AchtsamkeitHeilsame Veränderungen durch Achtsamkeit

Achtsamkeitstraining hilft uns, uns bewusster zu erleben und zu steuern – zum Beispiel um in stressigen Situationen den Geist zu beruhigen und nicht im Tunnelblick zu verharren.

K. Oborny/Thieme; posed by a model

Inhalt

Achtsamkeit ist wie eine Schutzschicht

Achtsamkeit für uns selbst führt zu heilsamen Effekten

Selbststeuerung durch Atmung

Übung: Bauchatmung

Übung: Pause-Taste zum Innehalten

Übung: Stopp-Taste bei Grübeleien

Achtsamkeitstraining hilft uns, uns bewusster zu erleben und zu steuern – zum Beispiel um in stressigen Situationen den Geist zu beruhigen und nicht im Tunnelblick zu verharren.

Achtsamkeit ist wie eine Schutzschicht

Wahrscheinlich meinen Sie, dass Sie durchaus bewusst handeln können. Tatsächlich verfolgen wir in unserem Alltag aber eher Gewohnheitsmuster, als wirklich durchgängig ein waches Bewusstsein aufrechtzuerhalten. Überprüfen Sie doch bitte jetzt einmal nur Ihre Körperhaltung. Wie ist die zustande gekommen? Meistens „funktionieren“ wir nur. Wenn Sie sich gleich bewegen, wer regelt die nächste Bewegung? Wenn Sie sich später unterhalten, wer sucht nach dem ersten Wort für die Begegnung? Wenn Sie sich ins Auto setzen, wer steuert dann die Abläufe, die über Leben und Tod vieler bestimmen?

Wenn Sie Ihren Alltag selbstkritisch beleuchten, werden Sie wohl feststellen müssen, dass nicht Sie es sind, der die Abläufe bewusst steuert. Sie funktionieren den ganzen Tag über wie eine gute Maschine, und „plötzlich“ ist es schon wieder Abend. Die Zeit vergeht nämlich im unbewussten Zustand subjektiv deutlich schneller. Es sind die unbewussten Routinen, die das Funktionieren ermöglichen und zu Problemen führen können.

Tatsächlich drängen uns solche Abläufe in unbewusstes, automatisiertes Verhalten. Und wenn wir durch Probleme unter Druck geraten, werden solche unbewussten Abläufe noch extremer. Wer leidet, verfügt nur noch über einen Tunnelblick. In der Not greifen wir ohne Geistestraining immer nur auf alte Muster zurück.

Dies beschreibt ganz normales menschliches Funktionieren, zeigt aber dennoch nicht die Grenzen des Möglichen auf. Im Gegenteil. Wir verfügen über ein inneres Potenzial, also Veranlagungen, die es ermöglichen, bewusster zu leben und nicht mehr nur automatisiert zu funktionieren. Achtsamkeitstraining macht also gewissermaßen aus einer automatisierten Maschine ein lebendiges, bewusstes Wesen. Es kann heilsam wirken auf körperliche und psychosomatische Erkrankungen und zeigt Möglichkeiten auf, wie spirituelle Ressourcen nutzbar gemacht werden können.

Achtsamkeit für uns selbst führt zu heilsamen Effekten

Achtsamkeit für uns selbst führt zu vielen heilsamen Effekten. Wir verlernen den Tunnelblick, erleben uns selbst deutlich bewusster und lernen die achtsame Selbststeuerung. Dieser strukturierte Vorgang wirkt wie eine Schutzvorrichtung und ist mit einer Schutzschicht vergleichbar. Wir selbst spüren diese Schutzschicht, weil wir einen Teil unserer Aufmerksamkeit immer bei uns selbst behalten. Zudem reduziert sich unsere Abhängigkeit von äußeren Geschehnissen. Wir werden gelassener und weniger dünnhäutig. Die Achtsamkeitsübungen dienen der Vorsorge, der Bewältigung akuter Probleme und natürlich auch der Nachsorge. Es ist einfach wichtig, sich vorzubereiten. Aber selbst wenn wir eine akute Situation nicht wie gewünscht meistern, können wir immer noch als Nachsorge für eine gute Verarbeitung sorgen.

