EndokrinologieDer alternde Mann: Was muss untersucht werden bei nachlassender Libido?

Testosteronmangel: Nur wenige Männer sind tatsächlich therapiebedürftigt, erklärt Prof. Stephan Petersenn. Bei krankhaftem Mangel helfen Spritzen oder Gele gegen den Männlichkeitsverlust.

geöffnete Kapsel hälftig grün und rot
K. Oborny/Thieme

Was muss untersucht werden, wenn die Libido nachlässt? Welche Symptome können noch auftreten? Und welche Therapie kann in Erwägung gezogen werden? Der Hamburger Endokrinologe Prof. Stephan Petersenn berichtete anlässlich der Deutschen Hormonwoche zum aktuellen Stand der Diagnostik und Therapie eines Testosteronmangels.

Nur wenige Männer tatsächlich therapiebedürftig

Werden Männer älter, sinkt ihr Testosteronspiegel leicht ab, ohne dass es zu einem Mangel kommt. Vielmehr stellt dies eine natürliche Anpassung dar. Hiervon abzugrenzen sind krankhafte Erniedrigungen des Sexual- und Stoffwechselhormons. Dann helfen Spritzen oder Gele mit Testosteron gegen den Männlichkeitsverlust.

Ohne klares Testosterondefizit konnten Studien dagegen keinen gesundheitlichen Nutzen einer Therapie zeigen. Vielmehr stehen hier Risiken wie die Aktivierung schlafender Prostatatumore und eine übermäßige Bildung der roten Blutkörperchen mit Thromboserisiken im Vordergrund. Männer sollten deshalb Testosteron nur unter entsprechender fachärztlicher Kontrolle anwenden, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie.

Testosteron wird hauptsächlich in den männlichen Keimdrüsen gebildet. Die Gründe für zu wenig Testosteron sind verschieden: „Normal ist eine langsame Abnahme des Spiegels mit zunehmendem Alter (1 bis 2 Prozent /Jahr ab dem 40. Lebensjahr)“, so Petersenn. Ein darüber hinausgehender Abfall könne jedoch zu erheblichen Beschwerden führen. „Hier spielen Krankheiten wie Entzündungen des Hodens, ein Funktionsverlust des Hypophysenvorderlappens sowie erhöhte Prolaktinwerte eine Rolle. Ein erniedrigter Testosteronwert kann aber auch bei anderen internistischen Erkrankungen wie einem Schlafapnoesyndrom, bei einem Diabetes mellitus oder bei einer Nierenschwäche beobachtet werden.“

Nach körperlich schwerer Arbeit kann der Testosteronspiegel niedriger als gewöhnlich sein. Ebenso wirken sich Stress, Adipositas, eine Narkose, Alkohol, Drogen oder Medikamente wie Glukokortikoide negativ auf den Testosteronspiegel aus. Das zeige, dass Lebensstiländerungen und die Behandlung anderer Grunderkrankungen gegebenenfalls wichtiger sein können als der undifferenzierte Testosteronersatz, sagt der Endokrinologe. „Ohne weitere Ursachenabklärung ist die Testosteronanwendung in jedem Fall verfehlt“, betont er. Eine Lifestyleanwendung sei schon allein aufrund der damit verbundenen Risiken abzulehnen. Zudem fehlen hochwertige Studien.

Testosteron: Symptome eines Mangels

Symptome eines klinisch relevanten Testosteronmangels beim Mann sind:

  • abnehmende Libido, Erektionsstörungen, fehlende Morgenerektionen,
  • Spannungsgefühl im Brustbereich, Gynäkomastie,
  • abnehmende Sekundärbehaarung, nachlassende Rasurfrequenz,
  • Hitzewallungen und Schweißausbrüche.

Eine reduzierte Knochendichte und eine unklare Anämie können durch einen Testosteronmangel bedingt sein und die Diagnose unterstützen.

