SchmerzSchmerz: Ressourcen mobilisieren durch Hypnose

Die Wirksamkeit der Hypnose ist seit 2003 anerkannt. In der Hypnotherapie werden mithilfe gezielter Suggestionen, Traumszenarien, Symbolen und Farben das Erleben und Verhalten des Patienten umgelenkt, um Ressourcen zu mobilisieren. Lesen Sie, wie sie bei akutem und chronischem Schmerz eingesetzt werden kann.

Adler, Landschaft, Mittelgebirge
Quelle: K. Oborny/Thieme

In der Hypnotherapie werden mithilfe gezielter Suggestionen, Traumszenarien, Symbolen und Farben das Erleben und Verhalten des Patienten umgelenkt, um Ressourcen zu mobilisieren.

von Dorothea Thomaßen

Inhalt

Trance und hypnotische Phänomene

Instrumentelle Hypnose

Hypnose und Anästhesie

Hypnose bei akutem Schmerz

Hypnose bei chronischem Schmerz

Ein Fall aus der Praxis

Fazit: Hypnose in der Schmerztherapie

Literatur

Es ist nicht leicht, eine Methode wie die Hypnose, die in zweifelhaften Kontexten Fuß gefasst hat, in einem rational-technischen Diskurs wie der Schulmedizin als ernstzunehmende Arbeitsweise vorzustellen. Dabei hält Hypnose den wissenschaftlichen Wirksamkeitskriterien durchaus stand: Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung hat im Jahr 2003 die Wirksamkeit der Hypnose insbesondere bei psychischen und sozialen Faktoren somatischer Erkrankungen anerkannt [11].

Das Problem ist vielmehr, dass die Vorstellungen von Trance und Hypnose, wie sie durch effekthaschende Darbietungen erzeugt werden, zunächst naiv auf therapeutische Hypnose übertragen werden und Erwartungen schaffen, die sowohl unrealistisch als auch hinderlich sein können. Zudem ist selbst unter Hypnotherapeuten umstritten, was Hypnose oder Trance genau sind. Es scheint fast, als hätten viele Laien klarere Vorstellungen davon als die ausübenden Experten.

Dieser Beitrag behandelt die Themen Trance und hypnotische Phänomene, Instrumentelle Hypnose, die begleitend zu einem medizinischen Eingriff eingesetzt wird, Hypnose bei akutem Schmerz und Hypnose bei chronischem Schmerz.

Trance und hypnotische Phänomene

Tatsächlich kennen viele Menschen hypnotische Zustände aus ihrem Alltag, ohne sich dessen bewusst zu sein. Mathematikunterricht kann beispielsweise für einen Teil der Schüler Trance induzierend sein. Während der Lehrer formal logisch, in komplexer werdenden Schritten schwierige Aufgaben erklärt, steigen einzelne Schüler gedanklich aus dem Unterricht aus. Das eine Kind übt im Geiste schon den nächsten Sprung mit seinem Skateboard, während ein anderes tagträumend mit wehenden Haaren durch den Wald reitet und ein drittes hört, wie seine Eltern streiten. Das Kind spürt dabei das Klirren der Fenster beim Zuknallen der Tür, sieht das zerbrochene Geschirr am Boden.

Trance ist prälogisch und speist sich aus der direkten inneren Erfahrung. Solche vorgestellten Bilder, Klänge und Gefühle beeinflussen das emotionale und vegetative Körperempfinden stärker als die Gegebenheiten der äußeren Situation. Wenn die Umwelt in den Hintergrund rückt, bekommt die innere Wirklichkeit eine Lebendigkeit, die die Aufmerksamkeit vollständig vereinnahmen kann. Psychoanalytisch gesprochen geschieht hier ein Wechsel von einem sekundärprozesshaften Denken, das abstrahiert und den Regeln eines rationalen Diskurses folgen kann, zu einem primärprozesshaften Erleben [10], das die Trance kennzeichnet.

Das Geheimnis solcher unterschiedlichen Bewusstseinszustände liegt in einer Eigenschaft unseres Bewusstseinsspeichers: Sein Fassungsvermögen ist begrenzt und will gleichzeitig ausgelastet sein. Vorstellungskraft, Erinnerungen und äußere Informationen können konkurrieren oder sich ergänzen.

