InterviewQuo vadis, Kurortmedizin?

Die Verlagerung von Kurortangeboten in den zweiten Gesundheitsmarkt eröffnet auch Chancen: Sich wieder dem Individuum widmen und auf die persönlichen Möglichkeiten und Erwartungen eingehen. Ein Gespräch mit Prof. Karl-Ludwig Resch.

Kurpark, Bäume, Weg
Quelle: K. Oborny/Thieme

Am Kurort hat man mehr Möglichkeiten, Veränderungen zu initiieren, da die Menschen dort keinen Zugriff auf ihren Alltag haben.

Die Verlagerung von Kurortangeboten in den zweiten Gesundheitsmarkt eröffnet auch Chancen: Sich wieder dem Individuum widmen und auf die persönlichen Möglichkeiten und Erwartungen eingehen. Ein Gespräch mit Prof. Karl-Ludwig Resch.

Herr Professor Resch, Sie sind Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin – wann haben Sie begonnen, sich mit naturheilkundlichen Verfahren zu beschäftigen?

Das Fachgebiet der Physikalischen Medizin beinhaltet ja die Naturheilkunde und v. a. die kurörtliche Medizin. Es gibt in allen ärztlichen Fachgebieten naturheilkundliche Aspekte. Das naturheilkundliche Konzept ist in der studentischen Ausbildung im Bereich der Physikalischen Medizin angesiedelt. Also die Regulationsmedizin, die Kurortmedizin, die klassische Naturheilkunde gehören zur Physikalischen Medizin.

Wie ist das Verhältnis der Fachgebiete zueinander?

Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. In den meisten Fachgebieten erfolgt der Einsatz naturheilkundlicher Verfahren eher anwendungsorientiert, ohne das Grundkonzept weiterzuentwickeln. Ein Facharzt für Naturheilkunde existiert nicht, und es gibt auch nicht wirklich flächendeckend Lehrstühle für Naturheilkunde. Sie sind nicht systematisch verortet, sondern eher interdisziplinär angesiedelt. Umgekehrt gibt es kaum noch Lehrstühle für Physikalische Medizin. Sie sind in den letzten 20 Jahren von einzelnen Fachgebieten usurpiert worden. Deshalb stehen naturheilkundliche Elemente verschiedener Fachgebiete heute kaum zueinander in Beziehung.

Die meisten naturheilkundlichen Verfahren werden von den Krankenkassen nicht erstattet.

Was erstattet wird, folgt zwei maßgeblichen Spielregeln:

  1. Der § 12 im Sozialgesetzbuch V besagt, dass Verfahren notwendig, ausreichend und zweckmäßig sein müssen.
  2. Es muss eine hinreichende Evidenz vorhanden sein, damit die Krankenkassen ein Verfahren überhaupt erstatten dürfen.

Darum ist es aus meiner Sicht sehr problematisch, über IGeL-Leistungen herzuziehen, weil sie laut Gesetz gar nicht erstattet werden dürfen. Sie sind deswegen nicht automatisch irgendwelche Scharlatanerien. Dass im Paket der nicht erstatteten Leistungen auch Scharlatanerie dabei ist, ist eine andere Frage.

Haben Sie ein Beispiel?

Etwa um das Jahr 2000 herum hat der Gemeinsame Bundesausschuss beschlossen, dass die Sole-Photo-Therapie bei Psoriasis nicht mehr von den Kassen erstattet werden darf. Mit einem einfachen Argument: Wir wissen, dass seit 50 Jahren sehr gute Erfahrungen vorliegen, aufseiten der Patienten und der behandelnden Ärzte. Aber es liegen keine randomisiert kontrollierten Studien mit der notwendigen Anzahl an Patienten vor, die eine Einteilung nach den aktuellen Evidenzstandards in die Evidenzklasse 1b oder 2a zulassen. Deshalb wird die Erstattung so lange verwehrt, bis ein solcher Nachweis vorliegt.

Wir haben dann gemeinsam mit dem Berufsverband der Dermatologen eine große Studie mit 1200 Patienten sowie zwei weitere Studien mit dem Deutschen Heilbäderverband durchgeführt. Dann lag genügend Evidenz vor, und die Sole-Photo-Therapie bei Psoriasis wurde wieder in die Erstattung aufgenommen.

