Ernährung"Ohne Zucker keine Karies"

Ernährungsassoziierte Erkrankungen sind inzwischen so weit verbreit, dass sie weltweit die Hauptursache aller Todesfälle darstellen. Der wachsende Zuckeranteil in Lebensmitteln trägt erheblich dazu bei.

Treppe aus Würfelzucker mit rotem Pfeil nach oben
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Der Zuckerkonsum ist in den letzten Jahrzehnten regelrecht explodiert.

Ernährung unter medizinischen und zahnmedizinischen Aspekten

Beim Thema Ernährung liegen die Gemeinsamkeiten zwischen Medizin und Zahnmedizin wissenschaftsbasiert auf der Hand. Ernährungsassoziierte Erkrankungen stellen weltweit die Hauptursache aller Todesfälle weltweit dar. Das betrifft den Mundraum wie systemische Erkrankungen gleichermaßen: Eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats wie die Parodontitis hat erwiesenermaßen direkte Auswirkungen auf die systemische Erkrankung Diabetes mellitus. Inzwischen werden über ein Drittel aller Kosten im Gesundheitssystem durch nichtübertragbare Erkrankungen verursacht. Medizin und Zahnmedizin identifizieren in der Ursachenforschung u.a. einen gemeinsamen Grund: den wachsenden Zuckeranteil in unserer Nahrung.

Darüber berichteten der Ernährungsmediziner und Diabetologe Dr. Matthias Riedl und die Zahnmediziner Prof. Roland Frankenberger und Prof. Johan Wölber auf einer Pressekonferenz.

Zucker: Dosisabhängiges Gift

„Der stetig steigende Zuckeranteil in der Ernährung ist einer der wichtigsten Gründe für diese dramatischen Zahlen. Zucker wird heute als dosisabhängiges Gift betrachtet“, erklärte Riedl.

„Die Vielzahl an gesundheitlichen Folgen eines hohen Zuckerkonsums erstreckt sich in ein erhöhtes Entzündungspotential von Zahn, Zahnfleisch, Gelenken, der Haut und anderer Organe. Des weiteren wird das Immunsystem geschwächt und die Infektanfälligkeit erhöht sich. Magen- und Darmbeschwerden werden gefördert. Die Darmflora leidet unter hohem Zuckerkonsum. Sogar Schlafprobleme können auftreten.“

Zu den bekanntesten gesundheitlichen Risiken gehöre Diabetes mellitus Typ 2. Es werde vermutet, dass schon 2040 etwa 12,3 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt sein werden, wenn sich der Zuckerkonsum nicht verringere. Beschleunigte Arterienverkalkung mit hoher Infarktgefahr sei eine der wichtigsten Folgen des Diabetes mellitus. „Rund 70 Prozent der 60.000 Amputationen in Deutschland werden bei Menschen mit Diabetes durchgeführt.“ Riedl führte weiter aus:

Warum ist der Mensch für Zucker so empfänglich?
  • Zucker ist seit Jahrhunderten in der Natur vorhanden.
  • Der süße Geschmack ist eine angeborene Vorliebe, da Muttermilch eine hohe Menge an Milchzucker enthält.
  • Das Belohnungszentrum des Gehirns wird durch Süßes aktiviert.
  • Zuckerkonsum ist von der Gesellschaft antrainiert.
Welche Folgen hat zu hoher Zuckerkonsum?

Insbesondere in Fertigprodukten sei oft viel Zucker enthalten. Hoher Zuckerkonsum kann zu Abhängigkeit und Stimmungsschwankungen führen, Darmkrebs sowie Zivilisations- und entzündliche Krankheiten fördern. Zucker ist zudem ein Stimmungsaufheller. Allerdings tritt mit der Zeit ein Gewöhnungseffekt ein und der Körper benötigt mehr Zucker, um denselben Effekt zu erzielen. Es kommt zu Heißhungerattacken, die besonders bei Menschen mit Übergewicht und Diabetes ungünstig sind.

