PsycheWie Körper und Psyche miteinander verbunden sind

Körper und Psyche bilden eine Einheit und reagieren aufeinander. Typische psychosomatische Krankheitsbilder sind PTBS, Angststörungen, Depressionen, aber auch Kopf- und Muskelschmerzen.

Eisberg, Meer, Himmel, unter Wasser
Orlando Florin Rosu/stock.adobe.com

Wie bei einem Eisberg liegt ein Großteil der Konflikte auch bei uns Menschen im Verborgenen und zeigt sich nur ansatzweise an der Oberfläche.

von Ursula Hilpert-Mühlig

Kurz gefasst

  • Körper und Psyche bilden eine Einheit und reagieren aufeinander: Dieses Ursache-Wirkungs-Prinzip gilt sowohl in der Naturheilkunde wie in der Psychosomatik. Beide ergänzen sich deshalb ideal.
  • Erste Ansätze zur psychosomatischen Denkweise gab es bereits in der Antike. Im geschichtlichen Verlauf haben viele Konzepte zur Ausgestaltung der Psychosomatik geführt, maßgeblich auch die Psychoanalyse.
  • Typische psychosomatische Krankheitsbilder sind nicht nur posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Angststörungen, Depressionen, sondern auch somatoforme Störungen wie Kopf- und Muskelschmerzen. Auch Krebserkrankungen und Multiple Sklerose zählen dazu.

Inhalt

Psychosomatische Störungen

Welche Störungen gelten als psychosomatisch?

Häufig betroffene Organe und Organsysteme

Ursache und Wirkung – Wirkung und Ursache

Leib-Seele-Problematik in der wissenschaftlichen Medizin

Geschichte der Psychosomatik und theoretische Konzepte

Psychosomatik und Naturheilkunde

Konstitution als ein diagnostischer Zugang

Pflege des Vegetativums

Viele Redewendungen bringen das Zusammenspiel von Körper und Psyche auf den Punkt: Etwas „liegt schwer im Magen“, „stößt bitter auf“, „bereitet Kopfzerbrechen“. Eine Sache „geht an die Nieren“, „verschlägt einem den Atem“, „schnürt den Hals zu“. Ein Problem „bricht das Herz“, „raubt den Schlaf“. Längst haben viele wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit der Psychosomatik beschäftigen, gezeigt, dass diese Volksweisheiten eine gehörige Portion Wahrheit enthalten. Was aber ist Psychosomatik überhaupt?

Unter Psychosomatik versteht man die Lehre über die Zusammenhänge und wechselseitige Beeinflussung von Seele (griechisch „Psyche“: Atem, Hauch, Seele) und Körper (griechisch „Soma“: Körper, Leib, Leben). Als Krankheitslehre berücksichtigt sie seelische Einflüsse auf körperliche Vorgänge – aber auch die körperlichen Einflüsse auf die Seele.

Psychosomatische Störungen

Sogenannte psychosomatische Störungen sind also seelische Probleme, die bei den Betroffenen körperliche Symptome auslösen – aber auch organische Erkrankungen, die zu psychischen Beschwerden führen. Das unterscheidet Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen von denen, die körperliche Symptome vortäuschen, weil sie beispielsweise unter dem Münchhausen-Syndrom leiden oder sich Symptome einbilden wie Hypochonder, um auf ihre seelischen Probleme aufmerksam zu machen.

Menschen mit psychosomatischen Störungen verdrängen sehr häufig, dass ihre körperlichen Probleme einen psychosomatischen Ursprung haben.

Eine psychosomatische Krankheit ist ein Geschehen zwischen Emotionen und Körper. Ein Wesenszug des psychosomatisch Kranken ist seine Unfähigkeit, erlebte Gefühle hinreichend wahrzunehmen und auszudrücken. Diese Einschränkung bewirkt, dass er überwiegend nur körperliche Sensationen und Missempfindungen äußern kann und auch über das Gespräch keinen Zugang zu seiner Emotionalität findet beziehungsweise zulässt.

Welche Störungen gelten als psychosomatisch?