Ist es immer eine finanzielle Frage?

Die Studie war möglich, weil der Berufsverband der Dermatologen sehr viel Geld aufgebracht hat. Aber: Bis zur Wiederzulassung sind fast 10 Jahre vergangen. Das heißt, man muss immer auch davon ausgehen, dass wirksame Verfahren nicht in der Erstattung drin sind, weil entweder die Mittel fehlen oder ein Verfahren noch nicht so lange auf dem Markt ist.

Viele Verfahren, wie die Akupunktur, Blutegel, Kartoffelwickel, sind nicht patentierbar. Es lohnt sich für einzelne Anbieter nicht, in große Studien zu investieren. Das gilt auch für die Rehabilitation, für sprechende Verfahren oder die Atemtherapie. Man weiß, dass die Verfahren funktionieren, aber große Studien kann sich niemand leisten. Deshalb sind sie nicht in der Erstattung.

Als Goldstandard gilt die randomisierte placebokontrollierte Studie. Ist dieses Studiendesign immer sinnvoll?

Über RCTs lässt sich der Kausalzusammenhang zwischen einer Intervention und einem therapeutischen Effekt belegen. Allerdings besteht zurzeit ein besonderer Druck, placebokontrollierte Studien durchzuführen, weil Arzneimittelbehörden für die Zulassung zwingend eine ausreichend große placebokontrollierte Studie fordern. Das ist momentan ein Grundproblem der evidenzbasierten Medizin.

Ein Bericht aus den USA, den die Regierung 2009 in Auftrag gegeben hat, konstatiert eine sehr große Anzahl von Studien, in denen pharmazeutische Substanzen gegen Placebo getestet wurden, aber kaum Studien, die verschiedene therapeutische Optionen miteinander vergleichen. Etwa, ob ein blutdrucksenkendes Medikament oder eine intensivierte Bewegungstherapie und Gewichtsabnahme besser wirken. Der Vergleich zwischen verschiedenen therapeutischen Verfahren ist wissenschaftlich kaum untersucht.

Was wäre ein geeignetes Studiendesign?

Die Ebene von Fragestellungen ist eine andere, z.B.: Kann ich mit Verfahren X vergleichbar erfolgreich therapieren wie mit Verfahren Y? Oder: Wird Therapieverfahren X von allen Menschen gleich gut akzeptiert? Oder gibt es auch Teile der Bevölkerung, die für ein potenziell wirksames Verfahren nicht infrage kommen, weil es zu kompliziert, zu unangenehm usw. ist? Diese Fragen lassen sich durch die sog. Effectiveness-Forschung beantworten, die in Deutschland kaum verbreitet ist. Placebokontrolle und doppelte Verblindung sind notwendige methodische Ansätze für die exakte Quantifizierung eines spezifischen Effekts. Für alle anderen Fragestellungen sind sie nicht geeignet.

Haben Sie ein Beispiel?

Gerade für naturheilkundliche Ansätze macht eine placebokontrollierte Studie oft keinen Sinn. Nehmen wir z.B. die Kneipp’schen wechselwarmen Duschen. Der Vergleich mit Placebo bei doppelter Verblindung wäre eine akademische Untersuchung ohne praktische Relevanz.

Das Verfahren des wechselwarmen Duschens setzt voraus, dass sich ein Mensch dafür entscheidet und am Wasserhahn den richtigen Hebel dreht. Diese bewusste Entscheidung muss man in die Untersuchung einbeziehen. Mit diesen Problematiken hat die naturheilkundliche Forschung häufig zu kämpfen. Die apodiktische Forderung nach placebokontrollierten Studien für die evidenzbasierte Medizin ist auch im Interesse der Patienten oft einfach unsinnig.

 Was bedeutet das für die Kurortmedizin, die ja häufig mit standortgebundenen natürlichen Heilmitteln arbeitet?

