AyurvedaAshwagandha

Die ayurvedische Heilpflanze Ashwagandha birgt großes Potenzial im therapeutischen Einsatz bei neurologischen und psychovegetativen Erkrankungen sowie zur Stärkung des Immunsystems.

Withania somnifera, Blüte von Ashwagandha
ChrWeiss/stock.adobe.com

Ashwagandha wird seit gut 2000 Jahren in der Ayurveda-Medizin eingesetzt.

von Ananda Samir Chopra

Ashwagandha birgt großes Potenzial im therapeutischen Einsatz bei neurologischen und psychovegetativen Erkrankungen sowie zur Stärkung des Immunsystems. Die verfügbaren klinischen Daten sind jedoch limitiert, sodass intensive Untersuchungen zur Bestätigung der Wirksamkeit und Sicherheit nötig sind.

Inhalt

Ashwagandha im Ayurveda

Moderne Untersuchungen

Neben- und Wechselwirkungen

Fazit

Seit einigen Jahren gewinnt Ashwagandha zunehmende Popularität auf dem schillernden Markt der Fitness, Gesundheit und Selbstoptimierung. In den sozialen Medien preisen zahlreiche, meist selbst ernannte Gesundheitsexperten die nervenberuhigende, muskelstärkende, schlaffördernde Wirkung von Ashwagandha. Auch sollen sexuelle Leistungsfähigkeit und Fruchtbarkeit verbessert werden, ebenso wie das Gedächtnis – um nur einige Wirkungen zu nennen.

Ashwangandha im Ayurveda

Der Gebrauch von Ashwagandha ist jedoch keineswegs ein neues Phänomen. Vielmehr wird Aśvagandhā (so die korrekte Umschrift des Sanskritwortes) schon seit gut zweitausend Jahren in der altindischen Ayurveda-Medizin verwendet. Wörtlich übersetzt bedeutet Ashwagandha etwa „die nach Pferd Duftende“ und verweist auf den eigentümlichen Geruch der frischen Wurzeln der Pflanze, der an Pferde erinnert.

Botanik

Aus botanischer Sicht wird Ashwagandha als die Pflanze Withania somnifera identifiziert, die zur großen Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) gehört. Der aufrecht wachsende, bis zu 1,50 m hohe Strauch besitzt ovale Blätter, die an der Unterseite behaart sind, auch Stamm und Zweige tragen feine Härchen. Zur arzneilichen Verwendung dienen insbesondere die langen, etwas knolligen Wurzeln.

Die Blüten sind grün-gelblich und axillär angeordnet. Tiefrote kleine (ca. 5 mm im Durchmesser) runde Beeren bilden die Früchte, die von einem ballonartigen Kelch umschlossen werden, ähnlich wie die Früchte der Physalis oder der bei Gärtnern beliebten Lampionblume.

Im Deutschen wird Ashwagandha gelegentlich als „Schlafbeere“, „Winterkirsche“ oder „Judenkirsche“, seltener auch als „schlafmachende Schlutte“ bezeichnet. Ein Blick in die Wörterbücher (siehe etwa die entsprechenden Stichwörter im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache unter www.dwds.de) zeigt jedoch, dass diese Bezeichnungen keineswegs eindeutig auf Withania somnifera bezogen wurden. Beispielsweise wird auch die Tollkirsche (Frucht von Atropa belladonna) als Schlafbeere bezeichnet. Außerdem ist hinsichtlich der Bezeichnung Schlafbeere zu bedenken, dass für arzneiliche Zwecke ja gar nicht die Frucht, sondern vorrangig die Wurzel von Withania somnifera genutzt wird. Daher ist es ratsam, hier die botanische Bezeichnung zu verwenden.

Arzneilich verwendete Pflanzenteile

Die Ashwagandha-Pflanze ist in einem sehr weiten Verbreitungsgebiet anzutreffen, darunter im Mittelmeerraum, auf den Kanarischen Inseln, in großen Teilen Afrikas und in den trockeneren Gebieten Südasiens. Heute wird für ayurvedische Arzneien hauptsächlich in Nordindien angebautes Ashwagandha verwendet. Dazu wird die ganze Pflanze geerntet und die Wurzeln werden vor der weiteren Verwendung getrocknet.

