DepressionJede*r vierte Deutsche fühlt sich sehr einsam

Das betrifft besonders Menschen mit Depression. "Das Gefühl der Einsamkeit ist ein Symptom der Depression und weniger deren Ursache“ sagt Prof. Ulrich Hegerl. Freunde und Familie sind eine wichtige Hilfe.

Weiße und orange Figur umarmen sich
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Freund*innen und Angehörige können Erkrankten das Gefühl geben, nicht allein zu sein und zuhören, wenn sie jemanden zum Reden brauchen.

Jede*r vierte Bundesbürger*in fühlt sich sehr einsam. Dieses Gefühl ist oft auch unabhängig von der Zahl der tatsächlichen Sozialkontakte. Bei Menschen mit Depression berichtet sogar jede*r Zweite vom Gefühl großer Einsamkeit. Gründe dafür liegen im krankheitsbedingten sozialen Rückzug. Aber selbst bei zahlreichen Sozialkontakten geht die Erkrankung mit dem Gefühl des Abgeschnittenseins und der völligen Isolation einher. Ein Großteil der Betroffenen erfährt aus dem persönlichen Umfeld dennoch Unterstützung bei der Bewältigung der Depression.

Das zeigt das heute veröffentlichte 7. Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. Die Befragung untersucht jährlich Einstellungen und Erfahrungen zur Depression in der erwachsenen Bevölkerung. Befragt wurde im September 2023 ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt aus 5196 Personen zwischen 18 und 69 Jahren. 

Jede*r Vierte ist sehr einsam

  • 25 % der erwachsenen Bevölkerung berichten, sich sehr einsam zu fühlen.
  • 40 % der Älteren (60-69 Jahre) geben an, nur wenige Sozialkontakte (0 bis 4 Sozialkontakte an einem durchschnittlichen Wochentag) zu haben.
  • Bei den Jüngeren (18-59 Jahre) fällt der Anteil der Befragten mit  so wenigen Sozialkontakten mit 22 % deutlich geringer aus.

Trotz der geringeren Zahl an Sozialkontakten berichten ältere Menschen seltener, sich sehr einsam zu fühlen (21% der Älteren versus 26 % der Jüngeren). Insgesamt haben 86% aller befragten Bundesbürger*innen das Gefühl, dass heute mehr Menschen einsam sind als vor 10 Jahren.

Menschen mit Depression häufiger einsam

Besonders eng verknüpft ist das Gefühl der Einsamkeit mit einer Depression. Menschen mit Depression geben doppelt so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung an, sich sehr einsam zu fühlen (53% der depressiv Erkrankten versus 25 % in der Allgemeinbevölkerung). Ein Großteil der Erkrankten (84%) beschreibt auch das Gefühl, in der Depression wie abgetrennt von der Umwelt zu sein.

In einer depressiven Krankheitsphase berichten mehr als die Hälfte der Betroffenen (58%) nur sehr wenige Sozialkontakte (0 bis 4 Sozialkontakte an einem durchschnittlichen Wochentag) zu haben. In der Gesamtbevölkerung sind es nur halb so viele (26 %). Dies ist jedoch keine Erklärung für das Gefühl tiefer Einsamkeit in der Depression: Auch depressiv Erkrankte mit guten Sozialkontakten (mehr als 4 Sozialkontakte/Tag) berichten deutlich häufiger, sich sehr einsam zu fühlen (43% der Depressionspatient*innen versus 21% in der Gesamtbevölkerung).

"Sogar im Kreise der Familie oder Freunde haben viele Menschen in der depressiven Krankheitsphase das quälende Gefühl, von Umwelt und Mitmenschen abgeschnitten zu sein. Sie fühlen sich isoliert wie hinter einer Milchglasscheibe und können bei schweren Depressionen keine Liebe oder Verbundenheit empfinden“, erklärt Prof. Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.

