DemenzSchizophrenie-Medikament als neue Demenz-Therapie?

In Untersuchungen ließen sich mit dem Medikament abgestorbene Nervenzellen zwar nicht reparieren. In frühen Krankheitsstadien könnte das Medikament jedoch die Demenz stoppen, so die Forscher*innen. 

mit Kreide gemalter Kopf aus dem Puzzle-Teile entweichen; Symbolbild für Demenz
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Lücken im Kurzzeitgedächtnis können Vorbote einer Demenz sein.

Ein Hannoveraner Forschungsteam hat herausgefunden, dass das Antipsychotikum Amisulprid Potenzial bei Demenz haben könnte. Es wurde bereits in zellulären Modellen und im Tiermodell erfolgreich für Demenz getestet. Aktuell bereiten die Forscher*innen eine klinische Studie vor, um Amisulprin bei Demenzpatienten untersuchen. 

Eiweißablagerungen im Gehirn

Ein gemeinsames Merkmal vieler neurodegenerativer Erkrankungen sind krankhafte Eiweißablagerungen im Gehirn. Sie führen dazu, dass Nervenzellen absterben und ganze Hirnareale schrumpfen können. Das zeigt sich bei Betroffenen als fortschreitende Demenz. Das sog. Tau-Protein ist an der Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer und Frontotemporale Demenz beteiligt.

Ein Forschungsteam um den Neurophysiologen Prof. Evgeni Ponimaskin von der Medizinischen Hochschule Hannover hat bereits herausgefunden, dass dabei die Signalübertragung durch den Serotonin-Rezeptor 5-HT7R eine entscheidende Rolle spielt. Gemeinsam mit internationalen Wissenschftler*innen untersuchten sie nun die Wirkung des Antipsychotikums Amisulprid auf den Rezeptor 5-HT7R. Das zur Behandlung von Schizophrenie zugelassene Medikament kann den 5-HT7R blockieren und so die krankhafte Anhäufung des Tau-Proteins verhindern. Der Effekt von Amisulprid wurde sowohl in verschiedenen zellulären Modellen als auch in Tiermodellen für Demenz erfolgreich getestet. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht worden.

Dauerhafte Grundaktivität fördert Proteinablagerung

Serotonin ist ein Botenstoff, der eine Reihe von lebenswichtigen Prozessen steuert, etwa Blutgerinnung, Lernprozesse oder den Schlaf-Wach-Rhythmus. Da es auch unsere Stimmungslage beeinflusst, ist es als „Glückshormon“ bekannt. Der Botenstoff vermittelt seine Wirkungen, indem er bestimmte Rezeptoren aktiviert, die an die Zellmembran gebunden sind. Diese Serotonin-Rezeptoren kommen in verschiedenen Varianten vor und sind verstärkt in Hirnregionen, die bei Demenz betroffen sind, zu finden.

Für den Rezeptor 5-HT7R hat Ponimaskin bereits in früheren Untersuchungen eine hohe Basalaktivität festgestellt. „Das bedeutet, der Rezeptor ist dauerhaft aktiv, auch ohne dass Serotonin an ihn bindet“, erklärt der Neurophysiologe. Durch seine hohe Aktivität stimuliert 5-HT7R eine chemische Veränderung an Tau-Proteinen, die die krankhafte Anhäufung in der Zelle fördert. Die pathologische Überaktivität lässt sich jedoch stoppen, indem Gegenspieler, sog. inverse Agonisten die Signalübertragung des Rezeptors blockieren.

Antipsychotikum als mögliche Therapie

Die Stoffklasse der inversen Agonisten hatte sich das Forschungsteam bereits für die Behandlung von Demenz patentieren lassen. Allerdings konnte man die bekannten inversen Rezeptoragonisten bislang nur im Labor und nicht klinisch anwenden. Deswegen haben die Forschenden in ihrer aktuellen Veröffentlichung ein breites pharmakologisches Screening von bereits zugelassenen Medikamenten durchgeführt und untersucht, ob sie den Serotonin-Rezeptor beeinflussen können. „Das Antipsychotikum Amisulprid hat sich als potenter inverser 5-HT7R-Rezeptoragonist erwiesen“, stellt Dr. Josephine Labus, Mitautorin der Studie, fest.

Zwar ließen sich abgestorbene Nervenzellen nicht wieder reparieren. Im frühen Krankheitsstadium könnte das Medikament die Demenz jedoch stoppen oder sogar ganz verhindern.

Der therapeutische Effekt von Amisulprid zeigte sich u.a. in Nervenzellen, die aus menschlichen Stammzellen mit krankheitsrelevanten Mutationen differenziert wurden. „Jetzt bereiten wir in Kooperation mit der Neurologischen Klinik der LMU München und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Magdeburg eine klinische Phase-II-Studie vor, um die Wirkung von Amisulprid bei der Behandlung von Patienten mit Demenzen zu testen“, so Ponimaskin. Die Studie soll noch in diesem Jahr starten.

Quelle: Medizinische Hochschule Hannover

Literatur

Jahreis K et al. Amisulpride as a potential disease-modifying drug in the treatment of tauopathies. Alzheimers & Dementia 2023; https://alz-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/alz.13090