Archäologische Funde legen nahe, dass diese Pflanze bereits in den alten orientalischen Kulturen für verschiedene Zwecke genutzt wurde. So wurden etwa in altägyptischen Grabkammern Früchte von Withania somnifera in Kränzen gefunden, mit denen Mumien geschmückt waren. Einige Autoren nehmen an, dass auch die antiken europäischen Ärzte und ihre mittelalterlichen Nachfolger diese Pflanze arzneilich einsetzten. In der Materia medica des Dioskurides, über mehr als 1500 Jahre ein maßgebliches pharmakologisches Werk in Europa, wird eine Pflanze mit der Bezeichnung Strychnos halikabos erwähnt, die von manchen Botanikern als Withania somnifera identifiziert wird [2].

Traditionelle Anwendung von Ashwagandha im Ayurveda

Ayurveda ist in Südasien heute ein anerkanntes Medizinsystem, das über ähnliche Strukturen wie die moderne Medizin verfügt. So durchlaufen Ayurveda-Ärzte in Indien ein eigenes Hochschulstudium und es gibt eigene ayurvedische Ärztekammern sowie einen nationalen Forschungsrat. Charakteristisch für den heutigen Ayurveda ist, dass moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit überliefertem Wissen verknüpft werden.

Ashwangandha in der ältesten ayurvedischen Literatur

In der ältesten ayurvedischen Literatur, die vor rund zweitausend Jahren entstand, wird Ashwagandha vor allem zu den „kräftigenden“ (balya) und „nährenden“ (brmhana) Arzneien gezählt:

  • Besonders empfohlen wird sie bei Krankheitszuständen, die mit Auszehrung und allgemeiner physischer wie psychischer Schwäche einhergehen.
  • Sie wird insbesondere zur Zubereitung von roborierenden Arzneipräparationen für ein langes und gesundes Leben sowie zur Förderung der Fruchtbarkeit und als Aphrodisiakum eingesetzt.
  • Auch galt sie traditionell als wirksames Mittel gegen Schlaflosigkeit.

Allerdings werden in der ayurvedischen Wissenschaft Arzneipflanzen nicht nur nach ihren jeweiligen arzneilichen Wirkungen klassifiziert. Es werden auch eine Anzahl verschiedener Charakteristika erfasst, um auf dieser Grundlage dann eine möglichst individuelle Therapie durchzuführen [4]. Ashwagandha gilt in diesem System als Arznei von bitterem, scharfem und süßem Geschmack, das leicht und ölig ist, einen süßen Nachverdauungseffekt (Vipāka) hat und eine erwärmende Potenz (Vīrya) aufweist [9]. Eine Auflage aus den Blättern wird zur lokalen Anwendung bei Lymphknotenschwellungen empfohlen, hauptsächlich wird aber die getrocknete Wurzel arzneilich verwendet.

Ashwangandha in der heutigen ayurvedischen Pharmakologie

Die heutige ayurvedische Pharmakologie, die sich stets auf eine rund zweitausendjährige Tradition bezieht, empfiehlt Ashwagandha vor allem

  • als stärkendes und aufbauendes Mittel gegen die Gebrechen des Alters und bei einer Vielzahl von Schwächezuständen. Dazu zählen insbesondere postinfektiöse Schwächezustände oder die tumorassoziierte Fatigue.
  • Darüber hinaus gilt sie als „Nerventonikum“ und wird zur Beruhigung bei Erregungszuständen und bei Schlafstörungen eingesetzt.

In der Ayurveda-Medizin wird aber nicht allein aufgrund einer spezifischen Indikation behandelt. Auch andere, individuelle Faktoren müssen bei der Arzneimitteltherapie stets berücksichtigt werden. So ist Ashwagandha aufgrund ihrer „wärmenden Potenz“ für Menschen, die aus ayurvedischer Sicht eine sogenannte Pitta-Konstitution aufweisen, nicht geeignet oder nur in entsprechend zusammengesetzten Kombinationspräparaten.

Darüber hinaus ist unbedingt auch der Zustand der individuellen „Verdauungskraft“ (der ayurvedische Fachbegriff dafür lautet: Agni) zu beachten. Das gilt insbesondere bei der Auswahl der arzneilichen Präparation, die man einsetzt, also ob man Ashwagandha in Form von getrocknetem Pulver, als Abkochung oder als fermentierte Präparation empfiehlt.

