Welt-MS-TagMultiple Sklerose ist keine Einbahnstraße

Diagnose Multiple Sklerose: Ein persönlicher Erfahrungsbericht über den Umgang mit MS und Wege neben der schulmedizinischen Medikation.

Neuronen grafisch dargestellt (3D Illustration).
Andrea Danti/stock.adobe.com

Als eine Leitplanke der Ernährung bei MS kann gelten, den Körper nicht mit entzündungsfördernden Nahrungsbestandteilen zu fluten: d. h. möglichst zuckerfrei, kohlenhydratreduziert, wenig verarbeitet und reich an Omega-3-Fettsäuren.

von Anno Jordan

Es war in der Osterzeit 2005, irgendwo in den schottischen Highlands auf der Rückkehr von einer Wanderung zu unserer Hunting Lodge. Auf den letzten 1½ Kilometern rutschte ich immer wieder mit dem rechten Fuß in die tief ausgefahrene Furche eines Feldwegs, ohne wirklich zu verstehen, was passierte. Die Sehstörung am nächsten Morgen tat ich zunächst als Folge der drei Whiskeys am Vorabend ab, da sich die Lage relativ schnell beruhigte.

Dummerweise tauchte dasselbe Problem (aber dieses Mal mit der unangenehmen Eigenschaft von Doppelbildern) einige Tage später während der Rückreise wieder auf. Es war zwar halbwegs auszuhalten, aber durchaus störend. Aber wie das so ist, zunächst drückt man einfach alles so weit wie möglich weg und macht weiter wie bisher. Das bedeutete bei mir: geplante internationale Reisen in den nächsten Tagen und damit zusammenhängende Firmengespräche im Auftrag eines weltweit agierenden Automationsunternehmens. Ich war schon auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen, als ich mich kurzfristig entschied, die Reise doch abzubrechen und zum Arzt zu gehen.

Diagnose

Der Hausarzt konnte sich keinen wirklichen Reim auf meine wechselnden Symptome (die durchaus auch für einen Infekt sprachen) machen und schickte mich vorsichtshalber zum Neurologen. Dieser wiederum leitete mich umgehend weiter in ein nahegelegenes Krankenhaus in die neurologische Abteilung. Dort wurden einige Untersuchungen durchgeführt, inklusive MRT, und nach 3–4 Tagen wurde ich ohne klaren Befund entlassen. Der Chefarzt murmelte irgendetwas von Schrankenstörung, was mir zu dieser Zeit überhaupt nichts sagte. Ohnehin wollte ich das Thema möglichst schnell hinter mich bringen, und da es mir zunehmend besser ging, hielt ich die Sache für mehr oder weniger abgehakt.

Ungefähr ein Jahr später bemerkte ich, dass die Sache mitnichten erledigt war. Mich erwischte ein kräftiger Schub mit starken Gang- und Gefühlsstörungen in den Händen und Füßen, aber glücklicherweise ohne erneut auftretende Sehprobleme. Was dann kam, ist sicherlich jeder MS-Patientin und jedem MS-Patienten bekannt: eine Reihe von Untersuchungen, Zweifel an der Diagnose, Hoffnungsschimmer und Enttäuschungen und zum Schluss die klare Botschaft: „Sie haben Multiple Sklerose.“

Zeit zur Verarbeitung

Jetzt sollte man sich eigentlich etwas Zeit zum Verarbeiten und zum Begreifen dieser Nachricht lassen. Doch aufgrund der Schreckensszenarien, die mit dieser Erkrankung verbunden sind, läuft man unweigerlich in eine Gedankenfalle: Warum ich? Kann doch nicht sein! Nicht mit mir, und da wird mir die Schulmedizin schon irgendwie helfen.

Na ja, an dieser Stelle hat die Pharmaindustrie dann sofort verlockende Angebote zu machen. Der Neurologe drückt einem zwei oder drei Prospekte in die Hand und erklärt, dass MS heute beherrschbar sei und man nur treu den Empfehlungen zur regelmäßigen subkutanen bzw. intramuskulären Verabreichung der Medikamente oder neuerdings auch in Tablettenform folgen müsse. Und wenn Schlimmeres passiert, könnte man natürlich noch weiter eskalieren. Daran habe übrigens auch ich 5–6 Jahre geglaubt.

