PädiatriePhytotherapie bei Magen- und Darmbeschwerden im Kindesalter

Pflanzliche Arzneimittel bieten eine vielschichtige Therapieoption bei gastrointestinalen Erkrankungen im Kindesalter.

Zeichnung: Man/Junge legt die Hände auf den Bauch und verzieht das Gesicht.
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Es besteht ein Trend zur Einforderung von schneller ärztlicher Problemlösung seitens der Eltern – Zeit für Selbstheilung bleibt kaum noch.

von Ulrike Kastner

Bauchschmerzen und Übelkeit sind sehr häufige, von Kindern geäußerte Symptome, hinter denen sich von der milden Magen-Darmverstimmung bis hin zum schwerwiegenden Krankheitsbild mit der Notwendigkeit zur chirurgischen Intervention vieles verbergen kann. Im Schul- und Jugendalter kommt noch hinzu, dass abdominelle Beschwerden auch einen Spiegel psychischer Probleme darstellen können, die häufig in Form von unspezifischen, meist periumbilikalen Schmerzen somatisiert werden.

Bei der Frage nach der richtigen, altersgerechten Therapie kommt das Wissen um die sehr hohe Selbstheilungsrate zum Tragen, viele Befindlichkeitsstörungen sind allein durch diätetische Maßnahmen und Förderung einer ausgewogenen Ernährung und Bewegung heilbar. Als Zeichen unserer Zeit sind Bauchschmerzen zunehmend durch ungesunde, nicht kindgerechte Ernährung, Bewegungsarmut und ballaststoffarme Kost ausgelöst, abgesehen davon, dass die Inzidenz von Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Sensibilitäten oder echten Allergien im Steigen begriffen ist.

Die Phytotherapie bietet vor allem bei den moderaten bis milden Beschwerdebildern, wie z. B. der viralen Enteritis, den Meteorismen, der Dyspepsie und den funktionellen Verdauungsbeschwerden ein vielschichtiges Einsatzgebiet. Traditionelle Arzneipflanzen, wie die Kamille, die Pfefferminze oder die Malve sind meist in der Hausapotheke vorhanden und werden gerne bei ersten Anzeichen von den Betreuungspersonen auch ohne vorherige Arztkonsultation herangezogen [1]. Zunehmend jedoch wird der Trend zur Einforderung von schneller Abhilfe gegen die abdominellen Beschwerden beobachtet; das Kind soll möglichst bald wieder in Kinderbetreuungseinrichtungen integrierbar sein – Platz und Zeit für Selbstheilung bleiben kaum.

Alarmsymptome wie kritischer Flüssigkeitsverlust, drohende Exsikkose, ungewollter Gewichtsverlust sowie Anzeichen für ein akutes Abdomen dürfen dabei nicht übersehen werden.

Reflux im Säuglingsalter

Bereits im frühen Säuglingsalter kann Johannisbrotmehl oder Maisstärke zum Andicken der Milchnahrung (Muttermilch oder Formula-Nahrung) bei Kindern mit gastro-ösophagealem Reflux (GÖR) herangezogen werden. Diese Kinder (oft „Spei-, aber Gedeihkinder“ genannt) weisen in der Regel eine zufriedenstellende Gewichtszunahme auf, leiden jedoch unter dem sauren Reflux, der mitunter bis zu einer Refluxösophagitis führen kann. Das Andicken der Nahrung, verbunden mit der strikten Oberkörperhochlagerung speziell nach dem Trinken hilft, den häufigen und schmerzhaften Refluxepisoden vorzubeugen. Ein genereller, unkritischer Einsatz von Andickungsmitteln oder Anti-Reflux-Formula wird von der Ernährungskommission der ESPGHAN (European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition) wegen der eventuellen Verschleierung der Symptomatik abgelehnt. Der Einsatz sollte vor allem bei Kindern mit pathologischem GÖR und Gedeihstörung unter ärztlicher Aufsicht erfolgen [2].