Unspezifische Symptome wie verminderte Energie, abnehmende Leistung und muskuläre Kraft, depressive Neigungen, Abnahme der Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung, vermehrte Müdigkeit und zunehmende Fettmasse finden sich auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen. Sie unterstützen die Diagnose daher nur bedingt.

Diagnostik

Der Grenzwert, bei dem typische Symptome eines Testosteronmangels auftreten, die sich durch Testosteronsubstitution verbessern lassen, ist bisher nicht sicher etabliert. Er unterscheidet sich zudem für die einzelnen klinischen Symptome.

In den Empfehlungen der endokrinologischen, andrologischen und urologischen Fachgesellschaften finden sich unterschiedliche Angaben reichend von 2 ng/ml (7 nmol/l) bis 3,4 ng/ml (12 nmol/l). Testosteron zeigt zudem eine erhebliche Variabilität von Tag zu Tag. Einzelmessungen sind daher kritisch zu werten.

Da 30 Prozent der Männer mit leicht erniedrigten Testosteronwerten bei der Erstbestimmung bei einer Wiederholungsmessung Normalwerte zeigen, werden mindestens zwei unabhängige Testosteronbestimmungen zur Diagnose eines Hypogonadismus gefordert.

Die Messwerte sollten unter Einbezug von Alter und BMI interpretiert werden. So wird ein altersabhängiger Abfall der Testosteronspiegel von etwa 1 bis 2 Prozent pro Jahr beobachtet. Bei adipösen Männern zeigen sich im Vergleich zu normalgewichtigen 70 Prozent niedrigere Testosteronspiegel.

Auch ist die zirkadiane Rhythmik von Testosteron zu berücksichtigen:

  • mit maximalen Serumspiegeln in den frühen Morgenstunden und
  • um bis zu 24 Prozent niedrigeren Spiegeln im Tagesverlauf.

Bei nicht nüchterner Blutentnahme , bei akuten Erkrankungen sowie bestimmten Medikamenten wie Opiaten und Glukokortikoiden kann das Testosteron um bis zu 25 Prozent abfallen. Zudem ist die Bestimmung während einer akuten Erkrankung nicht sinnvoll.

Die Fachgesellschaften empfehlen, die Diagnose eines Hypogonadismus nur bei typischen klinischen Symptomen sowie mehrfach erniedrigten Testosteronwerten zu stellen.

Im Grenzbereich kann die Abschätzung des freien, physiologisch aktiven Testosterons sinnvoll sein. Dieses macht nur etwa 0,5 bis 3 Prozent des Gesamttestosterons aus, während der überwiegende Anteil des Gesamttestosterons an Albumin und Sexualhormon-bindendes Globulin gebunden ist. Es kann nach Bestimmung von Gesamttestosteron, Albumin und SHBG mit Annäherungsformeln z.B. nach Vermeulen (Kalkulator unter www.issam.ch) abgeschätzt werden.

Die direkte Messung des freien Testosterons mit den derzeit für die Routine verfügbaren Assays ist nicht empfohlen. Erniedrigte SHBG-Spiegel werden bei Adipositas, Diabetes mellitus, nephrotischem Syndrom, Hypothyreose und Akromegalie sowie unter Behandlung mit Glukokortikoide gefunden. Erhöhte SHBG-Spiegel zeigen sich im höheren Lebensalter, bei Hepatitis und HIV, bei einer Hyperthyreose sowie unter einer Behandlung mit bestimmten Antiepileptika.

Bei nachweislichem Sexualhormonmangel werden ergänzend die Gonadotropine LH und FSH bestimmt, um einen primären (testikulär-bedingt) von einem sekundären (hypothalamisch- oder hypophysär-bedingt) Hypogonadismus zu differenzieren.

Die undifferenzierte Substitution eines erniedrigten Testosteronspiegels ohne weitere Ursachenabklärung ist abzulehnen. Neben der Unsicherheit bezüglich der korrekten Diagnose würden andernfalls möglicherweise Krankheitsbilder mit erheblicher Morbidität nicht ausreichend früh diagnostiziert.

