PsycheEpisodisches Gedächtnis leidet unter Stress

Wiederholter Stress verändert die Erinnerung an prägende Erfahrungen, fanden Forscher*innen in einer Studie mit Mäusen heraus. Nervenverbindungen im Hippocampus werden durch Stress destabilisiert und können ganz verschwinden.

Symbolbild: Mechanismen im menschlichen Gehirn; Illustration eines Gehirns mit Zahnrädern
Sergey Nivens/stock.adobe.com

Mithilfe des episodischen Gedächtnisses können komplexe Erfahrungen in einen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang gestellt werden. Bei wiederholtem Stress leidet die Enkodierung der Erinnerung im Hippocampus.

Stress beeinträchtigt die Struktur und Funktion des Gehirns. Das kann zu kognitiven Defiziten und einem erhöhten Risiko für psychiatrische Störungen wie Depression, Schizophrenie, Angstzuständen und posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Dr. Alessio Attardo und sein Team haben nun einen Mechanismus entdeckt: Wiederholter Stress destabilisiert die Synapsen in der für das episodische Gedächtnis wichtigen Hippocampus-Region CA1, sodass die Neuronen sind zunächst hyperaktiv sind, anschließend Nervenverbindungen verschwinden und sich somit die Kodierung verändert.

Das episodische Gedächtnis

Der erste Kuss, der Schulabschluss, ein Autounfall: Im episodischen Gedächtnis werden positive als auch negative Lebenserfahrungen gespeichert. Es umfasst nicht nur Erinnerungen an persönliche Lebensstationen, sondern auch an markante Ereignisse des öffentlichen Lebens, die uns geprägt haben, z.B. den Fall der Mauer. Mithilfe des episodischen Gedächtnisses können wir komplexe Alltagserfahrungen in einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stellen.

Veränderungen durch Stress

Stress verändert diese Form des Erinnerns erheblich. Das Forscherteam suchte nach dem neuronalen Mechanismus: „In unserer Studie haben wir den Zusammenhang zwischen Veränderungen in den Aktivitätsmustern und der strukturellen Plastizität der Neuronen untersucht. Wir konnten mit unseren Experimenten zeigen: Wiederholter Stress erhöht bei den untersuchten Mäusen zunächst die neuronale Aktivität, doch anschließend geht die räumlich-zeitliche Struktur der Aktivitätsmuster verloren und die Enkodierung der Erinnerung im Hippocampus leidet.“

Für das Experiment trainierten die Wissenschaftler*innen Mäuse, die Position einer versteckten Plattform in einem kleinen Schwimmbecken zu erlernen. Mithilfe von Miniaturmikroskopen und der Zwei-Photonen-Bildgebung konnten sie Veränderungen in den Aktivitätsmustern von Tausenden von Neuronen erkennen, während sich die Mäuse frei bewegten. Die veränderte Aktivität ging mit einer Abnahme von erregenden Synapsen einher, weil vorhandene Synapsen durch den Stresseinfluss destabilisiert wurden und die Neubildung von synaptischen Kontakten drastisch abnahm.

Attardo erläutert: „Interessanterweise wurde der Verlust von Verbindungen in den Neuronen des Hippocampus erst nach mehreren Tagen Hyperaktivität deutlich, und die Desorganisation der Kodierung im Hippocampus zeigte sich erst nach einem erheblichen Kontaktverlust. Akuter Stress hingegen führte eher zu einer Stabilisierung der erregenden Synapsen, die in zeitlicher Nähe zum Stressereignis entstanden.“ Dies deutet darauf hin, dass Stress nicht gleich Stress ist, und dass die nach akutem Stress stabilisierten Synapsen möglicherweise an der Speicherung der negativen Stress-Wirkung beteiligt sind, nicht aber an der eigentlichen Lernaufgabe.

Die zellulären Mechanismen und Netzwerkveränderungen, durch die wiederholter oder lang anhaltender Stress bzw. Akutstress seine schädlichen Auswirkungen entfaltet, sind noch nicht vollständig geklärt. „Unsere Studie wirft ein Licht auf dieses Problem, indem sie zum ersten Mal zeigt, dass der Verlust neuronaler Konnektivität den Übergang zwischen früher neuronaler Hyperaktivität und späterer Beeinträchtigung der Hippocampusfunktion bei wiederholter Stressbelastung vermittelt“, so Attardo. Die Ergebnisse könnten das Potenzial haben, neue Therapien zur Linderung der negativen Auswirkungen von wiederholtem Stress zu ermöglichen.

Quelle: Leibniz-Institut für Neurobiologie

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