VerdauungstraktErnährung bei Störungen der Verdauungsfunktionen

Die Ernährung hat zahlreiche Einflüsse auf die Verdauungsfunktionen. Nahrungsbestandteile können direkte Effekte auf das enterische Nerven- bzw. Immunsystem im Darm bzw. indirekte Einflüsse über die Mikrobiota ausüben. Erfahren Sie mehr über die 6-Food Diät und das Vorgehen in der Praxis.

Frau in weißem Top, die sich die Darmgegend hält.
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von Thomas Frieling, Britta Krummen, Sigrid Kalde

Inhalt

Hintergrund

Nahrungsfaktoren

6-Food-Diät

Wie gehe ich in der Praxis vor?

Viele Patienten mit gastrointestinalen Funktionsstörungen bzw. funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen geben nahrungsassoziierte Beschwerden an. Die Bewertung der Symptome ist subjektiv und kann nur in wenigen Fällen objektiviert werden. Die wesentlichen Differenzialdiagnosen (u. a. chologene Diarrhö, Zöliakie) sollten beachtet werden. Nach Standardisierung (leichte Vollkost) mit Berücksichtigung der Zeit, Menge und Frequenz der Nahrungszufuhr kann eine Diagnostik und Therapie durch ein Ernährungstagebuch mit individueller Nahrungsanpassung erfolgen. Diätetische Strategien sind die laktose-, fruktose- bzw. sorbitarme Ernährung bei Nachweis einer entsprechenden Unverträglichkeit im Wasserstoffatemtest, die gluten- bzw. weizenarme Kost, die FODMAP-reduzierte Kost bzw. die 6-Food-Diät bei eosinophiler Ösophagitis. Eine dogmatische, auf bestimmte Ernährungsgewohnheiten fixierte Diät sollte vermieden werden.

Hintergrund

Die Ernährung hat zahlreiche Einflüsse auf die Verdauungsfunktionen. Dies ist allein schon bedingt durch die physiologischen Abläufe von Nahrungsaufnahme, -transport, -zerkleinerung, Resorption und Ausscheidung der nicht verdaubaren Anteile. Hierbei sind die Muskulatur, das Epithel, das Gefäß-, Hormon-, Immun-, Nerven- und Mediatorsystem sowie das Mikrobiom beteiligt. Nahrungsbestandteile können direkte Effekte auf das enterische Nerven- bzw. Immunsystem im Darm bzw. indirekte Einflüsse über die Mikrobiota ausüben (Abb. 1). Die Mikrobiota kann hierbei über bakterielle Metaboliten ebenfalls direkte Wirkungen auf sensorische Nervenendigungen, die epitheliale Barriere bzw. das Immunsystem im Darm ausüben [[1], [2]].

Während die normale Nahrungsverdauung nicht bemerkt wird, können Nahrungsfaktoren bei gastrointestinalen Funktionsstörungen und funktionellen Erkrankungen Beschwerden verursachen bzw. verstärken. Zu diesen Erkrankungen gehören u. a.:

  • Reizdarmsyndrom,

  • funktionelle Dyspepsie,

  • chronische Obstipation,

  • funktionelle Diarrhö und

  • Meteorismus.

Das grundsätzliche Problem ist, dass nahrungsassoziierte Beschwerden überwiegend auf dem subjektiven Befinden und der Bewertung der Patienten beruhen und nur in wenigen Fällen durch Messungen objektiviert werden können, wie z. B. Laktose-, Fruktose-, Sorbitexposition mit positivem Wasserstoffatemtest und Beschwerden. Nahrungsallergien finden sich bei Erwachsenen äußerst selten.

Da die Ernährung sehr emotional belegt ist, besteht die Gefahr, dass Patienten dogmatisch auf bestimmte Ernährungsgewohnheiten bzw. Diäten fixiert sind. Dies sollte vermieden werden. Biomarker, die Patienten mit bestimmten Nahrungsunverträglichkeiten erkennbar machen, liegen in der Klinik bisher kaum vor (Tab. 1). Die Untersuchung von IgG-Titern auf Nahrungsmittelallergene sollte nicht erfolgen, da Nahrungsallergien bei Erwachsenen sehr selten sind und die Tests für den Gastrointestinaltrakt eine nur geringe Sensitivität aufweisen.

