Post-COVIDPost-COVID: 2 neue Forschungsprojekte zu Kneipp-Verfahren

Die Carstens-Stiftung fördert 2 weitere Forschungsprojekte zum Post-COVID-Syndrom. Beide Projekte setzen auf eine Steigerung der Selbstwirksamkeit der Patient*innen auf Basis von Kneipp-Verfahren.

Symbolbild Integrative Medizin, Arztschreibtisch mit Stethoskop und Laptop mit Bild zu Kneipp-Wassertreten
K. Oborny/Thieme

Integrativmedizinische Therapieansätze haben großes Potenzial zur Behandlung von Post-COVID. Das wird nun in 2 weiteren Studien untersucht.

Die Carl und Veronica Carstens-Stiftung stellt weitere 600.000 EUR für 2 zusätzliche Forschungsprojekte bereit, die wirksame Therapien der Komplementären und Integrativen Medizin (KIM) beim Post-COVID-Syndrom identifizieren sollen. Eines leitet Prof. Dr. Gustav Dobos, Universitätsklinikum Essen, das andere Dr. Michael Jeitler, Charité Berlin. Beide setzen auf eine Steigerung der Selbstwirksamkeit der Betroffenen, um die Symptombelastung zu verringern. Im Idealfall liefern sie daneben neue Erkenntnisse über das wissenschaftlich immer noch wenig durchdrungene Phänomen.

Potenzial der Komplementären und Integrativen Medizin

Obwohl die Post-COVID-Symptome bekannten funktionellen oder psychosomatischen Diagnosen ähneln, für deren Behandlung integrativmedizinische Ansätze die mitunter beste Evidenz aufweisen, werden 91% der Patient*innen mit sog. medizinisch unerklärbaren Syndromen (MUS) ausschließlich von Allgemeinmediziner*innen und Fachärzten für somatische Medizin betreut. "Naturheilkundlich-regulationsmedizinische Ansätze bergen somit das Potenzial, sowohl Therapieoptionen als auch Erklärungen für Symptome zu finden, die zum jetzigen Zeitpunkt durch ein rein biophysiologisches Krankheitsmodell nicht zu fassen sind", sagt Prof. Gustav Dobos vom Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin des Universitätsklinikums Essen.

Was man nämlich weiß, ist, dass Symptomakzeptanz, Reduktion von Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten, Entwicklung von Achtsamkeitsskills, Selbsthilfestrategien, Steigerung der Selbstwirksamkeit, Steigerung der physischen Aktivität und die wahrgenommene soziale Unterstützung zu den Mechanismen gehören, die die MUS-Symptomatik beeinflussen. Genau diese sind eine Domäne traditioneller Naturheilverfahren und finden sich z.B. in den 5 Therapiesäulen nach Kneipp: Ernährung, Bewegung, Hydrotherapie, Phytotherapie und Ordnungstherapie.

Projekt: Multimodales Gruppenprogramm auf Basis von Kneipp

Ein Forscherteam um Prof. Gustav Dobos und Dr. Heidemarie Haller wird in Kooperation mit Prof. Mark Stettner und Prof. Christoph Kleinschnitz aus der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Essen eine einfach verblindete, randomisiert kontrollierte Studie mit zwei Armen durchführen. Insgesamt sollen 86 Proband*innen mit Post-COVID-Syndrom eingeschlossen und zufällig in zwei Gruppen verteilt werden.

Gruppe 1 wird ein 10-wöchiges Gruppenprogramm durchlaufen, das auf den Therapiesäulen nach Kneipp basiert. Die Proband*innen werden einmal wöchentlich zusammenkommen, demnach wird es zu jeder Kneipp‘schen Säule zwei Einheiten geben. Diese beinhalten einen edukativen und einen praktischen Teil mit dem Ziel, eigene Strategien zur Krankheitsbewältigung zu entwickeln und diese aktiv in den Alltag zu integrieren.

  • Pflanzenbasierte Vollwertkost und medizinische Tees sollen genutzt werden, um die Rekonvaleszenz zu stärken.
  • Achtsame Bewegungseinheiten in der Natur sollen dabei helfen, die Wirkung des Tageslichts bzw. von Vitamin D auf das Immunsystem zu nutzen.
  • Im Bereich Hydrotherapie werden Wasseranwendungen, Trockenbürstungen sowie Wickel und Auflagen zum Einsatz kommen.
  • Es wird eine ärztliche Beratung zu pflanzenheilkundlichen Optionen bei individuellen Symptomen wie Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, Schmerzen, Husten, Ängsten oder Gedankenkreisen geben.
  • Ordnungstherapeutisch soll eine Balance der Lebensführung in beruflichen, familiären und sozialen Bereichen erleichtert werden. Hierzu werden beispielsweise Entspannungs- und Meditationsverfahren vermittelt.

