DarmYogatherapie bei Verdauungsbeschwerden

Verdauungsbeschwerden sind ein Symptom der verschiedensten Erkrankungen. Erst nach differenzierter Diagnostik kann beurteilt werden, ob Yogatherapie allein indiziert ist. Lesen Sie, welche Asanas die Verdauung unterstützen.

Drehsitz, Yoga
S. Schneider/Thieme; posed by a model

ardha matyendrasana – Drehsitz

von Hedwig Gupta

Indikationen der Yogatherapie bei Verdauungsbeschwerden

Behandlungsziele der Yogatherapie

Auswahl der Übungen für die Therapie

Beispiele für wichtige Yoga-Übungen bei Verdauungsstörungen

pranayama – die Atemtechniken

Feine Techniken

Zusammenfassung

Literatur

Verdauungsbeschwerden sind ein Symptom der verschiedensten Erkrankungen. Daher ist vor der Therapie dieser Beschwerden zunächst eine differenzierte Diagnostik notwendig. Erst danach sollte beurteilt werden, ob eine Yogatherapie allein oder in Kombination mit anderen therapeutischen Maßnahmen indiziert ist.

Die aus schulmedizinischer Sicht häufigste Störung der Verdauung ist der Reizdarm und gilt als psychosomatisch verursacht. Andere Störungen könnten durch Infektionen oder Entzündungen des Magen-Darm-Systems, Tumoren oder Störungen der passenden Ausschüttung und Zusammensetzung der Verdauungsenzyme sein.

Während bei den rein funktionellen Störungen des Verdauungssystems eine Yogatherapie das einzige therapeutische Instrument sein kann, ist bei den Infektionen oder Enzymmangelsituationen die Yogatherapie ergänzend indiziert. Strukturell bedingte Krankheiten wie Strikturen, Fisteln, Tumoren etc. verlangen zunächst eine Behandlung der Strukturursachen.

Das dem Yoga kulturhistorisch am nächsten stehende Medizinsystem ist der Ayurveda. Die wichtigsten Erkrankungen mit Verdauungsstörungen aus ayurvedischer Sicht sind:

  • agnimandya, die Störung von agni, dem Verdauungsfeuer, das nicht in der Lage ist, die aufgenommene Nahrung vollständig und in adäquater Zeit aufzuspalten,
  • ajirna, die chronische Verdauungsschwäche, die dazu führt, dass nur teilverdaute Nahrung aufgenommen wird, die den Körper blockiert und
  • alasaka, die Störung, bei der der aufgenommene Nahrungsbei nicht vorangetragen wird, sondern im Magen und Dünndarm stehen bleibt und vergärt.

Je nachdem, ob diese Erkrankungen durch die Dominanz von vata, pitta oder kapha verursacht werden, steht in der Symptomatik eher der Schmerz und die Blähungen, die Übersäuerung und das Brennen oder die Schleimigkeit und die Schwere im Vordergrund. Bei allen diesen Erkrankungen kann der Yoga sinnvoll und gezielt therapeutisch eingesetzt werden. 

Arbeitet man yogatherapeutisch, so liegt es nahe, die Behandlungsziele aus der Logik von drei Systemen zu entwickeln.

Eine ist die schulmedizinische Logik: Hier geht es darum, die Funktion des Darmes zu normalisieren, durch Druck und Zug auf die Bauchorgane, das vegetative Nervensystem zu entlasten und eventuell vorhandene psychische Belastungen zu reduzieren.

In der ayurvedischen Logik sollte bei Verdauungsbeschwerden der agni, das Verdauungsfeuer, gefördert werden. Dazu sollte samana-vayu, die Form von vata, die die Propulsion im Magen-Darm-Trakt kontrolliert, stabilisiert werden. Das große Kanalsystem des Magen-Darm-Trakts sollte in seiner Funktion gefördert und die Nahrungsaufnahme dem Hunger und der Verdauungskapazität angepasst werden.

