Chronisch entzündliche DarmerkrankungenHotspot Darmschleimhaut: Weichensteller für CED und Co.

Störungen der Darmschleimhaut können chronisch entzündliche Darmerkrankungen mit beeinflussen. So werden sie entdeckt.

Magen-Darm Schmerzen - anatomische 3D-Illustration
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Die Darmschleimhaut hat viele Aufgaben zu erfüllen. Dies ist gerade bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu berücksichtigen, da hier mit nachhaltigen Einschränkungen von Schleimhautfunktionen gerechnet werden muss.

von Andreas Rüffer, Julia Back, Markus Böger, Michaela Eckert, Annemarie Gollsch, Anna Kleinhenz, Diana Krause, Martina Niebling, Adrienn Teibert

Die Darmschleimhaut ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt für die Nahrungsverwertung und damit für die Energieversorgung des Körpers. Sie dient auch dem permanenten immunologischen Austausch mit der Umgebung. Dazu kommen weitere Funktionen wie Sekretion, Entgiftung und Regulation. Störungen der Darmschleimhaut können daher weitreichende Folgen haben. Wichtige Hinweise auf ihren Zustand liefert die Bestimmung verschiedener Stuhlparameter.

Verdauung und Nahrungsverwertung

Mit geschätzt mehreren hundert Quadratmetern ist die Darmschleimhaut die Hauptkontaktfläche des Körpers mit der Umgebung. Diese immense Fläche ermöglicht die effektive Verdauung und Aufnahme von Nährstoffen aus dem Darminhalt.

Nach der mechanischen Zerkleinerung der Nahrung in der Mundhöhle und der Vorverdauung im Magen erfolgt im Dünndarm zunächst eine Aufspaltung der Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate durch die entsprechenden Pankreasenzyme.

Auch an der Kohlenhydratverdauung ist die Darmschleimhaut maßgeblich beteiligt. Durch Speichel- und Pankreas-Amylase entstehen bei der Kohlenhydratspaltung zunächst Disaccharide. Diese werden durch die ebenfalls von der Schleimhaut produzierten Saccharidasen in die Einfachzucker überführt – und damit letztlich in eine aufnahmefähige Form. Ein prominentes Beispiel dafür ist die laktosespaltende Laktase.

Sind die Nahrungsbestandteile ausreichend zerkleinert, erfolgt deren Resorption durch die Darmschleimhaut, gemeinsam mit wichtigen Mikronährstoffen, Vitaminen und Wasser. Dies findet primär in den vorderen Dünndarmbereichen statt. Wasser wird zum kleineren Teil auch noch im Dickdarm aufgenommen.

Barrierefunktion

Die für die Nährstoffversorgung notwendige große Oberfläche der Darmschleimhaut bringt allerdings die Gefahr mit sich, dass auch potenzielle Schadstoffe übertreten. Diese ist nirgends im Körper so groß wie im Darm. Daher bedarf es neben der Durchlässigkeit für Nährstoffe effizienter Abwehrmechanismen. Die Darmschleimhaut fungiert dabei nicht nur als mechanische Barriere.

Sie schützt sich auch durch die Produktion von Darmschleim sowie antimikrobieller Peptide wie den Defensinen. Darüber hinaus sind im Darm 70–80 % der gesamten Immunzellen zu finden – im darmassoziierten Immunsystem, dem sogenannten GALT (Gut Associated Lymphoid Tissue, zu Deutsch: darmassoziiertes lymphatisches Gewebe). Diese Immunzellen bewachen einerseits die größte Grenzfläche des Körpers. Andererseits erfahren sie im Darm auch ein fundiertes Abwehrtraining. Denn der Darm ist als Transitstrecke mit der in das Körperinnere verlagerten Außenwelt für die immunologische Erkundung der Umgebung prädestiniert.

Spezielle Schleimhautzellen wie die M(icrofold)-Zellen fungieren dabei als Mittler zwischen Darminhalt und Immunsystem. Immunogenes Material aus der Ingesta, also der aufgenommenen Nahrung, wird von ihnen aufgenommen, konfektioniert und die Immunzellen in der Submukosa damit trainiert. Die so geschulten Immunzellen bleiben nicht im Darm, sondern wandern über die Zirkulation auch auf andere Schleimhautoberflächen, um dort ebenfalls für den nötigen Schutz zu sorgen.