Im medizinischen Alltag gibt es viele Situationen, die sich in der Art, wie dieser Speicher damit beschäftigt ist, scharf unterscheiden. Da wartet beispielsweise ein besorgter Patient lange in einem anonymen Raum, wird dann mit einem ihm unverständlichen Gerät untersucht und führt schließlich Gespräche mit Ärzten von großer Tragweite. Dabei kann eine Kluft entstehen zwischen der modernen westlichen Medizin, die stark rational-wissenschaftlich, also sekundärlogisch arbeitet, und dem Patienten, der in dieser Situation häufiger als sonst primärlogische Prozesse erlebt. Er befindet sich in einer emotional aufgeladenen Konstellation, die sein Leben grundlegend verändern könnte: Für ihn ist es eine existenzielle Situation. Was für den Arzt logisch und fundiert ist, kann den Patienten verwirren, er wird von einem Übermaß an Informationen überschwemmt und das kann Trance induzieren.

Wenn ein Arzt weiß, dass hypnotische Prozesse im medizinischen Alltag nicht selten spontan auftreten und er diese erkennen kann, kann er sie therapeutisch nutzen.

Instrumentelle Hypnose

Während eines ärztlichen Notdienstes kam eine ältere Frau zu mir, die sich bei einem Sturz zahlreiche Wunden zugezogen hatte. Sie war blind, schon bei Berührungen zuckte sie in der Erwartung zusammen, dass etwas Unangenehmes geschehen könnte. Da ihre Wunden genäht werden mussten und sie fast starr vor Angst war, beschloss ich, Hypnose anzuwenden:

Ich fragte, ob sie manchmal träume. Die Frage überraschte sie so sehr, dass sie lächelte. „Oh ja“, sagte sie, „auch wenn die Augen blind sind, kann das Gehirn sehen.“ Sie hatte das Augenlicht durch einen Unfall verloren. Besonders in der ersten Zeit nach dem Unfall habe sie so plastisch geträumt, dass sie beim Aufwachen glaubte, wieder sehen zu können. Es sei bitter gewesen, beim Öffnen der Augen festzustellen, dass sie weiterhin blind war. Trotzdem genieße sie das Träumen nach wie vor sehr. Ich fragte sie, was ihr Gehirn jetzt sehe und verwickelte sie in ein Gespräch über Farben und Formen, die vor ihrem inneren Auge auftauchten. Inzwischen hatte sich ihre Atmung vertieft, die Gesichtszüge waren verstrichen, die geschlossenen Augenlider flatterten leicht und um ihren Mund spielte ein Lächeln. Sie zeigte die Physiologie einer Entspannungstrance. Ich verlangsamte meine Sprache und redete in ihrem Atemrhythmus, während ich erzählte, wie Farben Gefühle hervorrufen und manche Menschen Farbtöne hören. Währenddessen hatte ich begonnen, ihre Wunden zu versorgen. Sie blieb ruhig und reagierte nicht mehr auf mein Tun. Als ich fertig war, war sie völlig überrascht.

Eine instrumentelle Hypnose erzeugt eine vorübergehende Zustandsveränderung, die eine andere medizinische Maßnahme erleichtert.

Diagnostische Verfahren wie eine Endoskopie oder eine MRT-Untersuchung sowie invasive Verfahren von der Wundversorgung bis zu Operationen lösen oft Angst bei Patienten aus oder sind diesen unangenehm. Viele Ärzte entdecken bei einer Hypnose-Ausbildung, dass sie bereits ein Grundwerkzeug besitzen, um ihren Patienten mit Ablenkungen zu helfen, denn die Lenkung der Aufmerksamkeit gehört zum klugen ärztlichen Handeln.

Die medizinische Hypnose hat dieses Wissen ausgebaut, systematisiert und verfeinert. Besonders Zahnärzte haben zahlreiche Methoden entwickelt, um ihren Patienten zu helfen, sich mental aus der gegenwärtigen Situation zu lösen, indem sie dissoziieren. Hierbei gilt vor allem: Je stärker während einer Trance das Sehen angesprochen wird, umso mehr kann das aktuelle Fühlen ausgeblendet werden. Starre-Reflexe am Mund und vielleicht zusätzlich an einem Arm, sogenannte Katalepsien, verstärken die Dissoziation. Die Mundkatalepsie erleichtert die zahnärztliche Arbeit für beide Seiten, weil der Mund nicht willkürlich offengehalten werden muss, das geschieht dann von selbst. Kinder haben die Augen dabei oft geöffnet. Da eine Trance sich selbstständig aufrechterhalten kann, entsteht eine Arbeitsteilung. Der Arzt kümmert sich um den Körper, der Patient bleibt in Trance und erlebt währenddessen eine gute Erfahrung, in der er lange verweilen kann. Selbst wenn auf eine Analgesie nicht verzichtet wird, was bei motivierten Patienten durchaus möglich ist, sinkt der Verbrauch von Analgetika signifikant.