Die dritte Logik ergibt sich aus den yogischen Konzepten selbst: Hier spielt der Fluss der Lebensenergie „prana“ eine bedeutende Rolle, die harmonische Funktion der cakras, die mit der Verdauung zu tun haben wie dem Nabel- und dem Wurzel-cakra sowie der verschiedenen koshas, der Hüllen des Seins sowie des Geistes.

Grundsätzlich sind alle Techniken des Yoga in der Therapie geeignet, wobei die Übungen je nach Störung und individuell angepasst werden müssen. Liegt z.B. eine Überfunktion vor wie Durchfall, dann sollte Ruhe etabliert werden. Bei Trägheit und Schwere dagegen sollte aktiviert und bewegt werden.

agni steigert man in der Yogatherapie über Dreh-asanas, Wechsel der Vor- und Rückbeuge, aktivierende asanas, Feueratemtechniken, rot-gelbes Visualisieren, mantra etc. Dabei sollte man darauf achten, dass der Patient sich nicht überfordert. Ein im Yoga erfahrener Patient kann komplexere asanas durchführen als ein Anfänger. 

Die Mitte sollte gestärkt werden. Unterstützt wird das durch das Spüren der Mitte und des Getragen-Seins, mit Balance-Haltungen, mit bewusstem Aus-der-Mitte-Gehen und wieder hinein, mit den feinen Techniken und der Wechselatmung.

Zum Aufbauen sollte darauf geachtet werden, dass immer wieder angefordert und dann in Ruhe den Aufbau zu erspürt wird. Auch hier ist Visualisation und Affirmation sinnvoll. Ebenso erdende mantras. Standhaltungen und Halte-asanas.

Beim Dickdarm spielen das Abgeben und Loslassen eine große Rolle. Dabei sind hier Stand- und Sitzhaltungen hilfreich, mudras wie ashvini-mudra, Affirmationen des Lösens, der Ermutigung und des Vertrauens zentral. Auch kriyas wie nauli und basti sind äußerst effektiv.

Die Effektivität der Yogatherapie bei funktionellen Verdauungsstörungen wurde in verschiedenen Studien untersucht und bestätigt.

Die Wirkungen und Indikationen der einzelnen yogischen Übungen sind in klassischen mittelalterlichen Yogawerken wie in der Hathayogapradipika (HYP) oder der Gherandasa~hita (GS) beschrieben.

Ein therapeutisch sinnvolles Setting beinhaltet ausgleichende Übungen aus verschiedenen Gliedern, die dem Individuum, seiner Übungspraxis und seiner Krankheit entsprechen.

asanas – die Körperübungen

Hier kombiniert man ein ausgeglichenes Konzept von Vorbeugung, Rückbeugung und Drehung, wie beispielsweise mit den folgenden drei asanas:

pashcimottasana – Vorbeuge im Sitzen

Beschreibung

Im Langsitz wird das Becken gut aufgerichtet. Wir strecken die Wirbelsäule und die Hände nach oben und richten uns gut auf. Ausatmend beugen wir uns mit langem Rücken vor und fassen, wenn möglich, die großen Zehen bei gestreckten Knien an. Wir halten die Vorbeuge über einige Atemzüge und richten uns einatmend wieder auf.

Wirkung

Bei dieser Übung werden die Bauchmuskeln aktiviert und gestärkt und der Bauchraum immer wieder komprimiert und gelöst. Dieses fördert die Propulsion und die Ausscheidung.

"Dieses pashcimottasana trägt den Wind (vata) vom vorderen zum hinteren Anteil des Körpers (zu den Energiebahnen des Rückens). Es fördert agni (das Verdauungsfeuer), vermindert Übergewicht und heilt alle Erkrankungen der Menschen."  [HYP 1: 31]

mayurasana – Pfauenhaltung 

Beschreibung

Stellen Sie beide Hände auf den Boden so auf, dass beide Ellenbogen nebeneinander senkrecht darüber zu Stehen kommen. Dann stützen Sie die Ellenbogen neben dem Bauchnabel ab und strecken einatmend den Körper, sodass er wie ein umgekehrter Halbbogen auf den Ellenbogen balanciert. Atmen Sie ruhig einige Atemzüge in dieser Haltung bevor Sie sie wieder auflösen.

