Atmung„Entschleunigtes Atmen“ – Zentrales psychosomatisches Angebot in der Ordnungstherapie

Die Atmung hat Einfluss auf unseren Körper und dient letztlich dem Zweck, Sauerstoff in benötigter Menge aufzunehmen. Der Beitrag zeigt, wie das entschleunigte Atmen erlernt werden kann, welchen klinischen Nutzen es als ordnungstherapeutisches Element hat und gibt einen Überblick über die aktuelle Studienlage.

Mann streckt die Arme nach hinten, im Hintergrund ist der blaue Himmel zu sehen.
lulu/stock.adobe.com; posed by a model

von Thomas H. Loew , Beate Leinberger

Die Atmung hat Einfluss auf unseren Körper und dient letztlich dem Zweck, Sauerstoff in benötigter Menge aufzunehmen. Aber die Atmung dient auch zu Regulationszwecken, und wir können sie willentlich beeinflussen. Mittels des langsamen, bewussten Atmens können Organfunktionen reguliert werden. Es fußt auf dem Prinzip, dem Körper vorzugaukeln, er schliefe. Der Beitrag zeigt, wie das entschleunigte Atmen erlernt werden kann, welchen klinischen Nutzen es als ordnungstherapeutisches Element hat und gibt einen Überblick über die aktuelle Studienlage.

Inhalt

Atemregulation ist genuin autokybernetische Medizin

Studienlage bei psychischen Erkrankungen

Arzt-Patient-Gespräch als „ansteckendes“ entschleunigtes Atmen

Entschleunigtes Atmen PLUS

Abschließende Gedanken

Atemtempo und -tiefe werden vom Organismus selbst geregelt. Wir merken das kaum. Aber: Wir können es ganz leicht willentlich verändern und damit – das bedenkt kaum jemand – Organfunktionen beeinflussen. Und zwar weit mehr, als viele Ärzte und Patienten erwarten würden, über die Entspannung hinaus im ordnungstherapeutischen Sinn: in Gesundheitsbildung, Krankenführung, sogar dem Arzt-Patient-Gespräch, in der Diätetik und der Kreativtherapie.

Bekanntermaßen ist die Ordnungstherapie eine der 5 Säulen der Naturheilverfahren (neben Hydro-, Ernährungs-, Phyto- und Bewegungstherapie). Dem historischen Begriff, der dem Schweizer Max Bircher-Benner (1867–1939) zugeschrieben wird, begegnet (trotz der vermeintlich inhaltlichen Nähe und auch der zeitlichen Einbettung) so mancher Naturheilkundler mit Ambivalenz, insbesondere wenn bei nachgeordneten Spiegelstrichen wie „Gesundheitsbildung“ oder „Krankenführung“ ein Top-down-Gefälle hineininterpretiert werden könnte. Die darauffolgende ver-„ordnete“ Entspannung entlastet diesbezüglich kaum. Gleichwohl ist bei genauerer Betrachtung das Eigentliche, nämlich „das richtige Verhältnis finden“, geradezu hochmodern, gipfelnd in der Empfehlung, eine gesunde Work-Life-Balance zu entwickeln – und gleichzeitig uralt, wie die Inschriften auf dem Tempel in Delphi belegen: „Erkenne dich selbst“ und „Nichts im Übermaß“.

Wir tun uns deutlich leichter, wenn wir den negativen Begriff „Ordnen“ ins Englische übersetzen: „organize“ oder im übertragenen Sinn „Organ“-ize, d. h. doch unseren konkreten Organen (Herz, Leber etc.) die Kontrolle (wenn man so möchte: die Autonomie) zu überlassen, so zu arbeiten, wie es die Bedürfnisse unseres Leibes unmittelbar erfordern und nicht die Umstände der uns umgebenden Welt mit ihren Anforderungen. Wenn wir uns dann auch noch auf die ursprüngliche Bedeutung des griechischen „Organon“ (= Werkzeug) besinnen und unsere Organe als Netzwerk mit wechselseitiger Einflussnahme verstehen, bekommt das Wort „Ordnungstherapie“ einen ganz anderen Klang. Und das Organ, das wir bewusst am besten beeinflussen können, ist die Atmung.

