Ernährungs-BlogSpiritual Food - moralisch, religiös oder naturverbunden?

Spiritual Food ist ein Trend, bei dem es um etwas höchst Individuelles geht. Vielleicht aber auch um eine Gegenbewegung zu Massenproduktion und Lebensmittelüberfluss bei ungleicher Verteilung. 

Frische Makrelen auf einem Holzbrett
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Essen hat in vielen Kulturen eine religiöse Komponente, z.B. freitags Fisch statt Fleisch im Christentum.

von Johanna Zielinski

Das Thema Spiritualität ist in den letzten Jahrzehnten in den Fokus gerückt. Auch in der Ernährung. Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, wie die Psychologie und die Religionswissenschaften, beschäftigen sich mit dem noch nicht eindeutig definierten Begriff. Es lassen sich jedoch drei Schwerpunkte erkennen.

Erstens die Verknüpfung mit einem religiösen Verständnis, wie die Assoziation mit Gott und der Bibel. Zweitens die Verbundenheit mit der Natur, dem Universum und dem sog. Higher Self. Und drittens die Verbindung von Spiritualität und moralischen und ethischen Vorstellungen.

Religiöse und areligiöse Formen

Es finden sich also religiöse und areligiöse Formen in der wissenschaftlichen Diskussion. Bei der Vielfalt an möglichen Definitionen, lässt sich hier bereits vermuten, dass der Begriff der Spiritualität kontrovers und höchst subjektiv diskutiert wird. Denn:

Spiritualität äußert sich in der persönlichen Haltung gegenüber dem Leben, aber auch in den Erfahrungen mit dem Umfeld, mit einer höheren Geistigkeit oder der Natur.

Umfragen zur Selbsteinschätzung zeigen, dass sich immer mehr Menschen als spirituell bezeichnen. Dies trifft sowohl auf Europa als auch auf die USA zu – mit regionalen Unterschieden. In Studien fiel zudem auf, dass in puncto Spiritualität die Offenheit für Erfahrungen, ein Aspekt der Big-Five-Persönlichkeiten, eine wichtige Rolle spielt. In der Persönlichkeitsforschung (Psychologie) stellen die Big Five (5 Faktoren) einen Ansatz dar, um Persönlichkeit eines Menschen zu beschreiben. Dazu zählen Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus.

Essen als eine Art Religion?

Interessant ist die Verknüpfung zwischen Ernährung und Spiritualität. Denn beide Aspekte sind in unserem Alltag fest verankert – theoretisch, praktisch und multikulturell. Und beide Themen betreffen sowohl körperliche als auch psychologische und emotionale Vorgänge.

Einige Religionen haben schon lange die Ernährung als wichtigen Eckpfeiler entdeckt. Dazu zählt z.B. das koschere Essen in der jüdischen Religion, oder halal bei den Muslimen. Die moralische Überzeugung spielt hierbei eine große Rolle. 

Nahrung und Spiritualität decken auch in den Forschungsbereichen ein breites Spektrum ab. Der spirituelle Aspekt der Ernährung ist jedoch noch wenig wissenschaftlich untersucht.

In einer Studie zeigt sich, dass die Konfession einen signifikanten Zusammenhang mit dem Konsum von Obst, Gemüse und Fett hat. Die Glaubensgemeinschaft der Adventisten verzehrt, im Gegensatz zu Nicht-Zugehörigen, mehr Obst und Gemüse, sowie weniger Fett.

Noch sind umfangreichere Studien als Beobachtungsstudien nötig, um den Zusammenhang zwischen Religion und Gesundheit weiter zu erforschen. Fest steht jedoch, im Hinblick auf Spiritual Food rücken neben gesundheitlichen vermehrt auch spirituelle Aspekte in den Vordergrund. Essen kann dabei als eine Art Religion dienen. Statt extern auferlegten Regeln, übernimmt das Individuum die Verantwortung für die selbst definierte richtige Ernährung. 

Trend: Spiritual Food

Der seit ein paar Jahren aufflackernde Trend Spiritual Food ist höchst subjektiv und vielfältig. Er lässt sich keiner Ernährungsform zuordnen. Es kommt allein darauf an, welche individuellen Maßstäbe an die Ernährung angelegt werden. Ein offenes Konzept, kein vorgegebener Weg zum richtigen Weg der Nahrungsaufnahme. Wobei der Wohlfühlfaktor die Hauptrolle spielt.

Voraussetzung für die spirituelle Ernährung ist die Kenntnis über die Zusammensetzung und Herkunft der Nahrung. Denn das Essen wird vorrangig nach rein ethischen bzw. moralischen Gründen ausgewählt. Und das geht mit einem gewissen Bewusstsein einher – in Bezug auf einen selbst, aber auch auf die Auswirkungen gegenüber der Umwelt. Meist stehen bei der Spiritual-Food-Bewegung also Nachhaltigkeit und bewusstes Essen im Vordergrund. Auch die Komplettverarbeitung von «root to leaf» oder «nose to tail» sind Thema. Ebenso die Saisonalität, Regionalität und Bio-Qualität.

Spirituelles Essen soll ein rundum gutes Gefühl vermitteln.

Der Veganismus kann übrigens auch ein Ausdruck des Trends sein – vor allem wenn aus ethischen Gründen auf den Fleischkonsum verzichtet wird.

Bei dem Trend Spiritual Food geht es also in erster Linie um bewusstes Essen, subjektive Überzeugungen, die Reflexion des eigenen Konsumverhaltens und ethische Aspekte. Vielleicht ist der Trend aber auch als Gegenbewegung zu sehen – in einem Zeitalter der Massenproduktion von tierischen Produkten, genmanipulierten Erzeugnissen und einem unüberschaubaren Überfluss von Lebensmitteln mit ungleicher Verteilung. 

Literatur

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Streib H, Keller B. Was bedeutet Spiritualität? Befunde, Analysen und Fallstudien aus Deutschland. Research in Contemporary Religion - Band 20. Göttingen: Vandehoeck & Ruprecht; 2015

Tan MM, Chan CKY, Reidpath DD. Religiosity and Spirituality and the Intake of Fruit, Vegetable, and Fat: A Systematic Review. Evid Based Complement Alternat Med 2013; doi: 10.1155/2013/146214

Johanna Zielinski ist Diplom-Ökotrophologin (Ernährungswissenschaften) und absolviert derzeit eine Weiterbildung im Bereich Psychologie. Journalistische Stationen erfolgten beim WDR sowie einem privaten Radiosender. Sie ist als Ernährungsberaterin sowie als freie Autorin und Sprecherin tätig.