Dieser Schutz wird letztlich unter anderem auch durch die Produktion eines speziellen Schleimhautantikörpers getragen, des sekretorischen Immunglobulins A (kurz: sIgA). Allerdings resultieren aus der immunologischen Auseinandersetzung im Darm nicht nur immunaktivierende Effekte. Über die Bildung regulatorischer T-Zellen erfolgt auch eine Eindämmung überschießender Immunreaktionen im Sinne einer Immuntoleranz. Diese „Bremsmechanismen“ sind für ein funktionsfähiges Immunsystem ebenso wichtig wie eine schlagkräftige Abwehr [1].

Entgiftung und Regulation

Enzyme der Darmschleimhaut sind nicht nur in den Aufschluss von Nährstoffen involviert. Sie übernehmen auch wichtige Entgiftungsfunktionen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die Diaminoxidase (DAO), die Histamin abbaut und damit die Schleimhaut vor einer potenziellen Noxe schützt. Die DAO wird überwiegend im Darm produziert, denn hier ist die potenzielle Histaminbelastung am höchsten. Histamin gelangt dabei nicht nur mit bestimmten Nahrungsmitteln in den Darm. Auch verschiedene Darmbakterien sind zur Histaminproduktion in der Lage [2].

Regulative Aufgaben werden ebenfalls von der Darmschleimhaut wahrgenommen. Dazu zählt die Steuerung der Darmanhangsorgane Leber und Bauchspeicheldrüse. Diese müssen rechtzeitig darüber informiert werden, wann eine Ausschüttung von Verdauungsenzymen beziehungsweise Gallensäuren erforderlich ist. Das entscheidende Signal kommt dabei von der Dünndarmschleimhaut, beispielsweise vermittelt durch das Peptidhormon Cholecystokinin.

Darmschleimhaut und -mikrobiota

Die entscheidende Voraussetzung für die volle Funktionsfähigkeit der Darmschleimhaut ist eine intakte mikrobielle Besiedelung des Intestinums. Die Darmmikrobiota verhindert nicht nur die Ansiedelung von opportunistischen Fremdkeimen und potenziellen Krankheitserregern. Sie fördert auch den Stoffwechsel und die Durchblutung der Darmschleimhaut. Die Dickdarmschleimhaut wird dabei sogar zum überwiegenden Teil von der Mikrobiota versorgt.

Schätzungsweise 70 % des kolonären Energiebedarfs decken die mikrobiell synthetisierten kurzkettigen Fettsäuren, insbesondere das Butyrat. Außerdem wirken sie unter anderem antiinflammatorisch und antineoplastisch [3].

Produziert werden die kurzkettigen Fettsäuren aus der bakteriellen Verwertung komplexer Kohlenhydrate, also den pflanzlichen Ballaststoffen. Zum Zusammenspiel zwischen Mikrobiota und Darmschleimhaut gehört darüber hinaus auch eine intensive Kommunikation. Mikrobielle Immunogene trainieren über die schon erwähnten Wege das GALT und beeinflussen damit nachhaltig das gesamte Immunsystem [4].

Störungen der Darmschleimhaut

Nirgendwo im Körper ist der Kontakt zu potenziellen Schadstoffen so direkt wie an der riesigen Grenzfläche des Darmes. Das Risiko für Störungen der geschilderten Schleimhautfunktionen ist daher groß. Zahlreiche Faktoren können dabei negativen Einfluss auf die Darmschleimhaut nehmen.

Mögliche Ursachen für Störungen der Darmschleimhaut sind:

  • genetische Faktoren
  • Fehlernährung: zum Beispiel zu viel Zucker, zu viel verarbeitete Lebensmittel, zu viel tierische Lebensmittel, zu wenig Ballaststoffe
  • orthomolekulare Mangelzustände
  • Umweltschadstoffe
  • iatrogene Faktoren (zum Beispiel Chemotherapeutika, Bestrahlung)
  • Stress
  • Störungen der Darmmikrobiota
  • bakterielle, virale und parasitäre Infektionserreger
  • Immundefizite
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten, zum Beispiel Zöliakie

Ebenso vielfältig wie die Funktionen sind dann auch die möglichen Störungen in der Darmschleimhaut. Einige sind im Folgenden genannt.

Maldigestion

Die häufigste Form einer durch die Darmschleimhaut bedingten Maldigestion ist die Laktoseintoleranz. In Mitteleuropa sind davon immerhin 15–20 % der Bevölkerung betroffen, in asiatischen und afrikanischen Ländern sogar über 90 % [5]. Dabei produziert die Dünndarmschleimhaut zu wenig von dem Enzym Laktase. Die Folge: Der mit der Nahrung aufgenommene Milchzucker Laktose wird nicht ausreichend gespalten und kann daher im Dünndarm nicht resorbiert werden.

