DigitalstressMit Digital Detox gegen die Smartphonesucht

Immer mehr Menschen sind süchtig nach digitalen Medien. Digital Detox hilft gegen Stress und ist die beste Prävention gegen Smartphonesucht.

Frau, die ihr Smartphone benutzt und drum herum erscheinen Icons (Facebook, E-Mail, Messenger)
Monster Ztudio/stock.adobe.com

Mailen, posten, twittern, googeln: Immer mehr Menschen fühlen sich von digitalen Medien gestresst, viele sind sogar süchtig danach.

von Daniela Otto

Inhalt

Unser Gehirn verändert sich

Belohnung macht süchtig

Geschönte Realität

Ein unwiderstehliches Versprechen

Die beste Prävention: Digital Detox

Ein Leben ohne Smartphone ist für viele Menschen undenkbar, gleichzeitig ist es aber auch ein Stressfaktor – Digital Detox kann helfen, wieder zu einer natürlichen Balance zu finden

Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Patienten ein Smartphone besitzen, ist hoch. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie gesundheitlich darunter leiden, auch. Allein in Deutschland besitzen 57 Millionen Menschen ein Handy (81 % der Bevölkerung). Unter den 14–29-Jährigen sind es sogar 95 %. Genau diese junge Zielgruppe ist besonders gefährdet, was die negativen Folgeschäden der intensiven Nutzung digitaler Medien angeht. Im Schnitt sind wir täglich fast 3 Stunden online – das ist jede Menge. Der Durchschnittsnutzer checkt seine digitalen Geräte mehr als 60-mal am Tag, und die meisten greifen innerhalb von 5 Minuten nach dem Aufstehen danach [1].

Ein Leben ohne Handy? Für viele undenkbar. Vor allem aber für Teenager. Einer Studie der DAK zufolge sind circa 100 000 deutsche Kinder und Jugendliche handysüchtig. Das heißt: Sie sind ernsthaft suchtkrank. Dies gilt es zu betonen, denn immer noch wird Handysucht wie eine Art Kavaliersdelikt unter den Suchterkrankungen gehandhabt. Das erscheint unangemessen und geradezu fatal – denn in unserem Gehirn laufen bei Intensivnutzern dieselben Mechanismen ab wie bei jeder anderen Suchtkrankheit auch.

Unser Gehirn verändert sich

Dass sich durch die Digitalisierung etwas in unserem Gehirn verändert, und zwar nicht zum Guten, haben bereits vor vielen Jahren Kritiker wie Nicholas Carr und Frank Schirrmacher beklagt [3]. So beschrieb Carr eindrucksvoll, wie sich sein Gedächtnis veränderte und es ihm zunehmend schwerfiel, sich zu konzentrieren. Für den verstorbenen ehemaligen Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, steht fest, dass der Preis, den wir für die Computernutzung bezahlen, „ein gestörtes Verhältnis zu uns selbst“ ist [4]. Neurobiologisch ist unstrittig, dass sich viele spezifische Änderungen ergeben, wenn wir online sind.

Unser Gehirn ist neuroplastisch, das heißt: Es kann sich verändern, je nachdem, wie wir es nutzen. Kurz: Es kann das, was wir ihm beibringen. Derzeit lehren wir das faszinierendste aller unserer Organe – durch Multi-Screens, Online-Lesen und permanentes Hin- und Herspringen zwischen Kurznachrichten, Eilmeldungen und Posts – eine nichtlineare, Stress erzeugende Nutzungsweise. Wer schafft es noch, sich in Thomas Manns „Zauberberg“, Leo Tolstois „Anna Karenina“ oder Charles Dickens „Oliver Twist“ zu versenken? Sich auf viele hunderte Seiten Text einzulassen, ohne sich permanent stören zu lassen? Sie von vorne bis hinten zu lesen? Oder einen Film anzuschauen, ohne währenddessen auf dem Handy Nachrichten zu verschicken oder auf dem Tablet zu shoppen?

Zusammenfassung

Mailen, posten, twittern, googeln: Immer mehr Menschen fühlen sich von digitalen Medien gestresst, viele sind sogar süchtig danach. Das ist gefährlich – vor allem, da das Krankheitsbild „Smartphonesucht“ immer noch unterschätzt wird. Digital Detox hilft gegen Stress und kann als beste Prävention gegen Abhängigkeit angesehen werden. Dieser Beitrag zeigt, wie die digitale Entgiftung Schritt für Schritt gelingt.

Die Antwort ist eindeutig: Es werden immer weniger. Wer ständig von einem digitalen Inhalt zum anderen springt und mit jedem Klick die nächste Sensation sucht, dem fällt es nachweislich und nachhaltig schwerer, sich zu konzentrieren, insbesondere über längere Zeit hinweg. Die Folgen davon sollten uns alarmieren: Die Aufmerksamkeitsspanne eines Internetnutzers beträgt heute im Mittel maximal 5 Sekunden. Dies erklärt nicht zuletzt die sogenannten „Bumper Ads“: Die extrem kurzen Werbespots, die auf YouTube geschaltet werden, sind den zeitgenössischen Sehgewohnheiten angepasst. Mehr als 6 Sekunden Aufmerksamkeit werden niemandem mehr zugetraut [5].

