AromatherapieVon riechenden Zellen

Der Fötus beginnt schon im Mutterleib, die Aromen wahrzunehmen, die seine Mutter über die Nahrung aufnimmt. Neben den Riechzellen in der Nase verfügen vermutlich alle anderen Zellen unseres Körpers ebenfalls über Duftrezeptoren. Bestimmte Riechstoffe können Krebszellen beeinflussen. Sie unterstützen z.B. das Absterben von Tumorzellen oder hemmen die Teilung von Krebszellen.

Frau riecht an einem kleinen Fläschchen aus Braunglas mit einem Duftöl.
Маргарита Манухо/stock.adobe.com; posed by a model

von Eliane Zimmermann

Nicht nur unsere Nase kann riechen, auch die Zellen verschiedener Organe und selbst Krebszellen reagieren auf RIECHSTOFFE.

Inhalt

Früh übt sich …

Die Nase ist nicht allein

Auch Lunge und Herz riechen

Krebszellen mögen Düfte gar nicht

Düfte beeinflussen reziprokes Verhalten

Fazit

Ein Patient hat Rückenschmerzen. Wie entscheiden Sie, welche ätherischen Öle beziehungsweise Ölmischungen Sie für die Behandlung auswählen? Je nach Therapieziel, ob Sie zum Beispiel eher auf eine Mehrdurchblutung abzielen oder Entspannung, gibt es von Pfeffer- bis Mandarinenöl viele Alternativen. Nach bald drei Jahrzehnten Erfahrung in der Anwendung ätherischer Öle gehe ich immer mehr dazu über, den Patienten mit in den Auswahlprozess einzubeziehen. Denn er bringt ein Set ganz besonderer Auswahlinstrumente mit in die Praxis: Die Nase sowie diverse Zellen im Körper reagieren auf das per Riechtest angebotene ätherische Öl unmittelbar. Der Patient kann Ihnen sofort zurückmelden, ob er einen Duft mag und dieser in ihm zum Beispiel ein Gefühl der Entspannung oder Freude auslöst – oder nicht.

Früh übt sich …

Die Nase ist mit mehreren Millionen Riechzellen ausgestattet. Diese sind mit unzähligen Rezeptoren bestückt. Jeweils etwa 100 000 dieser Rezeptoren sind auf das Erkennen eines einzigen Duftes spezialisiert. Ab etwa der 28. Schwangerschaftswoche sind die Riechzellen beim Fötus aktiv. Also kann der kleine Mensch bereits im Mutterleib mithilfe seiner Nase Geruchsaber auch Geschmacksvorlieben entwickeln. Denn während die Zunge selbst nur die fünf Hauptgeschmacksrichtungen süß, salzig, bitter, sauer und umami erkennen kann, „schmecken“ wir die flüchtigen Aromen von Speisen eigentlich mit der Nase.

Je nachdem, was die werdende Mutter in welcher Menge isst, gelangen die lipophilen Riechmoleküle aus dem Essen über die Blutbahn ins Fruchtwasser – und von dort aus in den Körper des Fötus. Denn dieser nimmt regelmäßig kleine Schlückchen des Fruchtwassers zu sich. Über die Mundhöhle und den Nasen-Rachen-Raum gelangen die Riechmoleküle dann zu den Riechzellen.

Man weiß heute, dass die Riechzellen eines Kindes vermehrt auf die Stoffe ansprechen, die es im Mutterleib gerochen hat. Man fütterte zum Beispiel im Tierexperiment trächtige Hasen mit Wacholderbeeren. Diese passen eigentlich nicht in das normale Futterspektrum von Hasen. Sobald die jungen Hasen auf der Welt waren und feste Nahrung zu sich nehmen konnten, bevorzugten sie Wacholderbeeren. Man kennt ein ähnliches Phänomen bei Kleinkindern, deren Mütter in der Schwangerschaft viel Knoblauch gegessen hatten.

