Herz-Kreislauf-ErkrankungenAuswirkungen von Stress auf Herz und Gefäße

Chronischer Stress ist ein Risikofaktor für die Entstehung der koronaren Herzkrankheit. Entspannungstraining und Stressmanagement sind Bestandteil der kardialen Rehabilitation. 

Stress stoppen. Würfel mit den Worten Stop und Stress vor orangefarbenem Hintergrund.
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Das Erleben von Stress ist subjektiv, die Auswirkungen auf den Körper sind jedoch objektiv messbar.

von Kerstin Khattab

Chronischer Stress gilt als anerkannter Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – Iyengar-Yoga verbindet Atemtechniken, körperliche Übungen und Entspannung und kann verschiedene Wirkebenen eines Entspannungstrainings erreichen

Menschen reagieren unterschiedlich auf Stress

Was wir als Stress empfinden und wie wir auf Stress reagieren ist von Mensch zu Mensch verschieden. Manche Menschen fühlen sich bei kleineren Dingen (z. B. frustrane Suche nach einem Parkplatz am Samstagmorgen beim Einkaufszentrum) schon so sehr gestresst, wie andere, wenn sie zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit kommen. Wenn wir wenig geschlafen haben und bereits einen schwierigen und langen Arbeitstag hinter uns hatten, reagieren wir vielleicht empfindlicher auf einen weiteren Stressor zuhause (wenn dann auch noch die Kinder zuhause streiten) als wir es in einer ruhigeren Situation tun würden. Wir können „nah am Stress“ sein, oder in der Lage, Dinge gelassener zu sehen und „starke Nerven“ zu haben. Ob wir etwas als negativ und stressend erleben, hängt sehr stark von uns selbst und von unserer subjektiven Wahrnehmung ab.

Die Reaktion des Körpers ist dann aber im Wesentlichen unabhängig von unserer willentlichen Steuerung. Der Körper reagiert mit Herzklopfen, Schweißausbruch oder roten Flecken im Gesicht, wenn wir uns gestresst fühlen. Diese Symptome werden vom vegetativen Nervensystem gesteuert, das auch als „autonomes Nervensystem“ bezeichnet wird, weil es nicht unserem Willen unterworfen ist.

Wirkungen von Stress auf den Körper

Das vegetative Nervensystem ist der zentrale Vermittler, der die Wahrnehmung und das Erleben von Stress in eine körperliche Reaktion umsetzt und damit zur negativen körperlichen Manifestation von Stress beiträgt. Die Stressreaktion wird durch das sympathische Nervensystem ausgelöst:

Der Körper wird in eine erhöhte Leistungsbereitschaft versetzt („fight-and-flight“-Reaktion). Das Herz schlägt schneller und kräftiger, die Erregungsleitung des Herzens beschleunigt sich. Die Herzkranzgefäße und die Bronchien erweitern sich, die Atmung wird erleichtert und beschleunigt. In der Körperperipherie verengen sich die Arterien, der Blutdruck steigt, die Blutversorgung des Magen-Darm-Trakts wird vermindert, der Muskeltonus der Skelettmuskulatur erhöht sich. Dieser Mechanismus ist uralt und stammt noch aus der Steinzeit. Damals war es überlebenswichtig, dass der Körper in eine erhöhte Leistungsbereitschaft versetzt wurde, damit wir entweder flüchten oder kämpfen konnten (z. B. bei der Begegnung mit einem Mammut).

Zusammenfassung

Es ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, was wir als Stress empfinden, auf welche Stressoren und wie stark wir reagieren. Das Erleben von Stress ist subjektiv, die Auswirkungen auf den Körper sind jedoch objektiv messbar. Chronischer Stress kann sich negativ auf Herz und Gefäße auswirken. Stress gilt als eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung einer koronaren Herzerkrankung und Myokardinfarkt. Er kann zudem das vegetative Nervensystem aus seiner Balance bringen und wie ein zentraler Dreh- und Angelpunkt kardiale Risikofaktoren negativ verstärken. Die Folge können Bluthochdruck, Übergewicht, erhöhte Blutzuckerwerte sein sowie negative Einflüsse auf Nikotinkonsum und Fettstoffwechsel. Chronischer Stress kann Ängste verstärken und in einer Erschöpfungsdepression münden. Deshalb sind neben Ausdauer- und Krafttraining mittlerweile auch Entspannungstraining und Stressmanagement fester Bestandteil der kardialen Rehabilitation. Lesen Sie hier, wie Stress auf den Körper wirkt, wie er gemessen werden kann, welche Bedeutung Stress für Herzpatienten hat und wie man die heilende Wirkung von Entspannungstraining erklären kann.

