MikrobiomDas Mikrobiom – wie die Darmflora die Gesundheit beeinflusst

Welche Erkrankungen hängen mit der Darmflora zusammen und was steckt hinter dem Hype um das Mikrobiom?

Darmmikrobiom grafisch dargestellt (Besiedelung).
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Ein ganz eigener Kosmos mitten in uns: Die Vielfalt der Mikroorganismen im Darm ist enorm – ebenso wie ihre Stoffwechselleistung und Wechselwirkung miteinander und mit dem menschlichen Organismus.

von Sabine Wenzel

Bakterien und andere Mikroorganismen besiedeln unseren ganzen Körper, innen und außen, Hände, Lunge, Urogenitaltrakt, Mund- und Rachenraum und den Darm – und sie scheinen einen großen Einfl uss auf unsere Gesundheit zu haben. Dabei hat jeder Mensch seinen eigenen mikrobiellen Fingerabdruck, der sich nach wenigen Stunden Aufenthalt auch in der jeweiligen Umgebung wiederfindet. Die große Vielfalt der Darmbewohner kommt dadurch zustande, dass es in diesem Ökosystem Nischen für die unterschiedlichsten Ansprüche gibt. So werden auch immer wieder neue unbekannte Darmbewohner entdeckt [1] .

Merke

60 % der uns besiedelnden Bakterien sind noch immer unbekannt.

Die Rolle der Darmfl ora für unsere Gesundheit geriet erst Ende des 20. Jahrhunderts verstärkt ins Blickfeld, mit Bezug zu Übergewicht dann am Anfang des 21. Jahrhunderts.

Protektive Bakterien bauen Kohlenhydrate ab und produzieren kurzkettige Fettsäuren, vor allem Butyrat. Sie stabilisieren die Darmbarriere und regulieren somit unser Enzymsystem. Sämtliche Bakterien bilden Lipopolysaccharide, fördern Entzündungen, bauen Proteine ab und setzen Toxine frei.

Mikroorganismen im Darm können Bestandteile der Nahrung verwerten, die ansonsten unverdaulich wären. Die Art der Ernährung bestimmt die Zusammensetzung des Mikrobioms. Wer sich hauptsächlich von stark verarbeiteten Produkten ernährt, hat eine geringere Bakterienvielfalt.

Zumindest in westlichen Gesellschaften wird das Mikrobiom artenärmer. Auch scheint im Darm von Stadtbewohnern in Industriegesellschaften generell weniger mikrobielle Vielfalt zu herrschen als bei Menschen mit traditionellem Lebensstil.

Merke

Historische Vergleiche legen nahe, dass unsere Vorfahren ein um 40 % variantenreicheres Mikrobiom hatten.

Mit speziellen Sammlungen versuchen Wissenschaftler, die Vielfalt zu bewahren. Möglicherweise kann man mit derartigen Bibliotheken neue Behandlungsmöglichkeiten für verschiedene Krankheiten entwickeln, indem man die Vielfalt im Darm durch Stuhltransplantation wiederherstellt, bzw. moderner formuliert, durch Designer-Mischungen von lebenden Bakterien, die gezielt eingesetzt werden können.

Auch im Lauf des Lebens verändert sich die Zusammensetzung der Darmbakterien. Dies beschleunigt möglicherweise den Alterungsprozess und macht den Körper anfälliger für Krankheitserreger. So nimmt die Gesamtbakterienvielfalt mit dem Alter ab. Ältere Menschen hatten in Untersuchungen mehr Bakterien aus den Familien Enterococcaceae, Lactobacillaceae, Enterobacteriaceae und aus der Gattung Bacteroides – alles Gruppen von Bakterien, die beim Menschen Krankheiten verursachen können. Noch ist nicht klar, ob die Veränderungen des Mikrobioms die Alterung vorantreiben oder umgekehrt. Außerdem ist unklar, wie repräsentativ die in den Studien untersuchte Seniorengruppe war.

Artengemeinschaft

Auf den mehr als 200 Quadratmetern des menschlichen Magen-Darm-Trakts tummeln sich wohl 40 Billionen, z.T. noch unbekannte Mikroben: Bakterien, Archaeen, Viren, Hefen und Pilze. Die Gesamtheit der Mikroorganismen, das Mikrobiom im Darm, wiegt 1–2 Kilogramm. Die im Darm vorherrschenden Bakterien gehören zu 3 großen Gruppen: Firmicutes, Bacteroidetes und Actinobacteria. Einige Dutzend Arten sind wohl bei allen Menschen gleich, die Mehrzahl aber verschieden, und jeder hat sein eigenes Spektrum an dominierenden Arten, das sich jahrelang zu halten scheint.