Zweifel an der Standardbehandlung

Zweifel traten dann nach ca. 5 Jahren fleißigen Interferonspritzens auf: 3 × in der Woche spritzen, 3 × in der Woche Ibuprofen, Novalgin oder Paracetamol einnehmen, um die Nebenwirkungen einigermaßen im Griff zu haben, und ein sich kontinuierlich verschlechternder Allgemeinzustand. Dann wieder der Gang zum Arzt, wo die Empfehlung lautete: „Naja, dann können wir ja jetzt mal auf Mitoxantron eskalieren.“

Spätestens an dieser Stelle war dann für mich „Schluss mit lustig“. Da ich schon im Vorfeld meine Arbeitszeit auf eine 2½-Tage-Woche reduziert hatte, hatte ich mehr Zeit, mich intensiver mit neurologischen Autoimmunerkrankungen und der Wissenschaft dahinter zu beschäftigen. Ich bin zwar kein Mediziner, aber als Physiker hat man eine recht umfassende wissenschaftliche Ausbildung und kann sehr gut mit komplexen Zusammenhängen, statistischen Auswertungen und insgesamt der Bewertung von wissenschaftlichen Ergebnissen umgehen. Vor allem versucht der Physiker, das Modell hinter natürlichen Ereignissen zu verstehen und den Einflussfaktoren auf den Grund zu gehen.

Also fing ich an, mich mit medizinischen Studien rund um das Thema Multiple Sklerose zu beschäftigen. Nach ca. einem halben Jahr wurde mir klar: Es gibt nahezu keine Studie, die auf die multifaktoriellen Einflüsse, die mit chronischen Erkrankungen zusammenhängen, wirklich eingeht. Stattdessen wird mit äußerst groben Eingriffen in das System Mensch versucht, irgendwie – ohne Rücksicht auf Verluste (also unerwünschte Nebenwirkungen) – das Immunsystem zu modulieren, in häufigen Fällen aber so zu unterdrücken, dass das Komplettsystem aus den Fugen gerät. Die größte Schande dabei ist, dass das einzelne System (also der Mensch als Individuum) im Vorfeld noch nicht einmal eingehend untersucht wird (außer auf grobe Merkmale wie Alter, Geschlecht, Erkrankungsdauer, Familiengeschichte, Standardlaborwerte etc.) und so getan wird, als ob dieses hochkomplexe, adaptive und selbstregulierende System mehr oder weniger bei allen Betroffenen gleich wäre und man nur eine bestimmte Dosis eines Medikaments zuführen müsste, um bei einer Mehrzahl der Betroffenen zumindest teilweise Erfolge zu erzielen.

Hier beißt sich die Katze selbst in den Schwanz: Wenn schon Experimente an einem System durchgeführt werden, sollte man vorher wissen, in welchem Zustand sich dieses System befindet. Also zum Beispiel: Wie ist die Versorgung mit Mikronährstoffen? Gibt es bekannte Schadeinflüsse oder Vergiftungen? Ist die Person einem besonderen psychologischen Stress ausgesetzt? Treibt sie Sport? Wie ist der Fettsäurestatus? Wie sehen die Entzündungswerte im Detail aus? Wie sehen die immunologischen Reaktionen aus? In aller Regel – insbesondere bei den pharmageförderten Studien – absolute Fehlanzeige.