Die ungespaltene Laktose gelangt daraufhin in den Dickdarm, wo sie von der dortigen Mikrobiota verstoffwechselt wird. Die dabei entstehenden Säuren wirken motilitätsfördernd. Dazu kommt eine ausgeprägte mikrobielle Gasbildung. Durchfälle und Blähungen sind die klinische Konsequenz daraus.

Malabsorption

Eine weitere Kohlenhydratunverträglichkeit geht ebenfalls auf ein Problem an der Darmschleimhaut zurück: die Fruktosemalabsorption. Fruktose muss als Einfachzucker nicht gespalten werden. Hier ist die Resorption aus dem Darm gestört. Hintergrund dafür ist ein Mangel an dem Transportprotein GLUT-5. Daraus folgt bei entsprechender Zufuhr mit der Nahrung ebenfalls ein vermehrter Übertritt in den Dickdarm mit mikrobieller Fermentation. Die Folgen sind dieselben wie bei der Laktoseintoleranz: Durchfall und Blähungen.

Verschiedene Einflüsse können die Dünndarmschleimhaut auch so weit schädigen, dass nicht nur die Aufnahme einzelner Nährstoffe eingeschränkt wird. Die klinischen Folgen beschränken sich dann nicht nur auf Darmbeschwerden. Die reduzierte Nährstoffaufnahme führt zu Gewichtsabnahme und anderen Mangelsymptomen. Resorptionsprobleme der Schleimhaut können auch die Ursache für das Gallensäure-Verlustsyndrom sein.

Dies ist beispielsweise bei Morbus-Crohn-Patient*innen mit Entzündungen des terminalen Ileums der Fall. Die dann nicht ausreichend rückresorbierten Gallensäuren treten vermehrt in den Dickdarm über und führen über ihre osmotische Aktivität zu einem vermehrten Flüssigkeitsverlust.

Die Folge ist Durchfall, die chologene Diarrhö. Außerdem reizen die Gallensäuren die Dickdarmschleimhaut und können durch gewisse Bakteriengruppen, insbesondere die NDHClostridien (NDH: Nuclear Dehydrogenating), zu (Prä-)Kanzerogenen umgebaut werden.

Erhöhte Darmpermeabilität: Leaky Gut

Einschränkungen der Darmbarriere können massive klinische Auswirkungen haben. Dies wird auch als Leaky Gut bezeichnet. Die dann unkontrollierten Übertritte aktivieren das Immunsystem – beispielsweise von Allergenen und Zellwandbestandteilen gramnegativer Bakterien, den Lipopolysacchariden oder Endotoxinen. Diese an sich im Einzelfall normalen Abwehrreaktionen führen bei wiederholten „Grenzverletzungen“ letztlich zu permanenten, chronischen Entzündungsreaktionen im Darm.

Der ist aufgrund seiner großen Oberfläche, dem direkten Kontakt mit potenziellen Schadstoffen, den vielen Bakterien und der hohen immunologischen Präsenz ein inflammatorisches Hochrisikogebiet. Klinisch müssen daraus nicht zwangsläufig Darmsymptome resultieren. Häufig glimmen die Entzündungen im Hintergrund, als sogenannte Silent oder Low-grade Inflammations.

Entzündungen Darmschleimhaut

Auch die Darmschleimhaut selbst kann sich entzünden. Das können akute Enteritiden durch enteropathogene Bakterien, Viren oder Parasiten sein. Möglich sind darüber hinaus auch chronische Entzündungen als vermutliche Folge von Barrierestörungen. Dazu zählen auch die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.

Diagnostik der Darmschleimhaut

Der Goldstandard zur Erkennung von Darmschleimhautentzündungen ist die fachärztlich durchgeführte endoskopische Untersuchung. Damit lassen sich morphologische Veränderungen am besten erkennen und typisieren.

Funktionelle Störungen wie ein Leaky Gut sind über eine klassische Endoskopie allerdings nicht zu entdecken. Dies ist allenfalls über die konfokale Laserendoskopie möglich, die aufgrund des hohen Aufwands jedoch nicht routinemäßig durchgeführt wird. Für die Routinediagnostik stehen vor allem im Stuhl diverse Marker für eine klinische Statuserhebung der Darmschleimhaut zur Verfügung.

Leaky-Gut-Marker

Der älteste und bewährteste Marker für die Leaky-Gut-Diagnostik ist das Alpha-1-Antitrypsin im Stuhl. Es handelt sich dabei an sich um ein Bluteiweiß, das als Proteaseinhibitor fungiert. In einem gesunden Darm sollte es kaum nachweisbar sein. Bei einer erhöhten Darmdurchlässigkeit kommt es allerdings zu Eiweißverlusten in das Darmlumen. Diese lassen sich über das sehr stabile Alpha-1-Antitrypsin im Stuhl detektieren.