Die geringere Zahl der Sozialkontakte in der Depression sind oft Folge des sozialen Rückzugs, über den 82 % der betroffenen Befragten berichten. Als Gründe dafür werden Kraftlosigkeit/Erschöpfung (89%), Sehnsucht nach Ruhe (85%) und das Gefühl, eine Belastung für andere zu sein (68%), angegeben.

Zudem berichteten bereits im Deutschland-Barometer 2018 23% aller Befragten mit Depression, dass im Zuge der Erkrankung die Beziehung in die Brüche gegangen sei.

Depressiv Erkrankten empfiehlt Hegerl: „Lassen Sie sich beim Hausarzt, Psychiater oder Psychologischen Psychotherapeuten behandeln. Nach dem Abklingen der Depression haben Sie wieder Lust und Energie, um Ihre sozialen Kontakte zu pflegen. Auch Nähe und Zuneigung können Sie dann wieder empfinden. Die beiden wichtigsten Behandlungssäulen der Depression sind Antidepressiva und Psychotherapie. Darüber hinaus können Selbsthilfegruppen oder der virtuelle Austausch z.B. unter www.diskussionsforum-depression.de Ihnen aufzeigen, dass Sie mit der Erkrankung nicht alleine sind.“

Freund*innen und Familie wichtige Hilfe bei Depression

Trotz der empfundenen Einsamkeit gibt ein Großteil (82%) der Erkrankten an, Unterstützung bei der Bewältigung der Depression im privaten Umfeld zu bekommen.

  • Freund*innen und Angehörige geben den Erkrankten dann vor allem das Gefühl, nicht alleine zu sein (96%) und hören zu, wenn die Betroffenen jemanden zum Reden brauchen (95%).
  • Darüber hinaus verhindert das Umfeld auch, dass sich eine Person völlig zurückzieht (87%) und ermutigt den Betroffenen, sich professionelle Hilfe zu holen (81%).

Prof. Ulrich Hegerl rät Angehörigen: „Informieren Sie sich über die Erkrankung – denn wer nicht weiß, was eine Depression ist, wird den Rückzug des erkrankten Partners oder Freundes falsch einordnen. Es ist keine Lieblosigkeit, kein „Sich-gehen-lassen“ oder gar böser Wille, sondern Folge der Erkrankung.“ Am besten können Angehörige unterstützen, indem sie einen Termin beim Arzt organisieren und den Betroffenen gegebenenfalls dorthin begleiten. Denn in der Depression fehlen den Betroffenen oft Kraft und Hoffnung, sich Hilfe zu suchen. „Auch zu gemeinsamen Aktivitäten wie z.B. einem Spaziergang können Sie Betroffene einladen. Angehörige sollten aber nicht enttäuscht sein, wenn der Betroffene das nicht schafft. Manchmal ist es aufgrund der Erkrankung einfach nicht möglich, sich aufzuraffen“ so Hegerl weiter.

Einsamkeit: Folge und nicht Ursache der Depression

Fast alle Bundesbürger*innen (94%) glauben, Einsamkeit und soziale Isolation sei ein Auslöser der Depression.

„Oft wird übersehen, dass Depressionen mehr als eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände sind, sondern eine eigenständige Erkrankung. Das Gefühl der Einsamkeit ist ein Symptom der Depression und weniger deren Ursache“ so Hegerl.

Hierzu passt, dass die Älteren trotz geringerer Sozialkontakte weniger häufig berichten, sich in einer depressiven Krankheitsphase zu befinden. So gaben 5% der älteren Befragten zwischen 60 und 69 Jahren an, aktuell in einer depressiven Krankheitsphase zu sein. Bei den Befragten bis 59 Jahre lag der Anteil der Depression mit 7% höher. „Entscheidend für das Auftreten einer Depression ist die Veranlagung. Diese kann vererbt oder z.B. durch Traumatisierungen in der frühen Kindheit erworben sein“, betont Psychiater Hegerl. 

Quelle: Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention

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