Wir alle wissen, was bisher dabei herausgekommen ist: nur sehr mäßige Erfolge, eine mehr oder oft eher weniger signifikante Reduzierung der Schubrate, im besten Fall ein stationärer Verlauf der Erkrankung und grundsätzlich die Aussage: „Heilung ist nicht möglich.“

Es wurde mir klar, dass es auch anders gehen muss. Parallel zu den geschilderten Überlegungen und Erkenntnissen und bei Internetrecherchen fielen mir dann das Buch von Prof. George Jelinek [1] und Informationen zur zugehörigen Initiative OMS in Australien in die Hand. In der Erstveröffentlichung wurde bereits vor 19 Jahren beschrieben, dass man einer Erkrankung wie der Multiplen Sklerose nur durch einen multimodalen Ansatz beikommen kann. Jelinek führte schon viele der wesentlichen Punkte auf:

  • Ernährung

  • Sport und Bewegung

  • Vitamin D und Sonne

  • gute Versorgung mit Mikronährstoffen

  • mentale Stabilisierung durch Meditation und andere Maßnahmen

Lediglich die Darmflora fehlte noch und das leider auch in der aktuellen Neuauflage. Auch bei einzelnen Punkten, z. B. der Fettsäurenthematik, kann man durchaus anderer Meinung sein, aber das Gesamtkonzept stimmte schon damals.

Das Life-SMS-Projekt

Weitere glückliche Fügungen in den Jahren 2013 und 2014 führten dazu, dass ich den Präventionsmediziner Prof. Jörg Spitz und den ebenfalls betroffenen Autor Sven Böttcher kennenlernte. Wir waren uns relativ schnell einig, dass es in Deutschland an einer zu OMS vergleichbaren Initiative fehlt und dass Betroffene mit dem Schubladendenken der Standardmedizin alleingelassen werden. Vor diesem Hintergrund war es möglich, das Life-SMS-Projekt (Lebensstil-Strategien bei Multipler Sklerose) unter dem Dach der Deutschen Stiftung für Gesundheitsinformation und Prävention zu initiieren. Life-SMS soll Betroffenen und Therapeuten/Ärzten eine aktuelle Plattform bieten, die Effekte des Lebensstils auf den Verlauf der Erkrankung transparent macht und es ermöglicht, Änderungen im Lebensstil bewusst und praktisch umzusetzen.

 

Die eigene MS-Erkrankung als Projekt verstehen

Warum die Schulmedizin bei Autoimmunerkrankungen mit dem klassischen Ansatz bis heute scheitert, ist oben erläutert. Es hilft also nur die Auseinandersetzung mit den persönlichen Einflussfaktoren, die ursächlich mit dem Auftreten der Erkrankung verbunden sein können. Dabei sollte von vornherein klar sein, dass es nicht nur einen Einflussfaktor gibt, der Ursache der Erkrankung ist, sondern es sich immer um eine Kombination mehrerer, u. U. sogar vieler Faktoren handelt. Von daher bleibt einem selbst nichts anderes übrig, als an all den Schrauben zu drehen, die mutmaßlich mit der Erkrankung zusammenhängen, und dadurch das Immunsystem wieder in Homöostase zu bringen. Dabei gilt:

  • Es gibt Gemeinsamkeiten und Gruppen von Faktoren, die heute schon bekannt sind und insofern über Lebensstilmaßnahmen modifiziert werden können.

  • Auch diese Faktoren sind im Detail sehr vielfältig, sodass es für den Einzelnen zunächst schwierig ist, den für ihn selbst idealen Stabilisierungs- und Genesungsweg zu finden.

Das Ganze kann als persönliches „Genesungsprojekt“ verstanden werden – mit Werkzeugen und Methoden des Projektmanagements, um das Ziel zu erreichen.

Das Pareto-Prinzip

Eine große Hilfe für mich war in diesem Zusammenhang das sog. „Pareto-Prinzip“ oder die „80-zu-20-Regel“. Das nach dem 1848 geborenen italienischen Ingenieur, Ökonomen und Soziologen Vilfredo Federico Pareto benannte Prinzip besagt, dass 80 % der Ergebnisse eines Projekts mit 20 % des Gesamtaufwands erreicht werden können. Die verbleibenden 20 % der Ergebnisse benötigen mit 80 % die meiste Arbeit. (Die Regel ist eine Faustregel und kein Naturgesetz!)

Für mich als Betroffenen hieß das demnach: zunächst auf die wesentlichen Faktoren konzentrieren und dann immer weiter verfeinern.