Hypnose und Anästhesie

An der Universität Lüttich wurde unter der Anästhesistin Prof. Marie-Elisabeth Fayemonville ein hypnosedatives Verfahren entwickelt, das bei plastischen Operationen [3][4], beim Verbandswechsel von Verbrennungsopfern [5], in der endokrinen Halschirurgie wie Schilddrüsenoperationen [1][9] und vereinzelt bei Hysterektomien eingesetzt wird [2]. Die Operationen werden in Lokalanästhesie durchgeführt und die Kreislaufparameter der Patienten wie bei einer Narkose überwacht, bei Bedarf wird eine Schmerz- oder Sedierungsmedikation verabreicht. Die Patienten sind in Trance, ein in Hypnose ausgebildeter Anästhesist betreut den Eingriff. Ein pharmakologisches Koma, wie es die Vollnarkose darstellt, wird vermieden, die eingesetzte Medikation ist deutlich geringer als bei herkömmlichen Operationen. Bis 2010 wurden in Lüttich schon über 7000 Patienten auf diese Weise operiert.

Studien zeigen:

  • Die Patienten in der Hypnosegruppe fühlen sich wohler und sicherer als bei herkömmlichen Narkosen.
  • Postoperative Beschwerden wie Schmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und Erbrechen sind deutlich reduziert und die Rekonvaleszenzzeiten im Schnitt 13 Tage kürzer als unter einer Vollnarkose.

Auch in der Gehirnchirurgie ist Hypnose von Nutzen. Bei stereotaktischen Operationen müssen Sonden millimetergenau platziert werden. Wenn Tumore entfernt werden oder ein Epilepsiefokus ausgeschaltet wird, sollen die Resektion weit genug, die neurologischen Ausfälle hingegen so gering wie möglich sein. Intraoperativ müssen Patienten für eine neurologische Testung wach sein. Herkömmlich wurden sie in Narkose versetzt, für die Testphase ausgeleitet und dann wieder narkotisiert. An der Universität Regensburg wurde in einer Arbeitsgruppe um Prof. Ernil Hansen die Wachkraniotomie ohne Sedierung allein mit Lokalanästhesie und Hypnose durchgeführt [12][7]. Auch hier waren Operationen mit Hypnose den Narkoseverfahren überlegen, da neben den bereits genannten positiven Effekten die Genauigkeit der neurologischen Testung zunimmt.

Hypnose bei akutem Schmerz

Eine Kollegin wurde als Notärztin zu einer Patientin mit einer akuten Angina pectoris gerufen. Die Frau war kaltschweißig, kreislaufinstabil und hatte starke Schmerzen. Die Ärztin legte einen venösen Zugang und während sie die Medikamente applizierte, erklärte sie in kurzen, einfachen Sätzen, welche Wirkung das jeweilige Medikament haben würde: „Das nimmt Ihnen die Schmerzen. Es wird Ihnen gleich besser gehen und Sie werden sich wohler fühlen. Das verbessert die Durchblutung Ihres Herzens. So stabilisiert sich Ihr Kreislauf. Sie werden gleich wieder Luft bekommen.“ Tatsächlich traten alle Effekte ein und die Frau war bald beschwerdefrei. Als die Patientin in der Klinik umgelagert wurde, entdeckte die Ärztin, dass sie die Venenverweilkanüle nicht richtig platziert hatte, die Medikamente waren paravasal appliziert worden. Dennoch wurde bei der anschließenden PTCA eine hochgradige Stenosierung der Herzkranzgefäße nachgewiesen und die Patientin erhielt drei Stents. Offenbar hatten allein die Worte der Ärztin schmerzstillend gewirkt, sie hatten Atmung und Kreislauf der Patientin stabilisiert – und das ohne hypnotische Induktion.

Ich möchte den Eindruck vermeiden, dass Worte medizinische Interventionen ersetzen können. Das Beispiel zeigt aber, dass Worte Notsituationen erheblich beeinflussen können. Patienten in akut bedrohlichen Situationen fühlen sich dem Geschehen ausgeliefert, ihr Ich-Zustand löst sich auf und sie sind auf primärlogische Strukturen zurückgeworfen. Gleichzeitig suchen sie intensiv nach einer Lösung. Das verstärkt die Aufmerksamkeit und steigert die Suggestibilität, Trancezustände treten spontan auf. Ein Arzt, der diesen Zustand zu nutzen weiß, hat in seinem Notfallkoffer nicht nur Medikamente, sondern auch heilsame Suggestionen.

