SchlafUrbaner Lebensstil lässt Schlaf zu kurz kommen

Menschen in Industrienationen schlafen schlechter als je zuvor. Chronobiologen erklären, was die soziale Uhr und elektrisches Licht damit zu tun haben.

Wecker auf 12 Uhr vor grauem Hintergrund
K. Oborny/Thieme

Die soziale Uhr folgt häufig nicht der inneren Uhr.

Wie wichtig Schlaf ist, darüber liegen heute so viele wissenschaftliche Erkenntnisse vor wie nie zuvor. Geradezu paradox erscheint deshalb, dass Menschen in Industrienationen heutzutage offensichtlich schlechter schlafen als je zuvor.

„Homo Urbanicus hat keine Beziehung mehr zu den wichtigsten Signalen, die unsere innere Uhr braucht, um den natürlichen Rhythmus von Wach und Schlaf zu organisieren: Tageslicht und nächtliche Dunkelheit“, erklärt der Münchner Chronobiologe Prof. Till Roenneberg.

Innere versus soziale Uhr

Die Position der Sonne, die Sonnenzeit, ist unsere älteste „Uhr“, auf die unsere innere Uhr immer noch hört. Doch unser tageszeitliches Verhalten muss sich fast ausschließlich nach der sozialen Uhr richten: Diese kann beträchtlich von der natürlichen Sonnenzeit abweichen, bedingt durch große Zeitzonen oder die jährliche Zeitumstellung auf Sommerzeit.

„Wir verbringen die meiste Zeit in Gebäuden – unser Alltag wird durch schwaches und künstliches Licht dominiert. In dieser Umgebung müssen sich die inneren Uhren der meisten Menschen nach hinten verschieben, um sich überhaupt noch mit dem 24-Stunden Tag synchronisieren zu können. Dies schließt unsere gesamte Biologie und unsere Schlafenszeiten ein. Über 80% der Bevölkerung muss an Arbeitstagen einen Wecker verwenden, um rechtzeitig aufzustehen. Das heißt ganz einfach, dass sie nicht zu Ende geschlafen haben. Dieser gewaltsame Eingriff in unsere biologische Zeit führt zu einem neuen und gesundheitsgefährdenden Syndrom, dem sozialen Jetlag. Da uns unsere späten biologischen Uhren nicht rechtzeitig einschlafen lassen, sammeln wir unter der Woche einen Schlafmangel an. An arbeitsfreien Tagen können wir dann eher gemäß unserer inneren Uhr schlafen und versuchen, das arbeitstägliche Schlafdefizit auszugleichen. Für späte Chronotypen heißt das, sie müssten die Hälfte ihrer freien Tage verschlafen, um den Schlafmangel aufzuholen“, so Roenneberg.

"Über 80% der Bevölkerung muss an Arbeitstagen einen Wecker verwenden, um rechtzeitig aufzustehen. Das heißt ganz einfach, dass sie nicht zu Ende geschlafen haben", sagt Till Roenneberg.

In Zusammenarbeit mit dem Laboratório de Cronobiologia e Sono (HCPA/UFRGS) in Porto Alegre, Brasilien haben Prof. Luísa K. Pilz von der Charité in Berlin und Prof. Till Roenneberg Quilombola-Gemeinschaften im Süden Brasiliens studiert, die noch ohne elektrisches Licht leben, und deren Ruhe-Aktivitäts-Muster mit denen in Industrieländern verglichen.

Quilombola-Gemeinschaften wurden von geflohenen afrikanischen Sklav*innen gegründet und liegen zumeist in ländlichen Gebieten. Ihre Gemeinschaften befinden sich immer noch in unterschiedlichen Stadien der industriellen Entwicklung. Die Menschen leben dort teilweise noch auf sehr traditionelle, unserer modernen Welt entgegenstehende Weise.

Die Forscher konnten etwa beobachten, dass in Gemeinden ohne Elektrizität länger geschlafen wurde als in denen mit. „Menschen, die an Depressionen litten, berichteten über stärkere Ausprägungen, je weniger Tageslicht – insbesondere am Morgen – sie hatten. Diese Beobachtung stimmt mit Studien überein, nach denen Arbeiter in europäischen Kleinstädten, die potenziell weniger Tageslicht als künstlichem Licht ausgesetzt sind, an freien Tagen länger schlafen als die Arbeiter in ländlichen Regionen, d.h. sie sind mehr sozialem Jetlag ausgesetzt. Je länger dieser war, umso höher war auch der Schweregrad bei der Ausprägung depressiver Symptome”, erklärt Luísa Pilz.

Tageslicht versus elektrisches Licht

Liegt es da nicht nahe, angesichts dieser Erkenntnisse dem modernen Lebensstil zugunsten unserer Gesundheit den Rücken zu kehren? Sollten wir besser alle aufs Land ziehen? „Elektrizität hat unseren Lebensstil tiefgreifend verändert”, sagt Luísa K. Pilz. „Auf die damit zusammenhängenden Annehmlichkeiten möchte heute aber niemand mehr verzichten. Die Frage ist also vielmehr, wie man das Beste aus beiden Welten vereint. Eine gerade wieder voll im Trend liegende perfekte Möglichkeit dazu ist zum Beispiel das Camping.”

  • Grundsätzlich gilt es, möglichst viel Licht während des Tages abzubekommen, d.h. also möglichst keine Fenster abdunkeln, nahe am Fenster sitzen beim Arbeiten und eben möglichst so viel es geht draußen sein.
  • Morgenlicht stellt unsere biologische Uhr vor, Abendlicht nach hinten. Wer also früh schlafen gehen möchte, sollte auch das frühe Tageslicht genießen und es im späteren Tagesverlauf eher meiden. Gleiches gilt umgekehrt.

Darüber hinaus empfiehlt die Chronobiologin, sich mit dem Chef darüber zu unterhalten, ob es nicht lohnender sei, einen ausgeschlafenen (ohne Weckerklingeln) Mitarbeiter zu beschäftigen, der dadurch leistungsfähiger, gesünder und zufriedener ist, weil er zu seiner eigenen biologischen Zeit schlafen kann.

Genauso wichtig, wie das Licht bei Tage, ist die Dunkelheit bei Nacht. Auch dafür sollte man sorgen, so die Forscher*innen. „Gedimmtes Licht vor dem Schlafengehen und die Vermeidung von Bildschirmen jeder Art ist ratsam. Wenn das nicht geht, so empfiehlt es sich die Helligkeit zu reduzieren und die Displayfarben auf ein wärmeres Farbspektrum einzustellen. So sehr wir es lieben unsere Tage auszudehnen, so sehr brauchen wir auch die Dunkelheit. Nicht nur zum Sternegucken, auch für unsere Gesundheit”, betont Luísa Pilz.

Quelle: Pressekonferenz Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin

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