 Solch eine Stressreaktion ist auch in der heutigen Zeit normal, wenn sie auf einen akuten Reiz erfolgt, einen sog. Stressor. Sie tritt auch dann auf, wenn wir uns körperlich anstrengen, z. B. beim Sport. Nach der Stresssituation oder der körperlichen Anspannung kommt es normalerweise zu Erholung und Entspannung. Der beruhigende Teil des vegetativen Nervensystems, das parasympathische Nervensystem, verstärkt seine Aktivität. Dies führt zur Verlangsamung des Herzschlags, der Atmung und des Muskeltonus. Die Tätigkeit der Verdauungsorgane nimmt zu, der Körper kommt zur Ruhe. Diesen Wechsel körperlicher Symptome von Anspannung und Entspannung kann man sehr gut beobachten, wenn man einen Stressor, z. B. eine Prüfung, hinter sich gebracht hat. Dieser Mechanismus zeigt sich ebenso bei tatsächlicher körperlicher Anstrengung wie intensivem sportlichen Training mit anschließender Erschöpfung.

Chronisches Stressverhalten

Ein Problem entsteht erst dann, wenn der anregende Teil des Nervensystems dauerhaft aktiv ist und wir nicht mehr zur Ruhe kommen. Der Körper wird dann in eine „chronische Stressreaktion “ versetzt. Dies kann durch tatsächliche permanente Stressoren ausgelöst werden (z. B. Lärm oder Reizüberflutung zuhause oder am Arbeitsplatz ohne die Möglichkeit eines Wechsels). Eine chronische Stressreaktion kann jedoch auch allein durch die eigene Vorstellung ausgelöst werden – z. B. wenn wir auch nach der Arbeit noch an das unangenehme Gespräch mit dem Chef denken. Dann kann es sein, dass wir uns eigentlich in einer erholsamen Situation befinden (nach der Arbeit auf dem Sofa sitzen), der Körper aber nicht zur Ruhe kommt, weil wir in Gedanken immer wieder die stressige Situation auf der Arbeit durchgehen. Es können regelrechte negative Gedankenschleifen entstehen, die dauerhaft in unserem Kopf ablaufen und zu chronischer Anspannung führen. Diese Art des negativen Erlebens von Stress entsteht v. a. durch Situationen, in denen wir das Gefühl haben, hilflos und überfordert zu sein und eine Situation nicht bewältigen oder ihr nicht ausweichen zu können. Im Stressmodell nach dem Psychologen Lazarus 1974 (Transaktionskonzept) wird Stress als eine Relation zwischen Mensch und Umwelt beschrieben, die das Individuum als seinem Wohlergehen wichtig erachtet und in der jedoch seine Ressourcen nicht ausreichen, um auf einen Stressor adäquat zu reagieren. In unserer unbewussten Wahrnehmung findet nach Lazarus sehr schnell eine Beurteilung statt, ob etwas wichtig oder unwichtig für uns ist, ob wir die Situation als positiv oder negativ beurteilen und ob sie uns bewältigbar oder nicht bewältigbar erscheint.

Chronischer Stress kann zu Depressivität und Ängstlichkeit führen – zwei Risikofaktoren für KHK – und in eine Erschöpfungsdepression münden.

In der Yogaphilosophie wurde bereits im 4.–5. Jahrhundert vor Christus in der Katha Upanishad mit dem Wagengleichnis ein ganz ähnlicher Prozess beschrieben. Hier wird unser Alltagsbewusstsein als getrübtes Bewusstsein beschrieben, wobei das Bewusstsein mit einem eingeschlafenen Kutscher verglichen wird, dessen Zügel (das Denken) schlaff sind, sodass die Pferde (Sinnesorgane) den Wagen dorthin ziehen, wo das beste Gras wächst, und nicht dorthin, wo der Fahrgast (das innere Selbst) eigentlich hin möchte.