Die Zahl der Viren im Verdauungstrakt wird auf 10 14 –10 15 geschätzt. Das wäre das Zehn- bis Hundertfache der Bakterien, vielleicht sind es auch noch viel mehr. Bisher kennt man erst rund 500 Arten (Bakterien ca. 1000 Arten).

Bakterien und Viren existieren in engster Gemeinschaft. Möglicherweise kann man mit Bakteriophagen (Viren) gezielt bestimmte Krankheitsfälle behandeln. Die Idee ist nicht neu, geriet nur durch die Ära der Antibiotika in Vergessenheit. Gerade in Zeiten zunehmender Antibiotikaresistenzen wird sich das vielleicht ändern (müssen).

Merke

Was genau ein gesundes Mikrobiom ausmacht, ist noch weitgehend unklar. Und wenn die Diversität verändert ist – ist dies dann Ursache oder Folge einer Krankheit?

Das Mikrobiom hat größtenteils nützliche Funktionen:

  • den Nahrungsbrei im Darm aufschließen,
  • eine Barriere gegen Krankheitserreger bilden,
  • bestimmte Vitamine synthetisieren,
  • Entwicklung und Reifung des Darmimmunsystems fördern,
  • Zellen der Darmschleimhaut in ihrer Funktion unterstützen und
  • uns gesund erhalten.

Darm und Hirn sprechen miteinander

Ärger schlägt auf den Magen, schlechte Nachrichten müssen verdaut werden, wer verliebt ist, hat „Schmetterlinge im Bauch“ – dass es einen Zusammenhang zwischen Gefühlen und Unterleib gibt, wissen wir schon lange.

Der Darm hat ein Nervensystem zwischen den Muskelschichten und der Schleimhaut. Es besteht aus etwa 100 Mio. Nervenzellen und ist wie das Gehirn mit Neuronen ausgestattet, die auch Neurotransmitter ausschütten. Deshalb wird es auch als Darmhirn bezeichnet. Es reguliert die Vorwärtsbewegung im Darm, die Ausschüttung von Verdauungsenzymen, die Aufnahme von Nährstoff en über die Darmwand, den Blutfluss und die Barrierefunktion der Darmwand.

Zwei Drittel der Immunzellen des Körpers sind im Darm untergebracht, damit er mit gefährlichen Erregern und Molekülen fertig wird und mit Mikroorganismen, die den Darm besiedeln, gut auskommt.

Hintergrundwissen

Darm-Hirn-Achse [ 1 , 4 ]

  • Die Darmflora beeinflusst Verhalten und Stimmung, indem ihre Bakterien über die Blutbahn und das Nervensystem mit dem Gehirn kommunizieren.
  • Einige psychische Erkrankungen (Depressionen, Angsterkrankungen, Autismus, evtl. Parkinson) und Entwicklungsstörungen von Hirnfunktionen könnten mit einer abweichenden Zusammensetzung des Mikrobioms zusammenhängen.
  • Eventuell kann man durch Normalisierung des Gleichgewichts im Darm bestimmte psychische Krankheiten lindern. Medikamente in das Gehirn einzubringen, ist schwierig, das Mikrobiom lässt sich hingegen einfacher verändern.

Wie beeinflusst die Darmflora das Gehirn?

  • Bakterielle Moleküle können Darmepithelzellen passieren, in etwas tiefer liegende feine Blutgefäße übertreten und mit dem Blutstrom ins Gehirn gelangen.
  • Moleküle von Darmbakterien stimulieren Ausläufer von sensorischen Neuronen des Darmnervensystems, die daraufhin Signale zum Gehirn schicken (insbesondere über den Vagusnerv).
  • Moleküle von Darmbakterien aktivieren Drüsenzellen (endokrine Zellen), die zwischen den Epithelzellen liegen. Diese schütten dann Neuropeptide in die Darmschleimhaut aus, die auf den beiden beschriebenen Wegen wirken können.
  • Immunzellen in der Darmschleimhaut reagieren auf bakterielle Moleküle; Zellausläufer zwischen den Epithelzellen bilden dann entzündungsfördernde Zytokine, die im Gehirn weitere Entzündungsreaktionen auslösen können.