Zu den psychosomatischen Krankheitsbildern zählen:

  • körperliche Erkrankungen, die schwere Belastungen für die Psyche darstellen wie etwa Krebserkrankungen oder Multiple Sklerose
  • körperliche Störungen, die Emotionen, Konflikte und Krisen begleiten, sowie direkte oder indirekte Reaktionen auf psychische oder physische Traumata (wie PTBS und gestörte Anpassung)
  • Konversionsstörungen, also körperliche Symptome, die ihren Ursprung in unbewussten Konflikten haben
  • seelische Störungen, zu deren Symptomen körperliches Unwohlsein gehört, wie etwa Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen
  • seelische Störungen, die Auswirkungen auf den Körper haben, wie Essstörungen
  • Missbrauch von Genuss- und Betäubungsmitteln, der körperliche Folgen hat

Eine Sonderform sind die somatoformen Störungen, die auch körpergestaltige Störungen genannt werden. Sie gleichen körperlich verursachten, erscheinen wie somatische Krankheiten, sind es aber tatsächlich nicht. Über Jahrzehnte wurden sie auch als „funktionell“, „psychogen“ oder „psychovegetativ“ bezeichnet. Letzteres erscheint durchaus sinnvoll, da sie sich als vielgestaltige Dysfunktionen insbesondere an vegetativ versorgten Organsystemen ohne organpathologischen Befund zeigen. Die funktionellen Syndrome treten vor allem im Bereich des Magen-Darm-Trakts, des kardiovaskulären Systems, des Respirationstrakts, des urogenitalen Systems oder in Form von Kopf- und Muskelschmerzen und anderen diffusen, in ihrer Intensität und Lokalisation wechselnden Symptomen auf.

Eindeutig erkennbare psychosomatische Leiden gibt es nicht

Im Hinblick auf die somatopsychosomatischen Wechselwirkungen reicht es nicht aus, bestimmte Symptome oder Krankheiten von vornherein als psychosomatisch oder psychogen zu definieren. Der seelische und der körperliche Anteil ist in jedem einzelnen Fall von unterschiedlichem Gewicht und verschiedener Art. Psychosomatik zwingt dazu, individuell zu diagnostizieren und zu therapieren.

Häufig betroffene Organe und Organsysteme

Besonders häufig wirken sich psychische Belastungen auf den Magen-Darm-Trakt aus und äußern sich in Schmerzen, Übelkeit, Brechreiz oder Durchfall. Sie können dauerhafte Reizzustände wie Reizmagen (Gastropathia nervosa) oder das Reizdarmsyndrom (Colon irritabile) hervorrufen bis hin zu morphologischen Veränderungen wie Schleimhautentzündungen und Ulkusbildung.

Auch das Skelett- und Muskelsystem reagiert sehr stark auf psychische Belastungen. So ist ein Großteil der Rückenschmerzen Folge seelischer und nicht körperlicher Ursachen. Laut des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen sind 85 % der Rückenschmerzen durch psychische Ursachen entstanden oder tragen zum Erhalt der Schmerzen bei. Eine Studie der AOK ergab, dass sich hinter den meisten Rückenleiden Ängste am Arbeitsplatz verbergen.

Bei vielen Beschwerden des Herz-Kreislauf-Systems, zum Beispiel dem Gefühl von Brustenge, Herzstolpern und Atembeschwerden ohne organisches Korrelat, lassen sich psychophysiologische Zusammenhänge erkennen. Doch nicht nur funktionelle Beeinträchtigungen entstehen durch psychische Belastungen, auch das Risiko, an einer koronaren Herzerkrankung (KHK) zu erkranken, ist deutlich erhöht.

Chronische belastende Emotionen wie Ängste, Ärger oder Überforderungsgefühle können das Immunsystem und die körpereigenen Selbstheilungskräfte schwächen. Das Risiko, an Infektionskrankheiten zu erkranken, wie etwa einem grippalen Infekt, ist um ein Vielfaches höher; Wunden heilen schlechter und langsamer.

Ursache und Wirkung – Wirkung und Ursache

Psychische und körperliche Symptome lassen sich also oft kaum voneinander unterscheiden, denn starke Emotionen führen auch immer zu körperlichen Reaktionen.