Für Schirrmacher ist das digitale Multitasking schlichtweg „Körperverletzung“. Wenn unsere Mediennutzung das gesunde Maß überschreitet und zur Sucht wird, erleiden wir jedoch noch viel mehr als nur Konzentrationsstörungen. Wir können dadurch krank werden.

Belohnung macht süchtig

Wie und warum aber wird man abhängig? Hinter der Handysucht steht unser Belohnungssystem, denn nicht nur das digitale Multitasking, sondern auch all die Klicks und Likes gehen nicht spurlos an unserem Gehirn vorbei. Wer online einen Beitrag postet und dafür virtuellen Applaus in Form eines „Daumen-hoch-Buttons“ bekommt, erfährt dies als Zuspruch – als Belohnung eben. Im Grunde bedeutet zunächst jedes Handysignal, dass jemand an uns denkt. Das macht erst einmal gute Gefühle – wer will keine Aufmerksamkeit? Schauen wir auf unser Handy und sehen, dass uns jemand geschrieben hat, wird unser Griff zum Smartphone „belohnt“. Unser Gehirn schüttet sodann das sogenannte „Glückshormon“ Dopamin aus. Das wollen wir immer wieder spüren. Und wieder. Und wieder. Die Folge: Wir können bald nicht mehr ohne unsere digitalen Geräte und werden süchtig danach.

Wie auch bei anderen Suchterkrankungen haben langfristige Überstimulationen von Belohnungssystemen nachteilige Wirkungen auf das psychische Befinden. Bleibt das gewohnte Maß an Belohnung aus, kommt es zu Entzugserscheinungen. Auch das ist wie bei jeder anderen Sucht, wobei die Smartphonesucht, im Gegensatz beispielsweise zur Alkoholsucht, eine substanzunabhängige Sucht ist.

Geschönte Realität

Immer mehr Studien belegen zudem den Zusammenhang zwischen einer Intensivnutzung von Social Media, wie Instagram oder Facebook, und der Prävalenz von Depression. Die These: Der auf den sozialen Netzwerken permanent stattfindende Vergleich mit anderen Menschen macht unzufrieden und unglücklich. Das erscheint leicht nachvollziehbar: Kaum jemand postet von sich Bilder, auf denen er schlecht aussieht und sein langweiliges Leben beschreibt. Was hingegen sieht man meistens? Schöne und geschönte Bilder von schönen Menschen, die scheinbar ein durchweg perfektes Leben führen. Diese Selbstdarstellung suggeriert jedoch eine Welt, die mit der Wirklichkeit letztlich wenig zu tun hat. Genau das aber scheint in der Intention von Social Media zu liegen.

Das Leben „instagramable“ zu machen scheint für viele, insbesondere für Influencer, also jene User mit besonders vielen Followern, das virtuelle Maximalziel zu sein. Erschaffen wird eine digitale Bestversion des eigenen Ichs, eine Online-Identität, in der das fahle echte Leben mit einem virtuellen Filter aufgepeppt werden kann. Die in sozialen Medien stattfindende Erzählung ist einfach: Seht her, wie toll mein Leben ist. Schaut mich an, meinen tollen Körper, meine tollen Freunde, meine tollen Kleider, mein tolles Make-Up. Die Oberfläche wurde noch selten so exzessiv zelebriert wie auf Instagram und die Selbstdarstellung boomt. Wer dann jedoch sein Glas Leitungswasser mit Champagnerkübeln auf Ibiza vergleichen muss und in einer Einzimmerwohnung sitzt anstatt in einem Luxushotelzimmer auf den Malediven, fühlt sich schnell ungut.

Schon lange haben sozialpsychologische Studien dargelegt, dass reaktives Unglücklichsein insbesondere aus dem Vergleich mit der Peer Group und weniger aus dem absoluten Lebensstandard resultiert – und damit entsteht der Eindruck: Ist das Leben der anderen nicht viel besser? Die American Psychological Association machte darauf aufmerksam, dass diese digitalen Entwicklungen auf junge Menschen einen wesentlich höheren Einfluss haben als auf ältere [6]. Sie sind noch weniger in ihrer Identität gefestigt – der buchstäbliche Einfluss der „Influencer“ stellt sich im Hinblick auf die psychische Gesundheit als verheerend heraus. Nicht nur, dass immer mehr Jugendliche an Depression erkranken, auch das Suizidrisiko steigt, vor allem dann, wenn der Internetkonsum mehr als 5 Stunden täglich beträgt. Fast die Hälfte der Eltern hält ihr Kind für handysüchtig und die Tendenz ist derzeit steigend.

Digitale Entwicklungen haben auf junge Menschen einen wesentlich höheren Einfluss als auf ältere.