Die Nase ist nicht allein

Mit ihrer Aufgabe, Riechstoffe wahrzunehmen, ist die Nase nicht allein. Sie hat Unterstützung von Abermillionen Zellen im Körper. Diese verfügen über verschiedene Duftrezeptoren und sind somit in der Lage, auf Riechstoffe zu reagieren.

In den vergangenen 15 Jahren hat man zum Beispiel an der Ruhr-Universität Bochum unter der Führung von Prof. Dr. Hanns Hatt zahlreiche Experimente durchgeführt. Diese belegen, wie Riechstoffe sich auf verschiedenste Zellen direkt auswirken – also ohne den Weg über die Nase zu nehmen. Allseits bekannt ist das Beispiel, dass Spermien einem chemischen Signal der reifen Eizelle folgen, das unter anderem nach Bourgeonal, einem Maiglöckchen-Riechstoff, riecht.

Auch Lunge und Herz riechen

Das Team um Prof. Dr. Hatt fand auch heraus: Die Muskelzellen der Bronchien reagieren ebenfalls auf Riechstoffe, zum Beispiel auf Amylbutyrat. Dabei handelt es sich um einen fruchtigen Duft mit Bananen- und Aprikosennoten, der in ganz ähnlicher Form in einigen ätherischen Ölen vorkommt (Kamille römisch und Bischofskraut). Amylbutyrat aktiviert in den Muskelzellen der Bronchien den Duftrezeptor OR2AG1. Der Effekt: Die Bronchien entspannen und weiten sich. Dieser Effekt war im Experiment so stark, dass er die bronchokonstriktive Wirkung von Histamin aufheben konnte. Bei allergischem Asthma schüttet der Körper vermehrt Histamin aus, wodurch sich die Bronchien verengen. „Amylbutyrat könnte bei Asthma helfen, die Luftzufuhr zu verbessern“, folgert Prof. Dr. Hatt. „Vermutlich kann es nicht nur den Effekten von Histamin entgegenwirken, sondern ebenso denen von anderen Allergenen, die das Atmen behindern“ [1]. Auch für die Behandlung anderer Krankheiten, etwa der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, könne der Rezeptor interessant sein.

Andere Riechstoffe wiederum bewirken genau das Gegenteil: Sie führen zu einer Bronchokonstriktion. Sie könnten zum Beispiel dafür verantwortlich sein, dass manche Menschen auf synthetische Düfte aus Weichspülern, Waschmitteln, Kosmetika, Parfüms oder auch Fertiggerichten mit Atemnot reagieren. Daran beteiligt ist der Duftrezeptor OR1D2 [1].

Kurz gefasst

  1. Der Fötus beginnt schon im Mutterleib, die Aromen wahrzunehmen, die seine Mutter über die Nahrung aufnimmt.

  2. Neben den Riechzellen in der Nase verfügen vermutlich alle anderen Zellen unseres Körpers ebenfalls über Duftrezeptoren.

  3. Bestimmte Riechstoffe können Krebszellen beeinflussen. Sie unterstützen zum Beispiel das Absterben von Tumorzellen oder hemmen die Teilung von Krebszellen.

Auch jenseits des Atlantiks wird zu dem Thema geforscht: Das Team um den Wissenschaftler Steve Liggett von der Universität Baltimore fand heraus, dass glatte Muskelzellen in den Atemwegen auch Rezeptoren für Bitterstoffe besitzen. Die Anwendung von Bitterstoffen entspannte in In-Vitro-Versuchen die Muskelzellen und somit die Atemwege [2].

Diese Erkenntnisse inspirierten Forscher der Freiburger Universitätsklinik. Es dauerte nicht lange, bis sie spezialisierte Rezeptoren in der menschlichen Haut und Schleimhaut fanden, welche Bitterstoffe des Gelben Enzians und der Weidenrinde „schmecken“ können [3] (siehe DHZ 3/2017, S. 22).