Atemregulation ist genuin autokybernetische Medizin

Was ist Natur? Biologie? Ökosystem? Sich selbst regulierende, auf Homöostase zielende Kybernetik? Die „Kunst des Steuerns“, wie Letztere auch genannt wird, fußt auf Messen und Regelmöglichkeiten. Was wird nun im Sinne von Herstellung oder Erhaltung von Gesundheit – hauptsächlich über Feedback-Schleifen – geregelt? Greifen wir das Wesentliche auf: Die bekannten Vitalparameter sind Blutdruck und Herzfrequenz, weniger Temperatur und Gewicht, wobei hier die Spielregeln der Kybernetik im weiteren Sinne natürlich auch greifen würden. Dass wir auch auf die ersteren unmittelbar einwirken können, ist eine sehr unterschätzte Tatsache. Das Schlupfloch bietet die bewusste Regulation des Atmens, wobei wir im Prinzip von uns selbst lernen können, wenn wir uns nur ausreichend beobachten.

Die Datenlage ist überwältigend: Entschleunigtes Atmen (im Folgenden EA; in der englischen wissenschaftlichen Literatur: „Slow Paced Breathing“, SPB) über längere Zeit – und damit sind Minuten gemeint – senkt den Blutdruck, verlangsamt die Herzfrequenz und ökonomisiert die Herzleistung [9]. Einfach gesprochen:

Entschleunigtes Atmen gaukelt dem Körper ausreichend lange vor, er schliefe.

Es gibt noch andere Situationen, bei denen sich die Atemfrequenz deutlich verlangsamt – in der unmittelbaren Sterbephase, oft als Zeichen des nahen Todes gedeutet, aber bei genauer Betrachtung ein Hinweis darauf, dass der Sterbende noch einmal versucht, den kardialen Stress, vielleicht aus einer Angst vor dem Tod herrührend, zu reduzieren und das letzte Mal eine eventuelle Regeneration anzustoßen. Und tatsächlich ist es manchmal so, dass sich Menschen aus dieser Phase heraus wieder erholen und weiterleben, wie viele Kliniker bestätigen können.

Hinsichtlich der Blutdruckregulation ist der Effekt wahrscheinlich unabhängig von Alter, Geschlecht und Medikation, jedoch umso größer, je höher der Ausgangsblutdruck liegt. Das langsame Atmen erhält nach den Cochrane-Kriterien insgesamt eine Einstufung der IIA- und IB-Evidenzen und damit die Empfehlung „sinnvoll“. Mittlerweile sind auch Hersteller von „wearables“ auf den Zug aufgesprungen und bieten in ihren Armbändern solche Applikationen zum Selbstmonitoring gekoppelt mit der Atementschleunigung an [7].

Entschleunigt atmen, aber richtig

Wenigstens 3 Minuten, besser 5, idealerweise 10 Minuten 6 Atemzüge pro Minute, mit einer in der Relation längeren Ausatmung, und das Ganze 2 × am Tag (idealerweise 6 Sekunden ausatmen, 4 Sekunden einatmen) senkt sehr wahrscheinlich den Blutdruck. Und zwar so klinisch relevant, nachhaltig, anhaltend, dass ein Grenzwert-Hypertoniker davon so profitieren kann, dass er evtl. kein Medikament mehr benötigt oder auf ein 2. oder 3. verzichten kann. Das Ganze geht jedoch nicht ohne engmaschige und dokumentierte (Selbst-)Kontrolle. Auch die Herzleistung wird wahrscheinlich optimiert. Und das Ganze funktioniert sogar bei schlafenden oder narkotisierten Patienten, wie jeder Anästhesist bestätigen kann. Also warum sollten wir es nicht systematischer nutzen?

Langsamere Atmung in Beziehung zu Trance und Imagination

Die Nähe zur Schlafphysiologie wurde bereits erklärt, und zum Schlaf gehört auch der Traum: Bilder einer inneren Realität, die wahrscheinlich etwas mit der inneren Verarbeitung von Gefühlen zu tun haben. Damit sind wir bei der Imagination: Auch EA, das grundsätzlich ohne Bilder funktionieren würde, das aber gerne auch durch beruhigende Bilder getaktet werden darf, ob in der Vorstellung oder mit äußeren Bildfolgen (z. B. YouTube-Kanal von Prof. Loew: https://www.youtube.com/channel/UCfzYj8BoaIIo4f-SkggKMzw/feed?activity_view=3), ist abhängig von den intellektuellen und klinischen Möglichkeiten des Einzelnen. Auf YouTube finden sich auch optische und akustische Taktgeber, ja sogar spezielle Kompositionen, die das EA triggern. Ein letzter Tipp: Warum sollte man eine kurze EA-Einheit nicht schon durch den gewählten Klingelton am Handy einleiten, um dann das anstehende Telefonat ganz entspannt zu führen?

Überraschendes zur Psychophysiologie der Atmung

Die beruhigende Wirkung ist wahrscheinlich seit Menschengedenken bekannt. Kleine Kinder regulieren ihre Atemfrequenz in Anwesenheit der Mutter herunter, indem sie mit dem Atem der Mutter wie mit einem Atemtakter mitgehen. Und: Kinder schlummern im Schlafzimmer der Eltern ruhiger.

