gute Blutzuckereinstellung vom subtilen Gleichgewicht zwischen kontrollierter Kohlenhydrat-/Zuckeraufnahme, adäquat angepasster Essensinsulindosierung und der Berücksichtigung des blutzuckersenkenden Effektes von Bewegung ab, unterstützt durch eine möglichst passgenaue essensunabhängige Insulinversorgung mit Basalinsulin. Die Therapiealgorithmen müssen individuell für den Patienten ermittelt werden, schon kleinere Abweichungen können beim Fehlen von endogenen Ausgleichsmechanismen zu starken Blutzuckerschwankungen, insbesondere auch zu gehäuften Hypoglykämien führen. Die Zahl der Betroffenen wird auf ca. 250 000–400 000 in Deutschland geschätzt, mit steigender Tendenz über die letzten Jahrzehnte [1].

Beim Typ-2-Diabetes ist hingegen die körpereigene Insulinproduktion erhalten, gestört sind die 1. Phase der mahlzeitenabhängigen Insulinsekretion sowie die Wirkung des körpereigenen Insulins (Insulinresistenz). Es kommt üblicherweise zur über Jahre verlaufenden kontinuierlichen Verschlechterung der Blutzuckerstoffwechsellage über verschiedene Stufen – von der gestörten Insulinresistenz über die gestörte Nüchternglukose zum manifesten Diabetes mellitus. Auch dann ist i.d.R. über Jahre eine kontinuierliche Verschlechterung der Blutzuckerwerte zu verzeichnen, die zumeist eine Therapieeskalation notwendig macht. Hier kommen Lebensstiländerung, orale medikamentöse Therapie und letztlich Insulin, meist in dieser Reihenfolge, als Optionen infrage.

Merke

In Deutschland leben ca. 7 Millionen Menschen mit Diabetes mellitus –Tendenz steigend [1].

Erfahrungsgemäß tritt der Typ-2-Diabetes oft als Bestandteil des metabolischen Syndroms auf, in Assoziation mit Übergewicht, erhöhtem Blutdruck und erhöhten Harnsäurespiegeln sowie gehäuften Gefäßkomplikationen. Die genetische Komponente ist wesentlich stärker ausgeprägt als beim Typ-1-Diabetes. Bei noch erhaltender Insulinsekretion sind die Blutzuckerschwankungen und Hypoglykämien deutlich seltener.

Beim Typ-3-Diabetes (sogenannter pankreopriver Diabetes mellitus, auch Diabetes mellitus Typ 3c genannt) wird die Häufigkeit auf 2–5% der Fälle geschätzt. Er entsteht durch Schädigung der gesamten Bauchspeicheldrüse durch akute, vor allen Dingen aber chronische Entzündungen oder Organverlust durch Operationen, z. B. aufgrund eines Pankreaskarzinoms.

Die Häufigkeit des Diabetes mellitus Typ 3 ist gering, genaue Zahlen und ausführliche Studien fehlen. Ein großer Teil an Patienten mit chronischer Pankreatitis oder Bauchspeicheldrüsenoperation bekommt im Verlauf einen Diabetes, bei 40% ist aufgrund des zugrunde liegenden Insulinmangels eine Insulintherapie erforderlich [2].

Ausblick

Die Häufigkeit von Typ-1- und Typ-2-Diabetes nimmt weiter kontinuierlich zu. Allein durch die zu beobachtende Gewichtszunahme im Rahmen der Corona-Pandemie wird ein zusätzlicher deutlicher Effekt auf die Diabeteshäufigkeit erwartet [3].

 Auch wenn gelegentlich über die Evidenzbasierung der Ernährungsmedizin kontrovers diskutiert wird, ist offensichtlich, dass ernährungsmedizinische Interventionen beim Diabetes mellitus für eine erfolgreiche Therapie unverzichtbar sind. Dies ergibt sich zwangsläufig aus der Tatsache, dass die Ernährung kurz- und langfristig Einfluss auf die Blutzuckerwerte hat, deren angemessene Kontrolle in der Diabetestherapie angestrebt wird.

Im Folgenden sollen deshalb die Grundprinzipien der Ernährungstherapie, getrennt nach den verschiedenen Diabetesformen, erläutert werden.

Ernährungstherapie bei Diabetes mellitus

Typ-1-Diabetes

Hier ist es von essenzieller Bedeutung, dass die jeweils vor dem Essen gespritzte Insulinmenge genau auf die geplante Menge an Essenskohlenhydraten abgestimmt ist. Idealerweise ist der Patient in der Lage, mithilfe des vorher empirisch ermittelten KE-Faktors und der geschätzten Kohlenhydratmenge der Mahlzeit die genaue Insulindosierung für die entsprechende Mahlzeit zu ermitteln.