Aus der Arbeit im Life-SMS-Projekt hatte sich zunächst das o. g. Säulenmodell entwickelt, das natürlich jedoch noch feiner verästelt ist. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, die einzelnen Kategorien im Detail zu besprechen. Denjenigen Leserinnen und Lesern, die an weiteren Details interessiert sind, seien die Webseiten des Life-SMS-Projekts [https://lifesms.blog/ und https://lsms.info/] empfohlen, die kontinuierlich gepflegt und erweitert werden. Unabhängig davon können jedoch einige grundlegende Punkte aus meiner Sicht an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden.

Grundsätzliche Erkenntnisse und Empfehlungen

Wenn man sich im Internet tiefer mit der Thematik beschäftigt, wird man von der Fülle der Informationen, Ratschläge und Kommentare komplett überflutet. Insofern lohnt es sich zunächst einmal, die Seriosität der einzelnen Quellen kritisch zu bewerten.

An erster Stelle steht für mich die Frage: Gibt es für die dort gemachten Aussagen eine wissenschaftliche Grundlage? Neben aller Kritik an schulmedizinischen Studien liefern diese doch wertvolle Hinweise in Bezug auf Möglichkeiten einer systemischen Behandlung der MS. Der Leser sollte nicht vergessen, dass die Wissenschaft heute sehr viel mehr weiß als das, was in den heutigen Leitlinien zur MS-Behandlung niedergelegt ist. Es dauert im Ernstfall 20–30 Jahre, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse Eingang in die medizinische Standardbehandlung gefunden haben. Solange können wir als Betroffene mit Sicherheit nicht warten. Also nutzen wir im Life-SMS-Projekt die öffentlich verfügbaren Möglichkeiten, neueste Studienergebnisse über das Internet zu erhalten, und versuchen daraus ein eigenes Bild zu entwickeln. Wenn der Betroffene selbst das wissenschaftliche Arbeiten nicht gewohnt ist, empfiehlt es sich, sich an einen Arzt/eine Ärztin, einen Therapeuten/eine Therapeutin oder Coach zu wenden, die/der systemisch arbeitet und auf dem neuesten Stand der Forschung ist.

Systemisches Arbeiten bedeutet, der Arzt oder die Ärztin orientiert sich nicht ausschließlich an den Symptomen der Erkrankung, sondern konzentriert sich auf die Ursachen (funktionelle Medizin).

Vitamin D und Sonne

Die erste der genannten Kategorien Vitamin D und Sonne bekommt man relativ einfach in den Griff. Man muss nur dafür sorgen, einen guten Vitamin-D-Serumspiegel zu haben (die Empfehlungen des Life-SMS-Projekts lauten dabei 60–90 ng/ml) und parallel so häufig wie möglich die heilende Kraft der Sonne zu nutzen. Wenn dieses Ziel erreicht ist, kann man den Punkt Vitamin D und Sonne bereits als erledigt betrachten [4].

Ernährung und Mikronährstoffe

Bei Ernährung und Mikronährstoffen wird es schon schwieriger. Aber auch an dieser Stelle können aus meiner Sicht Leitplanken genannt werden: Wichtig ist vor allen Dingen, den Körper nicht mit entzündungsfördernden Nahrungsbestandteilen zu überfluten. Dazu gehört an erster Stelle der in allen industriell verarbeiteten Lebensmitteln vorkommende raffinierte Zucker oder – sogar noch schlimmer – der hochkonzentrierte Fruktose-Mix (High Fructose Corn Syrup, HFCS) in modernen Lifestyle-Getränken.

Man achtet also auf eine möglichst zuckerfreie, kohlenhydratreduzierte Ernährung [5] und schaut sich die Inhaltsstoffe in Lebensmitteln genau an.

