DarmmikrobiotaDas Mikrobiom und die Pflanzen

Die Ernährung spielt eine wichtige Rolle bei der Ausprägung der individuellen Mikrobiota. Betrachten Sie die Zusammenhänge von mikrobieller Besiedlung und pflanzlichen Ernährungseinflüssen. 

Darm aus blauer Knete geformt auf weißem Hintergrund.
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von Andreas Schwiertz

Die Darmmikrobiota

Die menschliche Mikrobiota besteht aus 10 bis 100 Billionen Mikroorganismen, eine Zahl, die mindestens zehnmal höher ist, als der menschliche Körper Zellen hat. Dies bedeutet, dass der Homo sapiens zu 10% aus menschlichen und zu 90% aus mikrobiellen Zellen besteht. Noch frappierender wird es, wenn man die genetische Ausstattung betrachtet. So besitzt der Mensch überraschend wenig Gene, nämlich nur etwa 25500. Ein Wasserfloh bringt es auf rund 30000 Gene. Extrapoliert man alle Gene, der den Menschen besiedelnden Mikroorganismen, so verfügen diese zusammengenommen über rund 3,3 Millionen Gene – 150-mal mehr als der Mensch selbst [1]. Mehr als 99% der Erbinformationen gehören zu Bakterien, der Rest stammt von anderen Mikroben und Viren. Der Mensch hat im Lauf der Evolution vermutlich weit mehr als 100 Gene von diesen Mikroorganismen übernommen. Daraus wird ersichtlich, dass die Komplexität des Homo sapiens nicht allein auf die Menge seiner Erbanlagen zurückzuführen ist.

Abkürzungen

SCFA short chain fatty acids (kurzkettige Fettsäuren)

PD Parkinson’s disease

Intestinale mikrobielle Systematik und metabolische Bedeutung

Häufig werden zwei Begriffe synonym benutzt, obwohl sie es nicht sind. So definiert der Begriff Mikrobiom die Gesamtheit der Mikroben des Ökosystems, ihre Gene und ihre Stoffwechselprodukte, der Begriff Mikrobiota alle in einem Ökosystem befindlichen Mikroorganismen. Die den menschlichen Darm dominierenden Bakterien werden mehreren Stämmen zugeordnet. Hierbei ist gemäß der biologischen Systematik der Stamm oder Phylum (Mehrzahl Phyla) eine hierarchische Rangstufe der Taxonomie. Die Phyla Firmicutes (hierzu zählen auch Laktobazillen, Enterokokken und Clostridien) sowie Bacteroidetes dominieren mit bis zu 90%, weitere Stämme sind Actinobacteria (hierzu zählen die Bifidobakterien), Verrucomicrobia und Proteobacteria (hierzu zählen Enterobacteriacae wie z. B. E. coli) [1] [2].

Heute ist allgemein anerkannt, dass diese Bakterien wichtige immunologische, metabolische und biologische Funktionen, die nicht von unserem menschlichen Stoffwechsel durchgeführt werden, übernehmen. So stehen z. B. für den Abbau von Kohlenhydraten dem Menschen etwas über 10 Enzyme zur Verfügung, manche Darmbakterien produzieren dagegen mehr als 200 Enzyme allein für den Kohlenhydratabbau [1] [3].

Funktionell besteht die entscheidende Rolle der Mikrobiota darin, die Verdauung von Nahrungsmitteln zu verbessern, Nährstoffe aufzunehmen, Abfallprodukte zu entfernen und vor dem Eindringen pathogener Bakterien zu schützen. Der Schutzmechanismus wirkt zusammen mit anderen Zellen als Barriere auf Darmepithelzellen. Darüber hinaus schützt die Darmmikrobiota vor Krankheitserregern, indem sie deren Anheftung ans Epithel behindert und deren Wachstum durch Nährstoffwettbewerb hemmt. Die Mikrobiota ist am Abbau von Arzneimitteln, der Entgiftung exogener Toxine und der Synthese essenzieller Vitamine wie B1, B2, B5, B6, B12, K, Folsäure und der Dekonjugation von Gallensäuren beteiligt. Weiterhin fermentiert sie unverdauliche Kohlenhydrate und deckt mit den dabei entstandenen kurzkettigen Fettsäuren (Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure, engl. short chain fatty acids [SCFA]) 5–10% des täglichen menschlichen Energiebedarfs [4].