Herzmuskelzellen reagieren „verschnupft“ auf Fettsäureduft

Auch Herzmuskelzellen reagieren auf Riechstoffe, was sich leider nicht immer förderlich auf die Herzgesundheit auswirkt. Der Duftrezeptor OR51E1 kann den Duft einer Fettsäure erkennen, die sich gehäuft im Blut von Diabetikern findet. Die Folge: Die Herzfrequenz und die Herzkraft reduzieren sich [4]. „Das könnte sich negativ auf die Herzfunktion von Diabetikern auswirken“, vermutet Prof. Dr. Hatt. Sein Team entwickelte daraufhin einen Blocker für Rezeptor OR51E1, der den negativen Effekt der aktivierenden Düfte aufhebt. Es handelt sich um das Molekül 2-Ethylhexansäure. Denkbar wäre es laut Prof. Dr. Hatt sogar, den Duftstoff in Form einer Salbe zu verabreichen. „Wenn man die Stelle über dem Herzen einreibt, könnten genügend Duftstoffe durch die Haut gelangen, um eine Wirkung auf das Herz auszuüben; dafür gibt es erste Hinweise“, so Prof. Dr. Hatt.

Krebszellen mögen Düfte gar nicht

Ätherische Öle bestehen weitestgehend aus unterschiedlichsten Terpenen. Diese können das Wachstum verschiedener Krebszellen hemmen. Man weiß unter anderem, dass Prostatakrebszellen auf Veilchenduft reagieren, genauer gesagt auf Ionon, einen Duftstoff in Veilchenblüten und Iriswurzeln [5]. Prostatakrebszellen stellen große Mengen eines Proteins her, das man im Jahr 2009 als Riechrezeptor für Ionon identifiziert hat. Zwar ist die Prostata selbst nicht mit dem entsprechenden Duftstoff ausgestattet. Jedoch findet sich in Prostatagewebe ein sehr ähnlich aufgebautes Molekül, ein Stoffwechselprodukt des männlichen Sexualhormons Testosteron. Weitere Untersuchungen zeigten, dass Testosteron den Rezeptor für Ionon ebenfalls aktivierenkann und die Zelle auf einem neu entdeckten Signalweg dazu bringt, die Zellteilung zu stoppen. „Das heißt praktisch, dass man mit Veilchenduft das Prostatakrebswachstum anhalten kann“, spitzt Prof. Dr. Hatt die Ergebnisse zu [6]. Möglicherweise liegt in diesen Erkenntnissen ein therapeutisches Potenzial.

Im Jahr 2017 hat das Team der Ruhr-Universität Bochum die Ergebnisse einer Experiment-Reihe veröffentlicht. Die Experimente haben gezeigt: Darmkrebszellen reagieren auf Troenan – einen Riechstoff, der in Ligusterblüten vorkommt –, indem sie schrumpfen. Triple-negative, also besonders aggressive Brustkrebszellen sind ebenfalls mit spezifischen Rezeptoren ausgestattet. Helional, ein nach Meerbrise duftender Riechstoff, kann an diese Rezeptoren binden und die Brustkrebszellen in die Schranken weisen: Die Krebszellen vermehren sich nicht nur langsamer. Es sterben auch verstärkt Tumorzellen ab. Die überlebenden Zellen sind zudem nicht mehr in der Lage, sich so schnell zu bewegen wie zuvor. Man kann daraus schließen, dass sie im Körper weniger Metastasen bilden [7].

Das Forscherteam wies auch nach: Der Einsatz von Citronellal (in Zitroneneukalyptus-, Melissen-, Citronella- und Zitronenöl enthalten) führt zu einem Wachstumsstopp von Leberkrebszellen. Die entscheidende Schaltstelle dafür ist der Duftrezeptor OR1A2. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Duftrezeptor künftig als Ziel für die Diagnostik und Therapie des Leberkrebses dienen könnte [8].