Pathophysiologie

Potenzielle Biomarker

Zuckerunverträglichkeit

erhöhter Wasserstoffanstieg im Atemtest (Laktose, Fruktose, Sorbit)

bakterielle Dünndarmfehlbesiedlung

erhöhte Nüchternexhalation von Wasserstoff, erhöhter Wasserstoffanstieg im Atemtest (Glukose)

Zöliakie

Dünndarmbiopsie, Transglutaminase-Antikörper

Histaminintoleranzsyndrom

Diaminoxidase, erhöhtes N-Methyl-Histamin im Urin

Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)

erhöhte Tryptase, erhöhtes N-Methyl-Histamin im Urin, basales und provoziertes Heparin, Mutationen des c-kit-Rezeptors

Nahrungsallergien

IgE, eosinophile Ösophagitis

Nahrungsassoziierte gastrointestinale Beschwerden können durch eine vermehrte Empfindlichkeit gegenüber gastrointestinalen Reizen (u. a. Dehnung, Muskelbewegungen) bei krankheitsbedingter peripher und/oder zentral bedingter Erniedrigung der Empfindungs- bzw. Schmerzschwellen verursacht sein. Hierbei können Dehnungen der Darmwand durch vermehrte Gas- oder Flüssigkeitsbildung bei diesen Patienten Beschwerden verursachen, während sie von Gesunden unbemerkt bleiben. So geben Patienten mit Funktionsstörungen bzw. funktionellen Beschwerden im Vergleich zu Gesunden überproportional häufiger nahrungsbedingte Symptome an (Tab. 2 ).

Nahrungsmittel

Normalbevölkerung

Reizdarmsyndrom

allgemein

1,4–1,8 %

20–65 %

Nahrungsallergie (atopisches RDS)

0,5 %

3,2 %

Histaminintoleranzsyndrom (HIT)

1 %

10–25 %

Laktoseintoleranz

20 %

25–50 %

Fruktosemalabsorption

11–70 %

40–80 %

Zöliakie

0,8 %

2–4 %

NCGS/NCWS

0,55 %

25–30 %

FODMAPs

10–20 %

bis 70 %

In jedem Fall müssen andere überlappende Krankheitsbilder wie die Zöliakie, die chologene Diarrhö, das Histaminintoleranzsyndrom bzw. das Mastzellaktivierungssyndrom erkannt werden. Sie können zu individuellen, teilweise über Histamin und Mastzellen vermittelten Nahrungsunverträglichkeiten führen.

Nahrungsfaktoren

Auch können Nahrungsfaktoren bei vorliegender bakterieller Dünndarmfehlbesiedlung, ungünstiger Ballaststoffzusammensetzung bzw. bei Unverträglichkeiten gegenüber Milchzucker, Fruchtzucker oder Sorbit zu Beschwerden führen. Zusätzlich ist nach Ausschluss einer Zöliakie an das Vorliegen einer Gluten- bzw. Weizenempfindlichkeit („non celiac gluten sensitivity“; NCGS/“non celiac wheat sensitivity“; NCWS) bzw. an eine Unverträglichkeit gegenüber fermentierbaren Kohlenhydraten (FODMAP: F – Fermentierbar, O – Oligo-, D – Di-, M – Monosaccharide, A – and, P – Polyole) zu denken. Das aktuelle FODMAP-Konzept umfasst auch die Gluten- bzw. Weizenempfindlichkeit.

FODMAP ist keine Diät aus naturphilosophischen, anthropologischen, alternativmedizinischen Überlegungen (z. B. Atkins-Diät, Trennkost), sondern eine umfassende Hypothese aus Erfahrung mit der diätetischen Behandlung von Reizdarmpatienten und Patienten mit Kohlenhydratintoleranzen. Sie stellt daher eine Hypothese einer Vergärung bestimmter, chemisch definierter Zucker bzw. Zuckeralkohole dar.

