Ernährungs-BlogNahrungsergänzungsmittel - beliebt und umstritten

Nahrungsergänzungsmittel sind beliebt wie nie. Wie sicher sind sie? Wer braucht sie wirklich? Und in welcher Dosis? Unsere Bloggerin Johanna Zielinski hat das Thema unter die Lupe genommen.

Obst, Gemüse und bunte Pillen
K. Oborny/Thieme

Nährstoffpräparate sind beliebt. Ausgeprägte, echte Mangelerscheinungen sind in Deutschland jedoch eher selten anzutreffen.

von Johanna Zielinski

Schöner, jünger, fitter, gesünder – Nahrungsergänzungsmittel (NEM) erleben einen regelrechten Boom. Immer mehr Menschen greifen zu den angepriesenen Supplementen. Laut einer Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands im Jahre 2021 (Forsa) haben etwa 50 % der Befragten NEM eingenommen. Die Auswahl ist vielfältig: Vitaminpräparate, Mineralstoffergänzungen oder NEM für spezielle Bedürfnisse. 

Nahrungsergänzungsmittel unterliegen keiner behördlichen Prüfung

Nahrungsergänzungen unterliegen keiner behördlichen Überprüfung. Das stößt auf Kritik. Unter anderem bei den Verbraucherzentralen, die bereits einige Produkte als auffällig gemeldet haben. Etwa wegen der Gefahr einer Überdosierung, Salmonellen oder E.coli-Belastungen, einem zu hohen Jod- oder Cyanid-Gehalt sowie gesundheitsgefährdenden Inhaltsstoffen (z.B. Ethylenoxid in pflanzlichen Produkten).

Die Dosis macht das Gift

Durch die Einnahme der vermeintlich förderlichen NEM können also auch gesundheitliche Probleme entstehen. Und auch bei NEM macht die Dosis das Gift. Man denke hierbei z.B. an die unkontrollierte Einnahme von mehreren hoch konzentrierten NEM. Studien zeigen z.B., dass eine zu hohe Zufuhr von Calcium bei Frauen das Risiko für Herzerkrankungen und die Sterberate erhöht. Eine toxische Überdosierung ist gemäß dem Robert-Koch-Instituts (RKI) bei den fettlöslichen Vitaminen A, D und E möglich. Denn diese werden im Fett- und Muskelgewebe gespeichert

Definition Nahrungsergänzungsmittel

In §1 Abs. 1 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) werden Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel definiert, die die allgemeine Ernährung ergänzen. Diese stellen ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung (…) dar und werden in dosierter Form (…) in abgemessenen, kleinen Mengen in den Verkehr gebracht.

Die NEM unterliegen dabei keiner Zulassungskontrolle. Somit werden auch keine Studien durchgeführt, die zeigen, ob diese Produkte sicher oder wirksam sind. NEM dürfen zudem keine pharmakologische Wirkung aufweisen, d.h. nicht in die natürlichen Stoffwechselprozesse bzw. Körperfunktionen eingreifen - wie es z.B. bei Medikamenten der Fall ist. Die sog. Health Claims, also Versprechungen in Bezug auf Verbesserung der Gesundheit oder Linderung von Krankheiten, dürfen bei NEM nicht beworben werden. Außer der gesundheitliche Nutzen ist in Studien belegt worden.

Doch wie sieht es in punkto Wechselwirkungen aus? Und welche Menge der konzentrierten Nährstoffe ist dauerhaft unschädlich?

Wie sicher sind Nahrungsergänzungsmittel?

Die Verantwortung für die Sicherheit der NEM liegt bei den Herstellern. Hierbei gelten Höchstmengen, die das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) festsetzt – jedoch besteht keine gesetzliche Verpflichtung seitens der Hersteller.

Eine Studie der Hochschule Schwäbisch Gmünd aus dem Jahre 2020 zeigt, dass diese Höchstmengen bei über der Hälfte der getesteten Produkte überschritten wurden. Vor allem bei Multivitamin- und Multimineralstoffprodukten. Auch für die online erhältlichen NEM zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, zudem werden laut Verbraucherzentralen bei einigen Online-Shops manipulative Praktiken eingesetzt.

Da bisher keine EU-weite Regelung bezüglich der Höchstmengen in NEM vorhanden ist, haben einige europäische Länder eigene Regelungen getroffen. Generell ist es nicht einfach, die optimale Versorgungsmenge zu definieren, die verbundenen Risiken und Chancen zu überblicken und passende Empfehlungen zur Zufuhr von NEM zu machen.

Das hängt u.a. mit zu wenig verfügbaren Studien zusammen, als auch von den unterschiedlich eingesetzten Methoden (z.B. Biomarker). Auch weitere Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Ernährungs- oder Gesundheitszustand, Lebensstil und Genetik erschweren den Vergleich von Personen und dem individuellen Bedürfnis.

Wann werden Nahrungsergänzungsmittel empfohlen?