Mikrobiota und Erkrankungen

Störungen der Mikrobiota können chronische Erkrankungen begünstigen oder sogar verursachen. Der Einfluss der Bakterien reicht dabei weit über den Darm hinaus, da sie auf unseren Stoffwechsel und auf das Immunsystem einwirken. Eine Reihe von Erkrankungen wird mittlerweile mit Veränderungen der Mikrobiota in Zusammenhang gebracht. Hierzu zählen das Reizdarmsyndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Übergewicht, Insulinresistenz, Diabetes mellitus Typ 2 und neurologische Erkrankungen [5] [6] [7] [8] [9] [10].

Die Verbindung zwischen Darm und Gehirn, die sog. Darm-Hirn-Achse, und das Nervensystem des Darms haben in den vergangenen Jahren zunehmendes wissenschaftliches Interesse gefunden. Die Kommunikationswege zwischen beiden Organen sind vielfältig und finden sowohl über neuronale Verbindungen als auch über immunvermittelte Prozesse und die Ausschüttung von Signalmolekülen statt. Für die beiden letztgenannten Mechanismen spielen Darmbakterien eine wichtige Rolle, weshalb inzwischen häufig von der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse gesprochen wird. Zusätzlich könnten Darmbakterien als eine pro-inflammatorische Komponente im Rahmen der Pathogenese des idiopathischen Parkinson-Syndroms mitverantwortlich sein. Neue Studien zeigen außerdem eindrucksvoll, dass Darmbakterien die Bioverfügbarkeit der oralen Medikation relevant beeinflussen können.

Ernährung und Mikrobiota

Unter dem Begriff „Ernährung“ wird im Allgemeinen die Aufnahme von Lebensmitteln und darin enthaltener Nährstoffe verstanden. Eine bedarfsgerechte Energie- und Nährstoffaufnahme resultiert im Ernährungsverhalten und manifestiert sich in verschiedenen Ernährungsformen. Eine stark auf pflanzliche Bestandteile ausgerichtete Ernährung wird im Allgemeinen als „gesundheitspräventiv“ angesehen, begründet durch den meist daraus resultierenden niedrigeren Body-Mass-Index, das höhere Aktivitätsverhalten sowie den selteneren Konsum oder den Verzicht auf Alkohol und Nikotin ihrer Vertreter gegenüber der Restbevölkerung. Der häufigere Verzehr von Obst und Gemüse und die damit verbundene höhere Aufnahme antioxidativer Substanzen wie Vitamin E und C sowie von Ballaststoffen werden als ursächlich für deren gesundheitsfördernde Wirkung erachtet.

Hat die Ernährungsform eine Auswirkung auf die intestinale Mikrobiota? Im Jahr 2011 wurde erstmals der Begriff „Enterotyp“ in Bezug auf Ernährung und die menschlichen Darmmikrobiota genutzt [11]. Der Begriff Enterotyp bezieht sich dabei auf drei verschiedene Cluster, die jeweils von einer dominierenden bakteriellen Gattung geprägt werden. Dazu gehören

  • Bacteroides (Enterotyp 1, Ernährung reich an tierischem Fett und Proteinen),
  • Prevotella (Enterotyp 2, Ernährung reich an Ballaststoffen) und
  • Ruminococcus (Enterotyp 3, Mischköstler).

In den letzten Jahren und mit zunehmender Anzahl diesbezüglicher Studien sind jedoch auch Zweifel an der Existenz und Robustheit von Enterotypen aufgekommen. So variiert die Anzahl der Enterotypen, wenn unterschiedliche Methoden selbst bei gleichen Proben angewendet werden. Deshalb wird das Vorhandensein eines definierten Enterotyps mittlerweile angezweifelt [12].