6-Food-Diät

Neuerdings finden sich häufiger Zeichen von Entzündungen, die durch Nahrungsallergene induziert und unterhalten werden. Hierzu gehört die eosinophile Ösophagitis, die durch Vermeidung der Allergene Weizen, Milch, Ei, Soja, Nüsse und Meeresfrüchte im Rahmen einer sog. 6-Food-Diät und individueller Wiedereinführung bestimmter Nahrungsallergene nach 6 Wochen gut behandelt werden kann. Zu beachten ist allerdings, dass die Diät sehr eingreifend ist und die Gefahr der Fehl- bzw. Mangelernährung birgt. Aus diesem Grunde sollten zunächst die in Europa hauptsächlichen Nahrungsallergene gemieden werden: Weizen und Milch.

„6-Food-Eliminationsdiät“

Während dieser Ernährungstherapie sollen die Patienten 6 Wochen lang auf Lebensmittel aus den folgenden 6 Gruppen verzichten:

1. Meeresfrüchte und Fische

2. Nüsse und Erdnüsse

3. Hühnerei (wird häufig als Bindemittel verwendet!)

4. Sojaprodukte (Sojamilch, -pudding, Tofu)

5. Kuhmilch und Produkte, die daraus hergestellt werden (Butter, Joghurt, Quark oder Käse)

6. Weizen und Weizenprodukte (Stärke, Mehl, Nudeln, Brot…)

Es gibt Hinweise, dass das Mikrobiom von Patienten mit funktionellen Erkrankungen verändert sein kann, was den Einsatz von Probiotika rechtfertigt. Es gibt bisher aber keine überzeugenden Daten, die die Verminderung oder Vermehrung bestimmter Darmbakterien belegen [[1], [2]].

Wie gehe ich in der Praxis vor?

Bei anamnestischen Hinweisen auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit sollte zunächst bei ausgewogener Ernährung ein Ernährungstagebuch über mehrere Wochen geführt werden. Hierbei ist auf eine ausgewogene Ernährung mit empfohlener Flüssigkeits- und Ballaststoffzufuhr unter Berücksichtigung der Richtlinien einer leichten Vollkost zu achten (Tab. 3).

Leichte Vollkost/leicht verdaulich

Schwer verdaulich

Blattsalate (als Salat)

Grünkohl

Blumenkohl

Lauch/Porree

Schmorgurken

Gurken, roh (Gurkensalat)

Brokkoli

Hülsenfrüchte (Erbsen, Bohnen, Linsen etc.)

Chicorée

Paprika, Aubergine

Chinakohl

Pilze, Mais

Fenchel

Radieschen

Möhren

Rettich

Kohlrabi

Rosenkohl

Sellerie, Knolle

Rotkohl

Spargel

Weißkohl

Spinat

Wirsing

Tomaten (auch als Salat)

Knoblauch

Zucchini

Zwiebel

Rote Beete

Birne

Äpfel, besonders Apfelmus

Weintrauben

Bananen und Kompottfrüchte

rohes Steinobst (Pflaumen, Kirschen etc.)

Melonen

Nüsse, Trockenfrüchte

feinvermahlenes Brot, ausgekühlt

grobes Körnerbrot

Kartoffeln, Reis und Nudeln

frisches, warmes Hefeteiggebäck

Fleisch, Fisch, Eier, leicht angebraten etc.

Fleisch, Fisch, frittiert

stilles Mineralwasser, Kräutertee, säurearmer Früchtetee

kohlensäurehaltige Getränke, starker Kaffee/Tee, unverdünnter Fruchtsaft

Der Zeitpunkt, die Frequenz und die Menge an zugeführter Nahrung sollten erfasst und ggf. verändert werden. Grundsätzlich können mehrere kleinere Mahlzeiten bzw. die Vermeidung der Hauptmahlzeit abends hilfreich sein. Auch ist bei Patienten mit Magenentleerungsstörungen und postprandialem Völlegefühl an die Art und den Anteil der Ballaststoffe und Fette in der Nahrung zu denken. Die Umstellung auf eine ballaststoffarme Kost bzw. lösliche, nicht blähende Ballaststoffe kann bei funktionellen Erkrankungen grundsätzlich von Vorteil sein. Will man einzelne, individuelle beschwerdeassoziierte Nahrungsbestandteile charakterisieren, so sollte man diese zunächst probatorisch reduzieren bzw. meiden.