Während bei primärem Hypogonadismus erhöhte Gonadotropine gefunden werden, zeigen sich diese bei sekundären Formen erniedrigt oder inadäquat im normalen Bereich. Bei den Differenzialdiagnosen des sekundären Hypogonadismus sind die Hyperprolaktinämie, Neoplasien im Bereich von Hypothalamus und Hypophyse, infiltrative Erkrankungen wie die Hämochromathose, ein Schlafapnoesyndrom und genetische Formen zu berücksichtigen.

Therapie

Substitution von Testosteron

Falls eine ursächliche Behandlung des Hypogonadismus nicht möglich ist bzw. nicht zu einer funktionellen Normalisierung der hypothalamo-hypophysär-testikulären Achse führt, steht therapeutisch die Substitution mit Testosteron im Vordergrund. Ziel ist eine stabile Normalisierung der Serumspiegel.

Mit der Substitution ist eine Zunahme von sexueller Phantasie und Aktivität wie auch nächtlicher Erektionen zu erwarten. Zudem wird ein vermehrtes Haarwachstum in Androgen-sensitiven Bereichen, eine Zunahme der Muskelkraft, eine Abnahme der Fettmasse sowie Zunahme der Knochendichte beobachtet. Auffällig ist zudem häufig eine Zunahme an Energie und Lebensqualität, mit positiverer Gemütslage.

Potenzielle Nebenwirkungen

Demgegenüber stehen potenzielle Nebenwirkungen, insbesondere bei bestimmten Risikokonstellationen. So zeigen Prostata- und Mamma-Karzinome eine hohe Abhängigkeit von hormonellen Stimuli und stellen somit relative Kontraindikationen für einen Testosteronersatz dar. Vor Beginn einer Testosteronsubstitution ist daher immer eine urologische Untersuchung einschließlich Sonographie der Prostata sowie PSA-Bestimmung zu fordern.

Es ist zu bedenken, dass niedrige PSA-Werte ein okkultes Prostata-Karzinom im Zustand niedriger Testosteronspiegel nicht ausschließen. Nach Beginn der Substitution sollte deshalb der PSA nach drei Monaten und zunächst weiter halbjährlich kontrolliert werden.

Während sich eine vorbestehende Anämie unter Substitution normalisieren kann, kann es bei ungewollt supraphysiologischen Testosteronspiegeln zu einer Polyglobulie mit der Gefahr von thromboembolischen Ereignissen kommen. Kontrollen des Hämatokrits sind daher empfehlenswert; ein Hämatokrit über 50 Prozent stellt eine relative Kontraindikation zur Substitution dar.

Weitere Kontraindikationen stellen therapieresistente Harnwegsinfekte bei Prostata-Hyperplasie sowie die therapierefraktäre Herzinsuffizienz dar. Ein Anstieg von kardiovaskulären Ereignissen unter Testosteronsubstitution wird kontrovers diskutiert, war in einer aktuellen kontrollierten Studie aber nicht nachweisbar. Allerdings wurde eine Zunahme von Vorhofflimmern und Nierenschädigungen unter Substitution beobachtet.

Fazit

Auch beim älteren Mann sollte bei typischen klinischen Symptomen an einen Testosteronmangel gedacht werden. Im Vordergrund steht die Diagnose durch eine*n erfahrene*n Ärzt*in mit sicherem biochemischem Nachweis und Abklärung der Ursache des Hypogonadismus. Gegebenenfalls sollte dann die Substitution erfolgen - unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen und Kontraindikationen.

Das Konzept einer supraphysiologischen Behandlung mit Testosteron zur Leistungsverbesserung bzw. im Rahmen eines Anti-Aging-Konzepts ist nicht durch Studien belegt. Es sei demnach aufgrund der damit verbundenen Risiken abzulehnen.

Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie

Literatur

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[6] Klug entscheiden in der Endokrinologie. https://www.klug-entscheiden.com/empfehlungen/endokrinologie