Information

Wirkungsweise ätherischer Öle auf einen Blick

Wie wirken ätherische Öle auf den Menschen?

  • Auf der körperlichen Ebene: Je nach Anwendungsart und Öl werden unterschiedliche Prozesse im Körper in Gang gesetzt durch Spannungsveränderungen und Beeinflussung von Kanälen sowie Substanzen an der Zellmembran.

  • Auf der seelischen Ebene: Impulse an der Riechschleimhaut erreichen das Limbische System über den Riechnerv. Dies stimuliert verschiedene Gehirnareale und beeinflusst die Ausschüttung von Neurotransmittern.

Warum wirken ätherische Öle an Haut und Schleimhäuten?

  • Weil sie fettlöslich sind, können sie die lipidartigen Zellmembranen der äußeren Hautschichten gut durchdringen und gelangen in den Blutstrom.

  • Weil ätherische Öle aus sehr kleinen Molekülen bestehen, sind die Passage und der Transport durch Haut und Schleimhäute erleichtert. Weil sie flüchtig sind, gelangen ätherische Öle auch leicht in die Atemwege und können dort zum Beispiel Entzündungen hemmen.

Wie wirken ätherische Öle auf Krankheitskeime?

  • Sie stören oder zerstören die Zellmembran von Bakterien und Pilzen, sodass der Keim sich nicht vermehren kann oder gar abstirbt.

  • Sie hemmen die Fähigkeit von Viren, an menschliche oder tierische Zellen anzudocken, sodass das Immunsystem leichteres Spiel hat, die Erreger abzuwehren.

  • Einige ätherische Öle stören Quorum-sensing-Signale (Schwarmintelligenz) von Bakterien, zum Beispiel Rose, Rosengeranie, Lavendel und Rosmarin.

  • Bei genuinen natürlichen ätherischen Ölen sind kaum Resistenzen bekannt.

Düfte beeinflussen reziprokes Verhalten

Dass Düfte auch menschliches Verhalten beeinflussen, ist schon länger bekannt. Nun fand man 2017 heraus: Der jasminartige Duftstoff Hedion (Methyldihydrojasmonat, bis zu 4 % im Jasminabsolue) verstärkt reziproke Verhaltensweisen („Wie du mir, so ich dir“). Dieses gerne in der Parfümerie eingesetzte Molekül hat man als ersten Duft identifiziert, der einen menschlichen Pheromonrezeptor (VN1R1) erregt. Dadurch wird eine Gehirnregion aktiviert, die an der Hormonsteuerung beteiligt ist. Bei Frauen ist der Effekt sogar zehnmal stärker als bei Männern [9].

In den Experimenten reagierten Menschen unter dem nicht bewusst wahrzunehmenden Einfluss dieses Riechstoffes auf das Vertrauen anderer Personen mit erhöhter Vertrauenswürdigkeit. Verhielten sich die anderen Versuchsteilnehmer nicht kooperativ, neigten sie stärker dazu, diese dafür zu bestrafen. Die Probanden reagierten etwas freundlicher auf Freundlichkeit und etwas unfreundlicher auf unfaires Verhalten. „Die Ergebnisse könnten ein Hinweis darauf sein, dass es auch bei Menschen eine Pheromonwirkung geben könnte, die sich vom klassischen Riechen unterscheidet“, sagt Prof. Dr. Hatt [10].

Fazit

Mit ihrer Nase und den Riechrezeptoren im gesamten Körper bringen Patienten eine hervorragende Ausstattung mit, um uns Therapeuten bei der Auswahl der richtigen ätherischen Öle zu unterstützen. Allgemeine Reaktionen des Wohlfühlens wie Lächeln, eine entspannte Körperhaltung, ein gelöstes Seufzen oder Sätze wie „Da könnte ich mich reinsetzen“ weisen uns dabei den Weg.

Eliane Zimmermann
Aromatherapeutin und Heilpraktikerin

aromapraxis.de

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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