Unsere Sinne sind es, die blitzschnell entscheiden, ob etwas positiv oder negativ, wichtig oder unwichtig für uns ist, und somit „nah am Stress“ sind und eine Stressreaktion überhaupt erzeugen. Das Ziel des Yoga ist durch das Zurückziehen der Sinne (führt zur Konzentration und Meditation) das Bewusstsein zu reinigen (Yoga citta vritti nirodaha, Yogasutra 1.1–4 nach Patanjali), sodass wir - losgelöst vom Stress - erkennen können, wie eine Situation tatsächlich ist. So führt Yoga zu innerer Gelassenheit und einem klaren Bewusstsein.

Durch dieses klare Bewusstein bestimmt (laut Wagengleichnis) der Fahrgast (das innere Selbst) durch Kommunikation mit dem wachen Kutscher (geklärtes Bewusstsein) durch straffe Zügel (klares Denken) wohin die Pferde (die Sinnesorgane) die Kutsche ziehen sollen.

Wie kann man Stress im Körper messen?

Langzeit-EKG und Blutdruck-Profil

Normalerweise kommt es besonders nachts während des Schlafens zu einem Anstieg der parasympathischen Aktivität. Dies äußert sich im nächtlichen Abfall der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Bei chronischem Stress fehlt diese zirkadiane Rhythmik. Dies kann mittels 24-Stunden-Messung im Langzeit-EKG oder im Blutdruck-Profil gemessen werden.

Herzfrequenzvariabilität

Eine feinere Methode, den autonomen Tonus (Aktivität des beruhigenden oder aktivierenden Teils des vegetativen Nervensystems) aus einem 24-Stunden-EKG zu bestimmen, bietet die Messung der Herzfrequenzvariabilität (HRV). Sie ermöglicht Rückschlüsse auf den kardialen autonomen Tonus.

Diese Methode basiert auf der Messung der Schwankungen der zeitlichen Intervalle zwischen 2 Herzschlägen, die physiologisch durch die respiratorische Sinusarrhythmie hervorgerufen wird. Wenn wir ein- und ausatmen, ändert sich der intrathorakale Druck und die Füllungsbedingungen des Herzens. Ein gesundes Herz kann mithilfe des Sinusknotens die Herzfrequenz an diese feinen Änderungen der Füllungsbedingungen von Schlag zu Schlag anpassen, es kommt zu feinen Schwankungen der Herzfrequenz. Bei Dominanz des sympathischen Nervensystems resultiert, vereinfacht gesagt, eine schnellere Herzfrequenz und ein Verlust der „Anpassungsfähigkeit“ oder der Variabilität der Abstände zwischen den Herzschlägen. Der Herzschlag wird starr und weniger flexibel. Das macht das Herz anfälliger für Herzrhythmusstörungen. Denn wenn ein ektoper Schlag in den Sinusrhythmus einfällt, kann das Herz eine solche „Störung“ weniger gut kompensieren.

Stresshormone

Die akute Stressreaktion auf eine erhöhte Belastung (beim Sport) führt zur Ausschüttung von Stresshormonen, bei kurzzeitigem Stress werden v. a. die sog. Katecholamine freigesetzt (Adrenalin und Noradrenalin). Bei hoher Belastung werden auch Endorphine von der Nebenniere ausgeschüttet, sog. Glückshormone. Sie setzen die Schmerzwahrnehmung herab und tragen dazu bei, dass wir eine Situation als positiv (Eustress) oder sogar berauschend wahrnehmen.

Bei chronischem Stress und Überlastung werden v. a. Glukokortikoide in der Nebenniere gebildet (Cortison). Diese Hormone setzen auch Entzündungsreaktionen herab. Bei chronischem Stress kann am Morgen nach dem Aufstehen ein erhöhter Cortisolspiegel im Blut gemessen werden.

