PsycheDepression: Bewegung und seelische Gesundheit

Bei Menschen mit depressiven Erkrankungen oder Ängsten können körperliche Aktivitäten als therapeutische Maßnahmen die Symptome deutlich reduzieren. 

Frau dehnt sich in Sportkleidung draußen auf einem Feld.
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Körperliche Aktivität im aeroben Bereich hebt bei seelisch gesunden Menschen das Wohlbefinden, die Stimmung ist auch Stunden nach der Aktivität gehoben.

von Gabriele Fröhlich-Gildhoff

„Vor allem der Seele wegen ist es nötig, den Körper zu üben.“

Jean-Jacques Rousseau

Dieses Zitat von Rousseau weist darauf hin, dass bereits im 18. Jahrhundert ein Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und seelischer Gesundheit beobachtet oder zumindest vermutet wurde.

Zahlreiche Studien der letzten 2 Jahrzehnte geben Hinweise darauf, dass körperliche Aktivität neben der positiven Auswirkung auf körperliche Gesundheit auch emotionale Prozesse und kognitive Funktionen positiv beeinflussen kann [1].

Warum sollten wir uns mit den Zusammenhängen beschäftigen?

Der Gesundheitsreport einer großen deutschen Krankenkasse belegt [2], dass sich zwischen 1997 und 2017 die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen mehr als verdoppelt haben. Diagnostisch handelt es sich schwerpunktmäßig um depressive Erkrankungen, an zweiter Stelle liegen Ängste und Phobien.

Bei Frauen machen psychische Erkrankungen 19,8 % der Fehltage aus, bei Männern 13,6 %.

 Die Ursachen für die Zunahme von seelischen Erkrankungen sind u. a. in Überforderungen zu sehen. Diese hängen zusammen mit den dramatischen Veränderungen in der Arbeitswelt, einer starken Beschleunigung des Lebens, v. a. durch die digitalen Medien, aber auch durch die Verunsicherung vieler Einzelpersonen und Familien durch die gewachsene Vielfalt an Handlungsoptionen und Werteveränderungen. Die Behandlungskosten für depressive Erkrankungen lagen 2010 in Deutschland bei ca. 6 Milliarden Euro [3]. Seelische Erkrankungen bedeuten für den Einzelnen eine schwerwiegende Belastung, die oft mit Einschränkungen der Lebensqualität und sozialer Kontakte einhergehen, und sie stellen gesamtgesellschaftlich einen enormen Kostenfaktor dar.

Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und körperlicher Gesundheit

Von gesundheitsförderlicher körperlicher Aktivität sprechen wir, wenn sich Menschen mindestens 3 × /Woche für 30–45 Minuten moderat bewegen (d. h. mit höchstens 75 % ihrer maximalen Herzfrequenz), also im sog. aeroben Bereich bleiben. Beim Joggen würde das z. B. bedeuten, dass man sich während des Laufens noch relativ unangestrengt unterhalten kann. Besonders gesundheitsförderlich sind Ausdauersportarten wie Nordic Walking, Joggen, Schwimmen, Radfahren, Fitnessgymnastik oder Tanzen. Aber auch Krafttraining in sog. Fitnessstudios ist als gesundheitsförderliche Aktivität anzusehen, insbesondere auch für ältere Menschen, deren Muskelmasse im Alterungsprozess kontinuierlich abnimmt.

Bei Ausdauersportarten trainieren wir die Muskulatur, dies führt zu vermehrter Kapillareinsprossung und besserer Durchblutung des Muskels und zur Bildung von mehr Muskelzellen. Muskelzellen senken den Blutzuckerspiegel.

Die Blutblättchen bleiben geschmeidiger, auch dies senkt das Infarkt- und Thromboserisiko. Da mehr rote Blutkörperchen gebildet werden, verbessert sich die Sauerstoffversorgung der Organe und der Muskulatur. Das Herzvolumen vergrößert sich, damit nimmt die Pumpleistung zu und gleichzeitig die Frequenz ab, was einen weiteren Schutzfaktor darstellt.

