Die akute Mittelohrentzündung ist eine der häufigsten Erkrankungen im frühen Kindesalter. Eine Behandlung mit Antibiotika zeigt aber nur geringen Nutzen, so ein aktueller Cochrane Review.
Ein niederländisch-australisches Cochrane-Team hat alle verfügbaren Studien ausgewertet, die die Vor- und Nachteile einer Antibiotika-Behandlung bei Säuglingen und Kleinkindern mit akuter Mittelohrentzündung geprüft haben. Sie fanden 13 Studien mit 3401 Kindern für den Vergleich Antibiotika versus Placebo und 6 Studien mit 1556 Kindern für den Vergleich sofortige Antibiotikagabe versus „abwartendes Beobachten“.
Studien sprechen für abwartendes Beobachten
Das Ergebnis spricht eher für das abwartende Beobachten:
- Antibiotika erhöhten in den Studien nicht die Zahl der Kinder, deren Schmerzen innerhalb von 24 Stunden abklangen.
- Unabhängig von der Behandlung hatten sich zu diesem Zeitpunkt rund zwei Drittel der Kinder erholt oder es war zumindest eine Besserung eingetreten (bei Bedarf durften die Kinder in den Studien Schmerzmittel anwenden).
- Die Zahl der Kinder mit Schmerzen in den folgenden Tagen wurde durch Antibiotika nur geringfügig verringert.
Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz ist für diese Ergebnisse demnach hoch. Evidenz moderater Vertrauenswürdigkeit spricht dafür, dass Schmerzen nach 10 bis 12 Tagen häufiger in der Gruppe ohne Antibiotika auftreten.
Die sofortige Antibiotikagabe hat im Vergleich zum abwartenden Beobachten möglicherweise keinen Einfluss auf die Zahl der Kinder, bei denen die akute Mittelohrentzündung zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftritt (2 Studien mit 584 Kindern).
Nur geringfügig seltener Komplikationen bei Antibiotikagabe
Allerdings verringern Antibiotika im Vergleich zu Placebo leicht die Zahl der Kinder mit Trommelfellrissen und das Übergreifen der Entzündung auf das ursprünglich nicht betroffene Ohr. Kleine Risse im Trommelfell sind aber in der Regel unproblematisch und heilen von selbst ab.
Es lagen keine ausreichenden Daten dazu vor, ob Antibiotika seltene Komplikationen wie Mastoiditis, also die Ausbreitung der Entzündung auf den Knochen rund um das Ohr, verhindern.
Unerwünschte Wirkungen
Von 14 Kindern, die Antibiotika erhalten, bekommt im Durchschnitt ein Kind mehr als unter Placebo eine unerwünschte Wirkung wie Durchfall, Erbrechen oder Hautausschlag aus (8 Studien, 2107 Kinder, hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz).
Zudem sollten Antibiotika generell möglichst sparsam gebraucht werden, um das große globale Problem von antibiotikaresistenten Bakterienstämmen nicht weiter zu verschlimmern. Solche Resistenzen entstehen vor allem durch den übermäßigen und unkritischen Gebrauch von Antibiotika.
Fazit
Bei Kindern in einkommensstarken Ländern erscheint es den Autor*innen des Cochrane Reviews zufolge meist gerechtfertigt, zunächst abzuwarten, ob sich die Beschwerden auch ohne Antibiotika von selbst bessern. Tatsächlich erholen sich die meisten Kinder mit akuter Otitis media spontan und ohne Komplikationen, Schmerzen lassen sich oft auch mit Schmerzmitteln lindern. Wenn die Symptome nach 2-3 Tagen des Abwarten nicht besser geworden sind kann man in Rücksprache mit der Kinderarztpraxis immer noch Antibiotika einsetzen.
Es gibt allerdings auch Fallkonstellationen, die auf eine bakterielle Infektion hinweisen und entsprechend gut auf Antibiotika ansprechen. Dazu gehören vor allem Kinder unter zwei Jahren mit einer beidseitigen Ohrentzündung und Kinder mit eitrigem Ausfluss aus dem Ohr.
Ein weiterer aktueller Cochrane Review untersuchte die Wirksamkeit von Antibiotika bei Kindern mit einer Mittelohrentzündung mit Erguss (OME oder "Leimohr"). Dieser erbrachte allerdings nur Evidenz von sehr geringer Vertrauenswürdigkeit, die keine klaren Rückschlüsse ermöglicht.
Quelle: Cochrane
Literatur
Venekamp RP, Sanders SL, Glasziou PP et al. Antibiotics for acute otitis media in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2023; https://doi.org/10.1002/14651858.CD000219.pub5