Worte können medizinische Interventionen nicht vermeiden. Sie können Notfallsituationen aber erheblich beeinflussen.

Sprachlicher Notfallkoffer

Eine ärztliche Intervention muss dreierlei leisten: Schutz, Ich-Rekonstruktion und eine gesunde Ausrichtung [8]. In ihrem Suchprozess neigen Patienten dazu, alles, was geschieht, auf sich zu beziehen. Diese erhöhte Suggestibilität geht mit einer erhöhten Vulnerabilität einher. Ein Patient kann sich dann gegen eine Bemerkung wie „Der ist doch selber schuld!“ nicht schützen, selbst wenn der Patient damit gar nicht gemeint war. Stattdessen rekonstruiert er mit den zufällig gehörten Äußerungen sein Selbstbild. Menschen im aufgelösten Ich-Zustand sollten daher gegen Lärm und Gespräche von Dritten abgeschirmt werden.

Auch Helfer sollten ihre Worte bewusst so wählen, dass sie sich ausschließlich und konstruktiv auf die gegenwärtige Situation und die zu erwartenden, positiven Resultate beziehen. Dabei muss sich auch jeder Arzt bewusst sein, dass seine Äußerungen von solchen Patienten oft wortwörtlich verstanden werden. Die Bitte an den Kollegen „Bring mir das aus dem Giftschrank“ wird vom Patienten tatsächlich mit Gift und Gefahr assoziiert. Wichtig ist auch, dass Menschen im aufgelösten Ich-Zustand Negationen nur unzureichend erkennen können, sodass beispielsweise die Aussage „Sie brauchen keine Angst zu haben, es tut nicht weh“ die Aufmerksamkeit des Patienten trotz aller Beteuerungen auf Angst und Schmerz lenkt.

Hilfreich sind Formulierungen, die gewünschte Effekte eindeutig benennen: „Sie können sich langsam beruhigen. Gleich wird es Ihnen besser gehen.“

Entgegen herkömmlicher medizinischer Sprachgepflogenheiten, Gesundheit mit Negierungen zu beschreiben, wie beispielsweise „Sie haben nichts. Alles ist ohne pathologischen Befund“, müssen Ärzte eine gesunde Physiologie sprachlich auch so benennen und in einfachen, positiv formulieren Sätzen allgemeinverständlich ausdrücken. 1976 wurde im sogenannten Kansas-Experiment jedem Verunglückten, selbst Bewusstlosen, während der Erstversorgung ein standardisierter Text vorgelesen, der diesen Regeln entspricht. Die Auswertung der Daten ergab, dass medizinische Handlungen, die in dieser Form sprachlich begleitet wurden, kurzfristig effektiver für die Notfallsituation waren und langfristig zu besseren Überlebensraten und geringeren Folgeschäden führten [6].

Ärzte, die sich einen sprachlichen Notfallkoffer aneignen und bei ihrer Wortwahl konsequent darauf achten, zum einen das Gesunde positiv und eindeutig zu benennen und zum anderen den Sinn und die Perspektiven einer Therapie in einfachen Worten für Patienten vorstellbar zu machen, stabilisieren diese nicht nur psychisch, sondern über eine vegetative Umschaltung auch somatisch.

Hypnose bei chronischem Schmerz

Anders als Menschen mit akuten Schmerzen, haben Menschen mit chronischen Schmerzen in der Regel keinen aufgelösten Ich-Zustand, sondern eine komplexe, eher rigide Ich-Struktur. Ihre Hoffnung auf Genesung wurde wiederholt enttäuscht, neue Verfahren ordnen sie vor einem Hintergrund vieler negativer Erfahrungen ein. Neben den körperlichen Symptomen finden sich bei diesen Patienten oft Depressionen und katastrophisierendes Denken. Teilweise werden die Beschwerden funktionalisiert, beispielsweise, um Zuwendung zu bekommen oder um sich gegen andere Menschen abzugrenzen.