Selbststeuerung durch Atmung

Die gezielte Atmung ist für uns, nach der aufrechten Körperhaltung, die ideale Vertiefungsstrategie für die Meditation. Es gibt viele verschiedene Atemvarianten, von denen Sie zwei wesentliche in [Abb. 1] und [Abb. 2] dargestellt finden.

 
Brustatmung

Sie sind müde, obwohl Sie gerade in einem Meeting sitzen? Dann können Sie Ihren Sympathikus aktivieren durch gezielte Brustatmung [Abb.1].

Die Atmung erfolgt gewissermaßen auffällig vertikal – von oben nach unten. Sie ist eher flach und auf den unteren Hals und den oberen Brustbereich beschränkt. Diese Atemvariante stimuliert den Sympathikus, also unser Stress- oder Aktivierungszentrum im vegetativen Nervensystem. Sie können die Brustatmung nutzen, um sich auf der Bewusstseinsleiter nach oben zu bewegen, wenn Sie zu müde oder schläfrig sind.

Bauchatmung

Sie sind gestresst und wollen zur Ruhe kommen? Dann hilft Ihnen die Bauchatmung [Abb.2], den Parasympathikus – Ihr Ruhezentrum – zu aktivieren.

Die Bauchatmung hilft uns, in einen konzentrativen Zustand zu kommen. Natürlich strömt auch dabei die Luft durch den Hals in den Brustraum ein; doch an der Atembewegung ist nun auch der Bauch beteiligt, der sich vor- und zurückbewegt. Beim Einatmen wölbt sich der Bauch nach außen, beim Ausatmen fällt der Bauch ein. Auf diese Weise atmen wir viel langsamer und tiefer ein und aus. Auch das ist nur eine kleine Übungssache.

Übung: Bauchatmung

Um die Bauchatmung bewusst einsetzen zu können, bedarf es einer kleinen Übung. Üben Sie am besten mehrmals am Tag; jeweils wenige Minuten reichen aus. Setzen Sie sich aufrecht auf einen Stuhl und lassen Sie Ihre Schultern entspannt sinken. Auch Ihre Gesichtsmuskeln sollten locker und entspannt sein. Legen Sie eine Hand oder beide Hände auf Ihren Bauch, um die Bewegung der Bauchdecke besser zu spüren. Wenn Sie mögen, können Sie mit dem Ausatmen sanft mit der Hand auf den Bauch drücken, während die Luft entweicht und der Bauch etwas einfällt. Entspannen Sie dann den Bauch, während die Luft beim Einatmen einströmt. Der Bauch wölbt sich nach außen, was Sie mit der locker aufliegenden Hand gut spüren.

Machen Sie es sich zur Angewohnheit, die Bauchatmung immer einige Atemzüge lang durchzuführen, wenn Sie sich irgendwohin setzen. Nehmen Sie Platz, richten Sie sich auf und atmen Sie einige Male tief und ruhig in Ihren Bauch hinein. Auf diese Weise üben Sie diese wichtige Atemtechnik „automatisch“ mehrfach am Tag, und sie steht Ihnen als beruhigende Selbststeuerungsmethode jederzeit zur Verfügung.

Zudem ist die Wahrnehmung der aktuellen Atmung immer ein guter Indikator für den jeweiligen Zustand. Prüfen Sie Ihre aktuelle Atmung: Wenn die nicht tiefer in den Körper einfließen kann, sind Sie wahrscheinlich angespannt. Die Atmung ist wie ein Anzeigegerät. Schauen Sie da gern öfter mal drauf.