Im letzten Jahrzehnt haben sich Studien gehäuft, die zeigen, dass der westliche Lebensstil unsere Mikrobiota verändert [13] [14]. Einige Bakterienarten verschwinden sogar auf nicht mehr nachweisbares Niveau. Heute ist klar: Je weiter die Ernährung der Menschen von einer westlichen Ernährung entfernt ist, desto größer ist die Vielfalt der Mikroben, die sie in ihrem Darm haben [15]. In gewisser Weise verdrängt die westliche Ernährung – ballaststoffarm und reich an raffiniertem Zucker – Bakterienarten aus unserem Darm.

Mikrobiota, Ernährung und neurodegenerative Erkrankungen am Beispiel Morbus Parkinson

Die Parkinson-Krankheit (PD) ist klinisch eine neurodegenerative Erkrankung, gekennzeichnet durch motorische und nicht-motorische Symptome. Das pathohistologische Kennzeichen von PD ist das Vorhandensein von aggregierten Proteinen (Lewy-Körper) im Nervensystem. PD-Patienten zeigen häufig nicht-motorische Symptome, einschließlich Anzeichen und Symptome gastrointestinaler Motilitätsstörungen und Darmentzündungen [16]. Für diese Mechanismen spielen Darmbakterien eine wichtige Rolle, weshalb inzwischen auch häufig von der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse gesprochen wird.

In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Studien publiziert, die sich mit der Frage nach einer Veränderung der Darmmikrobiota bei Parkinson beschäftigt haben. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Mikrobiota bei PD-Patienten von nicht erkrankten Personen signifikant unterscheidet. Interessanterweise gab es trotz erheblicher Unterschiede in der Methodik und den klinischen und epidemiologischen Daten der entsprechenden Kollektive einige überlappende Ergebnisse. So kamen einige Bakterien häufiger bei PD-Patienten vor, hingegen andere seltener. Etwas vereinfacht zusammengefasst deuten die Daten darauf hin, dass bei PD-Patienten eher eine proinflammatorische Mikrobiota dominiert, die weniger kurzkettige Fettsäuren (SCFA) produziert. Den SCFA wird unter anderem eine modulierende Fähigkeit auf die gastrointestinale Motilität, eine stabilisierende Wirkung auf die intestinale Barriere und eine antiinflammatorische Wirkung zugeschrieben. Dies bietet potenzielle Hebel, um therapeutisch und modulierend einzugreifen.

Eine Möglichkeit der Beeinflussung zur erhöhten Bildung von SCFA durch die Mikrobiota ist eine pflanzenbetonte und dadurch ballaststoffreiche Ernährung. Dieser Effekt wurde bei der RESISTA-PD Studie, bei der es sich um eine prospektive Studie über acht Wochen handelte, untersucht [17]. Ein Arm dieser Studie untersuchte eine Ernährungsintervention basierend auf einer Ernährungsberatung nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Ein weiterer Arm erprobte die Gabe von resistenter Stärke (RS) und der dritte Arm war die Kontrollgruppe. Es konnte gezeigt werden, dass eine kontinuierliche Zufuhr von RS (als Nahrungsergänzungsmittel) zu einer Zunahme von Darmbakterien, die RS fermentieren können, führt, was wiederum die Konzentration an Buttersäure erhöhte. Dies korrelierte mit einer Verbesserung der Darmintegrität und einer signifikant verminderten Entzündung, welches wiederum die Aktivität des enteralen Nervensystems und die gastrointestinale Motilität positiv beeinflusst.

Fazit

Neben unseren Genen, der Umwelt und Medikamenteneinnahme spielt hauptsächlich die Ernährung eine Rolle bei der Ausprägung der humanen Mikrobiota. Insbesondere eine ballaststoffreiche Ernährung beeinflusst die Art und Menge der Mikroorganismen im Darm. Ballaststoffe können nur durch Enzyme der im Dickdarm lebenden Bakterien abgebaut und fermentiert werden. Bei der Fermentation werden kurzkettige Fettsäuren (SCFA) freigesetzt. SCFA haben weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit, einschließlich der Stimulierung der Immunzellenaktivität und der Aufrechterhaltung eines normalen Blutzucker- und Cholesterolspiegels. Zahlreiche pflanzliche Inhaltsstoffe wie Inulin, resistente Stärken, Pektine und Fructooligosaccharide unterstützen unsere nützliche Mikrobiota und tragen damit zu einer Verbesserung der Gesundheit bei.