Ein unwiderstehliches Versprechen

Wie aber konnte es überhaupt so weit kommen? Wollen wir den offensichtlich unwiderstehlichen Reiz der Vernetzungsmedien ergründen, müssen wir verstehen, was sie uns versprechen: Liebe. Das Versprechen ist bestechend einfach und effektiv. Es lautet: Du bist nicht allein. Und das ist – für den modernen Menschen – kaum zu überbieten, denn es wirkt seiner tiefsten Urangst vor der Einsamkeit entgegen. Wenn wir einen kurzen Blick in die Soziologie werfen, wird manches klarer. Seit der Moderne gab es scheinbar nur eine einzige soziale Entwicklung: die Vereinzelung. Norbert Elias spricht von der „Verabschiedung aus dem Kollektiv“ [7]. Der moderne Mensch löst sich aus konventionellen Verbundsystemen wie Klasse, Familie und Glaubensgemeinschaften heraus. Das bewirkt einerseits ein Freiheitsgefühl – andererseits eine massive Verunsicherung. Das Ich fühlt sich auf einmal nicht mehr sicher, sondern existenziell bedroht. Wenn der soziale Zusammenhalt schwindet, bröckelt vieles – allem voran die Identität. Das Verlorene wird sodann romantisch verklärt, und der Verlust der Gemeinschaft führt zu einer neuen Sehnsucht danach. Genau dieses Sehnsuchtsvakuum füllen Vernetzungsmedien: Sie lassen uns den uralten Traum der Allverbundenheit träumen und die totgesagte Gemeinschaft wiederauferstehen.

Doch erfüllen sie dieses große Versprechen wirklich?

Das Paradoxon, „Verloren unter 100 Freunden“ zu sein, das exemplarisch die Soziologin Sherry Turkle beschreibt, beweist das Gegenteil [8]. Die Amerikanerin spricht davon, dass wir „in der digitalen Welt seelisch verkümmern“ – und sie hat recht. Eine hohe Anzahl an digitalen Freunden schützt nicht vor Vereinsamung. Im Gegenteil.

Leiden Patienten unter depressiven Verstimmungen, kann dies auch am digitalen Konsum liegen. Die Möglichkeit einer Smart- phonesucht und deren emotionalen Folgen sollte daher unbedingt in Erwägung gezogen werden – denn wer versteht, dass ihm Handy & Co. gesundheitlich schaden, kann dagegen vorgehen: mit Digital Detox.

Die beste Prävention: Digital Detox

Digital Detox, also digitale Entgiftung, ist ein Lebensstil, der eigentlich aus den USA kommt, jedoch auch in Deutschland immer beliebter wird. Die Idee: Wer digital abschaltet, kann ein gesünderes, glücklicheres Leben führen. Und das ist gar nicht so schwer.

Zunächst ist es wichtig, ein Bewusstsein für die eigene Mediennutzung zu entwickeln: Wie viel Zeit verbringe ich am Handy und womit? Was genau stresst mich? Hat man dies reflektiert, kann man lösungsorientiert handeln, aktiv digitale Stressquellen ausschalten und somit langfristig Ruhe in den Alltag integrieren. Dabei machen kleine Schritte bereits große Unterschiede.

So wird ein Tag friedlicher, wenn man ihn ungestört beginnt und beendet: Wer das Handy erst eine Stunde nach dem Aufstehen einschaltet, kommt ruhiger in den Morgen hinein. Wer es abends eine Stunde vor dem Zubettgehen ausschaltet, gibt dem Geist die Möglichkeit zu entspannen und wird besser schlafen.

Gespräche werden besser, wenn man sie ohne permanente Blicke auf das Handy führt. Lassen Sie beim nächsten Kaffee, Dinner oder Lunch das Handy einfach in der Tasche oder machen Sie es ganz aus. Und genießen Sie die Begegnung mit Ihrem Gegenüber völlig ungestört.

Arbeit erledigt sich konzentrierter, wenn wir nicht alle paar Minuten von einer Mail unterbrochen werden. Schalten Sie Ihr Smartphone in den Flugmodus und deaktivieren Sie die E-Mails, wenn Sie etwas erledigen müssen. So bleiben Sie im Fluss – und der Flow-Theorie zufolge empfinden wir dann, wenn wir in einer Arbeit aufgehen und die Zeit vergessen, Glück.

Fotografieren Sie Ihr Essen nicht, genießen Sie es einfach.

Denken Sie nach, bevor Sie googeln.

Schauen Sie aus dem Fenster und nicht auf Ihre App, wenn Sie wissen wollen, wie das Wetter ist.

Tipps gibt es noch viele, doch alle haben eines gemeinsam:

  • Seien Sie präsent im Hier und Jetzt. Widmen Sie sich einer Tätigkeit voll und ganz.

  • Wenn Sie essen, essen Sie.

  • Wenn Sie lesen, lesen Sie.

  • Wenn Sie mit jemandem sprechen, sprechen Sie mit jemandem.

Nicht virtuell, sondern von Herzen möchte ich nun noch eine Botschaft mit Ihnen teilen: Schalten Sie Ihr Handy aus, wenn Ihnen Ihre Gesundheit lieb ist.

Dr. phil. Daniela Otto
Literaturwissenschaftlerin und Lehrbeauftragte an der LMU München

Gehen Sie mit Dr. phil. Daniela Otto gemeinsam bewusst online

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