Auf dem gleichen Risikoniveau liegen die in der Nahrungsmittelindustrie weit verbreiteten (da billigen) Omega-6-Öle [6]. Meine Lösung: Reduktion von Omega-6-Ölen wie Sonnenblumen-, Soja- oder Maiskeimöl etc. sowie Zufuhr von genügend Omega-3-Fettsäuren (fetter Seefisch oder Algenöl), Olivenöl in der Küche und Aufnahme kurzkettiger Fettsäuren über Kokosöl. Bei den Mikronährstoffen ist insbesondere das Magnesium wichtig, aber auch B-Vitamine, Alpha-Liponsäure und Pflanzenstoffe (z. B. Kurkuma) haben wichtige stabilisierende Eigenschaften, die ich nutze.

Darmflora

Das Thema Darmflora [7] nehme ich inzwischen besonders ernst. Wie Prof. Alessio Fasano nachvollziehbar erläutert [8], gibt es für den Ausbruch einer Autoimmunerkrankung 3 notwendige Faktoren:

  • genetische Anfälligkeit

  • externe Schadstoffe und Schadeinflüsse

  • erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut (Stichwort „Leaky Gut“)

Der letzte Punkt war der entscheidende für mich. Leider habe ich erst Ende 2017 festgestellt, dass eine Sensitivität gegenüber Gluten und anderen Weizenproteinen dieses Leaky-Gut-Syndrom bei mir triggert. Wenige Tage Gluten- und Weizenverzicht beseitigten die jahrelang bestehenden Verdauungsprobleme und brachten einen weiteren Zuwachs der Leistungsfähigkeit. Ich hatte dieses Thema klar unterschätzt.

Jeder und jedem Betroffenen kann ich nur raten, einmal 30 Tage auf Gluten und Weizen zu verzichten. Untersuchungen sprechen dafür, dass dies bei etwa 10 % der Patienten ein Hauptfaktor der Erkrankung ist. Zusätzlich sollte man sich die Supplementierung mit Propionsäure (kurzkettige Fettsäuren) gönnen – ein probates Mittel, wieder eine antientzündliche Darmflora herzustellen!

Mein Fazit: Es gibt weder Wundermittel noch eine Wunderdiät – die wissenschaftliche Grundlage ist entscheidend. Jede Maßnahme, ob Diät oder Supplementierung mit Mikronährstoffen, ist individuell zu betrachten und zu bewerten, und dazu sollte man sich fachkundige Hilfe holen. Es muss das Motto gelten: Schadeinflüsse minimieren, Schutzfaktoren erhöhen.

Bewegung und Sport

Durch die neurologischen entzündlichen Prozesse sind die physiologischen und mentalen Auswirkungen der Krankheit MS vielfältig. Körperliche Funktionen sind oft eingeschränkt. Kardiovaskuläre Funktionen (Herz-Kreislauf-System), neuromuskuläre Funktionen (Muskelschwäche und Einschränkungen des Gehens) und sensorische Funktionen (Einschränkungen in der Balance, Missempfindungen) summieren sich auf und führen zu mehr Inaktivität. Durch diese Inaktivität aber werden die physiologischen Auswirkungen verstärkt, ein Teufelskreis entsteht. „Use it or lose it“ bedeutet für alle Menschen, dass Funktionen oder Systeme, die unterhalb einer gewissen Reizschwelle genutzt werden, abgebaut werden. Auch ich muss diesbezüglich immer wieder den eigenen Schweinehund überwinden.

Bewegung und Sport sind entscheidend zur Entwicklung und Aufrechterhaltung der kardiorespiratorischen, muskulären, neurologischen, kognitiven, psychischen, hormonellen und metabolischen Gesundheit aller Menschen [9].

Dieses Wissen hilft mir bei der Herausforderung, mich immer wieder aufzuraffen.