In Kohlenhydrataustauschtabellen ist hinterlegt, wie viel Gramm eines bestimmten kohlenhydrathaltigen Grundnahrungsmittels jeweils in einer KE enthalten ist. Später müssen die Kohlenhydratmengen jeweils vom Aspekt her eingeschätzt werden. Initial kann diese Schätzung durch Abwiegen der Nahrungsmittel überprüft und damit eine möglichst genaue Berechnung unterstützt werden. Der Patient muss also lernen, die kohlenhydrathaltigen Anteile der Nahrung zu erkennen und abzuschätzen, um die richtige Insulindosis ermitteln zu können.

Einen weiteren Einfluss auf den Verlauf der postprandialen Blutzuckerkurve hat der glykämische Index der aufgenommenen Kohlenhydrate. Schnell resorbierte Kohlenhydrate, das heißt mit hohem glykämischen Index, führen zu einem raschen Blutzuckeranstieg, der auch mit adäquater Insulindosierung nur schwer oder gar nicht kompensiert werden kann, da die Wirkungskinetik des gespritzten Insulins die körpereigenen Verhältnisse nicht perfekt imitieren kann. Eine Verlängerung des Spritz-Ess-Abstandes kann hier teilweise Abhilfe schaffen.

Merke

Der Nutzen der Vermeidung postprandialer Blutzuckerspitzen wird nach wie vor kontrovers diskutiert.

Theoretisch müssten Apps und künstliche Intelligenz den Prozess des Kohlenhydratschätzens unterstützen können. Eine gründliche ernährungsmedizinische Schulung des Patienten können sie nach Meinung der Verfasser jedoch derzeit keinesfalls ersetzen, denn eine gesunde Ernährung nach den Empfehlungen der DGE bildet die Basis, um auch Folgeerkrankungen (z. B. Herz- und Gefäßerkrankungen) zu vermeiden.

Die Häufigkeit einer Zöliakie ist bei Typ-1-Diabetes deutlich erhöht (etwa 3–4% aller Patienten) [4]. Bei begründetem Verdacht oder als Screening eignet sich hier die Bestimmung der Transglutaminase-Antikörper vom Typ IgA, verbunden mit einer Gesamt-IgA-Bestimmung. Der Typ-1-Diabetes gilt außerdem als Risikofaktor für das Entstehen einer Osteoporose [5]. Die meist unter- bis normalgewichtigen jungen Patienten sollten bezüglich einer bedarfsdeckenden Kalziumaufnahme und ggf. Vitamin-D-Substitution beraten werden.

Da der Trend zur Gewichtszunahme in allen Alters- und Gesellschaftsschichten ungebrochen ist, und da Übergewicht nicht vor der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes schützt, und nicht zuletzt da eine Insulintherapie auch zu einer ungewollten Gewichtszunahme führen kann, sollten die Prinzipien einer Kalorienrestriktion durch eine sinnvolle Lebensmittelauswahl in diesen Fällen ebenfalls vermittelt werden.

Praxistipp

Der katabole Effekt einer suboptimalen Diabetestherapie bei Typ-1-Diabetes wird gelegentlich missbräuchlich zum Abnehmen genutzt (Purging). Sinnvoll ist, daran zu denken und im Verdachtsfall das Thema konkret anzusprechen.

 Über die Sinnhaftigkeit einer Kohlenhydratrestriktion bei Typ-1-Diabetes herrscht Unklarheit. Genaue Empfehlungen zum Kohlenhydratanteil der Ernährung werden nicht mehr gegeben [6]. Komplexe Kohlenhydrate sollen bevorzugt werden. Der Nutzen einer speziellen Proteinrestriktion beschränkt sich auf Nierenkomplikationen des Diabetes [6].

Typ-2-Diabetes

Diverse Interventionsstudien haben gezeigt, dass bei gestörter Glukosetoleranz durch Ernährungsumstellung das Auftreten eines manifesten Diabetes verzögert, aber nicht verhindert werden kann. Im Vordergrund steht hier der Verzehr von genügend Ballaststoffen, Einschränkung von schnell resorbierenden Kohlenhydraten und Gewichtsreduktion. I.d.R. ist aber auch eine allgemeine Lebensstiländerung, unterstützt durch Bewegung und ggf. psychologische Anteile, von großer Bedeutung.

Die zumeist kontinuierliche Verschlechterung der Betazellfunktion macht üblicherweise eine langsame Eskalation der Therapie erforderlich, die individuell je nach Möglichkeiten und Präferenzen des Patienten in einer Intensivierung der Lebensstiländerung und/oder einer Intensivierung der medikamentösen Therapie bestehen kann.

Merke

Nach durchschnittlich 10–15 Jahren Diabetesdauer tritt i.d.R. Insulinpflichtigkeit auf.

