CoronavirusLong-COVID nach milder SARS-CoV-2-Infektion: Krankheitsbild mit vielen Gesichtern

Atemnot, Erschöpfung, Geschmacksverlust, Konzentrations- und Schlafstörungen, depressive Verstimmung: Die Phase der Gesundung nach COVID-19 ist vielfältig und stellt das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen.

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Bisherige Studien zeigen, dass mehrheitlich Frauen unter Long-COVID leiden.

Ein interdisziplinäres Team von ÄrztInnen aus Tirol und Südtirol hat anhand einer Online-Befragung von COVID-19-erkrankten, aber nicht hospitalisierten PatientInnen die komplexen, langanhaltenden Symptome ermittelt und analysiert. Ziel der Studie „Gesundheit nach COVID-19“ war es, das Krankheitsbild Long-COVID besser zu charakterisieren.

Atemnot, Erschöpfung, Geschmacksverlust, Konzentrations- und Schlafstörung oder depressive Verstimmung – das sind nur einige Beschwerden, von denen Genesene auch noch Monate nach COVID-19 berichten. Die Phase der Gesundung nach COVID-19 hat viele Aspekte und stellt das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen.

"Long-COVID ist ein PatientInnen-geprägter Begriff, definiert als das Vorhandensein von mindestens einem COVID-19-assoziierten Symptom 28 Tage oder länger nach der akuten Infektphase. Dieser neue Begriff sagt aber nichts über das klinische Erscheinungsbild aus, das sehr heterogen ist."

Um die Langzeitfolgen zu charakterisieren und einzuordnen, bedürfe es epidemiologisch valider Daten, so Judith Löffler-Ragg von der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie leitet gemeinsam mit weiteren ExpertInnen aus den Bereichen Innere Medizin, Neurologie, Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Dermatologie, Pädiatrie, Rehabilitation, Gesundheitswesen und Statistik, das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Gesundheit nach COVID-19“. An der vom Land Tirol geförderten Online-Befragung haben sich bisher 2065 TirolerInnen und 1075 SüdtirolerInnen beteiligt.

Die aktuelle Auswertung schließt die Angaben von Befragten aus dem Zeitraum September 2020 bis Juli 2021ein. In die Online-Umfrage wurden ausschließlich Menschen aufgenommen, die nicht im Krankenhaus behandelt werden mussten und 28 Tage oder länger nach dem Infekt noch Symptome hatten.

„Nahezu die Hälfte der TeilnehmerInnen (Tirol: 47,6%, Südtirol: 49,3%) gab an, dass die Symptome über 28 Tage hinaus fortbestanden,“ so Löffler-Ragg, die in diesem Zusammenhang auf eine mögliche Verzerrung durch StudienteilnehmerInnen mit erhöhtem Leidensdruck hinweist.

Komplexe Symptommuster

Aussagekräftiger sei die vorliegende Arbeit jedoch hinsichtlich Symptommuster und Erscheinungsbilder, sogenannter Phänotypen. Schon beim Verlauf der akuten COVID-19-Infektion konnten die StudienautorInnen in beiden Studienkohorten einen Unterschied zwischen der Gruppe mit vorwiegend grippeähnlichen Symptomen und jener mit zahlreichen neurologischen, kardiopulmonalen und abdominellen Beschwerden feststellen. Für letztere Gruppe prägten die ForscherInnen den Begriff „Multiorgan Phänotyp“ (MOP).

„Es war überraschend, dass vor allem Menschen im arbeitsfähigen Alter von 35 bis 55 Jahren einen akuten Infekt mit durchschnittlich 13 Symptomen zu Hause durchmachten, der häufig dieser Multiorgan-Symptomatik zuzuordnen war. Die Anzahl der akuten Symptome sowie die Anzahl spezieller MOP-Symptome kristallisierten sich schließlich als Risikofaktoren für eine verzögerte Genesung heraus, wobei Männer ein um 35 bis 55 Prozent vermindertes Risiko für Long-COVID hatten“, so Löffler-Ragg. Auch andere internationale Studien belegen, dass von Long-COVID mehrheitlich Frauen betroffen sind, wenngleich sie ein geringeres Risiko für einen schweren akuten Verlauf und eine niedrigere Hospitalisierungsrate haben.

Hohe Anzahl postakuter Multiorgan-Symptome

Mittels sogenannter „Machine-Learning“ Mustererkennungstools aus den umfangreich erhobenen klinischen Symptomen gelang es schließlich auch bei Long-COVID weitere klinische Erscheinungsbilder zu differenzieren, die in der Tiroler wie auch der Südtiroler Kohorte konsistent waren:

„Neben milderen, vorwiegend mit Riech- und/oder Geschmackstörung assoziierten Phänotypen, zeigte die Hauptgruppe der Betroffenen mit Long-COVID (Tirol: 49,3%, Südtirol: 55,6%) zwar keine anhaltende Geruchs- oder Geschmacksstörung, aber eine hohe Anzahl von postakuten Multiorgan-Symptomen wie Erschöpfung, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Kurzatmigkeit, Herzrasen, Engegefühl im Brustkorb, Verdauungsprobleme und Hauterscheinungen sowie eine schlechte, selbst berichtete körperliche Erholung“, schildert Neurologe Raimund Helbok die ersten Erkenntnisse. Die Spezifität der lang anhaltenden Beschwerdelast müsse nun in weiteren Studien untersucht werden.

Herausforderung für das Gesundheitssystem

„Anhaltende, postinfektiöse Beschwerden kennen wir auch bei anderen Erregern, aber die Fallzahl der Pandemie wird uns hier herausfordern“, betont Günter Weiss von der Medizinischen Universität Innsbruck. Mit den Ergebnissen dieser Zwei-Kohorten-Studie, die in Tirol fortgesetzt wird, soll es nun in der interdisziplinären Zusammenarbeit gelingen, Versorgungskonzepte zu entwerfen, die der langwierigen Erholung nach COVID-19 entsprechen. „Ein Wissenstransfer zu den HausärztInnen für die individuelle Behandlung und Betreuung von Long COVID-PatientInnen, bei der Koordination fachärztlicher Abklärungen und rehabilitativer Maßnahmen spielt hierbei eine zentrale Rolle“, schließt Pflegewissenschafter Dietmar Ausserhofer. Die Entwicklung eines integrierten und wissenschaftlich begleiteten Versorgungsmodells befindet sich in Tirol bereits in Ausarbeitung.

Quelle: Pressemitteilung/Medizinische Universität Innsbruck

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