Stress und Überlastung

Bleibt noch der 5. kritische Faktor: negativer Stress und chronische Überlastung des Körpers und der Psyche. Die Folge davon ist ein ganzer Cocktail von negativen Botenstoffen, mit denen das Gehirn den Körper überschwemmt. Auch hier hat die Evolution dem Menschen gezeigt, wie damit optimal umzugehen ist. Mentale Aspekte wie Entwicklung des künstlerischen Ausdrucks – sei es in Malerei, Bildhauerei, Musik, Tanz etc. – haben schon immer ein Gegengewicht zur rein materiell orientierten Beschaffung von Gütern oder Nahrungsmitteln gebildet. Glück und die Ausschüttung positiver Botenstoffe hängen vor allem mit innerer Ruhe, Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Zukunft zusammen. Mittel, die Erlangung dieses Zustands zu fördern, finden sich nicht nur im künstlerischen Ausdruck, sondern auch in der Meditation oder Kontemplation oder der schon erwähnten sportlichen Aktivität, v. a. im Zusammenhang mit einem intensiven Naturerlebnis.

Für mich bleibt die Psyche das Zünglein an der Waage. Wenn Gehirn, Kopf und Geist nicht wollen, kann man beliebige Diäten probieren oder Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, der Erfolg wird fragil bleiben. Mathematischer ausgedrückt: Eine stabile Psyche ist ein notwendiger Faktor zur Gesundung. In einzelnen Fällen sogar ein hinreichender!

Life-SMS und die Mindmap der eigenverantwortlichen MS-Behandlung

Da diese Zusammenhänge und die zugehörigen Faktoren sehr individuell und komplex sind, haben wir uns im Rahmen des Life-SMS-Projekts überlegt, die bekannten und wahrscheinlichen Zusammenhänge zwischen Lebensstil und MS in einer Landkarte darzustellen. Damit soll es Betroffenen möglich werden, die einzelnen Punkte innerhalb dieser Landkarte sukzessive durchzugehen und Schwachpunkte und Möglichkeiten zur Stärkung der eigenen Ressourcen zu identifizieren. Aus meiner Sicht ist diese Mindmap ein sehr hilfreiches Tool für das persönliche Genesungsprojekt.

Persönliches Fazit

Zumindest in meinem Fall hat das systematische Vorgehen dazu geführt, dass ich heute mit der Erkrankung relativ gut leben kann und auch wieder vollständig in den Arbeitsprozess integriert bin. Im Vergleich zu 50 m Gehstrecke im Jahr 2011 schaffe ich heute wieder 3000–4000 Schritte täglich. Selbstverständlich gibt es Phasen des Auf und Ab, und manchmal wünscht man sich natürlich, nicht von MS betroffen zu sein. Das hilft aber nichts. Viel wichtiger ist es, daran zu glauben und zu fühlen, dass man einen für sich selbst machbaren Weg beschritten hat. Viele Patientengeschichten beweisen, dass die Anpassung des Lebensstils und das aktive bewusste Auseinandersetzen mit der Erkrankung die wesentlichen Faktoren bei der Stabilisierung und möglichen Heilung sind [11]. Garantien gibt es selbstverständlich keine, aber die liefert insbesondere die Pharmaindustrie auch nicht. Dort gibt es nur eine Garantie – nämlich Nebenwirkungen. Insofern kann man durchaus auch einmal ein Stück in die falsche Richtung des Weges gehen, aber mit einem wachsamen Geist, hilfreichen Beratern und gesundem Menschenverstand findet man mit Zuversicht und Glück wieder auf den eigenen heilsamen Weg zurück.

Maßnahmen-Cocktail

Verständlicherweise werden viele Leser fragen, welcher Maßnahmen-Cocktail bei mir zu einer deutlichen Verbesserung der Situation geführt hat. Nachfolgend sind die wesentlichen Elemente aufgeführt. Dabei ist mir besonders wichtig hervorzuheben, dass diese Punkte nur für mich gelten und bei anderen Betroffenen nicht notwendigerweise die gleichen Effekte zeigen werden.

Supplementierung (Tagesdosen)

5000 IE/d Vitamin D, 400 mg L-Magnesiumthreonate, 2 g DGA/EPA über Fisch- oder Algenöl, 2 g ALA über Leinöl, 500 mg Natriumpropionat, 250 mg Nicotinamid Riboside, 300–600 mg R-Alpha-Liponsäure, Vitamin-B-Komplex, 1 Probiotikum, 1 Mittel zur Stabilisierung der Darmschleimhaut.

