UnterzuckerungUnterschätzt und oft verkannt: Unterzuckerung

Ohnmachtsattacken, Schwächeanfälle, Angstzustände – Ursache dafür kann eine extreme Unterzuckerung sein. Schlanke Frauen und Sportler*innen sind besonders gefährdet.

Blutzuckertest
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Nichtdiabetischer Unterzucker wird oft lange nicht richtig erkannt.

Dreimal hatte ein Krankenwagen den Patienten bereits wegen eines epileptischen Anfalls in die Notfallambulanz eingeliefert. Aufgetreten waren die Attacken stets beim Joggen, meist hatte der 50-Jährige zudem kurz vorher noch etwas gegessen. Epilepsie lautete die erste Diagnose; um weitere Anfälle zu verhindern, bekam der Patient anti-epileptische Tabletten.

Was jedoch kein Neurologe erklären konnte: Warum traten die Symptome ausschließlich beim Sport auf? Also begann der Patient selbst, seinen Blutzuckerspiegel zu checken. Und stellte fest: Während des Joggens sank der Zucker regelmäßig auf extrem niedrige Werte. Ein Check in der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie der Uni Freiburg bestätigte den Verdacht: Hauptursache der Attacken waren starke Unterzuckerungen.

Funktionelle Hypoglykämie

Das Krankheitsbild wird als Funktionelle Hypoglykämie bezeichnet. In die Klinik kommen jede Woche zwei bis drei Personen mit ähnlichen Problemen. Die Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie unter Leitung von Prof. Jochen Seufert hat sich auf das Krankheitsbild spezialisiert. Viele der Betroffenen können eine ähnliche Krankheitsgeschichte wie der vermeintliche Epilepsie-Kranke erzählen. Auch bei ihnen war die Ursache lange übersehen worden. Auch Unterzuckerungs-Beschwerden wie Schwächegefühle, Konzentrationsstörungen und Verwirrtheitszustände werden manchmal zunächst als Kreislaufschwäche fehlinterpretiert.

Krankheitsbild noch nicht ausreichend bekannt

Bei anderen Patient*innen sind es Zittern, Schweißattacken und Angstzustände, die für Symptome einer Panikstörung gehalten werden. Denn die gleichen Beschwerden kann auch das Hormon Adrenalin auslösen, das der alarmierte Körper als Reaktion auf den Glukosemangel ausschüttet.

„Dass auch Nicht-Diabetiker gefährliche hypoglykämische Attacken erleben können, hat sich leider noch zu wenig herumgesprochen“, sagt Seufert. Viele Ärzt*innen würden das Krankheitsbild der funktionellen Hypoglykämie noch nicht ausreichend berücksichtigen.

Was die Diagnose der Stoffwechselstörung oft erschwert: Verantwortlich für das Absinken des Glukosespiegels ist das Insulin. Das Hormon gibt Muskeln und Fettgewebe die Anweisung, den Zucker aus dem Blut aufzunehmen. Meist geschieht das etwa ein, bis eineinhalb Stunden nach dem Essen. Bei manchen Patient*innen ist die Reaktion allerdings verzögert, ihr Glukosewert sinkt erst nach drei bis vier Stunden. Dann fällt es besonders schwer, einen Zusammenhang zwischen Symptomen, Nahrungsaufnahme und damit dem Zuckerspiegel herzustellen.

Die Endokrinolog*innen vom Universitätsklinikum Freiburg prüfen zunächst den Verdacht: Sind wirklich Hypoglykämien der wahre Auslöser der Probleme? Dann beginnt die Suche nach dem Grund, warum die Zuckerwerte regelmäßig abstürzen: „Wir versuchen, die Diagnose auf feste Beine zu stellen“, sagt der Endokrinologe. In der Regel sind dafür Spezialuntersuchungen, manchmal sogar ein Klinikaufenthalt notwendig.

Schlanke Frauen und Sportler*innen besonders betroffen

Zwei Gruppen werden besonders häufig Opfer einer solchen Störung:

  • Da sind zum einen die sehr schlanken Frauen. Weibliche Geschlechtshormone machen den Körper besonders insulinempfindlich. Deshalb wird bei Frauen der Zucker besonders schnell aus dem Blut aufgenommen. Für sehr schlanke Personen kann das zum Problem werden, weil sie weniger  Fettgewebe besitzen. Fettzellen desensibilisieren mit ihren Botenstoffe die Insulinrezeptoren.
  • Gruppe Nummer zwei sind ehrgeizige Sportler. Körperliche Anstrengungen treiben die Blutzuckerspiegel nach unten, weil der arbeitende Muskel die Glukose als Treibstoff nutzt. Wird immer wieder während des Trainings nicht ausreichend Energie nachgetankt, stellt sich der Muskel um. Er wird besonders insulinempfindlich, um besser an seinen Treibstoff zu kommen.

„Die Muskeln saugen die Glukose dann geradezu aus den Gefäßen“, erklärt Seufert. Das Problem: Auch das Gehirn ist auf den Zucker angewiesen. Wenn es nicht mehr genug davon bekommt, arbeitet es nicht mehr richtig. Besonders gefährlich wird der Wettstreit um die Glukose zwischen Muskel- und Nervenzellen, falls noch ein zweiter Mechanismus dazukommt: „Wenn man immer wieder an den unteren Grenzwerten entlang kratzt, gewöhnt sich der Körper an die zu niedrigen Spiegel.“ Er verlernt, bei sinkenden Werten rechtzeitig gegenzusteuern, zum Beispiel indem er rechtzeitig auf seine Glukosereserven zurückgreift.

Nicht selten leiden auch Menschen nach Magen-Verkleinerungs-Operationen unter funktionellen Hypoglykämien. Aber theoretisch könne jeder Mensch unter solchen Problemen leiden, sagt Seufert. Weil er zum Beispiel die genetische Veranlagung hat, zu viel Insulin zu bilden.

Therapieziel: Den Stoffwechsel umtrainieren

„Sobald wir die Ursache der Hypoglykämie gefunden haben, können wir sie gezielt therapieren“, sagt der Endokrinologe. Vielen Hypoglykämie-Patient*innen reicht schon eine umfassende Umstellung der eigenen Ernährung. Denn ob der Blutzucker eines Menschen in die Tiefe rauscht, hängt stark davon ab, was von ihm, wann und wie gegessen wird. Bei einer Ernährungsberatung im Universitätsklinikum werden den Patient*innen deshalb Techniken beigebracht, um den eigenen Stoffwechsel umzutrainieren, so dass er wieder weniger insulinempfindlich wird.

Reicht das nicht, können auch Medikamenten helfen. Der Wirkstoff Diazoxid ist z.B. in der Lage, die Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse nach dem Essen zu bremsen. Ähnlich wirken auch sogenannte Somatostatin-Analoga, die allerdings gespritzt werden. Und wenn all das nicht hilft, gibt es noch eine weitere Methode, sich vor Unterzuckerungen zu schützen: Gewicht zuzulegen. Weil die Muskeln dann durch die Hormone der Fettzellen weniger insulinempfindlich werden. Auch das hat Jochen Seufert schon sehr schlanken Patient*innen empfohlen.

Quelle: Universitätsklinikum Freiburg