Darm und psychische Gesundheit

Menschen mit psychischen Erkrankungen haben oft ein verändertes Mikrobiom. Vielleicht ist es an der Entstehung von Depressionen oder Schizophrenie beteiligt. Vor allem Beobachtungsstudien zeigen einen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Mikrobioms und klinischen Depressionen oder Vorstufen. Allerdings handelt es sich nur um Korrelationen; ob es dabei kausale Zusammenhänge gibt, ist noch unklar. Aus einer großangelegten schwedischen Populationsstudie ergaben sich Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem vermehrten Vorkommen der Bakteriengattungen Morganella und Raoultella [2] und Depressionen, die Mechanismen müssen erst noch untersucht werden. Vor allem scheint es bei Depressionen an einer mikrobiellen Artenvielfalt zu mangeln. So wurden bei Menschen mit Depressionen u. a. weniger Bakterien der Gattungen Coprococcus und Dialiter im Verdauungstrakt gefunden. Diese Gattungen sind u. a. an der Produktion des Neurotransmitters Dopamin beteiligt, der wichtig für unseren inneren Antrieb ist.

Merke

Ein gutes Mikrobiom fi ndet sich in der Regel bei gesunden Menschen, die sich gut ernähren.

Studien belegen, dass ein Übermaß an Zucker, gesüßten Getränken, Weißmehl und verarbeiteten Fleischprodukten mit einem erhöhten Depressionsrisiko verbunden ist.

Eine japanische Ernährung mit grünem Tee, Früchten, Sojaprodukten und Gemüse sowie die mediterrane Ernährung mit Olivenöl, Früchten, Nüssen und Gemüse wirkt sich positiv auf die Stimmung aus – über die Stärkung des Mikrobioms.

Es gibt immer mehr Hinweise aus wissenschaftlichen Studien, dass sich das Mikrobiom im Darm auf das Verhalten, die Stimmung und das Denkvermögen auswirkt. Wahrscheinlich kann das Mikrobiom Tausende verschiedener biologisch aktiver Substanzen herstellen, u. a. Neurotransmitter wie GABA, Dopamin, Serotonin, Oxytocin, Noradrenalin und Acetylcholin.

Ein gestörtes Gleichgewicht in der Darmflora kann evtl. zur Produktion größerer Mengen schädlicher Stoffe führen, die nicht ausreichend
entsorgt werden können, sich somit in Blut und Gehirn anreichern und zu neuropsychiatrischen Beschwerden führen können. Diese lassen sich dann evtl. durch Antibiotika (die auch schädlich auf das Mikrobiom wirken können), vor allem aber durch Präbiotika (unverdauliche Nahrungsbestandteile, die Aktivität und Wachstum günstiger Darmbakterien anregen) oder Probiotika (Nahrungsmittel und Präparate mit speziellen lebenden Bakterien und Hefen) lindern. Bis es gezielte Therapien gibt, dauert es sicher noch (siehe auch weiter unten zum Thema Probiotika).

Stuhltransplantation

Eine schnelle „Reparatur“ bei verändertem Mikrobiom wird durch die fäkale Mikrobiota-Transplantation (Stuhltransplantation) versprochen. Das Mikrobiom eines gesunden Menschen wird dabei per Kapsel auf einen Patienten übertragen. Dies ist allenfalls eine kurzfristige Lösung [3].

Stuhltransplantation

Ist die Stuhltransplantation Erfolgsgeschichte oder uneingelöstes Versprechen? Das muss die Zukunft zeigen. Sie ist übrigens keine neue Erfindung: Schon vor 2500 Jahren war in China „gelbe Suppe“ gebräuchlich. Und die Beduinen versuchten, sich mit Kamelkot zu kurieren. Einen ähnlichen Ansatz verfolgten Rinderzüchter schon vor mindestens 200 Jahren bei ihren kranken Tieren. Heute werden Stuhltransplantationen in der Medizin erfolgreich gegen schwere, mitunter lebensbedrohliche Darmentzündungen durch Clostridium difficile eingesetzt.

Die außergewöhnlichen Behandlungserfolge bei einzelnen Personen deuten darauf hin, dass es eine starke individuelle Komponente beim Mikrobiomtransfer gibt. Eine einheitliche Behandlung mit standardisierten Mikrobiomkapseln ist möglicherweise voreilig.

