SchmerzVR-Brillen, Smartphone-Apps und DIGAs in der Schmerztherapie

Digitale Anwendungen (DIGAs) haben großes Potenzial in der Versorgung von Schmerzpatient*innen. 11 Smartphone-Apps sind bereits erstattungsfähig.

Symbolbild für Telemedizin: Smartphone und Stethoskop
Jackie Niam/stock.adobe.com

Digitalisierung in der Medizin ist kein Selbstzweck. Apps, VR-Brillen und Telemedizin unterstützen die Schmerztherapie sinnvoll, z.B. in der Migräneprophylaxe.

Ein zentrales Element bei der Behandlung von chronischen Schmerzen ist die multimodale Schmerztherapie: Neben der medikamentösen Therapie umfasst sie Bewegung, Entspannungstherapien und kognitive Verhaltenstherapie zur Schmerzbewältigung. „Hier gibt es jedoch große Versorgungslücken“, sagte Prof. Axel Schäfer auf dem Schmerzkongress in Mannheim. DiGAs (Digitale Gesundheitsanwendungen) könnten helfen, diese Lücken zu schließen und die ambulante Therapie zu unterstützen.

VR-Brillen und Apps können als Teil der Schmerztherapie eingesetzt werden, um den Patienten Mittel an die Hand zu geben, die ihnen helfen, mit ihren Schmerzen umzugehen. Auch außerhalb der Zeit, in der sie die VR/App nutzen.

Virtual Reality in der Schmerztherapie

Die digitalen Möglichkeiten seien vielfältig und ihre Wirksamkeit zunehmend gut belegt. Als Beispiel nennt Schäfer Virtual Reality (VR). Dabei wird über eine VR-Brille die Illusion eines virtuellen Körpers erzeugt, der in einer künstlichen Welt agiert. Das lenkt zum einen effektiv vom Schmerz ab. „Zum anderen kann der Nutzer vollständig in die virtuelle Umgebung eintauchen und den virtuellen Körper im Idealfall als real präsent erleben“, so Schäfer.

Dieses Phänomen wird als Embodiment bezeichnet und als einer der möglichen Wirkmechanismen von VR in der Schmerztherapie diskutiert. Denn durch die Illusion eines virtuellen Körpers verändere sich auch die Körper- und Schmerzwahrnehmung in der realen Welt. In den vergangenen Jahren habe VR in der Therapie chronischer Schmerzen zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Was bewirken VR-Brillen und Apps?

Wirkmechanismen [5]
  • Ablenkung
  • Schmerzedukation => Rekonzeptualisierung
  • Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie, zum Beispiel Zielsetzung und Planung, Feedback und Monitoring, soziale Unterstützung, positive Verstärkung, Selbstbeobachtung
  • VR: Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen)
  • VR: Embodiment durch Immersivität: Illusion eines virtuellen Körpers wird genutzt, um Körperwahrnehmung zu verändern / Avatar
Wirksamkeit VR

Eine Metaanalyse mit 25 Studien [2] zeigt große Effekte auf Schmerz und Funktion (SMD 1,6 und 1,4). Eine aktuelle Metaanalyse zum Einsatz von VR in der Schmerztherapie (akut, chronisch, prozeduraler Schmerz) belegt kleinere Effektgrößen von SMD 0,65 in Bezug auf die Schmerzreduktion [5]. Bei jüngeren Patienten mit moderaten bis starken Schmerzen war der Effekt am größten.

Nebenwirkungen: Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, Druckgefühl selten [3]

Implementierung

In einem Scoping Review berichteten Patient*innen Barrieren im Zusammenhang mit Hard- und Software sowie Fähigkeit des Umgangs mit VR („Gaming Skills“).
Fördernde Faktoren waren Unterstützung durch Therapeuten, positive Erwartungshaltung, positive Emotionen (Spaß am Spiel, neue Erfahrung), diese wurden auch von Therapeuten als fördernd angegeben.

Smartphone-Apps

Eine kleine, aber signifikante schmerzreduzierende Wirkung kann auch durch speziell entwickelte Smartphone-Apps erzielt werden. Mittlerweile sind 11 solcher Apps für den Indiaktionsbereich Schmerz vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) anerkannt und als erstattungsfähige DiGAs gelistet.

„Meist beinhalten sie Elemente wie Stressreduktion, Entspannung, Schlafhygiene, Ernährung oder ein Schmerztagebuch“, fasst Schäfer zusammen. Damit könnten die Apps eine ambulante Therapie unterstützen und helfen, das Erreichte in den Alltag zu übertragen.

Smartphone-Apps für Schmerz

Mittlerweile sind 11 erstattungsfähige digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach erfolgreicher Prüfung durch das BfArM gelistet (https://diga.bfarm.de/de).

Wirksamkeit

Eine Studie belegt signifikanter Effekte (SMD 0,4) auf Schmerzverbesserung mit vermutlich niedriger Evidenzqualität [10]. Ein aktuelles Review ohne Metaanalyse berichtet, dass mHealth Schmerz, Funktion und Lebensqualität verbessern kann [8].