Bedeutung von Stress für Herzinfarktpatienten

Akuter Stress kann Auslöser für einen Myokardinfarkt sein. In Studien wird berichtet, dass z. B. Naturkatastrophen wie Erdbeben die Inzidenz des Myokardinfarkts erhöhen [1]. Es existiert sogar das Krankheitsbild des „gebrochenen Herzens“ (Tako-Tsuobo-Syndrom), das sich durch ähnliche Symptome wie bei akutem Herzinfarkt manifestieren kann. Es kann durch ein stark belastendes Ereignis ausgelöst werden, auf das der Körper mit starker Ausschüttung von Stresshormonen reagiert.

Insbesondere nach einem akuten Herzinfarkt kommt es bei vielen Patienten zu einer Verschiebung der kardialen autonomen Balance in Richtung Sympathikus sowie eingeschränkter HRV. Dabei weiß man, dass eine reduzierte HRV nach Myokardinfarkt mit einem erhöhten Risiko für plötzlichen Herztod und schlechterer Prognose verbunden ist [2]. Es wird diskutiert, ob die reduzierte HRV durch das starke Stresserlebnis des Myokardinfarkts ausgelöst wird oder durch den Untergang von Nervenrezeptoren. Eine rasche Behandlung und Wiedereröffnung des Infarktgefäßes ist hier von entscheidender Bedeutung.

Chronischer Stress ist ein anerkannter Risikofaktor für die Entstehung der koronaren Herzkrankheit. Daher ist nach einem Myokardinfarkt zur Sekundärprophylaxe das Stressmanagement wichtig. Zudem kann chronischer Stress aber auch über die Verschiebung der autonomen Balance andere kardiale Risikofaktoren negativ beeinflussen. Es ist erwiesen, dass ein erhöhter Sympathikotonus zur arteriellen Hypertonie führen kann. Ein erhöhter Blutdruck schädigt die Gefäßwand und begünstigt die Ablagerung von Plaques (Arteriosklerose). Der Fettstoffwechsel wird durch Stress ungünstig beeinflusst, dies kann zu Hypercholesterinämie beitragen und zur Entstehung von Übergewicht. Auch der Zuckerstoffwechsel verändert sich ungünstig. Zudem führt chronischer Stress häufig auch zu einem gestörten Essverhalten, was ebenfalls zu Übergewicht und der Entstehung von Diabetes beiträgt.

Ein sehr bedeutender Risikofaktor für die Entstehung der Arteriosklerose ist Nikotinkonsum. Menschen mit chronischem Stress rauchen in der Regel häufiger und ein Rauchstopp fällt bei seelischer Überlastung sehr viel schwerer.

Chronischer Stress kann zu Depressivität und Ängstlichkeit führen, zwei weitere Risikofaktoren der koronaren Herzerkrankung. Häufig handelt es sich hier um einer Erschöpfungsdepression (Burnout-Syndrom) durch die chronische Überlastung.

Wie kann man Stress entgegenwirken?

Körperliches Training

Stress führt zu einer Verschiebung der autonomen Balance in Richtung Sympathikus. Regelmäßiges körperliches Training kann dazu beitragen, Stress abzubauen und die autonome Balance positiv zu beeinflussen. Daher ist körperliches Training ein zentraler Baustein in der kardialen Rehabilitation und Prävention. Beim Training selbst kommt es zunächst zur Aktivierung des Sympathikus. Im Anschluss an das Training führt die Erholungsphase jedoch zu einer Stärkung des parasympathischen Nervensystems. Man kann sich das vorstellen wie ein Pendel, das erst in die eine Richtung gezogen wird, und dadurch vermehrt in die andere Richtung ausschlägt.

Identifikation der Stressoren im Alltag

Leidet ein Patient unter chronischem Stress, ist es wichtig, die Stressoren im Alltag zu identifizieren und Lösungsansätze im eigenen Umgang mit dem Stress zu erarbeiten. Daher bilden Stressmanagement und psychologische Betreuung ebenfalls feste Bestandteile der kardialen Rehabilitation. Ein Herzinfarkt ist häufig ein einschneidendes Ereignis, das Patienten dazu bringen kann, das Leben neu zu strukturieren und positiver zu gestalten.