Moderne Untersuchungen

Schon ein kurzer Blick in entsprechende Datenbanken verdeutlicht, dass Ashwagandha in neuerer Zeit intensiv erforscht wird. Den größten Teil dieser Forschungen machen allerdings biochemische Analysen und experimentelle Untersuchungen aus. Klinische Studien sind dagegen noch rar.

Biochemische Analysen und experimentelle Untersuchungen

Wie bei den meisten Pflanzen zeigt eine chemische Analyse eine Vielzahl verschiedener Stoffe (eine Übersicht in [3]). In der Ashwagandha-Wurzel wurden rund 35 verschiedene Bestandteile identifiziert. Von besonderer Bedeutung für die arzneilichen Wirkungen sind wohl die sogenannten Withanolide. Dabei handelt es sich chemisch betrachtet um Steroidlaktone. Darüber hinaus sind auch verschiedene Alkaloide und Flavonoide nachweisbar. Der genaue Mechanismus der pharmakologischen Wirkung dieser Inhaltsstoffe ist allerdings noch nicht geklärt.

Klinische Studien

Im klinischen Zusammenhang wurden bislang vor allem psychovegetative und neurologische Wirkungen von Ashwagandha untersucht:

Eine kleine Studie deutet darauf hin, dass die Einnahme von Ashwagandha verschiedene Aspekte des Schlafes verbessert [5].

In einer kleinen placebokontrollierten Studie an gesunden amerikanischen College-Studenten berichten die Teilnehmer, die Ashwagandha eingenommen hatten, über größere geistige Klarheit, bessere Schlafqualität und allgemein mehr Energie [1].

Für einige neurodegenerative Erkrankungen wird eine positive Wirkung von Ashwagandha postuliert, allerdings liegen dazu bislang keine schlüssigen Daten vor (eine sehr gute Übersicht zu diesen und anderen Wirkungen in [6]).

Im Hinblick auf den traditionellen Gebrauch als Mittel zur Stärkung von Widerstandskraft und zur Besserung altersbedingter Veränderungen sind Untersuchungen interessant, die zeigen, dass die Einnahme von Ashwagandha bei gesunden Probanden zu einer signifikanten Zunahme von Immunglobulinen, Zytokinen und verschiedenen Untergruppen der Lymphozyten führt [10].

Eine kleine klinische Studie zeigte zudem, dass die Einnahme von Ashwagandha die altersbedingte Sarkopenie verlangsamt [7].

Allerdings stehen hier wie für alle erwähnten Wirkungen große aussagekräftige klinische Studien zur Wirkung von Ashwagandha noch aus. Zudem fällt auf, dass in den Studien meist deutlich geringere Dosierungen verwendet werden, als in der Praxis der Ayurveda-Medizin empfohlen (in heutigen ayurvedischen Lehrbüchern, wie etwa [9], werden Tagesdosierungen von 3–6 g gemahlene Ashwagandha-Wurzel empfohlen).

Neben- und Wechselwirkungen

Auch in Bezug auf unerwünschte Wirkungen gibt es bislang nur wenig vertrauenswürdige Daten. Vorsicht ist geboten bei Menschen, die eine Hypersensitivität gegen Nachtschattengewächse aufweisen.

In der klinischen Praxis wird bei der Einnahme von Ashwagandha gelegentlich Durchfall berichtet, der nach Beendigung der Einnahme sistiert. In Einzelfällen wurde über Lebertoxizität im Sinne einer cholestatischen Leberschädigung berichtet, die Leberschäden bildeten sich nach Beendigung der Einnahme zurück.

Eine Studie an insgesamt 80 gesunden Probanden, die über 8 Wochen täglich 300 mg einnahmen, ergab keinen Hinweis auf unerwünschte Wirkungen [11]. In einer anderen, ähnlich strukturierten Studie, in der die Probanden aber eine ansteigende Menge von Ashwagandha-Extrakt bis weit über arzneilich empfohlene Mengen einnahmen (bis 10 g täglich!), zeigten sich ein Anstieg des Serumkreatinins und ein Abfall des Harnstoffs. Die Autoren führen diesen Effekt auf die gleichzeitig beobachtete Zunahme von Muskelmasse zurück [8].

Eine Einnahme in Schwangerschaft und Stillzeit wird nicht empfohlen, weil es dazu keine Daten gibt.

