Long COVIDSerotonin-Mangel als mögliche Ursache

In einer Studie war Long/Post COVID mit erniedrigten Serotonin-Spiegeln assoziiert. Dies bilde einen neuen Erklärungsansatz, ordnet Prof. Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie die Ergebnisse ein.

Silhouette eines gebeugt stehenden, erschöpften Sportlers vor Sonnenuntergang
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Rasche Erschöpfung und Fatigue gehören zu den belastendsten Symptomen von Long/Post COVID.

Eine aktuelle Studie hat bei anhaltenden Beschwerden nach COVID-19 erniedrigte Serotoninspiegel im Blut nachgewiesen, die zu Störungen neurovegetativer Funktionen führen. Sie könnten einige der Kernsymptome von Long/Post COVID erklären.

Die Studie liefert eine plausible Hypothese, die verschiedene, bisher vermutete Pathomechanismen miteinander verbindet. Sie könnte womöglich auch die Entstehung anderer postviraler Syndrome erklären.

Hypothesen für die Pathogenese von Long/Post COVID

Die Schwere der akuten Infektion und psychosoziale Faktoren spielen bei der Entstehung von Long/Post COVID offensichtlich eine Rolle. Daneben werden 4 Hypothesen für die Pathogenese diskutiert:

  • Viruspersistenz,
  • chronische Entzündungsvorgänge,
  • Hyperkoagulabilität und
  • autonome Dysfunktion (d.h. Störungen im vegetativen Nervensystem).

Studie: Serotonin-Spiegel bei COVID-19

In der Studie führten nun klinisch und tierexperimentell diese 4 Hypothesen auf einen einzigen neu postulierten Pathomechanismus zurück.

Bei Untersuchungen an Mäusen, die mit SARS-CoV-2-infiziert wurden oder bei denen chemisch eine entsprechende Entzündungsreaktion ausgelöst wurde, zeigte die Studiengruppe, dass die SARS-CoV-2-Infektion mit einer erniedrigten Serotoninkonzentration im Blut einhergeht. Anschließend analysierten die Forscher*innen Daten von insgesamt 1540 Long/Post COVID-Patient*innen aus unterschiedlichen Kohorten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es auch bei Betroffenen mit Long/Post COVID zu einer erniedrigten Serotoninkonzentration im Blut kommen kann. Allerdings war der Grad der Serotoninreduktion in den untersuchten Patientenkohorten mit Long/Post COVID unterschiedlich stark ausgeprägt und bei einigen gar nicht nachweisbar.

Das Autorenteam schlussfolgert, dass eine akute COVID-19-Erkrankung häufig zu einer Erniedrigung des Serotoninspiegels führt, die bei schwerem Long/Post COVID anhält.

Wie lässt sich der Abfall des Serotonin-Spiegels erklären?

Offensichtlich kommt es bei der Virusinfektion zur verminderten intestinalen Absorption des Serotonin-Vorläufers Tryptophan sowie zu einer Thrombozytenüberaktivierung mit Thrombozytopenie. Das vermindert die endogenen Serotoninspeicher und führt zu einem erhöhten MAO-Enzym-vermittelten Serotoninumsatz.

Auch konnte gezeigt werden, dass Virus-RNA-induzierte Typ-I-Interferone den Serotoninmangel verstärken, indem sie u.a. die Tryptophanaufnahme im Darm reduzieren.

„Der daraus resultierende periphere Serotoninmangel könnte eine mögliche Erklärung für einige Long/Post COVID-Symptome sein, denn er beeinträchtigt die Signalübertragung des Vagusnervs und damit die Aktivität des vegetativen Nervensystems sowie auch Funktionen des Hippocampus“, erklärt Prof. Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Doch die in der Studie beschriebenen Pathomechanismen von Long/Post COVID müssen nun zunächst in prospektiven Folgestudien mit Kontrollgruppen validiert werden.“

Limitation: Niedrige Serotonin-Spiegel nicht in allen Kohorten

Sowohl die Studiengruppe wie auch die Autorin einer in „Science“ [2] veröffentlichten Diskussion verweisen auf Limitationen der Studie: Größter Schwachpunkt sei, dass die Erniedrigung des Serotonin-Spiegels nicht konsistent in allen Kohorten nachgewiesen werden konnte. Und der Serotoninmangel wurde im Tierversuch zwar im Blut, nicht aber im Gehirn der Mäuse gefunden. Auch sei der beschriebene „Link“ zwischen Long/Post COVID und enteraler Tryptophan-Aufnahme und Thrombopenie nach einer SARS-CoV-2-Infektion letztlich nur eine Hypothese.

Fazit

"Zunächst liefert die Studie einen neuen möglichen Erklärungsansatz für Long-COVID-Beschwerden, der weiter erforscht werden muss“, so Prof. Berlit.

Bestätigen sich die Ergebnisse, könnten sie auch jenseits von SARS-COV-2 bedeutsam sein: Verringerte Serotoninspiegel seien nicht COVID-19-spezifisch, sondern auch von anderen viralen Erkrankungen bekannt, die ebenfalls postvirale Syndrome auslösen können, wie beispielsweise dem Dengue-Fieber. „Es ist daher wichtig, dass COVID-19 und Long/Post COVID weiter beforscht werden, auch wenn die Pandemie nun als weitgehend überstanden gilt.“

Hintergrund

Nach einer COVID-19-Erkrankung können anhaltende Beschwerden auftreten (Long oder Post COVID). Es handelt sich um ein teils schwerwiegendes postvirales Syndrom, dessen Ursache bislang ungeklärt ist. Häufige klinische Symptome sind Fatigue, kognitive Störungen, Kopfschmerzen, Schlaf- und Angststörungen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Literatur

[1] Wong AC, Devason AS, Umana IC et al. Serotonin reduction in post-acute sequelae of viral infection. Cell 2023; doi: 10.1016/j.cell.2023.09.013
[2] Offord C. Low serotonin levels might explain some Long Covid symptoms, study proposes. https://www.science.org/content/article/low-serotonin-levels-might-explain-some-long-covid-symptoms-study-proposes