Ein neuerer Leaky-Gut-Marker ist das Zonulin, das sich sowohl im Stuhl als auch im Blut messen lässt. Zonulin reguliert die Abstände zwischen den Darmepithelzellen. Je höher das Zonulin, desto größer die Abstände. Hohe Spiegel im Stuhl beziehungsweise Blut weisen daher auf eine funktionell erhöhte Permeabilität der Darmschleimhaut hin.

Im Blut lässt sich außerdem noch das I-FABP (Intestinal Fatty Acid Binding Protein) messen. Das wird aus Darmepithelzellen frei, wenn diese geschädigt werden. Bei erhöhten Blutspiegeln liegen also schon konkrete Zellschädigungen vor.

Immunmarker

Hinweise auf die aktuelle Leistungsfähigkeit des darmassoziierten Immunsystems liefert die Bestimmung des sIgA im Stuhl. Darüber hinaus kann die Messung des humanen ß-Defensins 2 als Indikator für den Zustand der angeborenen Darmschleimhautabwehr genutzt werden.

Schleimhautmarker für die Routinediagnostik

Parameter Zu bestimmen in Klinische Aussage bei erhöhten Werten Alpha-1-Antitrpysin Stuhl Hinweis auf Leaky Gut mit Eiweißverlusten Zonulin Stuhl und Blut Hinweis auf funktionell erhöhte Darmdurchlässigkeit, Verdacht auf Leaky Gut I-FABP Blut Hinweis auf Darmepithelschäden sIgA Stuhl Hinweis auf vermehrte Aktivierung des darmassoziierten Immunsystems ß-Defensin 2 Stuhl Hinweis auf vermehrte Aktivierung des angeborenen Darmimmunsystems.

Entzündungsmarker

Auch zu den weiteren Eskalationsstufen der Schleimhautstörungen liefert die Stuhldiagnostik wichtige Erkenntnisse. Verschiedene Entzündungsmarker im Stuhl weisen eine hohe Übereinstimmung mit endoskopischen Schleimhautbefunden auf und sind daher als nichtinvasive Inflammationsdiagnostik nutzbar. Hier sind insbesondere Calprotectin, Lactoferrin und PMN-Elastase zu nennen, die sich auch in der Verlaufskontrolle chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa bewährt haben [10].

Dr. Andreas Rüffer
ist Fachtierarzt für Mikrobiologie und beschäftigt sich seit über 25 Jahren im Bereich Enterosan® des Labor LS mit der Diagnostik und Therapie der Darmökologie.
 

[1] Tokuhara D, Kurashima Y, Kamioka M et al. A comprehensive understanding of the gut mucosal immune system in allergic inflammation. Allergol Internat 2019; 68: 17–25

[2] Beutling DM (Hrsg.). Biogene Amine in der Ernährung. Berlin, Heidelberg: Springer; 1996

[3] Parada Venegas D, de La Fuente MK, Landskron G et al. Short chain fatty acids (SCFAs)-mediated gut epithelial regulation and its relevance for inflammatory bowel disease. Front Immunol 2019; 10: Art 277

[4] Round JL, Mazmanian SK. The gut microbiota shapes intestinal immune respons during health and disease. Nat Rev Immunol 2009; 9: 313–323

[5] Körner U, Schareina A. Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten. Stuttgart: Thieme; 2021

[6] Barkun A, Love J, Gould M et al. Bile acid malabsorption in chronic diarrhea: Pathophysiology and treatment. Can J Gastroenterol 2013; 27 (11): 653–659

[7] Fasana A. All disease begins in the (leaky) gut: role of zonulin-mediated gut permeability in the pathogenesis of some chronic inflammatory diseases. F1000Research 2020; 9 (F1000 Faculty Rev): 69

[8] Heller KJ. „Pharmakokinetik“ und Sicherheit von Probiotika. In: Bischoff SC (Hrsg.). Probiotika, Präbiotika und Synbiotika. Stuttgart: Thieme; 2009: 88–94

[9] Robert Koch-Institut, Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (Hrsg.). Krebs in Deutschland 2015/2016. 12. Ausgabe. Berlin; 2019

[10] Langhorst J, Elsenbruch S, Koelzer J et al. Noninvasive markers in the assessment of intestinal inflammation in inflammatory bowel diseases: Performance of fecal lactoferrin, calprotectin, and PMN-Elastase, CRP, and clinical indices. Am J Gastroenterol 2008; 103: 162–169