Wichtig ist zudem die Berücksichtigung von Wechselwirkungen mit anderen Arzneien. So ist bekannt, dass die sedierenden Wirkungen von Antiepileptika, Benzodiazepinen und Barbituraten bei gleichzeitiger Einnahme von Ashwagandha verstärkt werden. Ebenso kann die Wirkung von Schilddrüsenhormonen, die zur Substitution gegeben werden, gesteigert werden. Aufgrund der immunstimulierenden Wirkung wird bei Autoimmunkrankheiten zu Vorsicht geraten. Auch bei einem testosteronabhängigem Prostatakarzinom wird von der Einnahme von Ashwagandha abgeraten (siehe auch hier die Übersicht in [6]).

Nach den aktuell vorliegenden Daten kann man insgesamt davon ausgehen, dass die Einnahme von Ashwagandha in angemessenen Dosen bei der entsprechenden Sorgfalt im Allgemeinen unbedenklich ist.

Fazit

Zusammenfassend bleibt der Eindruck, dass Ashwagandha ein großes Potenzial für die Behandlung von Krankheiten ebenso wie zur Gesundheitsvorsorge birgt. Insofern ist zu hoffen, dass die medizinische Forschung sich weiter und intensiver dieser Arzneipflanze zuwendet, auch wenn der in den sozialen Medien zu beobachtende Enthusiasmus einmal verflogen ist.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

[1] Baker C et al. The perceived impact of Ashwagandha on stress, sleep quality, energy, and mental clarity for college students: Qualitative analysis of a double-blind randomized control trial. J Med Food 2022; 25 (12): 1095–1101. DOI: 10.1089/jmf.2022.0042

[2] Berendes J. Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre in fünf Büchern. Übersetzt und mit Erklärungen versehen von Prof. Dr. J. Berendes. Stuttgart: Verlag von Ferdinand Enke; 1902

[3] Bharti VK et al. Ashwagandha: Multiple health benefits. In Ramesh Gupta, Rajiv Lall, Ajay Srivastava (ed.) Nutraceuticals. Efficacy, Safety and Toxicity. 2nd edition. San Diego: Academic Press; 2021: 865–880

[4] Chopra AS. Einführung in die Āyurveda-Medizin. In Sigrid Heinze, Hrsg. Naturheilkunde und Homöopathie. Eschborn: Govi-Verlag; 2008: 245–255

[5] Deshpande A et al. A randomized, double blind, placebo controlled study to evaluate the effects of ashwagandha (Withania somnifera) extract on sleep quality in healthy adults. Sleep Med 2020; 72: 28–36. DOI: 10.1016/j.sleep.2020.03.012

[6] Mikulska P et al. Ashwagandha (Withania somnifera) – Current research on the health-promoting activities: A narrative review. Pharmaceutics 2023; 15 (4): 1057. DOI: 10.3390/pharmaceutics15041057

[7] Mishra SK, Trikamji B. A clinical trial with Withania somnifera (Solanaceae) extract in the management of sarcopenia (muscle aging). Signpost Open Access Journal of Organic and Biomolecular Chemistry 2013; 1: 187–194

[8] Raut AA et al. Exploratory study to evaluate tolerability, safety, and activity of Ashwagandha (Withania somnifera) in healthy volunteers. J Ayurveda Integr Med 2012; 3 (3): 111–114. DOI: 10.4103/0975-9476.100168

[9] Sharma PV. Dravyaguna-Vijñāna. 5 Vols. Varanasi: Chaukhambha Bharati Academy (V. Ayurveda Series 3); 1981–1998

[10] Tharakan A et al. Immunomodulatory effect of Withania somnifera (Ashwagandha) extract – A randomized, double-blind, placebo controlled trial with an open label extension on healthy participants. J Clin Med 2021; 10 (16): 3644. doi.org/10.3390/jcm10163644

[11] Verma N et al. Safety of Ashwagandha root extract: A randomized, placebocontrolled, study in healthy volunteers. Complement Ther Med 2021; 57: 102642. DOI: 10.1016/j.ctim.2020.102642

Dr. med. Ananda Samir Chopra

Ayurveda Klinik Kassel

Von 1996–2009 und seit 2011 leitender Arzt der Ayurveda-Klinik Kassel. Außerdem wissenschaftliche Tätigkeit in der Medizingeschichte mit einem Schwerpunkt auf Geschichte und Gegenwart des Ayurveda. 2009–2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext“ der Universität Heidelberg in einem Projekt zur modernen Geschichte des Ayurveda.