In unserem Kontext erscheint jedoch ein anderer Indikationsbereich interessanter: Die enge Beziehung zwischen Endokrinum (im Besonderen die Kortisolregulation) und adrenerge Aktivierung ist bekannt. Damit ist der Kortisolspiegel, egal ob im Blut oder im Speichel, ein Surrogatparameter für chronischen Stress, und dementsprechend sind die Spiegel bei „stressenden“ psychischen Erkrankungen wie Depression, Ängsten oder psychosomatischen Erkrankungen nachweislich auch verändert (wobei dabei durchaus komplexe Verschränkungen mit anderen Krankheiten im Sinne von Komorbiditäten bei wenigstens ⅓ der Patienten beachtet werden müssen, insbesondere Traumafolgestörungen sowie Ess- und-/oder Persönlichkeitsstörungen). Hier kann die Atemselbstkontrolle als eine Art „Basistherapeutikum“ nicht der einzige, aber ein wichtiger Behandlungsbaustein sein [8].

Studienlage bei psychischen Erkrankungen

Schon früh in der Menschheitsgeschichte wurde verstanden, dass das Atmen an sich mehr ist als Luftholen, sich zu be-„lüften“, ventilieren. Wir nutzen das Fremdwort auch in unserer Sprache und meinen damit „etwas sorgfältig erwägen, prüfen, durchsprechen“. In einer der ältesten Kultursprachen der Welt, dem Hebräischen, bedeutet das Wort „trösten“, jemanden zum Aufatmen zu bringen.

Wir können das weiter fassen: Alle Menschen verbindet unsere eine Atmosphäre. Und nicht nur theoretisch kann ein Kohlenstoffmolekül, das heute in Deutschland ausgeatmet wurde, 100 Tage später in China wieder neu eingeatmet werden oder nach 100 Jahren oder 100 Mio. Jahren zwischenzeitlich gebunden in einer Luftblase in einem Stück Bernstein oder physikalisch gelöst im Grund und Quellwasser oder nach einer Weltraumreise – wenn die Landekapseltür geöffnet wird – wieder Teil unseres Planeten werden.

Angstpatienten können die Angst durch Atemtechniken reduzieren. Bereits der Volksmund empfiehlt tiefes Durchatmen als Sofortmaßnahme in Schreck- oder Notsituationen zur Selbstregulation, z. B. nach einer Verletzung. Eine andere bekannte Empfehlung lautet, erst 10 × tief durchzuatmen, bevor man auf eine Provokation oder nach heftigem Affekt reagiert. Clark et al. [2] konnten schon vor 25 Jahren zeigen, dass ein multimodales kognitives Verhaltenstherapieprogramm mit den entsprechenden Atemübungen (und zwar im Sinne von EA) klinisch relevante Angstsymptome reduzieren kann. Auch die Erregung durch Erschrecken kann durch EA herunterreguliert werden [11], ebenso die unangenehmen Hitzeflashs in der Menopause [4], möglicherweise kann sogar die Schmerzperzeption beeinflusst werden [13].

Aber auch bei einer komplexen Komorbidität kann die Atemtherapie Ängste reduzieren. Bruton und Thomas [1] konnten herausarbeiten, dass erwachsene Asthmapatienten, die Atemübungen lernten, 6 Monate darauf eine Verringerung der Symptome, eine Steigerung der Lebensqualität und eine Reduktion der Angst- und Depressions-Scores aufwiesen.

Umgekehrt gibt es Befunde, dass ein experimentell erhöhter Kohlendioxiddruck (35 % statt 4 %) Symptome wie bei einer Angsterkrankung und Konzentrationsstörung auslöst. Ursache ist eine relative Mangelversorgung mit Sauerstoff, denn die Durchblutung des Gehirns verschiebt sich zugunsten des Hirnstamms und zuungunsten der Hirnrinde. Durch die Veränderung der Gaskonzentration wird dem System biokybernetisch eine Sauerstoffunterversorgung unterstellt und dann erzeugt, die zu den genannten Symptomen führt [3]. Eine weitere spannende Indikation könnte die Impulskontrolle sein: Hier ist die Datenlage bisher mangels Studien an sich sehr schwach, das Vorgehen erscheint aber plausibel und die Untersuchung von Meule et al. an gesunden Probanden lässt dabei durchaus hoffen [11].