Das Gehirn wird besser durchblutet, insbesondere das Frontalhirn und das Gleichgewichtsorgan. Dies stellt speziell für ältere Menschen eine Sturzprophylaxe dar und wirkt sich möglicherweise präventiv in Bezug auf Demenz- und Alzheimererkrankung aus.

Die Knochen bleiben stabiler, weil die sog. Osteoblasten durch körperliche Aktivierung angeregt werden, mehr Knochensubstanz zu bilden, und so Frakturen und auch der Osteoporose vorbeugen. Im Fettgewebe werden mehr Fettsäuren abgebaut und verbrannt und dadurch Fettpolster eingeschmolzen, was zu einer Gewichtsreduktion führen kann. Sowohl die Immunabwehr wird gestärkt als auch die Darmfunktion gefördert. Dies führt zu weniger Infekten und weniger Verdauungsstörungen.

Durch körperliche Aktivität können Menschen körperliche Allgemeinbeschwerden, auch Schmerzzustände, meist verringern und damit einen aktiven Beitrag zur persönlichen Gesundheit leisten. Dies gilt sowohl für die körperliche wie auch für die seelische Gesundheit.

Die Blutgefäße bleiben durch körperliche Aktivität elastischer, wodurch das Bluthochdruck-, Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko sinkt.

Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und seelischer Gesundheit

Die o. g. Auflistung macht deutlich, dass wir durch körperliche Aktivität großen Einfluss auf unsere Gesundheit und damit auf unsere Körperform nehmen können. Durch regelmäßige moderate Bewegung werden also Selbstwirksamkeits- und Kontrollerfahrungen gemacht. Als Beispiel seien genannt, dass wir durch Ausdauertraining den Blutdruck senken und ggf. keine blutdrucksenkenden Medikamente mehr benötigen oder weniger Insulin zur Behandlung eines Diabetes mellitus brauchen. Moderates Krafttraining kann als gewünschten Effekt eine Zunahme von Muskelmasse und dadurch eine subjektiv erlebte Vergrößerung der persönlichen Attraktivität zur Folge haben. Auch dies wäre eine wichtige Selbstwirksamkeitserfahrung, die mit einer Zunahme von Selbstbewusstsein und Selbstwert verbunden sein kann.

Dass körperliche Aktivität ein sehr wirksames Mittel ist, um psychischen Erkrankungen vorzubeugen, haben zahlreiche Studien gezeigt [4]. Demnach hat Sport eine stärkende Pufferwirkung, wenn innere oder äußere Stressoren die Psyche belasten. Auf physiologischer Ebene ist zu beobachten, dass körperliche Aktivitäten sich positiv auf die Stressresistenz auswirken, indem die kardiovaskuläre Reaktivität auf psychischen Stress verringert wird. Zudem erholt sich der Körper bei sportlich aktiven Menschen schneller und qualitativ besser nach Stresserleben als bei Inaktiven. Auf kognitiv-emotionaler Ebene führt körperliche Aktivität zu positiveren Gedanken und wirkt selbstwertfördernd. Außerdem steigert sie den Glauben in die eigenen Fähigkeiten und stärkt die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen [5].

Sport und Depression

Bei Menschen mit depressiven Verstimmungen verbessert körperliche Aktivität die Stimmung [6]. Diese stimmungsaufhellenden Effekte körperlicher Aktivität sind bei Patienten mit depressiven Erkrankungen stärker ausgeprägt als bei Menschen, die psychisch gesund sind. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2011 an 200 depressiven Patienten [7] belegte, dass regelmäßiges Ausdauertraining in ähnlichem Maße wirksam sein kann wie eine medikamentöse Therapie mit Antidepressiva. Darüber hinaus hält die Besserung der Symptomatik länger an, wenn Erkrankte nach Beendigung einer Behandlung sportlich aktiv bleiben. Das bedeutet, dass sportliches Training die Rezidivrate bei Depressionen deutlich senkt.

Neurobiologische Wirkmechanismen

Man geht heute davon aus, dass bei Depressionen eine gestörte neuronale Plastizität vorliegt [1]. Die neuronale Plastizität beschreibt die Veränderungsfähigkeit von Synapsen, Nervenzellen oder ganzer Hirnareale. Für neuronale Umbildungs- oder Neubildungsprozesse werden Nervenwachstumsfaktoren, sog. Neurotrophine, benötigt. Ein Vertreter der Neurotrophine ist der Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF), der u. a. in Muskelzellen, in den Nieren und im Blut nachweisbar ist.