Der Vorteil der meisten naturheilkundlichen Verfahren ist, dass sie sehr kostengünstig sind. Deshalb neige ich zunehmend dazu, nicht mehr unbedingt bei allem eine Erstattung zu fordern. Die Spielregeln einer kassenfinanzierten Therapie stehen vielen naturheilkundlichen Therapieansätzen im Weg. Gerade die Kurortmedizin ist eine nachgelagerte Medizin. Sie kommt i.d.R. erst ins Spiel, wenn ein Patient bereits beim Hausarzt, beim Facharzt, in Spezialambulanzen usw. behandelt worden ist und das Problem des Patienten weiter besteht.

Die Kurmedizin hat sich übrigens 200 Jahre lang als rein private Medizin entwickelt. Erst seit den 1950er-Jahren gab es sie auf Krankenschein. Ich sehe heute eine große Chance darin, dass man als Kurortmediziner vom leitlinienbasierten Handlungskorridor weitgehend befreit ist. Die moderne Evidenz ist pathologiezentriert und hat mit dem Individuum nichts zu tun. Kurortmedizinisch kann ich mich wieder dem Individuum widmen und auf die persönlichen Möglichkeiten und Erwartungen eingehen.

Von Kneipp stammt das Zitat: „Die Bewegung soll den Präferenzen des Patienten folgen.“ Das wird heute in der modernen Medizin oft nicht berücksichtigt. Nach einem Herzinfarkt muss man auf das Fahrradergometer, ganz gleich, ob es für den jeweiligen Patienten eine Lösung ist, die er in sein Leben implementieren kann oder nicht. Im naturheilkundlichen, auch im Kneipp’schen Sinne individualisiere ich den therapeutischen Ansatz: Ich schaue, was zu ihm, zu seinem Lebensumfeld, aber auch zu seinen Erwartungen und seinem Verständnis passt.

Viele Kurorte sind in den letzten Jahrzehnten verwaist oder haben ihre Angebote in den zweiten Gesundheitsmarkt verlagert. In welcher Form hat die Kurortmedizin in Deutschland eine Zukunft?

Dass sich die Kurortmedizin in den zweiten Gesundheitsmarkt verlagert hat, muss nicht unbedingt schlecht sein. Es eröffnet mehr Möglichkeiten, das Therapiekonzept zu gestalten. In vielen Kulturen finden wir Analogien, z. B. im Ayurveda, in der TCM und der europäischen Naturheilkunde: das Verständnis von Krankheit als mangelndes inneres physiologisches Gleichgewicht. Jede Kultur geht anders heran, die Ziele sind jedoch ähnlich. Ebenso verhält es sich aus meiner Sicht mit dem kurortmedizinischen Ansatz.

Die Akzeptanz, andere Konzepte einer Kur in Anspruch zu nehmen, ist gestiegen. Die meisten Menschen können sich eine Auszeit von 6 Wochen am Kurort weder zeitlich noch finanziell leisten. Also müssen wir Konzepte entwickeln, bei denen der kurortmedizinische Anteil am Kurort ein Einstieg ist. Sozusagen ein Trainingslager, bei dem der Gast oder Patient so geführt und unterstützt wird, dass er zu Hause die Veränderungen fortführen und verstetigen kann. Man hat mehr Möglichkeiten am Kurort, da der Patient dort keinen Zugriff auf seinen Alltag hat.

„Naturheilkundliche Verfahren wirken unspezifisch, aber regulatorisch breit und intensiv.“

Wo liegen die Chancen naturheilkundlicher Therapien?

Im gesamten Bereich der sog. somatischen Dysfunktionen, Befindensstörungen, Somatisierungsstörungen ist die Spezifik der einzelnen medizinischen Fachgebiete oft wenig hilfreich. Weil sich diese Erkrankungen eben nicht z.B. auf einer rein somatischen Ebene abspielen. Beschwerden wie Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Verdauungsstörungen usw. bekommt man mit dem vorherrschenden schulmedizinischen Ansatz der Organbezogenheit oft nicht in den Griff. Es handelt sich häufig um komplexe Regulationsstörungen, bei denen das vegetative Nervensystem beteiligt ist.

Mit naturheilkundlichen Verfahren können wir anders eingreifen, z.B. mit Wasseranwendungen oder Moorbädern. Diese Anwendungen wirken medizinisch betrachtet eher unspezifisch, aber regulatorisch breit und intensiv. Damit können wir eine ganzheitliche Gegenregulation von Funktionsketten erreichen, anders als in der Schulmedizin, deren Maßnahmen typischerweise auf einzelne metabolische Schritte oder ein bestimmtes Symptom beschränkt sind.

