AlzheimerNeue Alzheimer-Antikörper: Chancen und Grenzen

Eine Studie zeigte eine Verlangsamung der Alzheimer-Progression um bis zu 35%. Aber es gibt auch Nebenwirkungen und hohe Therapiekosten.

Amyloid-Plaques bei Alzheimer
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Amyloid-Plaques bei Alzheimer: Die neuen Antikörpertherapien zielen auf diese Ablagerungen.

Mit den neuen Antikörpern ist ein Durchbruch in der Alzheimer-Therapie gelungen: Sie ermöglichen Progressionsverlangsamung. Derzeit sind die neuen Antikörpertherapien in Europa jedoch noch nicht zugelassen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie berichtet, welche Chancen die neuen Therapien bieten, wann mit einer Zulassung zu rechnen ist und welche Herausforderungen bestehen. 

Antikörpertherapien: Option bei Alzheimer

Antikörper könnten eine wirksame Option im Kampf gegen Alzheimer sein. Bisher wurde von der europäischen Gesundheitsorganisation EMA allerdings noch keine Antikörpertherapie gegen Alzheimer zugelassen. Für 3 Antikörper existieren bereits positive Studiendaten, alle drei Antikörper richten sich gegen das gleiche Therapietarget: Beta-Amyloid.

Aducanumab

Für Aducanumab wurde die Zulassung auch in Europa beantragt, aber abgelehnt, da die Datenlage heterogen ist. Es gab zwei Studien (EMERGE [1] und ENGAGE [2]), die ein ähnliches Design hatten. Sie wurden jedoch vorzeitig abgebrochen, da sie den primären Endpunkt nicht erreichten. In einer weiteren Analyse zeigte eine Studie positive, die andere negative Ergebnisse.

Bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA hatte man sich daran nicht gestört, dort war entscheidend für die Zulassung, dass im Gehirn das β-Amyloid reduziert wurde, was in der Amyloid-PET-Untersuchung gezeigt werden konnte. Allerdings gab es die Auflage, innerhalb der nächsten 6 Jahre eine Studie zu initiieren, um auch die klinische Wirksamkeit des Antikörpers definitiv nachzuweisen.

Die EMA hingegen hat anders entschieden und die Zulassung verweigert. Aufgrund der Datenlage sei zurzeit nicht klar, ob es unter der Therapie zu einer Verlangsamung der Krankheitsprogression kommt. Auch wurde angesichts der Nebenwirkungen das Nutzen-Risiko-Potenzial nicht als ausreichend positiv eingestuft.

Lecanemab

Zu Lecanemab gibt es positive Daten aus Studien der Phase-II- und auch Phase-III.

Die FDA erteilte zunächst ein „conditional approval“ und am 6.7.2023 eine uneingeschränkte Zulassung. Hier waren die klinischen Daten, d.h. die primären Endpunkte der Studien [3, 4], positiv sowie alle sekundären Endpunkte. Dazu zählte neben der Reduktion des β-Amyloids vor allem auch die klinische Progression der Erkrankung, gemessen an verschiedenen Parametern − kognitiven Parametern, Aktivitäten des täglichen Lebens.

Der Zulassungsantrag für Lecanemab wurde bei der EMA eingereicht, sodass mit der Zulassung wahrscheinlich im ersten Quartal des nächsten Jahres zu rechnen ist.

Donanemab

Phase-III-Daten zu Donanemab wurden im Juli auf der Alzheimer-Tagung in Amsterdam vorgestellt. Sie belegen eine klinische Wirksamkeit und wurden in vielen Medien als „Durchbruch in der Alzheimer-Forschung“ dargestellt. Donanemab konnte in der Studie [5] die Progression der Alzheimer-Erkrankung um ca. 35 Prozent verlangsamen.

Solanezumab

Eine aktuelle Studie bei Patienten im präklinischen Stadium der Alzheimer-Krankheit mit Solanezumab [6], ein Antikörper der ersten Generation, enttäuschte hingegen. Das Medikament vermochte nicht, in einem Zeitraum von 4,5 Jahren bei 1169 kognitiv noch unbeeinträchtigten Alzheimer-Risikopersonen den kognitiven Abbau zu verlangsamen.

Therapieziel: Beta-Amyloid

Die genannten Antikörper sind gegen das gleiche Therapieziel, gegen das N-terminale Ende des Beta-Amlyoids, gerichtet, ein Peptid aus 42 Aminosäuren. Donanemab erkennt ein trunkiertes N-terminales Epitop auf dem Beta-Amyloidp3-42, bei der die ersten beiden N-terminalen Aminosäuren durch Proteasen entfernt wurden und ein Pyrolring am N-Terminus gebildet wurde; die letztere Modifikation wird als Pyroglutamat bezeichnet. Aβp3-42 ist wahrscheinlich spezifisch in senilen Plaques.

Das Beta-Amyloid liegt in verschiedenen Aggregatzuständen vor: Es ist entweder als Monomer oder Oligomer löslich vorliegend oder es hat Protofibrillen oder Fibrillen gebildet, aus denen die Amyloid-Plaques bestehen.