Hier können im Prinzip also mehrere „Fliegen mit einer Klappe“ geschlagen werden: Das Sprechen über die Atemphysiologie mit ihren Konsequenzen auf andere Organsysteme ist damit nicht nur Teil der Entspannungsverfahren, sondern ebenso Teil von:

  • Gesundheitsbildung

  • Krankenführung

  • Ernährungstherapie zur Unterstützung der kognitiven Impulskontrolle (z. B. Entschleunigung beim Essen selbst, dadurch dass man das EA quasi dazwischen „streuen“ könnte)

  • Kreativ- bzw. Musiktherapie (aktives Singen, denn z. B. in Chorälen ist das EA quasi mit eingebaut)

  • rezeptiver Musiktherapie (etwa bei den Bach’schen Goldberg-Variationen, bei denen gut mitgezählt werden könnte – 6 Sekunden Ausatmen, 4 Sekunden Einatmen – zusätzlich zur Entspannung, die die Musik selbst bringt)

  • Bewegungstherapie (Ein- und Ausatmung mit Armbewegungen anzeigen, womit das Rhythmushalten leichter gelingt [3])

Arzt-Patient-Gespräch als „ansteckendes“ entschleunigtes Atmen

Am spannendsten ist die Integration dieser Atemtechnik in die Arzt-Patienten-Interaktion. Achtet der Arzt auf seine Selbstregulation und atmet selbst entschleunigt (das funktioniert auch beim Sprechen), wird der Patient nach 1–2 Minuten fast zwangsläufig diese verlangsamte Atmung über seine Spiegelneurone in der Insula imitieren und sich auch ohne bewusste Aufforderung dem Atemrhythmus des Behandlers anpassen.

Wie kann das gehen? Seit Menschengedenken war es immer überlebenswichtig, zu verstehen, was im Gegenüber vorgeht. Damit wir das verstehen können, kopieren wir, was wir sehen, in unserem Inneren virtuell: Die kleinste Bewegung, z. B. ein Lächeln oder Stirnrunzeln, aber auch die Haltung oder Bewegungen der Extremitäten. So können wir sehr schnell und vor allem unbewusst nachvollziehen, was im Gegenüber passiert. Und das umfasst natürlich auch das Atmen [6], [8]. Schon nach 1–2 Minuten stellen sich dann auch die sekundären Effekte ein. So kann die Atmung in fast jedem wichtigen Bereich der Ordnungstherapie ihren Platz finden. Sie ist damit praktisch eine Art universale Intervention, der leider bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Entschleunigtes Atmen PLUS

Gute Daten gibt es, wie bereits beschrieben, zur Beeinflussung von Angstsymptomatik durch EA. Oft ist sie jedoch quasi in ein Bündel von Maßnahmen integriert, etwa beim Autogenen Training, das (wenn konkrete Symptome behandelt werden) zur Autogenen Therapie wird, wenn man so möchte. Auch in anderen Methoden hat die Entschleunigung der Atmung einen wichtigen Stellenwert: Bei der Meditation, bei der bewusst auf die Atmung geachtet und so eine indirekte Entschleunigung erzeugt wird, über die Entspannung und das sich einstellende Wohlbefinden bis hin zur (systematisches Üben abverlangenden) Methode der progressiven Relaxation. Auch im Yoga oder beim Tai-Chi finden sich z. T. bewusst gesetzte längere Phasen langsameren Atmens, die letztendlich faktisch dem EA gleichen [9].

Wann welche Form der Atemtherapie empfehlen?

An der Stelle sollten wir mit den Bedürfnissen unserer Patienten pragmatisch mitgehen. Die Erfahrung lehrt, dass die üblicherweise systematisch angebotenen Entspannungskurse (wie progressive Relaxation oder Autogenes Training) nach der Reha leider praktisch kaum umgesetzt werden, jedoch zu Lasten der Rentenversicherungen nach grober Hochrechnung jedes Jahr für etwa 20 Mio. Euro zigtausend stationären Rehabilitanden nahegebracht werden. Bei Querschnittserhebungen zeigt sich, dass höchstens ¼ der Bundesbürger systematisch Entspannungstechniken für sich einsetzt – und wenn, dann eher kontinuierliche Angebote wie im Rahmen von Yoga- oder Tai-Chi-Kursen. Dies darf auch den Schluss erlauben, dass hier andere Faktoren wie der soziale Aspekt des Miteinanders einen zentralen Stellenwert haben. Das darf aber nicht beruhigen, denn gerade mal 250 000 Menschen praktizieren bei uns Yoga organisiert, also ähnlich viele wie Tanzsport. Neueste Untersuchungen erlauben Zuversicht, dass auch Patienten mit Depressionen von 2 × 90 Minuten Yoga in der Woche sehr profitieren können.