Übung: Pause-Taste zum Innehalten

Eine wirksame Methode zur achtsamen Selbststeuerung ist die Entwicklung einer inneren Pause-Taste. Stellen Sie sich das ruhig wie bei Ihrer Musikanlage vor: Mit der Pause-Taste wird alles für kurze Zeit gestoppt. Bei dieser Übung betätigen Sie, beispielsweise während der nächsten Viertelstunde, bei jedem registrierten Impuls die Pause-Taste. Die jeweiligen Impulse können sowohl von innen als auch von außen kommen.

10 gute Gründe, sich in Achtsamkeit zu üben

1. Sie lernen durch die Achtsamkeitsmethode u.a., wie Sie sich selbst aktivieren und beruhigen können.

2. Dadurch erfahren Sie Selbststeuerung und Selbstwirksamkeit.

3. Selbststeuerung und Selbstwirksamkeit zu erfahren, steigert spürbar das Selbstvertrauen.

4. Die ersten Achtsamkeitsschritte stabilisieren das innere Fundament.

5. Das hat nachhaltig positive Auswirkungen auf Ihre psychische und auch physische Verfassung.

6. Auf der körperlichen Ebene finden zahlreiche Ausgleichsprozesse statt, so wird z.B. das Immunsystem stabilisiert.

7. Auf der psychischen Ebene erfolgen ebenfalls komplexe Veränderungen, aus einem achtsamen Verhalten erwächst nach und nach eine achtsame Grundhaltung.

8. Ihre Gedanken klären sich, sodass Sie sich besser konzentrieren können.

9. Belastendes dringt nicht mehr so tief in Sie ein, Sie spüren mehr Gelassenheit.

10. Durch die Zunahme an Klarheit erkennen Sie, was Ihnen wirklich wichtig ist im Leben.

Sie wollen aufstehen, nach etwas greifen, jemandem antworten, telefonieren, etwas essen. Bei jeder dieser Absichten drücken Sie kurz auf die Pause-Taste, halten also einen Atemzug lang inne, bevor Sie Ihrem Impuls folgen. Auch wenn der Impuls von außen kommt – Sie erhalten eine Anweisung oder Ihre Kinder wollen etwas von Ihnen –, drücken Sie für eine kurze Weile die Pause-Taste, bevor Sie reagieren. So werden Sie Ihrer Impulse stärker gewahr, und Sie etablieren eine kleine Frist, die Impuls und Handlung voneinander entkoppelt. Das ist der erste Schritt, um unliebsame Automatismen aufzulösen.

Übung: Stopp-Taste bei Grübeleien

Eine Technik, die sich nicht nur in der buddhistischen, sondern allgemein in der Psychotherapie bewährt hat, ist die Stopp-Taste. Sie ist genauso wirksam wie einfach (zumindest theoretisch). Immer wenn Sie merken, dass Sie Grübeleien nachhängen oder sich in Ängste und Sorgen hineinsteigern, sagen Sie „Stopp!“ (laut oder in Gedanken). Zählen Sie sich dann innerlich auf, was Sie gerade wahrnehmen (sehen, hören, riechen etc.). Die Aktivierung Ihrer Sinne verankert Sie wieder mehr mit dem Hier und Jetzt.

Je häufiger Sie das Stopp-Signal verwenden, desto kraftvoller wird es. Die ersten Male ist sicherlich nur ein ganz kurzes Innehalten möglich, bevor Ihr sorgenvoller Verstand das Stopp-Schild überfährt und sich wieder in seine Grübeleien stürzt. Bleiben Sie hartnäckig am Ball und bremsen Sie das Gedankenkarussell immer wieder aus; je besser Sie diese Übung trainieren, desto hilfreicher wird sie für Sie.

Nach dem Stopp-Zeichen können Sie viele weitere positive Dinge anvisieren. Lenken Sie selbst Ihre Aufmerksamkeit und lassen Sie sich nicht einfach nur führen. Auch während der Meditation können Sie das Stopp-Signal bei Bedarf einsetzen.

Quelle zum Weiterlesen

Ennenbach M. Achtsam werden. Die eigene Mitte finden im Alltag. Stuttgart: Trias; 2016