Ein Beispiel: Angst führt dazu, dass die Nebennieren das Stresshormon Adrenalin ausschütten, das das vegetative Nervensystem beeinflusst und dadurch unter anderem die Magen-Darm-Peristaltik hemmt. Chronische Angstgefühle können deshalb zu Verdauungsstörungen führen, Verstopfung und Durchfall wechseln sich oftmals ab. Auch am Herzen zeigen sich Symptome: Es kommt zum sogenannten Herzstolpern, zu erhöhter Herzfrequenz, Engegefühlen in der Brust, zu Gefäßverengung und Blutdruckerhöhung. Die Psyche, also die Gefühle, Einstellungen, Empfindungen, unbewusste Reaktionen und bewusste Gedanken sind mit dem Körper eng verbunden. Hormone, Proteine und viele Stoffwechselprodukte steuern den Gemütszustand und die Bedürfnisse.

Erinnerungen und Erfahrungen werden im Gedächtnis gespeichert, das daraus die Muster entwirft, mit denen der Mensch seinen Alltag bewältigt. Diese (vorbewussten) Muster koppeln sich wiederum an Gemütszustände, die ihrerseits an körpereigene Stoffe gebunden sind

„Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.“ Christian Morgenstern

Intestinales Mikrobiom und Psyche

So haben beispielsweise neuere Forschungen einen Zusammenhang zwischen dem intestinalen Mikrobiom und Gemütszuständen entdeckt. „Es mehren sich Hinweise, dass eine gestörte Darmflora zu psychischen Störungen wie Depressionen beitragen kann“, erklärt Prof. Gabriele Moser von der Universitätsklinik für Innere Medizin Wien. Forscher gehen davon aus, dass eine Unterversorgung mit dem Botenstoff Serotonin der Grund sein könnte. Serotonin gilt als „Glückshormon“, ein Mangel trägt entscheidend zur Entwicklung einer Depression bei. Es wird im zentralen Nervensystem, in größeren Mengen allerdings im enteralen Nervensystem des Bauchraums gebildet. Ist der Darm nicht gesund, kann er nicht ausreichend Serotonin bilden. Umgekehrt können psychische Faktoren den Gastrointestinaltrakt beeinflussen. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass insbesondere Angst oder eine Depression die Schleimhautdurchblutung, die Sekretionstätigkeit und Motilität vermindern und damit zu einer Störung des Mikrobioms beitragen.

Herz und Psyche

Ist die Seele krank, kann auch das Herz leiden, ist das Herz krank, kann die Seele leiden. Daher haben Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung ein hohes Risiko, eine Depression zu entwickeln, die wiederum die Gefahr eines Herzinfarktes verstärken kann. „Herzinfarkt und Depression können sich in einem Teufelskreis gegenseitig verschlimmern", erklärt Prof. Rainer Richter, ehemaliger Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer.

Ein Herzinfarkt kann eine lange, vielschichtige Entstehungsgeschichte haben: Am Anfang mögen genetische Veranlagung, Persönlichkeit und Lebensstil dem Herzmuskel und seinen Blutgefäßen zusetzen. Der Herzinfarkt ist jedoch nicht, wie häufig angenommen, eine typische Managerkrankheit. Oft gehören Betroffene der unteren sozialen Schicht an. Sie zeigen meist ein ausgeprägtes Leistungsdenken mit wenig Sensibilität für emotionale Konflikte und leugnen psychische Belastungen. In der Forschung (Psychokardiologie) rückt daher immer mehr der Einfluss von Gehirn und Psyche auf das Herz in den Blick.

So stellt Prof. Richter fest: „Die Behandlung eines Herzinfarkts verlangt ein integriertes Behandlungskonzept, das der körperlichen und seelischen Seite der Krankheit gerecht wird.“

Immunsystem und Psyche

Seit einigen Jahren ist wissenschaftlich anerkannt, dass sich das Zentralnervensystem, die Psyche und das Immunsystem wechselseitig beeinflussen. „Zahlreiche Studien bestätigen, dass sich psychische Belastungen direkt auf das Immunsystem auswirken und damit wahrscheinlich auch einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung von Krankheiten haben“, erklärt Dr. Annette Sommershof, Biologin an der Universität Konstanz.