Alzheimer-Antikörper der ersten Generation, wie Solanezumab, Crenezumab, Bapineuzumab, waren gegen Monomere und Oligomere gerichtet. Die Studien waren insgesamt nicht erfolgreich.

Aducanumab hingegen bindet lösliche Oligomere und Fibrillen und Lecanemab richtet sich besonders gegen kleine und mittelgroße, lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen. Donanemab hingegen ist gegen die Aggregate gerichtet, gegen die Amyloid-Plaques. „Das widerspricht der bisherigen Annahme, dass der Therapieerfolg dem löslichen Aggregatzustand zuzuschreiben ist“, erklärt Prof. Richard Dodel, Essen, einer der federführenden Autoren der neuen S3-Leitline Demenzen [7]. „Es ergibt sich also derzeit kein ganz einheitliches Bild.“

Nebenwirkungsprofil

Auch im Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil gibt es Unterschiede. Sogenannte ARIAs („Amyloid-Related Imaging Abnormalities“) können unter der Therapie auftreten. Diese Nebenwirkung ist dadurch definiert, dass sie in der Kernspintomographie zu sehen ist. Man unterscheidet zwei Formen:

  • ARIA-E (E für Ödem),
  • ARIA-H (für Hämorrhagien).

ARIA-E treten bei etwa einem Viertel aller Patient*innen unter Lecanemab, das alle 2 Wochen infundiert wird, auf. Sie werden allerdings nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen symptomatisch. Die Neigung zur Ödembildung war bei Aducanumab mit 30–40 % recht hoch, bei Lecanemab mit 12 % und bei Donanemab mit 24 % niedriger.

„ARIA-H in Form von Mikrohämorrhagien oder einer superfiziellen Siderose sind potenziell gefährlicher. Allerdings muss man wissen, dass diese auch bei den Placebo-Behandelten (9–14 %) in den Studien auftraten, der Anteil der mit Antikörpern Behandelten war aber höher und lag bei 17–32 %“, erklärt Prof. Dodel. Patient*innen mit Vorhofflimmern unter Koagulation schienen besonders gefährdet.

Versorgungslogistik

Eine weitere Limitation sieht der Experte in der „Versorgungslogistik“. Lecanemab muss unter fachärztlicher Aufsicht 2-wöchentlich, die anderen Antikörper 4-wöchentlich infundiert werden. Hinzu kommen diagnostische Herausforderungen des Amyloid-Nachweises und zumindest im ersten Behandlungsjahr ca. vierteljährliche Kontrolluntersuchungen mit der Kernspintomographie.

Offene Fragen

Offene Fragen sind derzeit: Welche Patient*innen sollen behandelt werden – und in welchem Erkrakungsstadium? Wer ist für die Diagnostik und die entsprechenden Verlaufskontrollen verantwortlich?

Einen großen Diskussionspunkt stellt zudem aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis dar. „Die Behandlungskosten für Lecanemab betragen in den USA 26.000 Dollar pro Jahr. Angesichts der hohen Zahl der zu behandelnden Patient*innen – 400.000 neue Demenzdiagnosen pro Jahr in Deutschland, ein Großteil davon ist der Alzheimer-Erkrankung zuzuschreiben – würden diese Therapien das Gesundheitsbudget massiv belasten."

Auch muss bedacht werden: „Wir heilen Alzheimer damit nicht, wir verlangsamen bisher nur die klinische Progression um vielleicht 30 %. Es muss hinterfragt werden, ob das gesamtgesellschaftlich betrachtet, die Ausgaben rechtfertigt.“

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Literatur

[1] 221AD30 Phase 3 Study of Aducanumab (BIIB037) in Early Alzheimer's Disease (EMERGE). NCT02484547

[2] 221AD301 Phase 3 Study of Aducanumab (BIIB037) in Early Alzheimer's Disease (ENGAGE). NCT02477800

[3] Swanson CJ, Zhang Y, Dhadda Set al. A randomized, double-blind, phase 2b proof-of-concept clinical trial in early Alzheimer's disease with lecanemab, an anti-Aβ protofibril antibody. Alzheimers Res Ther 2021; doi: 10.1186/s13195-021-00813-8. Erratum in: Alzheimers Res Ther 2022; PMID: 33865446; PMCID: PMC8053280

[4] van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P e al. Lecanemab in Early Alzheimer's Disease. N Engl J Med 2023; doi: 10.1056/NEJMoa2212948

[5] Sims JR, Zimmer JA, Evans CD et al. TRAILBLAZER-ALZ 2 Investigators. Donanemab in Early Symptomatic Alzheimer Disease: The TRAILBLAZER-ALZ 2 Randomized Clinical Trial. JAMA 2023; doi: 10.1001/jama.2023.13239

[6] Sperling RA, Donohue MC, Raman R et al. A4 Study Team. Trial of Solanezumab in Preclinical Alzheimer's Disease. N Engl J Med 2023; doi: 10.1056/NEJMoa2305032

[7] DGN e.V. & DGPPN e.V., Hrsg. S3-Leitlinie Demenzen. https://dgn.org/leitlinien