Er lässt sich durch antidepressive Medikamente ausgleichen. Er steigt aber auch durch körperliche Aktivität im Blut an, daher wirkt Ausdauersport vermutlich ähnlich wie eine antidepressive Medikation, jedoch mit deutlich weniger unerwünschten Nebenwirkungen.

Sport und Angst

Auch Menschen mit Angsterkrankungen können von körperlichen Aktivitäten dahingehend profitieren, dass Sport zur Angstreduktion beitragen kann [8]. Bei intensiver körperlicher Aktivität machen die Betroffenen wiederholt die Erfahrung, dass körperliche Symptome wie Schwitzen, Hyperventilation und Herzrasen ohne begleitende emotionale Beeinträchtigung einhergehen. Dadurch könnte ein Desensibilisierungsprozess für die körperlichen Begleitprozesse von Angstzuständen ausgelöst werden. Insbesondere Patienten, die nicht pharmakologische Behandlungen präferieren, können von körperlichen Aktivitäten profitieren.

Auch die mit der sportlichen Aktivierung einhergehenden Erfahrungen von mehr Selbstwirksamkeit, gehobenem Selbstwertgefühl und vermehrtem Kontrollerleben können angstreduzierend wirken.

Eigene Erfahrungen

Insgesamt können Menschen aller Altersklassen von den positiven Effekten bezogen auf seelische und körperliche Gesundheit profitieren. Dies sollte insbesondere auch bei stationären Behandlungen in Psychosomatischen oder Psychiatrischen Kliniken in Form von einem regelmäßigen Angebot für körperliche Aktivitäten Berücksichtigung finden.

In manchen Kliniken gibt es z.B. Walking-Gruppen, Fitness-Gymnastik, Yoga, Grundübungen der Kraft, Bewegungsbad, Ausdauertraining am Ergometer, medizinische Trainingstherapie zum gezielten Muskelaufbau sowie Tanzgruppen etc. Grundsätzliches Ziel ist es, den Menschen wieder Freude an regelmäßiger Bewegung zu vermitteln und so Möglichkeiten an die Hand zu geben, eigeninitiativ für mehr körperliche und geistig-seelische Gesundheit zu sorgen.

Die Rückmeldungen der Patientinnen und Patienten sind durchweg positiv. Viele beschreiben neben der Zunahme von körperlichem und seelischem Wohlbefinden eine Zunahme an Vitalität und Lebensfreude und eine Stärkung des Selbstbewusstseins.

Dr. med. Gabriele Fröhlich-Gildhoff
Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Dozentin für Psychosomatik, Traumafolgestörung, Traumatherapie.

[1] Schulz K-H, Meyer A, Langguth N. Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit. Bundesgesbl 2012; 55: 55-65

[2] DAK. Gesundheitsreport 2018. Im Internet: https://www.dak.de/dak/download/gesundheitsreport-2018–1970840.pdf Stand: 08.02.2019

[3] König HH, Luppa M, Riedel-Heller S. Die Kosten der Depression und die Wirtschaftlichkeit ihrer Behandlung. Psychiatr Prax 2010; 37: 213-215

[4] Fuchs R, Schlicht W. Hrsg. Seelische Gesundheit und körperliche Aktivität. Göttingen: Hogrefe; 2012

[5] Toker S, Biron M. Job burnout and depression: Unraveling their temporal relationship and considering the role of physical activity. J Appl Psy 2012; 97: 699-719

[6] Conn VS. Depressive symptom outcomes of physical activity interventions: meta-analysis findings. Ann Behav Med 2010; 39: 128-138

[7] Hoffmann BM, Babyak MA, Graighead W. Exercise and pharmacotherapy in patients with major depession: One year follow-up of the SMILE-Study. Psychosom Med 2011; 73: 127-133

[8] Wipfli BM, Rethorst CD, Landers DM. The anxiolytic effects of exercise; a meta-analysis of randomized trials and dose-response analysis. J Sport Exerc Psychol 2008; 30: 392-41