Prof. Dr. rer. nat. habil. Andreas Schwiertz
Leiter Forschung und Entwicklung, Mikrobiologie und Molekularbiologie am MVZ Institut für Mikroökologie GmbH

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

[1] Qin J, Li R, Raes J. et al. A human gut microbial gene catalogue established by metagenomic sequencing. Nature 2010; 464: 59-65 DOI: 10.1038/nature08821.

[2] Eckburg PB, Bik EM, Bernstein CN. et al. Diversity of the human intestinal microbial flora. Science 2005; 308: 1635-1638 DOI: 10.1126/science.1110591.

[3] The Human Microbiome Jumpstart Reference Strains Consortium; . Nelson KE, Weinstock GM. et al. A catalog of reference genomes from the human microbiome. Science 2010; 328: 994-999 DOI: 10.1126/science.1183605.

[4] Cummings JH, Macfarlane GT. Role of intestinal bacteria in nutrient metabolism. JPEN – J Parenter Enteral Nutr 1997; 21: 357-365

[5] Manichanh C, Rigottier-Gois L, Bonnaud E. et al. Reduced diversity of faecal microbiota in Crohn’s disease revealed by a metagenomic approach. Gut 2006; 55: 205-211 DOI: 10.1136/gut.2005.073817.

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[7] Berer K, Mues M, Koutrolos M. et al. Commensal microbiota and myelin autoantigen cooperate to trigger autoimmune demyelination. Nature 2011; 479: 538-541 DOI: 10.1038/nature10554.

[8] Turnbaugh PJ, Ley RE, Mahowald MA. et al. An obesity-associated gut microbiome with increased capacity for energy harvest. Nature 2006; 444: 1027-1031 DOI: 10.1038/nature05414.

[9] Qin J, Li Y, Cai Z. et al. A metagenome-wide association study of gut microbiota in type 2 diabetes. Nature 2012; 490: 55-60 DOI: 10.1038/nature11450.

[10] Henao-Mejia J, Elinav E, Jin C. et al. Inflammasome-mediated dysbiosis regulates progression of NAFLD and obesity. Nature 2012; 482: 179-185 DOI: 10.1038/nature10809.

[11] Arumugam M, Raes J, Pelletier E. et al. Enterotypes of the human gut microbiome. Nature 2011; 473: 174-180 DOI: 10.1038/nature09944.

[12] Cheng M, Ning K. Stereotypes about enterotype: the old and new ideas. Genomics Proteomics Bioinformatics 2019; 17: 4-12 DOI: 10.1016/j.gpb.2018.02.004.

[13] Malesza IJ, Malesza M, Walkowiak J. et al. High-fat, Western-style diet, systemic inflammation, and gut microbiota: a narrative review. Cells 2021; 10: 3164 DOI: 10.3390/cells10113164.

[14] Moles L, Otaegui D. The impact of diet on microbiota evolution and human health. Is diet an adequate tool for microbiota modulation?. Nutrients 2020; 12: 1654 DOI: 10.3390/nu12061654.

[15] Smits SA, Leach J, Sonnenburg ED. et al. Seasonal cycling in the gut microbiome of the Hadza hunter-gatherers of Tanzania. Science 2017; 357: 802-806 DOI: 10.1126/science.aan4834.

[16] Schwiertz A, Spiegel J, Dillmann U. et al. Fecal markers of intestinal inflammation and intestinal permeability are elevated in Parkinson’s disease. Parkinsonism Relat Disord 2018; 50: 104-107 DOI: 10.1016/j.parkreldis.2018.02.022.

[17] Becker A, Pierre Schmartz G, Groger L. et al. Effects of Resistant Starch on Symptoms, Fecal Markers and Gut Microbiota in Parkinson’s Disease – the RESISTA-PD Trial. Genomics Proteomics Bioinformatics 2021; DOI: 10.1016/j.gpb.2021.08.009.