InterviewRassismus in der Medizin

Rassismus existiert auch im Gesundheitswesen. Ein Gespräch mit Dr. Ernst Girth, Menschenrechts- und Rassismusbeauftragter der Landesärztekammer Hessen.

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Rassismus existiert auch im Gesundheitswesen. Ein Gespräch mit Dr. Ernst Girth, Menschenrechts- und Rassismusbeauftragter der Landesärztekammer Hessen.

Sie sind 2020 zum Rassismusbeauftragten der Landesärztekammer Hessen berufen worden. Was hat dazu geführt, dass dieses Amt eingerichtet wurde?

Die Idee ist mit der durch die hessische Landesregierung eingeleiteten Initiative „Hessen gegen Hetze“ entstanden. Rassismus existiert auch im Gesundheitswesen. Ich bin seit über 20 Jahren als Menschenrechtsbeauftragter der Landesärztekammer Hessen tätig und war in dieser Funktion natürlich
auch mit rassistischen Problemen konfrontiert. Deshalb habe ich der Übernahme dieses Amtes gern zugestimmt.

Wer kann sich an Sie wenden? Ausschließlich medizinische Berufsgruppen oder auch Patienten oder andere direkt Betroffene?

An uns kann sich jeder wenden, der ein menschenrechtliches oder rassistisches Problem im Rahmen einer ärztlichen oder medizinischen Behandlung sieht. Sei es in der Klinik, sei es in der Praxis. Das können natürlich ÄrztInnen sein, die rassistisch konfrontiert werden, oder PatientInnen.

Wie gehen Sie dann weiter vor?

Zunächst gehe ich mit beiden Seiten ins Gespräch. Wir können die Probleme relativ häufig auf dieser Ebene klären. Ich erlebe oft, dass die beschuldigte Seite sich in einer ehrlichen Auseinandersetzung entschuldigt, dann ist die Sache für mich auch erledigt. Wenn ich allerdings feststelle, dass die Vorwürfe berechtigt sind, die Widerrede der anderen Seite mir nicht schlüssig erscheint oder ich eine Renitenz verspüre, sich damit wirklich auseinanderzusetzen, übergebe ich
den Vorgang der Rechtsabteilung der Landesärztekammer. Wenn die Kammer einen Verstoß gegen die ärztliche Berufsordnung feststellt, kann vor einem Berufsgericht Anklage erhoben werden. Das ist der klassische Gang.

Wie ist bisher das Echo?

Die Ernennung zum Rassismusbeauftragten hat zu einem großen Echo geführt, auch in den Medien. In der Gesellschaft ist das Thema gerade auch durch die Ereignisse 2020 in Amerika sehr präsent. Im Moment kann ich noch gar nicht so viel darüber berichten, aber das Problem rückt dadurch in den Fokus, was uns natürlich hilft, dass die Menschen erfahren, dass es jetzt einen Ansprechpartner gibt, an den sie sich wenden können.

Wie viele Fälle haben Sie bisher?

Bisher liegen mir 3 Fälle vor, die man unter der Überschrift „Rassismus“ klassifizieren könnte. Diese wenigen Fälle zeigen bislang aber, dass Rassismus in der Medizin möglicherweise nicht so einfach greifbar ist. Es ist wahrscheinlich sehr selten, dass eine Person von einer Ärztin oder einem Arzt offen mit rassistischen Bemerkungen konfrontiert wird. Die Problematik ist subtil. Zum einen weil die Arzt-Patienten-Beziehung überwiegend eine 4-Augen-Beziehung ist, das macht die Eruierung der einzelnen Fälle schwierig, es steht sozusagen Aussage gegen Aussage. Zum anderen, weil wir es wahrscheinlich oft mit Grenzfällen zu tun haben, beispielsweise dass ein nicht weißer Patient nicht gut behandelt wird und der Fall auch aus diesem Grund justiziabel ist.
Ich hoffe, dass wir die Parteien zusammenführen und mehr Sensibilität im Umgang zwischen nicht weißen PatientInnen und ÄrztInnen erwecken können.

Was sind Ihre Pläne für das Amt?

Im Moment bin ich in der Phase des Sondierens. Ich möchte mir zunächst einen Überblick verschaffen, wo und wie Rassismus in der Medizin eine Rolle spielt. Und natürlich Erfahrung sammeln und den Menschen, die sich an uns wenden, helfen, das ist meine Hauptaufgabe. In einem nächsten Schritt können wir daraus Schlüsse ziehen und Konsequenzen ableiten, aber dafür ist es noch zu früh.
Ich hoffe, dass die Sensibilisierung in den Kammern dazu führt, das Problem wissenschaftlich mehr anzugehen. Es existiert mit Sicherheit ein Riesenkomplex an Fragen, die aber in Deutschland und auch international nur spärlich behandelt werden. Ein gutes Beispiel ist die Dermatologie und die Frage, ob weiße und schwarze Haut in einem dermatologischen Lehrbuch separat behandelt werden sollten. In deutschen Lehrbüchern ist die Haut im Moment weiß. Ich erhoffe
mir auch in solchen Dingen eine Sensibilisierung bei den KollegInnen.

Das Gespräch führte Anke Niklas.

Das Interview erschien in der zkm 1/2021

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Der Kardiologe Dr. med. Ernst Girth ist seit 1997 Menschenrechtsbeauftragter und seit 2020 Rassismusbeauftragter der Landesärztekammer
Hessen (LAEKH). Im Interview spricht Girth über die Möglichkeiten des Amtes, wer sich an ihn wenden kann und welche Pläne er für das Amt hat.

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