Schulmedizinisch: 2 × 10 mg Fampyra.

Ernährung

Fleisch aus ökologischer Aufzucht, sehr wenig raffinierter Zucker, Fisch, kaum Milchprodukte (wenn, dann Schaf und Ziege), pflanzliche Lebensmittel, Gemüsesaft (frisch gepresst), Kurkuma, komplexe Kohlenhydrate, viel Beerenobst, kein Gluten und Weizen, keine Lifestyle-Getränke, reichlich Olivenöl, Kokosöl, grüner Tee, Kaffee, Wein in Maßen.

Sport und Bewegung, Natur

Tägliche Spaziergänge, Laufbandtraining, Vibrationstraining, Pilates, bewusstes Sonnenbaden.

Meditation, Mentales und Soziales

Yin Yoga, Achtsamkeitsmeditation, ein herausfordernder und interessanter Job, eine stabile und liebevolle familiäre Umgebung.

Anno Jordan
Dipl.-Physiker
Er befasst sich mit Präventionsaspekten und Lebensstileinflüssen bei Autoimmunerkrankungen (u. a. auch der MS).

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

[1] Jelinek G. Multiple Sklerose überwinden: Das weltweit bewährte 7-Schritte-Programm für ein gesundes und aktives Leben. 2. Aufl.. Kandern: Narayana; 2018

[2] Böttcher S. Diagnose: unheilbar. Therapie: selbstbestimmt. Vom souveränen Umgang mit der Schulmedizin. Ein Erfahrungsbericht. Kiel: Ludwig; 2015

[3] Life-SMS. Life-SMS und sonst so: Immer mehr Menschen erkranken an MS. Im Internet: https://lifesms.blog/ (Stand: 18.06.2019)

[4] Life-SMS. Faktenblatt Vitamin D, Sonne und MS. DSGIP; 2019. Im Internet: https://lsms.info/fileadmin/user_upload/pdf/Factsheet_Vitamin_D_DE_Rev._2.0_2019.pdf (Stand: 18.06.2019)

[5] Life-SMS. Faktenblatt Zucker und Multiple Sklerose. DSGIP; 2015. Im Internet: https://lsms.info/fileadmin/user_upload/pdf/Factsheet_Zucker_DE_Rev._1.4.pdf (Stand: 18.06.2019)

[6] Life-SMS. Faktenblatt Fettsäuren und Multiple Sklerose. DSGIP; 2015. Im Internet: https://lsms.info/fileadmin/user_upload/pdf/Factsheet_Fettsaeuren_DE_Rev._1.0_2015.pdf (Stand: 18.06.2019)

[7] Life-SMS. Faktenblatt Darmflora und Multiple Sklerose. DSGIP; 2015. Im Internet: https://lsms.info/fileadmin/user_upload/pdf/Factsheet_Darmflora_DE_2015_Rev._1.1.pdf (Stand: 18.06.2019)

[8] Fasano A, Flaherty S, Fritzsche C. Die ganze Wahrheit über Gluten: Alles über Zöliakie, Glutensensitivität und Weizenallergie. München: Südwest; 2015

[9] Life-SMS. Sport und MS. Was Sport, Training und Bewegung für die Behandlung der Multiplen Sklerose und die Wiederherstellung verlorengegangener Fähigkeiten bedeuten. Eine Life-SMS-Veröffentlichung. DSGIP; 2017. Im Internet: https://lsms.info/fileadmin/user_upload/pdf/Life-SMS-Sport_und_MS_Rev_1.0_2017.pdf (Stand: 18.06.2019)

[10] Life-SMS. Die Life-SMS-Methodik (Mindmap). Im Internet: http://lsms.info/index.php?id=174 (Stand: 18.06.2019)

[11] Life-SMS. MS ist keine Einbahnstraße – Geschichten aus dem wahren Leben mit Multipler Sklerose. DSGIP; 2018. Im Internet: https://lifesms.files.wordpress.com/2018/07/lsms_ms-keine-einbahnstr_leseprobe.pdf (Stand: 18.06.2019)