 Ist schließlich die komplette Insulinpflichtigkeit des Patienten im Sinne einer intensivierten Insulintherapie erreicht, sollte der Patient ebenfalls Fähigkeiten im Berechnen und Abschätzen von Kohlenhydrateinheiten besitzen. Durch die meist vorhandene (geringe und etwas unflexible) Insulin-Restsekretion sind die Anforderungen an die Genauigkeit des KE-Schätzens jedoch etwas geringer. Auch hier ist der Nutzen einer Reduktion des Kohlenhydratanteils der Nahrung nicht belegt.

Diabetes mellitus Typ 3c (sog. pankreopriver Diabetes mellitus)

Der pankreoprive Diabetes ist i.d.R. ein Insulinmangeldiabetes und erfordert fast immer eine Insulintherapie. Dabei gelten die gleichen Anforderungen an die Ernährungsberatung wie beim Typ-1-Diabetes. Auch die Blutzuckerschwankungen sind ähnlich stark ausgeprägt wie beim Typ-1-Diabetes. Die Hypoglykämiegefahr ist vermutlich sogar höher durch die ebenfalls eingeschränkte endogene Glucagon-Antwort des Pankreas.

Zusätzlich zu den Anforderungen der Insulintherapie ist in vielen Fällen eine Substitution von Pankreasenzymen notwendig, um die Resorption fettlöslicher Vitamine sowie der Nahrungsfette und damit auch eine genügende Kalorienzufuhr für den Patienten zu sichern und unliebsame Symptome wie Durchfall, Blähungen, Fettstühle und Gewichtsverlust zu vermeiden.

Vorsicht

Die Regeln der Pankreasenzymsubstitution sind nicht banal und vielen Ärzten häufig nicht genau bekannt.

 Bei richtiger Indikationsstellung zur Pankreasenzymtherapie und richtiger Dosierung ist die Supplementation fettlöslicher Vitamine i.d.R. nicht erforderlich. Der Patient benötigt neben einer Ernährungsschulung zum Thema Kohlenhydrate ebenso eine zum Thema Fett (Enzymeinnahme bei jeder fetthaltigen Mahlzeit, Dosis angepasst an den Fettgehalt).

Auch beim pankreopriven Diabetes besteht ein erhöhtes Osteoporoserisiko, das ggf. adressiert werden muss. Die Patienten sind häufig untergewichtig und müssen sich hochkalorisch, meist auch mit entsprechend hohem Fettanteil, ernähren. Häufig muss der Fettanteil der Nahrung zur gewünschten Gewichtszunahme eher erhöht werden, natürlich mit adäquater Substitution von Pankreasenzymen.

Der meist angestrebte Kohlenhydratanteil von 40–50% ist in der Praxis oft aufgrund des hohen Volumens nicht zu erreichen.

Kernaussagen

  • Beim Typ-1-Diabetes sind die KE-Berechnung und eine gesunde Ernährung (DGE) zu vermitteln.
  • Beim Typ-2-Diabetes kann der zunehmende Verlust der Betazellfunktion durch Gewichtsreduktion verzögert werden; nur selten sind zusätzliche spezielle diätetische Maßnahmen nötig.
  • Beim Typ-3-Diabetes kommt zur diabetesspezifischen Ernährungstherapie die adäquate Substitution von Pankreasenzymen und die Vermeidung von Mangelernährung hinzu.

Dr. med. Harald Fischer
Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe DDG und ÄKWL, Gastroenterologe und Endokrinologe.

Karin Barwich
Diplom-Ökothrophologin und Diätassistentin

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1 Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2010, diabetesDE 2009. Im Internet: www.diabetesde.org/system/files/documents/gesundheitsbericht_2010_gesamt_28_10_2009.pdf;Stand: 05.09.2022

2 Lankisch PG, Löhr-Happe A, Otto J, Creutzfeld W. The natural course of chronic pancreatitis – pain, exocrine and endocrine pancreatic insufficiency and prognosis of the disease. Zentralbl Chir 1995; 120: 278-286

3 Ghosal S, Arona B, Dutta K. et al. Increase in the risk of type 2 diabetes during lockdown for the COVID19 pandemic in India: A cohort analysis. Diab Metab Syndr 2020; 14: 949-952

4 DeMelo E, McDonald C DaibilF. et al. Celiac disease and type 1 diabetes in adults: Is this a high-risk group for screening?. Can J Diabetes 2015; 39: 513-519

5 Sealand R, Razavi C, Adler R. Diabetes mellitus and osteoporosis. Curr Diab Rep 2013; 13: 411-418

6 Landgraf R, Aberle J. et al. Therapie des Typ-2-Diabetes. Diabetologie und Stoffwechsel 2021; 16: 168-206 DOI: 10.1055/a-1394-2313.