Entspannungstraining

Stress führt zu einem Zustand der körperlichen und seelischen Anspannung im Körper. Es steigen daher nicht nur Blutdruck und Herzfrequenz, sondern auch der Muskeltonus. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass auch das Bindegewebe, das über die Faszien ganze Muskelgruppen miteinander verbindet, sich durch Stresshormone kontrahiert und den Spannungszustand verändert. Zahlreiche Erkrankungen und Schmerzen werden mittlerweile mit Veränderungen im Fasziensystem in Verbindung gebracht.

Entspannungstraining zielt primär darauf ab, Muskeln aktiv loszulassen, zu entspannen und auf diese Weise auch positive Effekte auf seelische Anspannungen zu erreichen.

Die Systeme der Entspannungstechniken sind komplex. Es existieren verschiedene Methoden, die jeweils unterschiedliche weitere Wirkungsebenen und Techniken verwenden.

So arbeitet das Autogene Training z. B. mit Autosuggestion. Man stellt sich vor, dass bestimmte Muskelgruppen schwer und entspannt sind. Die Aufmerksamkeit wird dabei in den Körper gelenkt, der Geist kommt zur Ruhe, die Muskeln entspannen sich.

Die Progressive Muskelentspannung nach Jakobsen arbeitet mit dem oben beschriebenen Pendeleffekt: Es werden einzelne Muskelgruppen selektiv und ganz bewusst angespannt, und dann wieder entspannt. Dies ist eine effektive Methode, da Muskeln oft unbewusst verspannt werden und durch das Manöver der An- und Entspannung willentlich entspannt werden können.

Iyengar-Yoga

In der kardialen Rehabilitation der Cardiance Clinic wenden wir therapeutisches Iyengar-Yoga als Entspannungstraining an. Iyengar-Yoga hat den Vorteil, verschiedene Wirkebenen eines Entspannungstrainings zu erreichen und miteinander zu verbinden. Yoga verbindet Körper, Geist und Seele.

Muskel- und Faszienapparat: Yoga arbeitet mit aktiven Haltungen (Asanas). Hier werden verkürzte und verhärtete Muskel- und Faszienketten gedehnt sowie abgeschwächte Muskeln gekräftigt. Die Muskel- und Faszienketten werden von Kopf bis Fuß in ein Alignment, in eine gerade Ausrichtung zueinander gebracht. Dadurch wird eine gesunde Körperstruktur aufgebaut, Blockaden werden gelöst.

Körperhaltung: Im Yoga geht man davon aus, dass hinter einer bestimmten Körperhaltung ein spezifisches seelisches Muster steht. Demnach geht eine eingesunkene Haltung häufig mit gedrückter Stimmung einher. Umgekehrt wirkt eine gerade aufgerichtete Körperhaltung auch positiv auf die Stimmung.

Konzentration und Meditation: Im Iyengar-Yoga wird die Konzentration in den Körper gelenkt. Vielen Menschen fällt es am Anfang schwer, „einfach nur“ zu meditieren. Da die Haltungen zu Beginn der Yoga-Praxis ungewohnt sind und mit fortschreitender Yoga-Praxis viel an Details gearbeitet wird, bleibt die Aufmerksamkeit (das Bewusstsein) an die Körperhaltung gebunden. Negative Gedankenschleifen werden so unterbrochen und losgelassen. Diese starke Einbindung des Geistes unterscheidet Yoga von sportlicher Aktivität. Eine ungewohnte Körperhaltung einzunehmen (bei Fortgeschrittenen z. B der Kopfstand), trotzdem ruhig weiter zu atmen und sich zu konzentrieren fördert außerdem die Fähigkeit, gelassen zu bleiben. Dies hilft auch bei der Bewältigung von Stress – man kann Dinge geschehen lassen, einen Moment Ruhe bewahren und sich sammeln, um eine Situation richtig einzuschätzen.