Andauernder psychischer Stress über längere Zeit hat ein Absinken von Komponenten des Immunsystems zur Folge, wie etwa naive T-Zellen im Blut, die für die Abwehr von unbekannten Erregern zuständig sind. Gleichzeitig werden Stresshormone, insbesondere Kortisol, ausgeschüttet, die eine angemessene Immunantwort des Organismus unterdrücken. Der Organismus ist dann nicht mehr in der Lage, mit der notwendigen Schlagkraft Krankheitserreger zu bekämpfen. Neben einer erhöhten Infektionsanfälligkeit können auch neue Krankheiten entstehen und sich bereits bestehende Erkrankungen verschlechtern.

Leib-Seele-Problematik in der wissenschaftlichen Medizin

Nach wie vor ist das zentrale Problem der Psychosomatischen Medizin das Leib-Seele-Problem. Es geht um die Frage, wie sich seelische und körperliche Vorgänge gegenseitig beeinflussen und verändern können. Für den „rätselhaften Sprung“ (Sigmund Freud) vom Psychischen ins Körperliche und umgekehrt gibt es bis heute in der wissenschaftlichen Medizin keine befriedigende Antwort.

Die verschiedenen theoretischen Konzepte und therapeutischen Ansätze sind als Versuche aufzufassen, der Lösung dieses Problems näherzukommen. Auf der anderen Seite ist die Trennung von Leib und Seele, Körper und Geist eine abendländische Eigenart mit langer Tradition (Leib-Seele-Dualismus), deren Notwendigkeit immer wieder hinterfragt werden sollte.

Geschichte der Psychosomatik und theoretische Konzepte

In der griechischen Philosophie war der Gedanke von Einwirkungen der Psyche und des Geistes auf den Körper durchaus geläufig. So bemerkte der griechische Arzt Hippokrates um 400 v. Chr. beispielsweise, dass das menschliche Herz sich bei Freude weitet und bei Angst zusammenzieht. Die Idee einer Ganzheit des Menschen auch in der Krankheit war damit für den Arzt und seine Tätigkeit richtungsweisend ausgesprochen.  Besessenheit etwa, in der heutigen psychopathologischen Nomenklatur vergleichbar mit der dissoziativen Störung, wurde durch karthartische Prozeduren wie Aus- und Ableitungsverfahren, Brechkuren etc. ausgetrieben. Aber auch gewisse Formen des Gesprächs wurden eingesetzt.

Der starke Einfluss der christlichen Religion im Mittelalter änderte diese Sichtweise jedoch gravierend. Die Kirche bestand auf einer strikten Trennung zwischen Seele und Körper: Die Seele war von Gott geschaffen und unsterblich. Körperliches Leiden war demnach etwas, was zu ertragen war, um die Seele zu reinigen.

Die endgültige Trennung führte schließlich der französische Philosoph und Naturwissenschaftler Descartes (1596–1650) herbei. Er kam zu dem Schluss: Eine Seele ohne Körper sei vorstellbar, also müssten beide getrennt existieren. Den menschlichen Körper betrachtete er als etwas rein Mechanisches. Mit dieser Ansicht setzte sich Descartes durch – und das gleich für mehrere Hundert Jahre. Fortan konzentrierte sich die Medizin fast ausschließlich auf das rein Körperliche und ließ psychische Faktoren außer Acht.

Es entwickelten sich aber auch andere Strömungen, etwa durch den deutschen Philosophen Novalis (1772–1801), der intuitiv eine Krankheitslehre andeutete, die Leib, Seele und Geist des Individuums umfasst: „Jede Krankheit kann man Seelenkrankheit nennen.“ Er stellte auch bereits eine Verstrickung in der Umwelt fest: „Die Trennung des Körpers von der Welt ist wie die der Seele vom Körper.“ Diese Einsichten wurden von der Medizin jedoch nicht aufgegriffen.

Einen entscheidenden Einfluss auf die gesamte Entwicklung der Psychosomatik im 20. Jahrhundert hatte schließlich der österreichische Neurologe und Tiefenpsychologe Sigmund Freud (1856–1939). Er beobachtete, dass psychische Ereignisse beziehungsweise Erregung, die nicht angemessen verarbeitet wird oder umgesetzt werden kann, unter Umständen in einen Körperteil „springt“, also umgewandelt wird. Demzufolge heißt dieser Prozess Konversion, die Freud in den Studien zur Hysterie 1895 eingeführt hat.

