Ulcus cruris venosumStammzelltherapie als neuer Ansatz bei Ulcus cruris

Neuer Ansatz bei therapieresistentem Ulcus cruris venosum: Ein Zelltherapeutikum aus mesenchymalen Stammzellen konnte in einer Studie den gestörten Wundheilungskreislauf durchbrechen.

Transparente Zellen mit Zellkern und Zellhülle auf dunklem Hintergrund
Christoph Burgstedt/stock.adobe.com

Zelltherapeutikum aktiviert bei chronischen Wunden körpereigene Reparaturmechanismen: Mit einem neuartigen Zelltherapeutikum aus mesenchymalen Stammzellen, das den gestörten Wundheilungskreislauf durchbricht, ist es möglich, Patient*innen mit einem Ulcus cruris venosum (Unterschenkelgeschwür) bis hin zum Wundverschluss zu heilen.

Bei mehr als 70% der Patient*innen mit einem Ulcus cruris venosum (UCV) heilt die Wunde innerhalb eines Jahres. Bei etwa 30% bleibt das UCV länger als ein Jahr offen und etwa 3% der Wunden werden therapierefraktär. Bei Letzteren ist mit den üblichen und gut erprobten Therapien keine Heilung in Sicht.

Zur Standardtherapie gehören die Kompressionstherapie (= Bandagieren mit Kompressionsbinden oder Strümpfen), Débridement („Wundtoilette“, Entfernung von abgestorbenem Material und verschmutztem Gewebe) und Wundhygiene (regelmäßige stadienadaptierte Wundverbände).

Heilung mit mesenchymalen Stammzellen?

Für Erkrankte mit einer therapierefraktären venösen Wunde gibt es nun einen neuen therapeutischen Ansatz: Die Behandlung mit einem Zelltherapeutikum der Firma Rheacell, das aus mesenchymalen Stammzellen (MSC) besteht. Die Behandlung wird aktuell in einer Multicenterstudie geprüft.

MSCs sind Stammzellen des Bindegewebes mit „Potenzial“. „Ulcera cruris venosa sind immunologisch komplexe Wunden. Die Grundidee ist, die verantwortlichen Immunzellen umzuprogrammieren und so ein Abheilen zu ermöglichen“, sagt Prof. Silke Hofmann vom Uniklinikum Wuppertal.

Phasen der Wundheilung

Wunden heilen in 3 aufeinanderfolgenden Phasen.

  • In der Reinigungsphase wandern M1-Makrophagen an die betroffene Stelle. Sie schütten zusätzlich entzündungsfördernde Botenstoffe wie Interleukin-1β (IL-1β) und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) aus, die weitere Immunzellen anlocken und aktivieren.
  • In der Proliferationsphase entsteht sogenanntes Granulationsgewebe. Dieses deckt die Wunde provisorisch ab.
  • In der dritten Epithelisierungsphase wird das Granulationsgewebe in Narbengewebe umgebaut.

Eine akute Wunde schließt sich innerhalb von drei Wochen.

Nun kann es vorkommen, dass sich die M1-Makrophagen selbst stimulieren, denn sie haben auf ihrer Oberfläche einen Rezeptor für IL-1β. Die Entzündung wird also weiter befeuert. Erst wenn dieser entzündungsfördernde Kreislauf unterbrochen wird und M1-Makrophagen sich in entzündungshemmende M2-Makrophagen umwandeln, kann die Wundheilung voranschreiten.

Die Wirkungsweise des auf ABCB5+ MSC basierenden Zelltherapeutikums nutzt immunmodulatorische Eigenschaften des Regulatorproteins ABCB5, das u. a. IL-1RA ausschüttet und das IL-1β blockiert. „Man könnte es so formulieren: Aus der chronischen wird wieder eine akute Wunde, die dann abheilen kann“, fasst Hofmann zusammen.  

Multizentrische Studie vielversprechend

Bei einer Phase I/IIa-Studie (interventionell, multizentrisch, einarmig) von Rheacell [2] erhielten Proband*innen, deren chronisch venöse Ulcera sich als resistent gegen die Standardtherapie erwiesen hatte, zusätzlich eine oder zwei topische Anwendungen mesenchymaler ABCB5+-Stammzellen. Die Größe der Wunde verringerte sich deutlich vom Ausgangswert bis Woche 12. Das führte zu einer medianen Verringerung der Wundgröße um 87% in der Untergruppe derjenigen, die auf die Behandlung ansprachen (70%-ige Responder-Rate insgesamt).

„Die Behandlung war erfolgreich und gut verträglich, was die mesenchymalen Stammzellen ABCB5+ zu einem Kandidaten für die ergänzende Therapie von ansonsten unheilbaren UCV macht“, fasst Hofmann zusammen.

Eine weitere randomisierte, kontrollierte Multicenterstudie (Phase-IIb Studie) zur Bestätigung der klinischen Wirksamkeit an über 30 Standorten [3] sammelt weitere Daten zur Dosisoptimierung. Die Sicherheitsdaten weisen bereits auf eine sehr gute Verträglichkeit hin.

Die dermalen Stammzellen werden aus menschlicher Spenderhaut gewonnen, in der sie nur einen Anteil von 2 bis 3 Prozent der Hautzellen ausmachen. Die Zellen in der Primärkultur werden isoliert, vermehrt und eingefroren, nach Bedarf aufgetaut, weiter vermehrt und schließlich als Gel transplantiert.

Das Arzneimittel ABCB5+ MSC ist das erste zugelassenes Stammzellprodukt zur Behandlung von Ulcus cruris venosum. Das Präparat wird nach dem Débridement der Wunde einmalig auf die Wunde aufgetragen und mit einem Folienverband verschlossen.

In der Therapie mit MSCs liegen nach Ansicht von Prof. Julia Welzel vom Universitätsklinikum Augsburg große Potenziale. „Es gibt weitere Erkrankungen wie beispielsweise die ‚Schmetterlingskrankheit‘, bei der eine Therapie mit diesem Zelltherapeutikum (verabreicht als Infusion) derzeit in einer Studie geprüft wird. Das wäre für Menschen mit bislang nicht-heilbaren angeborenen Hauterkrankungen, die mit chronischen Wunden an Haut und Schleimhaut einhergehen, ein großer Fortschritt.“

Hintergrund: Ulcus cruris venosum

Das Ulcus cruris venosum (UCV) ist das häufigste Unterschenkelgeschwür infolge einer nicht heilenden Wunde. Schätzungen gehen davon aus, dass 1% der Bevölkerung betroffen ist.

Ausgelöst wird das UCV durch eine chronische Venenschwäche - die chronisch-venöse Insuffizienz.

„Menschen mit einer chronischen Wunde – also einer Wunde, die nach 8 Wochen nicht abgeheilt ist – haben einen hohen Leidensdruck. Neben den Schmerzen leiden die Betroffenen unter dem Geruch, der oft starken Sekretion von Wundflüssigkeit und den daraus entstehenden negativen Emotionen bis hin zur Depression“, erklärt Prof. Silke Hofmann vom HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal.

Die Lebensqualität könne stark eingeschränkt sein und in die soziale Isolation führen.

Quelle: Deutsche Dermatologische Gesellschaft

Literatur

Kerstan A, Dieter K, Niebergall-Roth E et al. Allogeneic ABCB5+ mesenchymal stem cells for treatment-refractory chronic venous ulcers: a phase I/IIa clinical trial. JID Innov 2022; doi: 10.1016/j.xjidi.2021.100067

Informationen zur Studie und zu den beteiligten Kliniken: https://ulcus-cruris-studie.de/faq/#ulcus-cruris-studie