Karminativa und die Estragol-Diskussion

Die typischen sogenannten „Dreimonatskoliken“ sind pathogenetisch nicht immer nur auf schmerzhafte Meteorismen zurückzuführen, sondern können auch Zeichen einer mikrobiellen Imbalance, einer Überfütterung, eines zu kurzen Zungenbändchens oder einer Kuhmilcheiweißintoleranz sein. Das Behandlungskonzept ist multimodal, es beinhaltet viel Aufklärung, Zuwendung und Zeit. Bislang war auch – traditionell gewachsen – der Einsatz von Karminativa wie Fenchel-, Anis- und Kümmelfrüchten und deren Zubereitungen, wie Tees, Tropfen, Einreibungen und Suppositorien ein fixer Bestandteil in der Behandlung der Säuglingskoliken … Bislang, denn toxikologische Studien an der Reinsubstanz Estragol (z. B. enthalten im ätherischen Öl von Foeniculum vulgare Mill. var. vulgare und var. dulce) haben Aufsehen erregt und viel Verunsicherung hervorgerufen. Untersuchungen an Mäusen und Ratten und an isolierten Leberzelllinien haben ergeben, dass Estragol, wie auch andere Phenylpropanderivate dosisabhängig karzinogene und mutagene Veränderungen hervorrufen können.

Das im März 2022 vom Herbal Medicinal Product Committee (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur aktualisiert veröffentlichte Dokument „Public statement on the use of herbal medicinal products containing estragole“ [3] zeigt die Komplexität der Thematik, von toxikologischen Studien an Versuchstieren oder deren Zellen eine Risikoabschätzung für den Menschen, und hier im speziellen für Kinder und Schwangere abzugeben. Im vorliegenden Dokument wird zu Recht hinterfragt, inwiefern sich tierexperimentell beobachtete Phänomene an der Reinsubstanz auch im komplexen Gemisch eines wässerigen Extraktes wiederfinden und ob in Anbetracht der Phenylpropanoid-Grundexposition in der menschlichen Bevölkerung und einer mittleren Übergangsrate von Estragol aus der Frucht in den Tee mit weniger als 2% überhaupt mit einem Risiko zu rechnen ist. Aus dem Dokument des HMPC ist somit kein genereller Grenzwert abzuleiten, es wird jedoch empfohlen, die Einnahme von Estragol aus pflanzlichen Arzneimitteln gering zu halten. Durch rechnerische, auf kg Körpergewicht bezogene Extrapolation vom Tier auf den Menschen wird ein Richtwert für die maximale (lebenslange) Einnahme von Estragol, der sog. „Guidance Value“, von 0,05 mg/Tag für Erwachsene definiert und daraus abgeleitet für Kinder unter 11 Jahren ein ebensolcher von 1 µg pro kg Körpergewicht pro Tag (siehe dazu auch Lit. [4], [5]).

Was bedeutet dies für die Praxis?

Dürfen in der Pädiatrie nun keine Zubereitungen von Fenchel mehr empfohlen werden? Als Alternative bleibt das synthetische Dimethicon mit dürftiger Studienlage bei Säuglingskoliken und einer therapeutischen Erfahrung von nicht mehr als 50 Jahren [6]. Verglichen mit der weitaus längeren traditionellen Anwendung von Fenchel und ähnlichen Karminativa in der Kinderheilkunde gibt dies zu denken, und umso mehr ist es begrüßenswert, dass sich sowohl die GPT als auch Plants for Health (GA) und die Kooperation Phytopharmaka in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Kaiserslautern dieses Themas angenommen haben.

Enteritis

Bei der Therapie der infektiösen Enteritis sind traditionelle Konzepte, wie getrocknete Heidelbeeren oder Karottensuppe nach Moro hinsichtlich der Wirkprinzipien mittlerweile aufgeklärt. In der Moroschen Karottensuppe sind es saure Oligosaccharide [7], die die Adhärenz von pathogenen Mikroorganismen an die Darmschleimhaut hemmen und somit einen initialen Schritt in der Pathogenese der Erkrankung unterbinden. Virale und bakterielle Keime werden durch diese Adhärenzblockade rasch und effizient über den Stuhl eliminiert, die Enteritis heilt schneller ab [Abb. 1].