Sollte dieses Vorgehen nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen, können unterschiedliche Ernährungsstrategien angewendet werden (Abb. 2). Dazu gehören:

  • Laktose-, Fruktose- oder Sorbit-reduzierte Kost,

  • Elimination von Histamin-reichen Lebensmitteln (z. B. Rotwein, Käse, Thunfisch),

  • sog. FODMAP-reduzierte Nahrung (Tab. 4),

  • Vermeidung von Gluten- bzw. Weizenprodukten oder

  • die 6-Food-Diät.

* in kleinen Mengen, je nach Verträglichkeit

Obst

Gemüse

Getreide/Nüsse

Milch/-produkte

Übrige

Ananas Avocado* Bananen Boysenbeeren Cantaloupe-/Honigmelone Cranberry* Erdbeeren Grapefruit* Heidelbeeren* Himbeeren* Kiwi Limette Mandarine Maracuja Orange Papaya Passionsfrucht* Rhabarber Weintrauben* Zitrone Sternanis

Alle Blattsalate Alfalfa-Sprossen Artischocken Aubergine Bambussprossen Brokkoli*, Endivien Erbsen*, Fenchel* Grüne Bohnen Gurke Kartoffel Karotte*, Kürbis* Linsen grün Mangold Oliven Paprika rot Peperoni, Radieschen Rüben Sellerie* Spinat Süßkartoffeln* Tomaten Zucchini* Basilikum, Chili, Ingwer, Koriander, Majoran, Minze, Oregano, Petersilie, Rosmarin, Thymian, Zitronengras

Glutenfreie Mehle, Brote, Teigwaren und Cerealien (aus Reis-, Mais-, Kartoffel- oder Hafermehl, ohne Inulin!) Dinkelsauerteigbrot* Weizenstärke Mais-/Reiscracker Amarant, Buchweizen, Reis, Lein-/Flohsamen, Hafer, Hirse, Quinoa, Tapioka, Maisstärke, Polenta Nüsse (Wal-, Hasel-*, Erd-, Macadamia-) Kürbiskerne Mandeln*, Maronen Sesam, Kokos* Sonnenblumenkerne Eine glutenarme Ernährung ist ausreichend!

Laktosefreie Milch und daraus hergestellte Produkte wie z. B. Joghurt, Quark, Sahne Hafermilch Kokosmilch Mandelmilch Reismilch Hartkäse Brie Camembert Schnittkäse Fetakäse Mozzarella Butter Margarine ohne Milchbestandteile

Haushaltszucker in Maßen Traubenzucker Süßstoffe, deren chemische Bezeichnung nicht auf „ol“ endet Ahornsirup Rübensirup Reissirup Stevia Erdnussbutter Mandelmus Konfitüre (aus FODMAP-armen Obstsorten) Zartbitterschokolade glutenfreies Bier Gin Wodka trockener Wein

Im Einzelfall kann dann durch Zugabe von verschiedenen Nahrungskomponenten unter Führung eines Ernährungstagebuchs eine individuelle Diät entwickelt werden. In einer Analyse von mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass Ballaststoffe einen klinischen Benefit bei der chronischen Obstipation und beim obstipationsdominanten Reizdarmsyndrom aufwiesen [[3]]. Untersuchungen mit FODMAP-reduzierter Diät waren bezüglich aller IBS-Symptome bei allen und bei der Obstipation bei 30 % der auswertbaren Studien erfolgreich. Jedoch ist diese einschneidende Diät von Berufstätigen häufig schwierig umzusetzen, sie kann die Lebensqualität beeinträchtigen und zu Gewichtsverlust und Mangelernährung führen und wird daher häufig nicht stringent umgesetzt. Ob sie wirklich besser ist als eine „gesunde und ausgewogene Ernährung“, bleibt abzuwarten. Aktuelle Untersuchungen lieferten hier uneinheitliche Ergebnisse [[3]].

Prof. Dr. med. Thomas Frieling
Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Neurogastroenterologie

[1] Layer P, Andresen V, Pehl C. et al. Irritable bowel syndrome: German consensus guidelines on definition, pathophysiology and management. Z Gastroenterol 2011; 49: 237-293

[2] Andresen V, Enck P, Frieling T. et al. S2k-Leitlinie Chronische Obstipation. Z Gastroenterol 2013; 51: 651-672

[3] Rao SS C, Fedewa YS. Systematic review: dietary fibre and FODMAP-restricted diet in the management of constipation and irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther 2015; 41: 1256-1270

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