Tiefenatmung und Tiefenentspannung: Nach den aktiven Haltungen in einer Yogastunde folgt in der Regel ein Entspannungsteil mit Tiefenentspannung. Außerdem werden Atemtechniken (Pranayama) geübt. Laut Yoga hängt ein unruhiger Geist auch mit einer unruhigen Atmung zusammen. Lernt man, die Atmung zu vertiefen, kann man umgekehrt auch den Geist und das vegetative Nervensystem zur Ruhe bringen. Die Wirkung einer vertieften, regelmäßigen Atmung auf die autonome Balance konnte in vielen Studien bestätigt werden.

Hilfsmittel und therapeutische Programme im Iyengar-Yoga

Einzigartig im Iyengar-Yoga ist die Kenntnis besonders wirksamer Haltungen für ein bestimmtes Krankheitsbild. Es werden Hilfsmittel eingesetzt, sodass auch ältere Menschen, Menschen mit weiteren Erkrankungen oder eingeschränkter Beweglichkeit die Haltungen sicher ausführen können. In den therapeutischen Programmen für Herzpatienten wird in allen Haltungen viel Wert auf das Weiten des Brustkorbs gelegt, um die Atmung zu vertiefen und die Sauerstoffsättigung des Blutes zu verbessern. Rückbeugende Haltungen werden eingesetzt, bei denen das Mediastinum (der Herzbereich) in der Längsachse gestreckt wird. Abhängig vom Heilungsstadium des Myokardinfarkts und der Kondition des Patienten werden alle Haltungen so modifiziert und angepasst, dass mit der Unterstützung von Hilfsmitteln die Anstrengung in einer Haltung modifiziert oder ganz genommen werden kann. Die Haltungen werden ebenfalls so modifiziert, dass die Füllungsbedingungen des Herzens sich ändern, was möglicherweise das Remodeling des Herzens nach einem Herzinfarkt positiv beeinflusst.

Wissenschaftliche Ergebnisse

Die positive Wirkung des Herzprogramms aus dem Iyengar-Yoga auf die autonome kardiale Balance konnte die Autorin in einer Studie an gesunden Yoga-Übenden in ihrer Doktorarbeit zeigen, die sie mit Unterstützung von B.K.S. Iyengar durchgeführt hat [4]. In einer weiteren Studie von Michalsen et al. konnte gezeigt werden, dass der Cortisolspiegel nach einer 90-minütigen Iyengar-Yoga-Sitzung deutlich abfällt und die Teilnehmerinnen auch deutlich weniger Stress empfunden haben [5].

Weiterführende Informationen

Die folgenden Webseiten informieren über die Methode und auch über Ausbildungsmöglichkeiten und Adressen von Lehrern für Iyengar-Yoga.

www.iyengar-yoga-deutschland.de

www.bksiyengar.com

 Mittlerweile existiert es eine ganze Reihe von Studien, die die positive Wirkung von Yoga auf unterschiedliche kardiale Risikofaktoren zeigen konnten.

Eine umfangreiche Metaanalyse von Cramer et al. [6] zeigte den positiven Einfluss von Yoga und Iyengar-Yoga auf zahlreiche kardiale Risikofaktoren.

In einer Metaanalyse von Dixhoorn et al. zur Wirkung von Entspannungstraining zeigte sich sogar die Reduktion eines kardialen Ereignisses und der Sterblichkeit durch ein kardiales Ereignis innerhalb eines Follow-ups von 2 Jahren [7].

Fazit

Chronischer Stress gehört zu den anerkannten Risikofaktoren bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Entspannungsmethoden sollten daher fester Bestandteil der Prävention und Behandlung sein und haben sich inzwischen auch in den Behandlungskonzepten etabliert. Inzwischen existiert eine Vielzahl bewährter Entspannungsmethoden. Therapeutischer Iyengar-Yoga beispielsweise hat sich in der Praxis und in Studien als wirksam erwiesen. Die Verbindung aus Atemübungen, körperlichen Übungen und Entspannung beeinflusst Körper, Geist und Seele positiv und kann ein ganzheitliches Behandlungskonzept bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinnvoll ergänzen.

Dr. med. Kerstin Khattab
Ärztin für Kardiologie, Yogalehrerin und Komplementär Therapeutin in der Methode Yogatherapie mit Branchenzertifikat der OdA KT.

Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

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