Wirkung

Dies ist eine fortgeschrittene Übung, die viel Körperbeherrschung und Balance verlangt. Darüber, dass die Vorderseite gedehnt wird und gleichzeitig die Ellenbogen in den Bauch drücken, wird der Bauchinhalt komprimiert. Der Druck auf den Nabel aktiviert aus vedischer Sicht das Nabel-cakra, das für die Regulation des agni, des Stoffwechsels und Verdauungsprozesses zuständig ist. 

"Dieses asana zerstört alle Erkrankungen und entfernt Bauchkrankheiten und auch die, die von Unregelmäßigkeiten von kapha, pitta und vata hervorgerufen werden. Es verdaut ungesunde Ernährung, die im Übermaß aufgenommen wurde, fördert den Appetit und zerstört das maximal tödliche Gift." [HYP 1: 33]

Adaptation oder Variation

Ein Anfänger oder ein Mensch mit Erkrankungen der Handgelenke kann diese Übung nicht ausführen. Er möge dann eher das asana adaptieren zum supta-dhanurasana, dem liegenden Bogen, bei dem man aus der Bauchlage jeweils mit den Händen die Knöchel der gleichen Seite festhält und dann einatmend Arme und Beine so anspannt, dass der Körper sich ab dem Bauchnabel nach oben und ab den Hüften nach unten vom Boden abhebt. 

ardha matyendrasana – Drehsitz

Beschreibung

Aus dem Fersensitz kommend setzen Sie das Becken links neben die Füße. Heben Sie das linke Bein über das rechte und stellen den Fuß rechts neben das rechte Knie. Richten Sie die Wirbelsäule auf, stabilisieren das Becken gut auf dem Boden und drehen Sie einatmend mit horizontal abgespreizten Armen den Oberkörper und den Kopf achtsam nach links. Wenn Sie nach hinten blicken, stützen Sie sich mit dem linken Arm hinter dem Gesäß ab und mit der rechten Hand umfassen Sie von innen kommend den linken Knöchel. Verbleiben Sie einige Atemzüge in dieser Position und drehen Sie ausatmend wieder zurück. Wiederholen Sie die Übung mit der Gegenseite.

Wirkung

Durch die Eindrehung und Ausdrehung wird das Volumen vom Bauchraum immer wieder verengt und erweitert. Dies aktiviert die Reinigungsimpulse. Aus vedischer Sicht stimuliert dies die Aktivität des Nabel-cakras und tonisiert den prana-Fluss.

Hier kombiniert man ausgleichende Vollatmungsformen mit feurigen Atemtechniken wie zum Beispiel:

bhastrika-pranayama – Blasebalg-Atmung

Beschreibung

Im bequemen Schneidersitz oder Fersensitz wird die Wirbelsäule gut aufgerichtet und die Hände auf dem Oberschenkel abgestützt. Bei geschlossenem Mund wird kraftvoll und zügig durch die Nase ein- und ausgeatmet. 

Wirkung

Durch den intensiv forcierten Atem wird ein wechselnder Unter- und Überdruck im Thorax und im Abdomen hervorgerufen. Dadurch wird das sympathische Nervensystem aktiviert und alle Bewegung in den inneren Organen beschleunigt.

Klassisch wird die Wirkung wie folgt beschrieben: „... Dies zerstört vata, pitta und kapha und steigert den agni (Verdauungsfeuer). Es erweckt schnell die kundalini (das Aufsteigen von prana in der Wirbelsäule), reinigt das System, gibt Freude und ist wohltuend. Es zerstört Schleim und Unreinheiten im Eingang von brahma-nadi (einem feinstofflichen Energiekanal).“  [HYP 2: 66 - 67]

Variation

Wer noch mehr Hitze erzeugen möchte, kann durch das rechte Nasenloch ein- und das linke Nasenloch ausatmen.