Extrakte aus der Heidelbeere finden sich auch als Zusatz zu bilanzierten Glukose-Elektrolytlösungen, die darin enthaltenen Anthocyanidine [8] wirken reizlindernd, entzündungshemmend und adstringierend.

Obstipation

Bei der habituellen Obstipation, die v. a. im Kleinkindesalter mit starken Bauchschmerzen einhergeht und zunehmend beobachtet wird, müssen nicht immer synthetische Laxantien oder Klysmata zum Einsatz kommen. Eine konsequente Ernährungsumstellung auf ballaststoffreiche, zuckerarme Diät sowie der Einsatz von Semen Lini (Linum usitatissimum L.) oder Semen Psylli (Plantago afra L., Plantago indica L.) können da bereits Abhilfe schaffen. Auch hier besteht eine beschränkte Anwendungsempfehlung des HMPC, diese nicht unter 6 Jahren zu verabreichen, obgleich es in der pädiatrischen Praxis und der Hausmedizin hierorts anders gehandhabt wird. Ist jedoch die Obstipation sehr hartnäckig und wird zu spät interveniert, so ist der Einsatz von Phytotherapeutika meist nicht mehr ausreichend. Drogen und Extrakte mit Anthrachinonen sind im Kindesalter jedenfalls kontraindiziert (z. B. Sennesblätter und -früchte, Faulbaumrinde, Aloe oder Rhabarberwurzel).

Andere Magen-Darm-Beschwerden

Bei dyspeptischen Magen-Darm-Beschwerden oder gastritischen Schmerzen ist nach wie vor der klassische Kamillentee, evtl. in Kombination mit anderen antiinflammatorischen und beruhigenden Arzneipflanzen indiziert (z. B. Schafgarbe, Achillea millefolium L., Pfefferminze, Mentha×piperita L., Melisse, Melissa officinalis L.). Auch zugelassene Phytopharmaka haben sich bei Kindern und Jugendlichen bewährt, so die Kombination eines Presssaftes aus der Bitteren Schleifenblume mit Extrakten aus Kümmel, Süßholzwurzel, Pfefferminzblättern, Kamillenblüten, Schöllkraut, Mariendistelfrüchten und Angelikawurzel (STW-5) [9]. Aufgrund der 2018 erstmals in Deutschland beobachteten Lebertoxizität, die möglicherweise auf den Schöllkrautanteil zurückgeführt werden kann, bietet sich für die Pädiatrie eher eine Schöllkraut-freie Rezeptur an, wobei bei dieser jedoch Studien an Kindern unter 12 Jahren gänzlich fehlen.

Pfefferminzöl zeigte sich in einer Studie [10] erfolgreich beim kindlichen Reizdarmsyndrom (engl. irritable bowel syndrome, IBS), das sich in der modernen Literatur als eigene Krankheitsentität (ICD-10 K58.-) etabliert hat. Dabei handelt es sich um Bauchschmerzen meist rund um den Nabel bei 5- bis 15-jährigen Kindern, die unabhängig von Nahrungsmitteln und mit wechselnder Stuhlkonsistenz beobachtet werden. Die Befindlichkeitsstörung ist als Ausschlussdiagnose zu sehen und kann durch immer wiederkehrende Beschwerden und dadurch bedingte häufige Fehlzeiten in der Schule den Alltag eines Kindes und dessen Familie immens beeinträchtigen. In einem Review von Studien an Erwachsenen und Jugendlichen mit Reizdarmsyndrom hat sich das Pfefferminzöl gegenüber dem Einsatz von synthetischen Spasmolytika als überlegen erwiesen [11] [12]. Die Kombination von Pfefferminzöl und ätherischem Kümmelöl (90 mg WS 1340 /50 mg WS 1520) ist für Kinder ab 12 Jahren zugelassen und eignet sich besonders für stressinduzierte abdominelle Probleme. Eine Einnahmedauer von mehr als 2 Wochen sollte nur nach ärztlicher Kontrolle und ggf. weiterer diagnostischer Schritte erfolgen.