Zu viel Zucker erhöht das Risiko für:

  • psychsiche Folgen: Zuckersucht, Leistungs- und Stimmungsminderung
  • immunologische Folgen: das Immunsystem wird geschwächt, die Darmflora geschädigt
  • Entzündungen: zu viel Zucker wirkt entzündungsfördernd, z.B. für Parodontitis, Rheuma, Neurodermitis
  • Krebs: hoher Zuckerkonsum ist assoziiert mit erhöhtem Krebsrisiko 
Zucker schrittweise reduzieren

Riedl empfiehlt, den Zuckerkonsum schrittweise zu reduzieren: Zunächst sollte ein Bewusstsein geschaffen werden, in welchen Nahrungsmitteln wie viel Zucker enthalten ist. Im nächsten Schritt folgt dann die schrittweise Reduktion mit Ziel von 25-50 g Zucker pro Tag.

Die größten Zuckerfallen sind: Fertigprodukte, Limonaden und Obstsäfte, Lebensmittel mit der Aufschrift "fettreduziert" oder "weniger süß" sowie Fruchtzucker und Honig.

Die besten Alternativen sind: Xylitol und Erythrit.

Riedl hat mit der myFoodDoctor-App ein Werkzeug entwickelt, das dem Nutzer hilft, zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung zu gelangen. Der Nutzer trackt mit der App 4 Tage lang seine Essgewohnheiten und erhält anschließend eine ausführliche Analyse der verzehrten Nahrungsmittel, einschließlich des Zuckerkonsums, sowie konkrete Ratschläge für ein ausgewogenes und gesundes Essverhalten.

Kaum Karies bei Gebissen aus der Jungsteinzeit

Der Zuckerkonsum ist von 1 kg jährlich pro Kopf im Jahr 1800 auf über 30 kg pro Kopf und Jahr regelrecht explodiert, führte der Zahnarzt Prof. Johan Peter Wölber aus. „Während archäologische Funde von Gebissen vor dem Neolithikum und Gebisse von wildlebenden Tieren kaum Karies aufweisen, zeigen moderne Bevölkerungen in Industrienationen erheblich erhöhte Prävalenzen an Karies.“

„Neuere zusammenfassende Untersuchungen zeigen, dass der Zuckerkonsum auch zur Entstehung einer Gingivitis (Zahnfleischentzündung) beiträgt und mit mehr Parodontitis assoziiert ist“, erläuterte Wölber. Interventionsstudien, die eine Zuckervermeidung der Proband*innen beinhalteten, konnten sogar trotz gleichbleibendem oder vermehrtem Zahnbelag eine Reduktion der Zahnfleischentzündung zeigen.

„Ernährung spielt für den gesunden Mundraum eine ebenso entscheidende Rolle, wie sie es auch für den intakten Gesamtorganismus tut“, führte Prof. Roland Frankenberger aus. „Zucker stellt dabei zweifelsfrei den klassischen ‚Common Risk Factor‘ dar, der Zahnmedizin und Medizin vereint wie kein zweiter Stoff. Das Paradebeispiel ist dabei der Einfluss von Zucker auf die Kariesentstehung.“

"Ohne Zucker keine Karies - so einfach ist das", sagt Frankenberger. Auch mit Zucker wäre Karies kein Problem, wenn alle Menschen ihre Zähne zu 100 Prozent sauberputzten.

Ohne bakteriellen Biofilm könne keine Karies entstehen, weil immer Zucker UND Bakterien vorhanden sein müssten. „Das Problem ist: 100 Prozent saubere Zähne sind eine Illusion, und daher ist ein vernünftiger Umgang mit zuckerhaltiger Ernährung aus kariologischer Sicht extrem wichtig“, so Frankenberger.

Gesundheitspolitik gefordert

Die Quintessenz der Wissenschaftler: Die Gesundheitspolitik ist in Sachen Zuckervermeidung dringend gefordert, etwa im Sinne der Verhältnisprävention. Konkret wurden Werbeverbote, Zuckersteuer, verminderte Präsentation und bessere Kennzeichnung in Supermärkten genannt. Angesichts der großen wissenschaftlichen Evidenz zu den krankmachenden Folgen hohen Zuckerkonsums sei der Gesetzgeber hier in seiner Fürsorgepflicht gefordert.

Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde/30.6.2022/Ni

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