Als Standardtherapie gegen Fettsucht und deren Begleiterscheinungen eignet sich eine Stuhltransplantation vielleicht nicht, aber man kann evtl. die Darmflora und damit einige physiologische Parameter günstig beeinflussen.

Der Versuch, psychische und neurologische Erkrankungen durch Eingriffe in die Darmflora zu behandeln, könnte auch scheitern, denn Bakterien interagieren auch mit dem Genom des Menschen. Eine möglicherweise perfekte Mischung von Mikroorganismen für den therapeutischen Einsatz würde vielleicht sogar vom Körper abgestoßen werden und dieser zu seinem vorherigen eigenen Gleichgewicht zurückkehren.

Darm und Übergewicht

Neben dem Lebensstil und den Genen rückt die Zusammensetzung der Darmflora seit einigen Jahren in den Fokus der Aufmerksamkeit hinsichtlich der Fettleibigkeit. Untersuchungen an Labormäusen zeigten, dass sich deren Gewicht über Darmbakterien manipulieren lässt.

2004 wurde erstmals ein Einfluss der Darmbesiedlung auf die Entstehung von Adipositas publiziert, vorwiegend mit sterilen und normalen Mäusen. Ein erstaunliches Ergebnis ergab die Übertragung eines einzigen aus dem Kot eines fettleibigen Menschen isolierten Bakteriums ( Enterobacter chloacae B29) auf sterile Mäuse, die danach mit fettreichem Futter auch dick wurden. Auch ein umgekehrter Effekt konnte nachgewiesen werden. Ferner gibt es Hinweise auf Unterschiede in der Darmflora zwischen guten und schlechten „Futterverwertern“.

Studien mit Menschen zeigen widersprüchliche Ergebnisse. Insgesamt scheint es keine enge Beziehung zwischen einer bestimmten Art von Mikrobiota und Adipositas zu geben. Ob die festgestellten Unterschiede Ursache oder Folge von Fettleibigkeit sind, bleibt ungewiss.

Das Modell der keimfreien Mäuse wird mittlerweile auch nicht mehr als ideal angesehen, es spiegelt nicht unbedingt das Geschehen einer normalen Darmflora wider. Der Darm ist auch die größte Hormondrüse des Körpers. Die enteroendokrinen Zellen schütten mehr als 20 Hormone aus, die u. a. die Nahrungsaufnahme, die Sekretion von Verdauungsenzymen und die Darmbeweglichkeit beeinflussen. So produziert z. B. das Darmbakterium Escherichia coli spezielle Proteine, die Darmzellen dazu anregen, Sättigungshormone in die Blutbahn abzugeben [1].

Merke

Bakterielle Proteine beeinflussen das Essverhalten über den Hormonspiegel von Sättigungshormonen.

Kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, Propionat und Butyrat übernehmen im Körper vielfältige wichtige Aufgaben: Sie regen die Durchblutung der Darmschleimhaut an, wirken entzündungshemmend, senken das Risiko für Autoimmunerkrankungen und Allergien, schaffen ein gesundes Darmklima, dichten die Darmbarriere ab, reduzieren das Hungergefühl u.a.m. Sie entstehen im Darm durch den bakteriellen Abbau pflanzlicher Ballaststoffe (Präbiotika), gelangen leicht durch die Darmwand in die Blutbahn und kommen überall hin. Bei einem Mangel steigt das Risiko für viele Erkrankungen an. Es gibt erste reproduzierbare Studien zu Zusammenhängen zwischen der Aufnahme pflanzlicher Lebensmittel, günstigen Bakterienarten und Gesundheitsmarkern wie Blutzucker, Blutfett oder Entzündungsmarkern.

Was nützt dem Mikrobiom?

Ein gutes Mikrobiom ist vor allem vielfältig. Nur rund 10 % seiner Zusammensetzung sind genetisch festgelegt, den Rest können wir beeinflussen. Ungünstig auf die Vielfalt wirken Antibiotika, jede Form der Darmreinigung, Abführmittel und Magensäureblocker, zu viel Hygiene und die Verwendung desinfizierender Haushaltsreiniger, eine ballaststoff arme Ernährung, Stress, Ängste und Depressionen. Kaiserschnittbabys und „Flaschenkinder“ weisen ebenfalls eine geringe Diversität auf.

Welche der ca. 1500 potenziellen Arten sich in und auf uns ansiedeln, hängt von vielen Faktoren ab. Auf natürlichem Weg geborene Kinder und gestillte Babys entwickeln eine andere und als gesünder geltende Flora als Flaschenkinder. Bauernhof, Hund und Großfamilie sind günstig [ 1 ] .