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), BfR und Robert Koch Institut (RKI) halten NEM für ausgewogen ernährte Menschen, die sich regelmäßig im Freien bewegen generell für unnötig. In manchen Fällen reicht die Versorgung über die Nahrung allein jedoch nicht aus – etwa, wenn der Bedarf an bestimmten Vitaminen oder Mineralstoffen durch besondere Lebensumstände erhöht ist oder eine ausgewogene Ernährung nicht durchführbar ist. Bestimmte Bevölkerungsgruppen können also von NEM profitieren, z.B.:

  • Für Neugeborene empfehlen die Kinderärzte z.B. im ersten Lebensjahr eine tägliche Zufuhr von Vitamin D und Vitamin K.
  • Auch für ältere Menschen werden zum Teil NEM empfohlen, da die Nährstoffaufnahme ggf. eingeschränkt ist.
  • Ein eingeschränkteres Ernährungsverhalten, z.B. bei Veganern, strengen Diäten, oder speziellen Erkrankungen, kann durch die Zufuhr von NEM unterstützt bzw. ausbalanciert werden.

Hierbei ist es ratsam mit dem Arzt des Vertrauens das weitere Vorgehen auch wegen etwaiger Wechselwirkungen mit z.B. Medikamenten zu besprechen.

Welche Nährstoffe sind kritisch?

Generell zeichnet sich ab, dass hierzulande weder Frauen noch Männer den Durchschnitt der DGE-Referenzwerte bei Vitamin D und Folsäure erreichen. Auch das RKI bestätigt durch Studien die Unterversorgung mit Vitamin D. Im Fokus steht auch Vitamin B12, das hauptsächlich in tierischen Produkten vorkommt. Vor allem Veganer und Vegetarier sollten daher den Vitamin-B12-Spiegel im Blick behalten – bei einem Mangel können NEM zur Unterstützung eingesetzt werden.

Das Bundesgesundheitssurvey zeigte zudem, dass auch eine Unterversorgung an Vitamin E keine Seltenheit ist. Die EsKiMo II Studie (2015-2017) untersuchte die Nährstoffversorgung von Kindern im Alter von 6 bis 17 Jahren. Hier zeigte sich, dass die meisten Kinder zu wenig Vitamin D, E und Folat aufnehmen. Auch mit den Mineralstoffen Jod, Kalium, Calcium und Eisen waren die Kinder im Durchschnitt unterversorgt.

Fest steht jedoch, dass ausgeprägte, echte Mangelerscheinungen in Deutschland eher selten anzutreffen sind. Im Freizeit- und Präventivsport gelten die Empfehlungen von DGE & Co genauso wie für Menschen mit ausgewogener Ernährung und Bewegung. Für Leistungssportler empfiehlt die DGE eine kritische Prüfung, falls NEM eingesetzt werden (z.B. in der Wettkampf-Phase). Etwa um die Verletzung von Anti-Dopingregularien zu vermeiden oder mögliche gesundheitliche Risiken beurteilen zu können. Auch hier ist das Hinzuziehen eines Experten wichtig.

Was taugen Selbsttests?

Selbsttests zu möglichen Nährstoffmängeln werden derzeit stark beworben. Die Tests machen einen unkomplizierten Eindruck und wirken durch die Auswertung in einem Labor vertrauensvoll. Den Selbsttests ist jedoch die Interpretation, die Beratung und die sichere Bestimmung der Werte durch einen Arzt vorzuziehen. Bei einem strikt veganen oder unausgewogenen Ernährungsstil ist eine ärztliche Kontrolle des Vitaminstatus (z.B. Vitamin B 12) zu empfehlen. Der Folsäure-Status sollte insbesondere während der Schwangerschaft überwacht werden, um die optimale Ausbildung des Nervensystems des Ungeborenen zu gewährleisten. Und bei wenig Aufenthalt im Freien, lohnt es sich, den Vitamin-D-Spiegel bestimmen zu lassen.

Zum Weiterlesen (Auswahl)

Verbraucherzentralen: Überblick zu Nahrungsergänzungsmitteln, Wirksamkeit und Sicherheit

www.klartext-nahrungsergaenzung.de

Kölner Liste: Übersicht zu Nahrungsergänzungsmitteln und Sportlernahrung mit minimiertem Dopingrisiko

https://www.koelnerliste.com

Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Orientierung für eine angemessene durchschnittliche Zufuhr bei Gesunden

www.dge.de

Was bedeutet ...?

Referenzwerte als empfohlene Zufuhr: gelten für die meisten Vitamine und Mineralien.

Schätzwerte: ungenauer, da über die Zufuhrmenge z.B. zu wenige Informationen verfügbar sind. Schätzwerte zeigen die als gesundheitlich unbedenkliche Menge an.

Richtwerte: noch ungenauer, hierfür gibt es keine wissenschaftliche Basis für Schätzungen oder Empfehlungen.

Höchstwerte: basieren auf wissenschaftlichen Studien, es wird das Risiko einer Über- oder Unterversorgung berücksichtigt – bspw. durch beobachtete Nebenwirkungen. Bei dem als sicher geltenden Höchstwert entstehen durch die regelmäßige Einnahme keine gesundheitlichen Probleme.

Zufuhrempfehlungen oder Tagesbedarfe (auf Verpackungen): entsprechen langfristigen Durchschnittswerten zur Orientierung.

Johanna Zielinski ist Diplom-Ökotrophologin (Ernährungswissenschaften) und absolviert derzeit eine Weiterbildung im Bereich Psychologie. Journalistische Stationen erfolgten beim WDR sowie einem privaten Radiosender. Sie ist als Ernährungsberaterin sowie als freie Autorin und Sprecherin tätig.

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