SchmerzGeschlechterspezifik der Migräne

Frauen leiden zweimal häufiger unter Migräne als Männer. Eine reine Frauenerkrankung ist sie dennoch nicht, weshalb geschlechtsspezifische Aspekte in die Therapie einbezogen werden sollten.

Frau steht im Türrahmen und hält die Hände vor die Augen, Migräneattacke
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Migräne tritt bei Frauen häufiger im Alter zwischen 15 und 49 Jahren auf.

Viele Kopfschmerzerkrankungen zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede in Häufigkeit, Schwere und Symptomatik. Beispielsweise tritt Migräne häufiger bei Frauen auf, während der Clusterkopfschmerz häufiger Männer betrifft.

Migräne betrifft circa 15 Prozent der weltweiten Bevölkerung und tritt bei Frauen zweimal häufiger als bei Männern auf. In Deutschland leben also über 7 Millionen Frauen mit Migräne. Migräne ist bei Frauen nicht nur häufiger, sondern die Symptome werden durchschnittlich als intensiver empfunden. Das berichtete die Neurologin Dr. Bianca Raffaelli auf dem Deutschen Schmerzkongress.

Hormonelle, genetische und Umweltfaktoren

So erleben Frauen eine ausgeprägtere allgemeine Beeinträchtigung durch die Migräne. Bei Frauen zwischen 15 und 49 Jahren ist Migräne die Erkrankung weltweit, die die Lebensqualität am stärksten einschränkt. Die genauen Ursachen für die erhöhte Prävalenz von Migräne bei Frauen sind vielschichtig und beinhalten hormonelle, genetische und Umweltfaktoren.

Menstruation

Schwankungen in den Konzentrationen von Sexualhormonen können den Migräneverlauf beeinflussen. Ein schneller Abfall der Östrogenkonzentrationen kann bei manchen Frauen Migräneattacken triggern, was als „Östrogenentzugshypothese“ bekannt ist. Dies ist zum Beispiel kurz vor und während der Menstruation – bei der sogenannten menstruellen Migräne – der Fall. Weitere Beispiele sind der Östrogenabfall nach Entbindung, das hormonfreie Intervall bei Einnahme einer oralen Kontrazeption oder die Hormonschwankungen während der Wechseljahre.

Die genauen Beziehungen zwischen Migräne und Sexualhormonen sind komplex und es ist nicht vollständig geklärt, warum Östrogenschwankungen Migräneattacken triggern können. Möglicherweise führt der Östrogenabfall bei Frauen mit Migräne zu einer vermehrten Ausschüttung von CGRP, einem entzündlichen Botenstoff, der bei Migräne eine entscheidende Rolle spielt.

In einer aktuellen Studie der Arbeitsgruppe um Raffaelli konnte gezeigt werden, dass die CGRP-Konzentrationen während der Menstruation bei Migränepatientinnen höher sind als die von gesunden Kontrollprobandinnen, was diese Hypothese unterstützt.

Schwangerschaft

Eine weitere hormonelle Umstellungsphase stellt die Schwangerschaft dar. Der starke Östrogenanstieg kann sich auf die Häufigkeit und Intensität von Migräneattacken auswirken. Typischerweise verbessert sich die Migräne während der Schwangerschaft, eine Verschlechterung oder das Neuauftreten einer Migräne in der Schwangerschaft sind jedoch auch möglich, vor allem bei Migräne mit Aura.

Ein bestehender Kinderwunsch sollte bei therapeutischen Entscheidungen berücksichtigt werden, da einige Medikamente – insbesondere zur Migräneprophylaxe – teratogene Effekte haben können.

Empfehlenswert sind eine neurologische und gynäkologische Begleitung von Patientinnen mit Migräne während der Familienplanung, Schwangerschaft und Stillzeit sowie die Berücksichtigung von anderen Kopfschmerzursachen bei ungewöhnlichen Verläufen.

Begleiterkrankungen

Ein weiterer geschlechtsspezifischer Aspekt betrifft die Komorbiditäten der Migräne. Zum Beispiel tritt eine Endometriose doppelt so häufig bei Frauen mit Migräne auf im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Gemeinsame Mechanismen werden diskutiert, unter anderem eine vermehrte CGRP-Ausschüttung bei beiden Krankheitsbildern.

Fazit

Trotz der genannten Unterschiede betreffe Migräne natürlich auch Männer, betonte Raffaelli. Die historische Sichtweise, die Migräne ausschließlich als „Frauenerkrankung“ einordnet, sei nicht korrekt und könne für beide Geschlechter stigmatisierend wirken.

Die Einbeziehung von geschlechtsspezifischen Aspekten sei dennoch von zentraler Bedeutung, um das Verständnis der Erkrankung zu vertiefen und maßgeschneiderte Herangehensweisen zur Prävention und Therapie zu entwickeln.

Quelle: Pressekonferenz auf dem Deutschen Schmerzkongress 2023

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