Ernährung

Ganz allgemein ist die Ernährung entscheidend, um das Mikrobiom im Darm vielfältig und damit gesund und widerstandsfähig zu halten. Ein hoher Zuckerkonsum scheint negative Veränderungen des Mikrobioms zu verursachen – Veränderungen des Bakteriengleichgewichts, Erhöhung der Durchlässigkeit des Darms, Beeinträchtigung der Immunfunktion [5].

Hülsenfrüchte, Gemüse, Früchte, Beeren, Vollkornprodukte und fermentierte Lebensmittel (Joghurt, Kefir, verschiedene Käse, saure Gurken, Sauerkraut, Kimchi, Produkte auf Sojabasis wie Miso) fördern die Vielfalt im Darm.

Präbiotische Ballaststoffe (Kohlenhydrate, die weitgehend unverändert in den Dickdarm gelangen und von den dort ansässigen Mikroorganismen metabolisiert werden) sind essenziell für eine gesunde Entwicklung der Darmflora.

Muttermilch ist das erste präbiotikareiche Lebensmittel, das die Bakterienbesiedlung des jungen Darms voranbringt. Später fördern Präbiotika aus Pflanzenkost ein gesundes Mikrobiom.

Merke

Jeder präbiotische Ballaststoff fördert andere Bakterien; abwechslungsreiches Essen ist also wichtig.

Der völlige Verzicht auf Gluten reduziert die Zahl wichtiger Mikroorganismen.

Inulin (in Pastinaken, Topinambur, Chicorée, Knoblauch) stärkt Bifi dobakterien und Bacteroideta und kann Clostridien zurückdrängen. Fructooligosaccharide (in Bier, Bananen, Haferflocken, Roggen, Spargel, Tomaten) unterstützen Faecalibacterium prausnitzii und Lactobacillus -Arten.

Bestimmte Bakterien werden vermehrt im Darm von Hochbetagten gefunden ( Ruminococcus, Eubacterium limosum , Akkermansia
muciniphila , Faecalibacterium prausnitzii, Christensenella ). Manche dieser Keime zersetzen Ballaststoffe und die entstehenden Produkte wirken sich positiv auf Fitness und Gesundheit aus. Bei einer Low-Carb-Ernährung mit einem hohen Eiweißanteil nimmt deren Anteil ab. Andere Keime scheinen Alterungsvorgänge zu beschleunigen.

Das Mikrobiom liebt mediterrane Kost mit Gemüse, pflanzlichen Ölen, Fisch, Getreide, Knoblauch, Hülsenfrüchten, Espresso, Mokka und Rotwein – eine solche Kost fördert die Milchsäurebakterien.

Akazienfasern stärken Bifi dobakterien. Resistente Stärke (in abgekühlten Kartoffeln, grünen Bananen) fördert Butyrat-bildende Mikroorganismen. 

Bewegung

Das Mikrobiom entwickelt sich besser, wenn man körperlich aktiv ist. Alltagsbewegung wie regelmäßiges schnelles Gehen setzt positive Impulse.

Bakterien können auch die Leistungsfähigkeit von Sportlern beeinflussen. Mehrere Studien zeigen, dass körperliche Fitness mit einer größeren mikrobiellen Vielfalt verbunden ist. Wer regelmäßig trainiert, schafft z. B. eine metabolische Nische für Laktat verwertende
Bakterien wie Veillonella.

Merke

Ein leichtes Sportprogramm steigerte in Studien den Butyratspiegel im Kot und die Vielfalt des Mikrobioms.

Nicht zu viel Hygiene

Häufiges Duschen, der Gebrauch von Desinfektionsmitteln im heimischen Umfeld, zu viele Antibiotika, das Leben in Kleinfamilien und im städtischen Umfeld führen zu einem Rückgang der mikrobiellen Vielfalt im Darm.

Genussmittel!

Unser Mikrobiom profitiert auch von Schutzstoffen, wie sie in Beeren, Kaffee, dunkler Schokolade, Espresso, Fruchtsäften oder Rotwein vorkommen. Dies sind insbesondere polyphenolische Verbindungen.

Pflanzliche Polyphenole kommen außerdem besonders viel in Grünkohl, Brokkoli, frischen Beeren, Vollkornmehl, Trauben, Kirschen, Äpfeln und Birnen vor. Häufig müssen sie aber erst durch Bakterien fermentiert werden.