Um das Gelernte zu vertiefen, erhalten die Teilnehmer*innen in Gruppe 1 zusätzlich ein Selbsthilfebuch und Hausaufgaben.

Gruppe 2 bildet die Kontrollgruppe dar und wird zunächst auf eine Warteliste gesetzt. In beiden Gruppen ist zu jedem Zeitpunkt jeweils die Standardtherapie (zusätzlich) erlaubt. Ebenso soll in beiden Gruppen ein Symptom- und Therapietagebuch geführt werden.

Geprüft werden soll in erster Linie, ob das Gruppenprogramm als Add-On zur Standardtherapie die Selbsthilfefähigkeiten besser steigern und die Belastung durch die Post-COVID-Symptome stärker lindern kann, als die Standardtherapie allein. Auch Parameter der Lebensqualität, der kardiovaskulären bzw. pulmonalen Leistungsfähigkeit und des sog. Flourishings, des "Aufblühens" der Proband*innen als motivierte Persönlichkeiten, werden u.a. zu 4 Zeitpunkten vor, während und bis zu 16 Wochen nach Ende der Interventionsphase erfasst.

Projekt: Multimodales Online-Angebot und Biosignalanalyse

Auch hier werden Grundprinzipien einer pflanzenbasierten Vollwerternährung, der Hydrotherapie nach Kneipp, naturheilkundliche Selbsthilfestrategien sowie Elemente der Ordnungstherapie und Mind-Body-Medizin vermittelt – allerdings online. "Die Studie stellt einen Prototyp für die optimale Nutzung moderner digitaler Tools in naturheilkundlichen Versorgungssituationen dar und könnte als Best-Practice-Modell für Online-Therapieansätze fungieren", sagt Dr. Michael Jeitler, stellv. Forschungskoordinator in der Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin. Hierfür gibt es einen dringenden Bedarf, denn man weiß, dass in Präsenz nur ein Sechstel der Bevölkerung mit entsprechenden praxisnah vermittelten Lebensstilinterventionen erreicht wird.

Die Hypothese: Die körperliche Belastbarkeit von Patient*innen mit Post-COVID-Syndrom verbessert sich durch eine Kombination aus naturheilkundlicher Therapie im Online-Setting und Routineversorgung stärker als durch die Routineversorgung allein. Insgesamt 120 Proband*innen sollen in die zweiarmige, randomisiert-kontrollierte Studie eingeschlossen werden. Gruppe 1 wird über einen Zeitraum von 2 Monaten einmal wöchentlich eine Online-Schulung von jeweils 120 min. Dauer erhalten. Dazu wird es die Empfehlung geben, das Gelernte täglich in etwa 30-minütigen Übungen zuhause zu vertiefen. Ebenso soll ein Online-Tagebuch geführt werden. Die Beobachtungsdauer pro Patient*in beträgt 12 Monate. Die Kontroll-Gruppe 2 wird auch hier zunächst auf eine Warteliste gesetzt.

Ein Highlight des Projekts stellt eine physiologische Teilstudie dar, in welcher die Etablierung und Validierung einer Biosignal-Charakterisierung des Post-COVID-Syndroms und insbesondere der prominenten Fatigue-Symptomatik im Mittelpunkt steht. Hierzu werden bei Patient*innen mit Fatigue gleichzeitig Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Puls, elektrodermale Aktivität und Hirnaktivität gemessen. "Dieser Ansatz soll ermöglichen, die bislang schwer objektivierbaren klinischen Symptomveränderungen der Fatigue objektiv zu quantifizieren", so Jeitler. "Wir erhoffen uns ein besseres Verständnis über die Fatigue selbst sowie ihre Rolle im Post-COVID-Syndrom. Idealerweise wird dies zukünftig die Diagnose verbessern."

Darüber hinaus wird es eine eingebettete qualitative Teilstudie geben. Nach 2 Monaten werden sowohl einige Proband*innen als auch behandelnde Hausärzt*innen in Einzelinterviews zu ihren Wahrnehmungen und Erfahrungen befragt, um die naturheilkundlichen Interventionen langfristig besser auf die Bedürfnisse und Bedarfe der Patient*innen anzupassen.

Quelle: www.carstens-stiftung.de

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