Kopfschmerz: Die Effektivität von DiGAs ist weniger gut belegt. Aber es gibt eine Reihe von Smartphone-Apps für Migräne, mit Bestandteilen wie Kopfschmerztagebuch, Information, Entspannung,
Stressreduktion, Schlafhygiene, Ernährung [9].

Apps für Kopfschmerz (Auswahl)

sinCephalea - die App zur Migräneprophylaxe ist beim BfArM gelistet

Migräne-App - entwickelt von Schmerzklinik Kiel, Kopfschmerzbehandlungsnetz und TK

DMKG-App - für Clusterkopfschmerz und Migräne

Telemedizin

Nicht zuletzt kann auch die Telemedizin dazu beitragen, die Versorgung von Schmerzpatient*innen zu verbessern und ortsunabhängig zu machen. „Das therapeutische Potenzial der Digitalisierung ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft und lässt sich bislang allenfalls grob abschätzen“, sagt PD Dr. Lars Neeb.

Viele Forschungsfragen noch offen

Angesichts der rasanten Entwicklung und fehlender Langzeitdaten seien allerdings noch viele Fragen offen. Künftige Forschung zum Thema müsse nicht nur die therapeutischen Effekte genauer evaluieren und Patientengruppen identifizieren, die unterschiedlich gut von den DiGAs profitieren. Sie müsse sich auch damit auseinandersetzen, welche Hürden bei der Anwendung bestehen und wie man Patient*innen mit bislang nur geringer Affinität zu digitalen Medien gezielt ansprechen und einbinden sowie sie bei der Nutzung dieser Anwendungen unterstützen könne.

Zukünftige Forschungsaufgaben seien laut Neeb:

  • Welche Patienten profitieren von digitalen Anwendungen und welche nicht?
  • Wie wird die Gesundheit von eHealth Literacy beeinflusst? [12]
  • Welche kulturellen Unterschiede und Bedürfnisse von Patient*innen und Angehörigen der Gesundheitsberufe gibt es? [4]
  • Was brauchen Organisationen zur erfolgreichen Implementierung von digitalen Technologien? [4]
  • Welche ethischen Probleme gibt es? [4]
  • Wie können Angehörige der Gesundheitsberufe positive Erfahrungen mit digitalen Technologien machen? [4]

Dieses Wissen käme letztlich wieder den Betroffenen zugute. „Denn eines dürfen wir nie aus den Augen verlieren“, so Neeb, „die Digitalisierung darf nie zum Selbstzweck werden, sondern muss immer am Patientenwohl orientiert bleiben und in Behandlungskonzepte eingebunden werden. Sie können die Behandlung unterstützen, aber nicht den direkten Arzt / Therapeuten – Patienten Kontakt ersetzen.“

Quelle: Pressonferenz Deutscher Schmerzkongress 2023

Literatur

[1] Arcury TA et al. Older Adult Internet Use and eHealth Literacy. J Appl Gerontol 2020; doi:10.1177/0733464818807468
[2] Goudman L et al. Virtual Reality Applications in Chronic Pain Management: Systematic Review and Metaanalysis. JMIR Serious Games 2022; doi:10.2196/34402
[3] Jones T et al. The Impact of Virtual Reality on Chronic Pain. PLoS One 2016; doi:10.1371/journal.pone.0167523
[4] Konttila J et al. Healthcare professionals' competence in digitalisation: A systematic review. J Clin Nurs 2019; doi:10.1111/jocn.14710
[5] Lier EJ et al. Effect modifiers of virtual reality in pain management: a systematic review and meta-regression analysis. Pain 2023; doi:10.1097/j.pain.0000000000002883
[6] Liu P et al. Relationship Between Levels of Digital Health Literacy Based on the Taiwan Digital Health Literacy Assessment and Accurate Assessment of Online Health Information: Cross-Sectional Questionnaire Study. J Med Internet Res 2020; doi:10.2196/19767
[7] Mitsuhashi T. Effects of two-week e-learning on eHealth literacy: a randomized controlled trial of Japanese Internet users. PeerJ 2018; doi:10.7717/peerj.5251
[8] Moreno-Ligero M et al. mHealth Intervention for Improving Pain, Quality of Life, and Functional Disability in Patients With Chronic Pain: Systematic Review. JMIR Mhealth Uhealth 2023; doi:10.2196/40844
[9] Neeb L et al. [Digitalization in headache therapy]. Schmerz 2020; doi:10.1007/s00482-020-00508-3
[10] Pfeifer AC et al. Mobile Application-Based Interventions for Chronic Pain Patients: A Systematic Review and MetaAnalysis of Effectiveness. J Clin Med 2020; doi:10.3390/jcm9113557
[11] Samerski S et al. Digitale Gesundheitskompetenz in Deutschland – gefordert, aber nicht gefördert? Ergebnisse der empirischen Studie TK-DiSK. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2019;(144-145), 42-51
[12] Soellner R et al. The Concept of eHealth Literacy and Its Measurement: German Translation of the eHEALS. Journal of Media Psychology: Theories, Methods, and Applications 2014; doi:10.1027/1864-1105/a000104
[13] SVR. Digitalisierung für Gesundheit – Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems. Retrieved from Bonn / Berlin 2021;  https://www.svrgesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2021/SVR_Gutachten_2021_online.pdf