Daraus entwickelte sich dann eine Reihe von psychoanalytisch geprägten theoretischen Konzepten, wie etwa die „Psychosomatische Medizin“ des amerikanischen Psychiaters Franz Alexander (1891–1964) mit den bis heute bekannten sieben klassischen Psychosomatosen. Er verstand darunter psychogene organische Störungen, die er als Endzustände anhaltender, oft antagonistischer vegetativer Spannungen ansah.

Alexander nahm „spezifische Konflikte“ bei diesen Erkrankungen an und glaubte dabei, mit jeder dieser Krankheiten jeweils typische Kennzeichen für einen ganz bestimmten Persönlichkeitstyp gefunden zu haben. Heute weiß man, dass dies nicht so ist: Das gleiche Symptom kann bei verschiedenen Patienten ganz verschiedene Ursachen haben.

Die Holy Seven nach Franz Alexander

Die sieben klassischen psychosomatischen Krankheiten nach Franz Alexander sind:

  1. Asthma bronchiale
  2. Essenzielle Hypertonie
  3. Ulcus pepticum ventriculi et duodeni
  4. Colitis ulcerosa
  5. Atopisches Ekzem
  6. Rheumatoide Arthritis
  7. Hyperthyreose

Bei den genannten Beschwerden kann zwar in der Regel ein wesentlicher Einfluss psychischer Belastungen auf die Entstehung und den Verlauf angenommen werden. Doch entspricht eine einseitige Kausalität, wie sie dem Modell der Psychosomatosen zugrunde liegt, nicht mehr dem aktuellen Stand der Forschung.

Die neueren systemtheoretisch fundierten Modelle, zu deren Pionieren der deutsche Arzt Thure von Uexküll zählt, verzichten auf die Suche nach einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten. Damit wird die Vorstellung aus der Pionierzeit aufgegeben, dass man bestimmte psychosomatische Krankheiten von den übrigen Erkrankungen abgrenzen könne.

Nach Thure von Uexküll bedeutet Psychosomatik, dass Körper und Seele zwei untrennbar miteinander verbundene Aspekte des Menschen sind, die nur aus methodischen Gründen oder zum besseren Verständnis unterschieden werden. „Dies bedingt keine ‚lineare‘ Kausalität in dem Sinne, dass psychische Störungen körperliche Krankheiten verursachen. Solches würde zu einem Dualismus führen, bei dem es Krankheiten mit psychischer Genese und Krankheiten mit somatischer Genese gäbe. (…) Ein einheitliches Modell für die Wechselwirkungen zwischen Körper, psychischen Prozessen und Umwelt existiert nicht. Meist werden Teilaspekte beschrieben, die von unterschiedlichen Theorien aufgenommen werden.“

Psychosomatik und Naturheilkunde

Damit schließt sich aus Sicht der Naturheilkunde der Kreis, entspricht doch diese multidimensionale Sichtweise ihrem Paradigma. Sie geht von der körperlich-seelisch-geistigen Ganzheit des Menschen in Gesundheit und Krankheit aus. Naturheilkunde berücksichtigt die Wechselwirkungen, die in der Einheit von Leib und Seele bestehen. Und sie schließt insbesondere auch die persönliche Bewertung des Patienten hinsichtlich dessen ein, was er als psychosoziale Belastung erlebt und wie er damit umgeht, beispielsweise die Gewichtung belastender Lebensereignisse.

Auch sie betrachtet den „Sprung“ vom Psychischen ins Körperliche, zieht dabei aber die individuelle Beschaffenheit des Patienten in Betracht: Die Naturheilkunde richtet ihr Augenmerk auf seine Konstitution und die darin angelegten individuellen Schwächen, denn möglicherweise bestimmen angeborene oder erworbene Labilitäten eines Organs oder Organsystems den Ort des Krankheitsprozesses im Sinne eines Locus minoris resistentiae mit.

Konstitution als ein diagnostischer Zugang

So kann ein erster diagnostischer Zugang in der Erfassung des Konstitutionstyps liegen. Dieser meint im naturheilkundlichen Denken die Gesamtheit der Persönlichkeit, also ihre physische (Habitus) wie psychische (Temperament) Ausstattung und die sich daraus ergebenden individuellen Aktions- und Reaktionsmuster. Dabei spielt die Verfassung des vegetativen Nervensystems eine bedeutende Rolle. Es gilt als Vermittler zwischen den Welten körperlicher und seelischer Ansprüche und kann bei entsprechender Schwäche gekoppelt mit erhöhten Anforderungen (beispielsweise psychosoziale Konflikte) diese Mittlerrolle dann nur noch bedingt erfüllen. Sogenannte Übersprünge können die Folge sein. Hervorragend geeignet zur Erkennung der Konstitution sowie der individuellen Irritabilität und Reagibilität ist beispielsweise die Augendiagnose.