Probiotika zuführen?

Die gezielte Einnahme von Probiotika (lebende Mikroorganismen) wird kontrovers diskutiert. So gibt es Berichte, dass durch die Zufuhr von Bifi dobakterien, Lactobacillen, E. coli , Enterokokken und einigen Streptococcus-Arten z. B. Reizdarmbeschwerden, antibiotikaassoziierte Durchfälle, Allergien, Übergewicht u. a. beeinfl usst werden können. Wichtig sei die Auswahl geeigneter Stämme und eine ausreichend lange Behandlung. Die Wirksamkeit probiotischer Präparate lässt sich offensichtlich durch präbiotische Ballaststoffe verstärken.

Probiotika wirken wahrscheinlich auf 3 Wegen:

  • Sie verstoff wechseln Teile der Nahrung und erzeugen dabei Substanzen (z. B. Vitamine), die in die Blutbahn gelangen und von dort aus im zentralen Nervensystem wirken können.
  • Sie können Botenstoffe aussenden, die Nerven in der Darmwand stimulieren und damit ein Signal direkt zum Gehirn senden.
  • Sie wirken über das Immunsystem, indem dieses auf das neue Bakterium mit eigenen Botenstoffen reagiert.

Untersuchungen beim Menschen hierzu stehen noch ganz am Anfang.

Andere Arbeitsgruppen meinen, dass sich Probiotika bisher nicht bewährt haben und es keine Beweise gäbe, dass die aufgereinigten Darmbakterien tatsächlich gesundheitsfördernd seien. Es könne sogar zu Dünndarmfehlbesiedlungen kommen.

Merke

Probiotika sollten nicht als Nahrungsergänzungsmittel, sondern als Arzneimittel betrachtet werden.

Weitere Forschungen auf diesem Gebiet können aber möglicherweise zur sehr spezifischen Therapie diverser Leiden beitragen. So könnte evtl. Bacteroides fragilis in Zukunft Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa lindern. Das Bakterium sondert nämlich Zuckermoleküle ab, die die Darmzellen zur Bildung von antientzündlichen Stoffen stimulieren. Vermutlich lässt sich auch die Wirkung von Krebsimmuntherapien durch bestimmte Darmbakterien verbessern.

Interaktion mit Medikamenten

Etwa ein Viertel aller Medikamente stört das Wachstum bestimmter Darmbakterien. Welche Auswirkungen das auf unsere Gesundheit hat, ist noch weitgehend unklar. Umgekehrt hängt die Wirksamkeit von Medikamenten vermutlich auch vom Mikrobiom ab, von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Nicht nur unsere eigenen Enzyme, auch die der Bakterien sind an unserem gesamten Stoff wechsel beteiligt. Sie können somit pharmakologische Wirkstoffe „wegfuttern“, bevor sie wirken, oder Stoff wechselprodukte produzieren, die zu unerwünschten Nebenwirkungen führen können.

Fazit

Das Thema Mikrobiom ist interessant und zukunftsträchtig, aber die bisherigen Erkenntnisse sind noch zu spekulativ. Es handelt sich derzeit sicher auch um einen gewissen Hype zu diesem Thema. Zudem kann es Interessenkonflikte geben, wenn z. B. die untersuchenden Labore auch Probiotika verkaufen. Wie ein gesundes Mikrobiom wirklich aussieht, lässt sich noch nicht definieren. 500 oder 1000 Euro für eine Mikrobiomanalyse sollte keiner ausgeben, denn die Interpretationen laufen letztendlich auf die 10 Grundregeln der Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hinaus.

Dr. Sabine Wenzel

[1] Anonymus; diverse. Das Mikrobiom. Wie die Darmflora die Gesundheit beeinflusst; und: Das Mikrobiom. Vielseitige Darmflora. Spektrum der Wissenschaft Kompakt 27. 6. 2016, 25. 2. 2019 und 28. 2. 2022
[2] Uhrig S. Depression: Gesundes Mikrobiom, glücklicher Mensch? DocCheck-Artikel vom 2. 5. 22
[3] Reinberger S. Unsere Freunde aus dem Darm. National Geographic März. 2022 Google Scholar
[4] Bäuerlein B, Dexheimer I. Der Zuckerkompass. Stuttgart: Trias/Thieme; 2022 Google Scholar
[5] Axt-Gadermann M. Gesund mit Darm. München: Südwest Verlag/Penguin Random House; 2021