Technische Lösungen als Verhaltenstherapie

Zu bedenken ist dabei auch, dass eben viele unserer Patienten gerade nicht den „inneren Schweinehund“ überwinden können und mit der eigenen Uhr und einfachem Zählen nicht hinkommen. Hier können Apps Abhilfe schaffen, z. B. „Breathe“ oder „Atemball“. Mittlerweile gibt es auch Uhren („wearables“), die eine solche Funktion eingebaut haben (z. B. Fitbit Cardio II), bei der auch eine Anpassung des Rhythmus an die vegetative Situation mittels Herzratenvariabilitätsmessung erfolgen soll. Für Kinder, Senioren oder in bestimmten klinischen Kontexten etwa der Endoskopie, der Gynäkologie, Urologie, im OP oder für Krisen als Soforthilfe in der Kitteltasche empfiehlt sich der „Atemtakter“, für den auch schon erste kontrollierte Studien vorliegen [12].

Eine speziellere Möglichkeit, den Atem zu entschleunigen, liefert die „Klangwoge“. Unter einem durchgehenden gebogenen Brett, ähnlich dem Material eines Klangkörpers, ist ein Lautsprecher befestigt, der die ganze Liege in Schwingung versetzt. Über Kopfhörer und den Klangkörper wird dem Entspannungssuchenden durch meditative, beruhigende Musik oder über eine einfache Vibration wie beim Atemtakter im Rhythmus 6 zu 4 Sekunden (Aus- und Einatmung) eine Vorgabe gemacht. Da die Klangwoge auf der Längsachse frei schwingen kann, synchronisiert die sich bewegende Liege bald mit dem Atem kybernetisch. Eine Sitzung sollte etwa 20 Minuten dauern. Der Hautwiderstand (ein peripherer Marker für die Entspannung) geht dabei i. d. R. sehr schnell nach unten. In der Kombination mit diesem unmittelbaren Biofeedback, das auch Veränderungen der Herzratenvariabilität als Zielgröße haben könnte, kann dann individuell geprüft werden, welche Klangfolgen oder Musik den beruhigendsten Effekt auf das Atmen haben könnten.

Eine andere Variante bietet die Sitzauflage der Firma i-feel. In die Matte sind piezoelektrische Lautsprecher eingearbeitet, die ebenfalls ein Ganzkörpererlebnis bieten, auch ohne Schwingen der Liege. Eine biofeedbackgestützte Musik oder Tonfolgenauswahl ist hier der Trigger-Reiz.

Folgen wir dem lerntheoretischen Modell, stellen die beiden liegengestützten Konzepte oder auch der Atemtakter eine Form der Konditionierung dar und verbessern die erzielten Ergebnisse. Auch optische Trigger funktionieren gut, etwa über Apps oder mittlerweile programmierbare Leuchtmittel. Dabei aber bitte aufpassen, dass der Lichtwechsel (z. B. Grün fürs Einatmen und Blau fürs Ausatmen) in Sekundenzeitfenstern programmiert werden kann. Indikationen wären hier Einschlafstörungen, bei denen ein langsam „flackerndes“ Nachtlicht helfen kann, vibrationsgesteuertes EA oder wenn die Entspannung beim Toilettengang schwerfällt. Mittlerweile gibt es auch eine hydrodynamische elektrische Zahnbürste (edel + white Yoga) [10].

Abschließende Gedanken

Um seine Patienten auf einfachem Wege zu motivieren, diese absolut natürliche Intervention auch wirklich zu nutzen, sei die zitierte Monografie „Langsamer atmen, besser leben“ [8] empfohlen. Welchen weiteren klinischen Nutzen die Veränderungen bringen können, z. B. bei der Behandlung von Rheumatikern oder Hautpatienten (Neurodermitiker oder andere juckende Dermatosen), kann spekuliert werden, erfordert aber weitere Untersuchungen. Alles in allem handelt es sich bereits jetzt um einen vielversprechenden Ansatz, wobei – wie der Wissenschaftler so schön sagt – eine kontrollierte Studie zunächst einmal keine Studie ist, und die Ergebnisse in einer weiteren Untersuchung erst einmal repliziert werden müssen. Zudem hat noch keine Studie bisher überprüft, inwieweit die Mortalität durch die Intervention sinkt.

Prof. Thomas H. Loew
ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und Chefarzt der Abteilungen am Universitätsklinikum Regensburg und der Klinik Donaustauf.

Dr. phil. Beate Leinberger
hat einen Master in Kulturwissenschaften und Komplementärmedizin, ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und in Bogen/Niederbayern niedergelassen.

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen.
 

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