Die Skepsis chronisch schmerzkranker Patienten ist natürlich und nachvollziehbar, ihre Suggestibilität herabgesetzt. Mit einem hypnotischen Fingerschnippen und einigen knackigen Suggestionen lassen sich hier keine nennenswerten Veränderungen erzielen. Stattdessen muss der Therapeut oder Arzt an die Ziele und Erfahrungen der Betroffenen anknüpfen, was in der Hypnotherapie als Musterpassung oder Rapport bezeichnet wird. Der Begriff Rapport stammt ursprünglich aus der Schneiderei und bedeutet, dass bei einem gemusterten Stoff die Nähte so gesetzt werden, dass die Übergänge nicht sichtbar sind.

Ein chronischer Schmerzpatient erlebt seine Symptome primärlogisch, als einen Zustand, bei dem „etwas mit mir geschieht“. Was geschieht, entzieht sich seiner Kontrolle und somit seinen sekundärlogischen Instanzen. Anders gesagt: Die sekundärlogische Ebene ist intrapsychisch mit einem primärlogischen Anteil in Konflikt geraten. Anfangs bewertet der Betroffene nur seinen Zustand negativ, doch je länger sich die Symptome seiner Kontrolle entziehen, desto mehr leidet das Selbstbild. Hier ist Musterpassung sehr wichtig. Es kommt häufig vor, dass Patienten, selbst wenn sie ein negatives Selbstbild haben, ihren Zustand vor anderen rechtfertigen und erklären. Wenn Therapeuten diese Rechtfertigungsposition akzeptieren, können Patienten sie häufig leichter aufgegeben, als wenn sie diese verteidigen müssen.

Milton Erickson, der die moderne Hypnose maßgeblich geprägt hat, orientierte sich an der Individualität und den Ressourcen eines Betroffenen. Dazu braucht der Therapeut eine Reihe von Informationen: Was ist der angestrebte Zielzustand des Patienten? Welche Ressourcen hat er schon jetzt, um sein Befinden zu verbessern? Hat das Symptom Aspekte, die vom Patienten bejaht werden und die folglich als Ressource genutzt werden können?

Die Auftragsklärung bei chronischen Prozessen zielt auf eine sprachliche Beschreibung des gesunden Empfindens durch den Patienten selbst. Das ist oft schwierig, weil die gesunde körperliche Regulation unterbewusst abläuft. Doch gerade bei langwierigen Beschwerden ist es wichtig, dass Betroffene ihre eigene salutogene Sprache finden. Auf ihrer Suche nach eigenen Worten für ihre Gesundheit durchforsten sie ihre Erfahrungen nach wünschenswerten Zuständen und rufen diese ab.

Ein Fall aus der Praxis

Ein Mann leidet seit Monaten unter einer rechtsseitigen Epicondylitis lateralis. Zusätzlich hat er Taubheitsgefühle und spürt ein Kribbeln in der Hand. Manchmal wacht er nachts von den Beschwerden auf. Auch die Beweglichkeit der Halswirbelsäule ist eingeschränkt, er macht sich Sorgen um seine Zukunft als Programmierer. Auf einer Skala von 0–10 ordnet er seine Beschwerden bei 7 ein.

Ich bitte ihn, mir die Missempfindungen detailliert zu beschreiben. Seine Worte sind Druck, Spannung, Krampf, Blockade, Kälte, Härte, Taubheit, Kribbeln. Anschließend bitte ich ihn, abwechselnd den kranken, dann den gesunden Arm zu bewegen, um dabei für jeden Schmerzbegriff einen gesunden Zielbegriff zu finden. Diese Begriffe sollen nicht die Abwesenheit der negativen Zustände beschreiben, wie beispielsweise ent-krampfen, ent-spannen oder Blockade-abbau, sondern kinästhetisch positive Qualitäten. Nach und nach nennt er Begriffe wie Leichtigkeit, Geschmeidigkeit, Weichheit, Wärme, Raum, Bewegungsfreiheit, Wohlgefühl, Ruhe. Während er mal den rechten, mal den linken Arm bewegt, kann ich sehen, wie seine Bewegungen bei jedem positiven Wort freier und geschmeidiger werden. Er bemerkt es selbst und als er alle seine Zielworte gefunden hat, skaliert er seine Beschwerden nur noch zwischen 2 und 3.

Die Vergegenwärtigung eines Wunsches kann vom Körper tatsächlich umgesetzt werden und sich physiologisch realisieren. In einem solchen Fall führt bereits die Auftragsklärung zu direkt beobachtbaren Resultaten. Das englische Wort für erinnern, remember, drückt das sehr gut aus: etwas wieder eingliedern [13]. Die späteren hypnotherapeutischen Interventionen müssen diesen Prozess nicht mehr einleiten, sondern können darauf aufbauen.