Ausblick

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es für Phytotherapeutika eine Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten bei Magen-Darm-Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter auch heute noch gibt. Angesichts der hohen Inzidenz von Bauchschmerzen bei Kindern werden pflanzliche Arzneimittel in Zukunft sicher gefragt sein. Mit dem Wissen um deren Inhaltsstoffe und den Erkenntnissen aus pharmakologischen, toxikologischen und klinischen Studien sollte der bestmögliche Benefit für eine sichere und kindgerechte Anwendung gewonnen werden. Dazu bedarf es jedoch größerer Anstrengungen, da es generell um Kinderstudien schlecht bestellt ist, Dosisempfehlungen bei magistralen Rezepturen oder Teegemischen oft fehlen und die Empfehlungen der EMA/HMPC sehr zurückhaltend formuliert sind, speziell was das Alterslimit betrifft. Letztlich wird sich aber ein interdisziplinärer Einsatz für die weiterhin sichere Anwendung von pflanzlichen Arzneimitteln bei Kindern nicht nur aus pädiatrischer Sicht, sondern vor allem im Sinne der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen lohnen.

Dr. Ulrike Kastner
Fachärztin  für Kinder- u. Jugendheilkunde

Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

[1] Bühring U, Ell-Beiser H, Girsch M. Heilpflanzen in der Kinderheilkunde. 2. Aufl. Stuttgart: Haug; 2013

[2] Agostoni C. ESPGHAN Committee on Nutrition. Antireflux or antiregurgitation milk products for infants and young children: a commentary by the ESPGHAN Committee on Nutrition. Acta Paediatr 2004; 93: 456

[3] European Medicines Agency. Use of herbal medicinal products containing estragole. 2022 www.ema.europa.eu/en/use-herbal-medicinal-products-containing-estragole-scientific-guideline

[4] Wiesner J. Bewertung des kanzerogenen Risikos von Estragol. 85. Jahrestagung der DGPT, Stuttgart. 2019

[5] Saller R. Keine Angst vor Fencheltee [Abstractband]. 30. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie. Baden. 2015 archiv.smgp.ch/smgp/archiv/jahrestagungenf/jahrestagung2015.html

[6] Meier R, Steuerwald M. Eine Übersicht der therapeutischen Anwendungen von Simethicon in der Gastroenterologie. Schweiz Z Ganzheitsmed 2007; 19: 380-387

[7] Kastner U, Glasl S, Follrich B. et al. Acid oligosaccharides as the active principle of aqueous carrot extracts for prevention and therapy of gastrointestinal infections. Wiener Med Wochenschr 2002; 152: 379-381

[8] Piberger H, Oehme A, Hofmann C. et al. Bilberries and their anthocyanins ameliorate experimental colitis. Mol Nutr Food Res 2011; 55: 1724-1729

[9] Ottillinger B, Storr M, Malfertheiner P, Allescher HD. STW 5 (Iberogast) – a safe and effective standard in the treatment of functional gastrointestinal disorders. Wiener Med Wochenschr 2013; 163: 65-72

[10] Kline RM, Kline JJ, Di Palma J, Barbero GJ. Enteric-coated, pH-dependent peppermint oil capsules for the treatment of irritable bowel syndrome in children. J Pediatr 2001; 138: 125-128

[11] Weerts ZZRM, Masclee AAM, Witteman BJM. et al. Efficacy and safety of peppermint oil in a randomized, double-blind trial of patients with irritable bowel syndrome. Gastroenterology 2020; 158: 123-136 DOI: 10.1053/j.gastro.2019.08.026.

[12] Ford AC, Talley NJ, Spiegel BM. et al. Effect of fibre, antispasmodics, and peppermint oil in the treatment of irritable bowel syndrome: systematic review and meta-analysis. BMJ 2008; 337: a2313 DOI: 10.1136/bmj.a2313.