DemenzSoziale Kontakte stärken Menschen mit Demenz

Menschen mit Demenz, die in ihrem gewohnten Umfeld betreut und sozial eingebunden sind, weisen bessere Krankheitsverläufe auf, so das Ergebnis einer Studie.

Seniorinnenhände schälen Kartoffeln
K. Oborny/Thieme; posed by a model

Ressourcenorientierte Aktivitäten, Tagesroutinen und Wertschätzung sind wichtig in der Versorgung von Menschen mit Demenz und können den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.

Neue Studie zur Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz

Die Studie „Identifikation relevanter psychosozialer Faktoren in der Entstehung, Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz“ des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) untersucht die Wirkung unterschiedlicher Maßnahmen bei der Behandlung von Menschen mit Demenz.

Zentrales Ergebnis: Von Demenz betroffene Menschen, die in ihrem gewohnten Umfeld betreut werden und sozial eingebunden sind, weisen bessere Krankheitsverläufe auf.

Gute und regelmäßige soziale Kontakte, gemeinsame Aktivitäten, die das soziale Miteinander fördern und den Menschen mit Demenz aktiv am Alltag teilhaben lassen, wirken sich positiv auf Demenzsymptome aus.

Die Forscher*innen bezogen in ihrer Arbeit Mitarbeiter*innen aus Pflege und medizinischer Versorgung, Ehrenamtliche und betreuende Angehörige in Fokusgruppendiskussionen ein. Die in den Fokusgruppen genannten psychosozialen Interventionen waren sehr vielfältig, u.a.:

  • sportliche Aktivitäten wie Gymnastik
  • Massagen
  • Musiktherapie, tiergestützte Interventionen, Waldbaden
  • ergotherapeutische Anwendungen
  • strukturierter Tagesablauf/Routinen
  • Wohnraumanpassung
  • soziale Kontakte zu Familie und Freunden
  • kognitive Stimulation wie Singen, Anschauen von Fotoalben

Als entscheidend erachteten die Akteur*innen in der Versorgung eine grundlegende Haltung, die wertschätzend und ressourcenorientiert auf die Bedürfnisse eingeht: Der Mensch müsse in der Versorgung und Begleitung mit seiner Individualität im Vordergrund stehen, nicht seine Demenz.

Die Befragten gaben an, dass durch individuell ausgerichtete psychosoziale Maßnahmen das Wohlbefinden gestärkt wird. Sie berichteten eine aktivierende Wirkung sowie positive Effekte auf den Krankheitsverlauf. So ginge etwa herausforderndes Verhalten zurück, bestimmte Fähigkeiten und die Motivation, Tätigkeiten auszuführen könnten wiederlangt werden.  

Eine gute soziale Einbindung erachten die Befragten als positiven Einfluss und wesentlich für den Krankheitsverlauf und die Demenzsymptomatik, z.B. durch einen aktiveren Lebensstil. Verluste sozialer Beziehungen werden demgegenüber als traumatisierend wahrgenommen. Das führe zu Vereinsamung, sozialem Rückzug und trage zur Verschlechterung der Demenzsymptome bei. 

Gemeinsame wertfreie Aktivitäten, gemeinsames Erleben, eine liebevolle Beziehungsgestaltung sind weitere wichtige Aspekte, die bei Menschen mit Demenz ein positives Selbstbild und das Gefühl von Wert und Identität unterstützen können.

Die Studie bestätigt mit ihren Ergebnissen Untersuchungen aus dem Ausland, die zuvor ähnliche Ergebnisse nahegelegt hatten. Sie wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Hintergrund

Nach aktuellen Schätzungen leben in Deutschland 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Diese Zahl könnte bis zum Jahr 2050 auf bis zu 2,8 Millionen ansteigen. Bisher standen bei der Versorgung von Menschen mit Demenz vor allem medizinische und pflegerische Aspekte im Vordergrund. Mit der jetzt veröffentlichten Studie rücken psychosoziale Aspekte stärker in den Fokus.

Die Ergebnisse der Studie geben wichtige Hinweise für ein gutes Miteinander mit an Demenz erkrankten Menschen sowie ihrer Pflege und Behandlung: Demnach spielt die eigene Lebenswelt für Menschen mit Demenz eine besonders wichtige Rolle.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus: „Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass wir bei der Versorgung von Menschen mit Demenz neben medizinischen auch die sozialen Aspekte in den Vordergrund stellen müssen. Als Gesellschaft müssen wir alles dafür tun, dass Demenzkranke so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt in ihrem gewohnten Zuhause leben können und in soziale Aktivitäten eingebunden sind."

Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Sprecher des DZNE-Standorts Rostock/Greifswald: „Die intensiven Diskussionen mit den Studienteilnehmenden bestätigen, dass psychosoziale Faktoren eine hohe Bedeutung haben – sowohl für die Lebensqualität als auch für die Autonomie und die soziale Teilhabe von Menschen mit Demenz. Wenn die psychosozialen Aspekte gezielt gestärkt werden, beeinflusst das den Krankheitsverlauf positiv und unterstützt die pflegenden Angehörigen.“

Studienkoordinatorin Dr. Francisca S. Rodriguez: „Ein zusprechendes, anerkennendes und liebevolles soziales Umfeld kann die positiven Auswirkungen psychosozialer Maßnahmen noch zusätzlich verstärken“.

Aus den Ergebnissen der Fokusgruppen-Diskussionen leiten die Forschenden konkrete Handlungsempfehlungen ab. Danach ist es wichtig, Modellprojekte zu initiieren, die „positive soziale Kontakte von Menschen mit Demenz“ stärken. Bedarf besteht auch an gesellschaftlicher Aufklärung sowie der Unterstützung der Angehörigen, um ein Verständnis für Demenzsymptome zu schaffen. In der Praxis scheitern allerdings viele Ansätze am Mangel an geschultem Personal und auch weiten Entfernungen und entsprechenden Transportmöglichkeiten. „Trotzdem wäre es ein nächster wichtiger Schritt, konkrete praktische Möglichkeiten zu entwickeln, um die nachweislich effektivsten psychosozialen Maßnahmen in die Demenzversorgung zu integrieren“, schlussfolgern die Autorinnen.

Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen

Literatur

Ziegert N, Ross SD, Rodriguez FS. Identifikation relevanter psychosozialer Maßnahmen in der Entstehung, Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz. DZNE 2022