Ressourcen und Suggestionen

Im nächsten Schritt werden die Ressourcen des Patienten im Umgang mit dem Symptom erforscht, die Aufmerksamkeit gilt nun seiner Kompetenz. So wie Leid leicht dazu führen kann, sich selbst abzuwerten, kann der Blick auf die eigenen Stärken das Selbstbild positiv verändern. Dabei staune ich oft, welche Findigkeit die Betroffenen im Umgang mit ihrem teilweise schweren Schicksal entwickeln. Schließlich richtet sich das Augenmerk auf die Ressourcen des Symptoms. Gelegentlich arbeiten Hypnotherapeuten sogar mit Symptomverschreibungen und bitten darum, normalerweise spontan auftretende Krankheitszeichen willkürlich herbeizuführen, um herauszufinden, ob es auch in diesem Zustand etwas gibt, was bewahrt werden sollte. Symptome verweisen oft auf Bedürfnisse, während Ziele häufig als Anforderung erlebt werden. Es ist eine wichtige Frage, wie diese Ziele künftig auf gesunde Art angestrebt werden können, denn natürlich erreichen wir alle unsere Ziele am leichtesten, wenn wir unsere Bedürfnisse berücksichtigen.

Bei all dem geht es nur vordergründig um Kognition. Fragen sind Vorschläge, den Blickwinkel zu verändern. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Suggestionen. Durch das, worauf sich die Aufmerksamkeit richtet, verändern die Fragen quasi beiläufig auch den Zustand dessen, der sich erinnert. Man spricht von zustandsabhängigem Lernen und Erinnern. Diese Schritte haben bei vielen Patienten eine deutliche Wirkung, denn sie zeigen auf, wann sie selbstwirksam und somit weniger ausgeliefert sind. Ein Therapeut, der sich wertschätzend äußert, verstärkt diesen Effekt.

Erst nach dieser Vorarbeit beginnt eine formal induzierte Trance. Der Betroffene selbst hat einen Bezugsrahmen geschaffen, aus dem der Hypnotherapeut individuell passende Suggestionen entwickelt. Die Trance kann aufgenommen und danach beliebig oft gehört werden, die Patienten können, wenn sie das möchten, Selbsthypnose lernen, um selbstständig weiterzuarbeiten. Auch Ärzte ohne hypnotherapeutischen Kenntnisse können das vom Patienten erarbeitete Wortfeld nutzen, indem sie die erwartete Wirkung ihrer Maßnahmen mit den Zielworten ihres Patienten beschreiben.

Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass sich erst das Bewusstsein ändern müsse, bevor sich das Verhalten ändern kann. Die Arbeit mit Hypnose dreht die Lernrichtung um: Die primärlogische Ebene erweitert die sekundärlogischen Prozesse. Trance verändert das Denken, denn der Mensch macht dabei eine Erfahrung, die ihn beeinflusst.

Fazit: Hypnose in der Schmerztherapie

Was also kann Hypnose in der Behandlung von Schmerzen für die Schulmedizin leisten?

  • Bei Eingriffen kann sie die Patientenaufmerksamkeit so binden, dass das ärztliche Vorgehen in den Hintergrund tritt und erträglicher ist.
  • Bei akuten Notfällen wird die natürliche Suggestibilität heilsam genutzt.
  • Bei chronischen Verläufen, also dort, wo bisherige medizinische Möglichkeiten an ihre Grenzen stoßen, wird ein Ressourcenansatz eingeführt, der sich an der Individualität des Patienten orientiert.

Wenn die moderne Schulmedizin sich an überindividuellen Norm- und Messwerten orientiert, arbeitet Hypnose mit und in der subjektiven Wirklichkeit des Patienten. Gerade die sekundärlogische Ausrichtung der Medizin erleichtert dies, denn Trancearbeit fängt primärlogisches Erleben nicht nur auf, sondern gibt ihm eine sinnvolle Funktion. Hypnose ist im besten Sinne des Wortes komplementär.

Literatur

Die Literaturliste finden Sie hier.

Dr. med. Dorothea Thomaßen ist Fachärztin für Chirurgie und arbeitet in einem weiten Spektrum der Psychosomatik auf der Basis Erickson‘scher Hypnose und Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) mit Menschen aller Altersgruppen. Sie trainiert und supervidiert Zahnärzte, Ärzte und Psychotherapeuten hypnotherapeutisch und ist Chefredakteurin der Deutschen Zeitschrift für zahnärztliche Hypnose DZzH.