Pflege des Vegetativums

Entwicklungsmäßig gehören Vegetativum und Emotionen eng zusammen. Deshalb steht in der traditionellen Naturheilkunde bei psychosomatischer Neigung als Grundbehandlung zunächst eine ausgleichende Therapie des vegetativen Nervensystems an. Einfach, aber von verblüffend guter Wirkung, ist eine Behandlung im Sinne der fünf Säulen der Naturheilkunde:

  • Licht,
  • Luft,
  • Bewegung,
  • Ernährung,
  • eine dem Schlaf-Wach-Rhythmus angemessene Lebensweise.

Sie wirkt sich roborierend und regulierend auf den Gesamtorganismus und damit auch auf Psyche und Geist aus.

Die Wissenschaft hat inzwischen erkannt, welchen ausgleichenden Einfluss der Aufenthalt in der Natur für Menschen hat. Frische Luft, Tageslicht und besonders Bewegung im Freien können helfen, Stress abzubauen, den Blutdruck messbar zu senken und den Herzschlag zu normalisieren. Vor allem Bäume spielen dabei eine schützende Rolle. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass ein angespanntes vegetatives Nervensystem entspannt, wenn man in einem Wald spazierengeht. Das Risiko psychosomatischer Erkrankungen ist in einem Umfeld mit Grünflächen deutlich niedriger als in zubetonierten Gegenden. Ist mehr Grün in der Städtebebauung vorhanden, ist sogar die Kriminalitätsrate niedriger, wie eine neue Studie belegt.

Beachtung bei der Therapiewahl sollte auch die individuelle Arbeitsteilung zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Anteil des vegetativen Nervensystems finden. Ein Überhang des parasympathischen Anteils zeigt sich auf psychischer Ebene in einem Sich-Zurückziehen. Das heißt, auf die Notwendigkeit des Handelns wird nicht oder nicht ausreichend reagiert. Bei einem Überhang des Sympathikus herrscht eine Art Hab-Acht-Stellung vor, eine psychische Dauerbereitschaft zum Handeln. Bei beiden Zuständen bleibt die seelische Spannung bestehen, da sie nicht adäquat ausgedrückt beziehungsweise abreagiert werden kann.

Je nach vegetativer Verfasstheit sollte die therapeutische Wirkweise ausgerichtet sein: tonisierend bei parasympathischem Überhang, sedierend bei zu starkem Sympathikus. Beides ist mit entsprechenden Heilpflanzen, Balneotherapie sowie manuellen Verfahren insbesondere der Bindegewebsmassage möglich. Dazu kann aus dem breiten Spektrum der Naturheilkunde eine spezifische Therapie je nach Krankheitsort und / oder psychischer Symptomatik anbieten, wie beispielsweise Psychotherapie, Entspannungstechniken, Homöopathie, Akupunktur u.a.

Ein ebenso wichtiger Einflussfaktor ist die Kraft des positiven Denkens, denn auch der Geist wirkt auf Körper und Seele: „Blicke jeden Abend auf deinen Tag zurück und notiere drei positive Punkte, die du erlebt hast. Du wirst sehen, das wirkt sich positiv auf dich und deine Gesundheit aus.“

Der Artikel ist erschienen in der DHZ 8/2017.

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Ursula Hilpert-Mühlig studierte Psychologie und Sozialpädagogik und war langjährig in der Therapie und Resozialisierung polytoxikomaner Patienten tätig. Sie absolvierte eine dreijährige Ausbildung an der Berufsfachschule für Naturheilweisen Josef Angerer (JAS) in München und ist seit 1985 Heilpraktikerin mit eigener Praxis. Seit 1991 ist sie Dozentin der JAS, deren langjährige Schulleiterin sie auch war. Sie ist Autorin in Fachbüchern und Fachzeitschriften für Naturheilkunde und Psychosomatik.