Feine Techniken wie Reinigungstechniken, Verschlussübungen, mudras (yogische Siegel), mantras (yogische Klänge) oder Meditationsformen sollten ein Übungskonzept abrunden. Zum Beispiel:

uddiyana-bandha - der mittlere Verschluss

Beschreibung

Sitzen Sie stabil und aufrecht und legen Sie die Hände entspannt auf die Oberschenkel. Atmen Sie aus, drücken Sie das Kinn auf das Jugulum und ziehen den Bauchnabel nach innen gegen die Wirbelsäule. Halten Sie den Bauchnabel fest an der Wirbelsäule und beobachten die Atemstille, solange es Ihnen angenehm ist. Dann lösen Sie den mittleren Verschluss.

Wirkung

Das Zwerchfell wird in den Thorax gezogen, im Bauch entsteht ein Druck durch die Bauchmuskeln. Von dieser Übung heißt es, dass sie Verstopfung, Fehlverdauen, Übersäuerung, Wurmerkrankungen und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes behandelt, weil es agni stimuliert und alle Bauchorgane tonisiert. In den mittelalterlichen Klassikern heißt es sogar, dass es den Alterungsprozess umkehrt und den Übenden vom Tod bewahrt.

„Der, der diese uddiyana-bandha ohne Unterlass übt, besiegt den Tod. ..“ [GS 3: 10]

Yoga ist nicht nur eine Übungsmethode, sondern auch ein potentes therapeutisches Instrument. Die Förderung der regelrechten Verdauung und die Linderung von Verdauungsstörungen wird durch verschiedene Yoga-Übungen erreicht, wie man auch in klassischen Yogaschriften aus dem Mittelalter ersehen kann. Die positive Wirkung auf Erkrankungen des Verdauungssystem wurde auch in klinischen Studien nachgewiesen.

Bei der therapeutischen Yogapraxis sollte man zunächst eine sichere Diagnose stellen und dann, am besten aus der Sicht von Schulmedizin und Ayurveda, ein therapeutisches Konzept entwickeln, das eine kurze, ausgeglichene Übungsreihe mit Übungen aus verschiedenen Yogagliedern enthält.

Die Yogapraxis sollte regelmäßig geübt werden.

Klassische Beschreibungen der ayurvedischen Erkrankungen
  • agnimandya - Ca. Sa. Ci. 15, M.N. 6
  • ajirna - Ca. Sa. Ci. 15, Su. Sa. Su.46, Asht. H&. Su. 8, M.N. 6
  • alasaka - Su. Sa. Ut. 56, Asht. H&. Su. 8, M.N. 6
Studien und Reviews zu Yogatherapie bei Verdauungsstörungen

Taneja I, Deepak KK, Poojary G et al. Yogic versus conventional treatment in diarrhea-predominant irritable bowel syndrome: a randomized control study. Appl Psychophysiol Biofeedback 2004; 29: 19–33

Schumann D, Anheyer D, Lauche R et al. Effect of Yoga in the Therapy of Irritable Bowel Syndrome: A Systematic Review. Clin Gastroenterol Hepatol 2016; 14: 1720–1731

 Zhou C, Zhao E, Li Y, Jia Y, Li F. Exercise therapy of patients with irritable bowel syndrome: A systematic review of randomized controlled trials. Neurogastroenterol Motil 2019; 3: e13461

Cramer H, Schäfer M, Schöls M et al. Randomised clinical trial: yoga vs written self-care advice for ulcerative colitis. Aliment Pharmacol Ther 2017; 45: 1379–1389

Ewais T, Begun J, Kenny M et al. A systematic review and meta-analysis of mindfulness based interventions and yoga in inflammatory bowel disease. J Psychosom Res 2019; 116: 44–53

Cramer H, Pokhrel B, Fester C et al. A randomized controlled bicenter trial of yoga for patients with colorectal cancer. Psychooncology 2016; 25: 412–420

Dr. med. Hedwig H. Gupta
Fachärztin für Orthopädie und Rheumatologie,
Ayurveda, therapeutischer Yoga, Akupunktur, manuelle Medizin
Leiterin der vidya sagar Akademie für Ayurveda und Yogatherapie
Lammstr. 1, 71679 Asperg
www.vidya-sagar.de