 

Karl-Ludwig Resch ist Facharzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation. 1994 habilitierte er sich im Fach Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Universität Wien. Nach Station an der University of Exeter als Senior Lecturer in Complementary Medicine war er von 1996–2006 Direktor des Forschungsinstitutes für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster. 1999 außerplanmäßige Professur für den Bereich „Physikalische Medizin und Rehabilitation“ an der Technischen Universität Dresden. Seit 2007 leitet Resch das Deutsche Institut für Gesundheitsforschung in Bad Elster.

 

Mit den Veränderungen an den Kurorten gehen naturheilkundliche Verfahren verloren. Können Sie ein Beispiel nennen?

Vor 40 Jahren gab es in Bad Wörishofen noch viele Sanatorien, die die ganze Palette der Kneipp-Anwendungen einsetzten. Angefangen bei den morgendlichen Bettanwendungen, über die Wickel bis hin zu einer regulationsmedizinischen Phytotherapie. Heute findet man an den Kneipp-Orten nur noch wenige, die diese Anwendungen umfassend praktizieren. Man findet v.a. Versatzstücke wie ein Wassertretbecken. Deshalb können wir auch nicht erwarten, dass davon wirklich Effekte ausgehen.

Es fehlt das Umfassende, Ganzheitliche?

Ja, und es fehlt auch das Denken dahinter: Was will ich damit erreichen? Bleiben wir beim Beispiel des Wassertretens bei Kneipp. Es bringt nichts, in einen Kneipp-Kurort zu fahren und Wassertreten zu praktizieren. Zunächst muss man sich die Frage stellen, welche Beschwerden angegangen werden sollen und welche Maßnahmen geeignet sein könnten. Und: Einen solchen Aufenthalt muss man planen.

Ein gestresster Mensch wird nichts erreichen, wenn er im Kurort den ganzen Tag im Wellnessbereich verbringt. Es gibt gute Untersuchungen, die zeigen, dass der Effekt eines nicht zielorientierten Urlaubs in wenigen Tagen bis Wochen verpufft. Unabhängig davon, ob man eine oder mehrere Wochen im Urlaub war. Es fehlt sozusagen der Trainingslagereffekt mit einem Ziel, wo man am Ende stehen möchte. Dafür sind aufeinander abgestimmte, aufbauende Module in der richtigen Reihenfolge, Häufigkeit und Dauer notwendig.

Zum Beispiel müssen sich bei der Bewegung Krafteinheiten mit Ruhephasen und aktiver Entspannung abwechseln. Es funktioniert also nur mit einem zielorientierten und für den jeweiligen Menschen geeigneten Gesamtkonzept.

Kurortmedizin ist im Wesentlichen eine Regulationsmedizin – ein Training der Eigen- und Selbstregulation. Und damit sind wir wieder beim Individuellen. Sie ist nicht einfach für alle gleich zu verordnen, sondern wir müssen individuell entscheiden: Ist dieser Mensch schon so weit, dass wir die Intensität einer Behandlung steigern können? Oder ist er sehr sensibel, sodass wir die Intensität noch einmal zurückfahren müssen?

„Kurortmedizin ist eine Regulationsmedizin – ein Training der Eigen- und Selbstregulation.“

Das Individuelle spielt also die entscheidende Rolle?

Genau. Eine Kur unterscheidet sich grundsätzlich von einem Medikament, das z.B. bei Bluthochdruck den Körper zu einer Absenkung zwingt, eine extern induzierte Veränderung, die schnell sistiert, wenn das Medikament abgesetzt wird.

Der naturheilkundliche Ansatz zielt darauf ab, die innere Regulation zu trainieren und so neu zu justieren. Dazu müssen wir uns mit dem Individuum und seiner Reaktion auf Reize viel intensiver beschäftigen.

Sie leiten das Deutsche Institut für Gesundheitsforschung in Bad Elster. Welches sind Ihre Forschungsschwerpunkte? Was waren Highlights?

Ein Highlight war die Studie zur Sole-Photo-Therapie bei Psoriasis. So etwas passiert einem nicht oft, dass man die entscheidende Studie durchführt und ein Verfahren wieder allgemein verfügbar und in den Erstattungskatalog aufgenommen wird.

