ImmunsystemAllergien: Neue Studie stellt Hygiene-Hypothese infrage

Spielen Kinder im Dreck, sind sie gesünder und vor Allergien geschützt, so die bisherige Annahme. Eine neue Studie weckt Zweifel an der als Hygiene-Hypothese bezeichneten Auffassung.

Kleines Mädchen sitzt neben Hund
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Die Hygiene-Hypothese muss möglicherweise neu ausgerichtet werden und weitere Faktoren zur Sauberkeit hinzunehmen.

Spielen im Dreck macht Kinder gesünder und schützt vor Allergien? Die neue Studie eines Forschungsteams weckt nun Zweifel an dieser Annahme.

Die Annahme, dass der Kontakt mit Schmutz in der Kindheit das Immunsystem trainiert und vor späteren allergischen Erkrankungen schützt, wird als Hygiene-Hypothese bezeichnet. Sie beruht auf der Beobachtung, dass Allergien und Autoimmunerkrankungen wie Asthma, Heuschnupfen oder Ekzeme stark zugenommen haben und Menschen, die beispielsweise auf einem Bauernhof aufgewachsen sind, weniger an solchen Krankheiten leiden. Die vermutete Ursache: zu große Sauberkeit. Denn: Wenn das Immunsystem sich nicht mit Eindringlingen von außen beschäftigen muss, richtet es sich gegen sich selbst – mit den bekannten Folgen.

Hygiene-Hypothese nicht ausreichend experimentell überprüft

Obwohl die Hygiene-Hypothese seit 1989 als gängige Forschungsmeinung gilt und von statistischen Gesundheitsdaten gestützt wird, wurde sie bisher nicht ausreichend experimentell überprüft. In seinem Versuch verglich das Forschungsteam nun eine Gruppe von Standard-Labormäusen, die unter nahezu keimfreien Bedingungen geboren werden und aufwachsen, mit sogenannten Wildlingsmäusen. Die Wildlinge sind eine neue Form von Labormäusen, die Prof. Stephan Rosshart von der Uni Erlangen entwickelt hat.

Sie sind genetisch identisch mit Standard-Labormäusen, tragen jedoch die Mikroorganismen von echten Wildmäusen aus der freien Natur. Sie wachsen unter halbnatürlichen Bedingungen – in Käfigen mit Heu und anderen Materialien – auf und sind von Geburt an der mikrobiellen Belastung wie in der normalen Umwelt ausgesetzt.

Das überraschende Ergebnis: Beide Gruppen von Mäusen reagierten in ähnlichem Maß auf Allergene. „Wildlinge waren also nicht vor Allergien geschützt, wie es gemäß der Hygiene-Hypothese zu erwarten gewesen wäre“, erklärt Stephan Rosshart. „Im Gegenteil, sie entwickelten sogar stärkere Symptome.“

Ist die Hygiene-Hypothese nun widerlegt?

Ist die Hygiene-Hypothese nun widerlegt? „Nicht direkt“, sagt Rosshart. „Doch unsere Studie wirft ein ganz neues Licht auf die Hygiene-Hypothese. Sie zeigt, dass vielfältige mikrobielle Expositionen sowie Infektionen nicht die einzigen oder Hauptfaktoren für den dramatischen Anstieg allergischer Erkrankungen sind. Die Erklärung muss komplizierter sein, wahrscheinlich gibt es viele verschiedene Faktoren.“

Bemerkenswert sei zum Beispiel, dass etwa seit den 1960er-Jahren bei Kindern in Europa und in den USA die Asthma-Fälle deutlich angestiegen sind. Und das obwohl die heutigen Hygiene-Standards schon bis 1920 entwickelt worden waren und große Teile der Menschen danach lebten.

„Unsere Studie wird dazu beitragen, das Verständnis der Wissenschaft für die Hygiene-Hypothese neu auszurichten und die Forschung dazu ermutigen, andere Faktoren wie das Leben in Innenräumen, körperliche Aktivität, Schadstoffe und chemische Verbindungen in der modernen Welt genauer zu untersuchen.“

Die Studie wurde durchgeführt von einem Team der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), des Uniklinikums Erlangen und des Karolinska Institutet in Stockholm.

Quelle: uni/mediendienst/forschung Nr. 58/2023/UK Erlangen

Literatur

Ma J, Urgard E, Runge S et al. Laboratory mice with a wild microbiota generate strong allergic immune responses. Science Immunology 2023; doi: 10.1126/sciimmunol.adf7702