PsycheOft unerkannt: Essstörungen bei Männern

Magersucht und Bulimie gelten in der Öffentlichkeit als Frauenerkrankungen. Dabei betreffen schätzungsweise 25-30 Prozent der Essstörungsdiagnosen Männer.

Person steht auf der Waage, daneben ein Maßband
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Essstörungen bei Männern sind oft muskelorientiert. Häufiger als Frauen sind sie vor der Erkrankung übergewichtig.

Magersucht und Bulimie gelten in der Öffentlichkeit als Frauenerkrankungen. Dabei betreffen schätzungsweise 25-30 Prozent der Essstörungsdiagnosen Männer. Prof. Barbara Mangweth-Matzek berichtet in der Fachzeitschrift „PiD Psychotherapie im Dialog“, dass sie oft unter einer sogenannten muskelorientierten Essstörung leiden. Durch ihre Ernährungsweise und gesteigerte sportliche Aktivität erscheinen die Betroffenen zunächst als gesundheitsbewusst. Die Diagnose sei daher schwierig, auch weil Männer noch seltener Hilfe suchten als erkrankte Frauen.

Grundsätzlich zeigen Männer mit einer Essstörung ein ähnliches Verhalten wie betroffene Frauen: Aus Angst, an Körpergewicht zuzunehmen, setzen sie alles daran, ihr Gewicht zu kontrollieren. Essattacken kompensieren Betroffene, indem sie erbrechen, Abführmittel missbrauchen, fasten oder exzessiv Sport treiben. Trotz Untergewicht empfinden sie sich als zu dick. Aufgrund dieser Körperbildstörung fällt es ihnen schwer, ihr Verhalten als „krank“ einzustufen. „Extreme Disziplinanforderung und überdimensionaler Leistungsanspruch in verschiedensten Lebensbereichen bilden häufig den Kontext der Anorexia nervosa – der Magersucht“, erklärt Psychologin und Psychotherapeutin Prof. Barbara Mangweth-Matzek, Expertin für Essstörungen ist an der Medizinischen Universität Innsbruck.

Muskelorientierte Essstörung

Häufiger als Frauen sind Männer vor der Erkrankung übergewichtig. Weniger zu essen und eine gesteigerte sportliche Aktivität werden dann als gesundheitsbewusst und nicht als Anzeichen einer Essstörung gewertet. „Das Erkennen von pathologischen Mustern im Zusammenhang mit Sport ist sehr schwierig“, so die Autorin. Männliche Essstörungen seien oft muskelorientiert. Die Betroffenen strebten nach einem übermäßig muskulösen Körper mit geringstmöglichem Fettanteil. Regelmäßiges Krafttraining sowie klare Essensvorgaben dominierten den Alltag. Damit verknüpft ist die sogenannte Muskeldysmorphie, ein gestörtes Selbstbild: Den Betroffenen erscheint die Ausprägung der eigenen Muskulatur im Vergleich zu ihrer Idealvorstellung nie ausreichend.

Zusammenhang von sexueller Orientierung und männlicher Essstörung

Untersuchungen zeigen, dass Essstörungen bei Männern mit homo- oder bisexueller Orientierung öfter auftreten. Homosexuelle Männer sind mit 2-8 Prozent deutlich häufiger betroffen als heterosexuelle mit 0,3-2 Prozent. Als Grund dafür werden verschiedene Erklärungen angeführt: „Nicht-heterosexuelle Männer erleben ihren Körper oft als Objekt, welches einem schlanken, muskulösen Schönheitsideal unterworfen und damit auch häufig mit Körperunzufriedenheit assoziiert ist“, führt die Expertin aus. Zudem könne die Essstörung als Folge von Stress auftreten, dem sie als Angehörige einer gesellschaftlichen Minderheit ausgesetzt sind. 

Doppelte Stigmatisierung erschwert Suche nach Hilfe

Betroffene beider Geschlechter schämten sich, stritten die Erkrankung ab und zögen sich zurück. Bei Männern komme hinzu, dass sie, so die öffentliche Wahrnehmung, unter einer typischen Frauenerkrankung leiden. Das komme einer doppelten Stigmatisierung gleich. „Dass Betroffene ihr Essstörungsleid von sich aus ansprechen, ist deshalb kaum zu erwarten. Gestörtes Essverhalten muss entweder routinemäßig oder bei Verdacht in der ärztlichen oder therapeutischen Praxis klar und empathisch erfragt werden“, betont Mangweth-Matzek.

Quelle: Pressemitteilung/FZMedNews