Ich habe vor 30 Jahren v.a. mit Grundlagenforschung begonnen, z.B. mit Fließeigenschaften des Blutes und Mikrozirkulation. In meiner beruflichen Laufbahn bin ich dann immer weiter in die praktische Seite gegangen, die anwendungsorientierte Forschung. Wir schauen sehr praxisnah, ob und wie eine Therapie funktioniert und an welchen Stellen man optimieren kann. Dazu gehören auch methodisch gut gemachte Anwendungsbeobachtungen.

Sie beschäftigen sich seit einiger Zeit auch mit Osteopathie?

Die Osteopathie ist ja auch ein naturheilkundlicher Ansatz mit einem eigenen medizinischen Grundkonzept. Man geht von einer Dysfunktion als Auslöser von Beschwerden aus, die sich unterschiedlich manifestieren können. Mit der osteopathischen Behandlung wird versucht, die Dysfunktion aufzulösen und den Körper zu unterstützen, Funktionen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Man sieht dann typischerweise, dass die Symptome an Stellen des Körpers verschwinden, die nicht unmittelbar behandelt wurden.

Die Osteopathie wird in Deutschland auch nur in wenigen Bereichen erstattet und dort nur sehr stark standardisiert. Ein Osteopath muss aber bei jeder Behandlung den Einzelnen von Kopf bis Fuß untersuchen, um herauszufinden, wo jeweils aktuell eine möglicherweise relevante Dysfunktion vorhanden ist und behandelt werden kann. Das heißt, er hat kein vordefiniertes Set von Techniken. Deshalb bieten Osteopathen ihre Leistungen meist besonders erfolgreich privat auf dem zweiten Gesundheitsmarkt an. Patienten entscheiden sich also bewusst für eine osteopathische Therapie. Damit kommen für den Klienten zwei Kriterien ins Spiel: Wie groß ist die Chance auf Veränderung und wie viel Veränderung kann ich erwarten? Diese beiden Kriterien sind für uns als Privatmenschen in allen Lebensbereichen wichtig.

Wie lässt sich das in der Forschung abbilden?

Diese Fragestellung lässt sich nicht gut mit einer placebokontrollierten Studie beantworten, wohl aber einem Ansatz, der auch Kofaktoren mit einbezieht, die etwa in der pharmazeutischen Forschung verpönt, im ICF-Konzept der WHO aber enthalten sind. Nämlich die persönlichen und die Kontextfaktoren. Diese Faktoren wirken in der Praxis ja auch mit.

Manchmal hilft ein RCT gar nicht weiter. Zum Beispiel habe ich vor zwei Jahren im Rahmen einer osteopathischen Studie eine große Anzahl von Fragebögen ausgewertet. Es kam heraus, dass 6 von 7 Menschen, die zu einem Osteopathen gehen, schon einmal bei einem Osteopathen waren. Das zeigt klar, dass viele Menschen subjektiv nicht enttäuscht waren. Ähnliche Untersuchungen machen wir auch am Kurort. Ich befrage Menschen zu ihrer subjektiven Zufriedenheit, was sie hier für ihr Geld bekommen haben.

Das ist nicht so willkürlich, wie es möglicherweise klingt. In den USA hat die American Medical Association schon vor 15 Jahren ein Buch publiziert: „Evidence-Based to Value-Based Medicine“. „Value for Money“ meint genau diesen privatwirtschaftlichen Ansatz, der für uns als mündige Bürger so wichtig ist.

Wäre das auch ein Weg für die Kurortmedizin?

Vor dem Hintergrund, dass es am Kurort nicht um Neuerkrankungen mit noch nicht abschätzbarem Risiko geht, sondern um persitierende, vor allem subjektiv inakzeptable Störungen von Gesundheit und Wohlbefinden, nachdem schulmedizinisch die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft sind, halte ich das für einen legitimen Weg. Und auch für einen besonders vielversprechenden Weg in der Neu- bzw. Weiterentwicklung vieler naturheilkundlicher, nicht zuletzt auch kurortmedizinischer Ansätze.

Das Gespräch führte Anke Niklas.

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