PräventionWie das Gehirn im Alter fit bleibt

"Die sozial Aktiven sind länger kognitiv gesund", sagt Prof. Oliver Tüscher. Ob wir gesund altern, bestimmt nicht nur die genetische Ausstattung. Persönliche Lebenserfahrungen, Lebensweise und das soziale Umfeld machen den größten Anteil aus.

Seniorenpaar spaziert Arm in Arm durch einen Park
Jacob Lund/stock.adobe.com; posed by models

Der Lebensstil und soziale Faktoren spielen vermutlich eine weitaus größere Rolle für gesundes Altern als die genetische Ausstattung.

In einer immer älter werdenden Gesellschaft ist die Frage, wie wir gesund und vital bis ins hohe Lebensalter bleiben, von zentraler Bedeutung. Gesundes Altern, das heißt tatsächlich bis ins hohe Alter den üblichen gesundheitlichen Alterseinschränkungen wie der Abnahme kognitiver Fähigkeiten zu entgehen, gelingt in der Regel nur einem kleineren Teil alternder Menschen. Folglich hat sich die Forschung bislang weitgehend auf häufige Alterserscheinungen wie der Gebrechlichkeit und den typischen Alterserkrankungen wie zum Beispiel der Alzheimer-Krankheit konzentriert.

Die Frage, welche biologischen Mechanismen gesund alternde Menschen schützen, wird erst seit wenigen Jahren intensiv erforscht. Diese Mechanismen zu verstehen, ist ein wesentliches Ziel des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR), aber auch der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, an denen Professor Dr. Oliver Tüscher tätig ist. Im Kurzinterview gibt Tüscher erste Einblicke in seine interdisziplinäre Forschungsarbeit am Übergang von psychologischer zur neurobiologischen Forschung.

Herr Tüscher, warum ist es in Ihren Augen so wichtig, sich – neben der Behandlung von Krankheiten – mit der Resilienz bei älteren Menschen auseinanderzusetzen?

In der Psychiatrie, aber auch in der Alternswissenschaft wurde, was das Gehirn betrifft, in den letzten dreißig Jahren kein neues Arzneimittel entwickelt, was eine relevante Verbesserung von Krankheiten in diesen Bereichen erzielt. Deswegen gab es einen Paradigmenwechsel: Wenn wir bei der Krankheitsbekämpfung nicht so gut weiterkommen wie erhofft, dann kommen wir vielleicht weiter, wenn wir die Schutzmechanismen des Gehirns besser verstehen. Auf diesem Paradigmenwechsel gründet die Forschung in unserem Institut.

Warum gelingt es nur so wenigen alternden Menschen, dem körperlichen und geistigen Abbau besser entgegenzutreten – also resilient zu sein? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?

Es gibt ein sehr komplexes Zusammenspiel von Faktoren, die dazu führen, dass die Mehrzahl der Menschen im Alter Funktionsverluste erleiden. In unserer Forschung wollten wir herausfinden: Was sind Schutzsysteme, die diese Funktionsverluste vermeiden oder verlangsamen? Dafür analysieren wir ältere Menschen, die im Gegensatz zur großen Mehrheit kognitiv gesund bleiben. Ein paar Faktoren für deren Resilienz haben wir bereits auf der Ebene des Gehirns identifiziert. Wir sehen zum Beispiel, dass die Gehirne von kognitiv gesunden, resilienten älteren Menschen besser intern vernetzt sind als die Gehirne von älteren Menschen mit Funktionsverlusten. Derzeit untersuchen wir die Hypothese, dass resiliente Senior*innen auch in einer größeren Intensität beide Gehirnhälften benutzen.

Welchen Anteil hat die Genetik – und welche Rolle spielen Lebensbedingungen bei Resilienz im Alter?

Wir wissen aus der Langlebigkeitsforschung, dass es eine genetisch bedingte Altersgrenze gibt. Das bestimmt aber nicht notwendigerweise, ob wir gesund altern, denn dabei spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Was die Resilienz im Alter betrifft, kann man vorsichtig und nur sehr vorläufig sagen, dass nur ungefähr zehn Prozent genetisch determiniert sind und gut 90 Prozent durch die persönlichen Lebenserfahrungen und Lebensweise sowie das soziale Umfeld.

Können Sie in Ihrer Forschung auch bestimmte allgemeine Entwicklungen erkennen, beispielsweise dass die Resilienz insgesamt zunimmt?

Die wahrscheinliche Ursache, warum wir immer älter werden, ist, dass wir immer gesünder leben und Therapien früher in Anspruch nehmen. Es sterben zum Beispiel weniger Menschen an Infektionskrankheiten oder an kardiovaskulären Krankheiten. Allein in den letzten 15 Jahren, das zeigt die Gutenberg-Gesundheitsstudie seit 2007, können wir diesen Trend zu mehr Gesundheit in der Bevölkerung allgemein erkennen.

Was die Resilienz von älteren Menschen angeht, gibt es sehr interessante Entwicklungen in der Corona-Pandemie: Die COSMO-Studie zum Beispiel zeigt, dass die Resilienz bei Älteren in dieser Zeit angestiegen, während sie bei Jüngeren zurückgegangen ist. Das ist schon sehr erstaunlich, zählen doch gerade ältere Menschen zur Risikogruppe. Vermutlich hat das mit Stressregulation zu tun: Je älter ein Mensch ist, desto besser weiß er mit Krisen umzugehen. Diese Hypothese gilt es aber noch zu überprüfen.

Was könnten Ihre Erkenntnisse für die Pflegepraxis bringen – welche Anreize könnten diese geben?

Drei Faktoren können wertvolle Anregungen für die Pflegepraxis geben.

Erstens haben wir gesehen, dass ältere Menschen, die körperlich hochaktiv sind, bei kognitiven Tests besser abschneiden. Ihre physische Aktivität fördert die Konnektivität zwischen den verschiedenen Hirnbereichen und auch über die Gehirnhälften hinweg. Das zeigt, wie wichtig es vor allem auch für die Gehirngesundheit ist, sich regelmäßig zu bewegen – je mehr desto besser.

Kürzlich hat eine Studie zudem erstmals auch biologisch nachgewiesen, dass mediterrane Diät die Gehirngesundheit und kognitive Fähigkeiten positiv beeinflusst. Das, was man vorher also immer wieder epidemiologisch gesehen hat, kann man jetzt auch mechanistisch eindeutig zeigen.

Ein dritter wichtiger Faktor, den wir identifizieren können, ist die soziale Interaktion: Die sozial Aktiven sind länger kognitiv gesund. Dabei fordert soziale Interaktion die Menschen ganzheitlicher als zum Beispiel rein kognitive Aufgaben – zum Beispiel werden auch Emotionen und die Aufmerksamkeitssteuerung angeregt.

Zur Person

Prof. Oliver Tüscher ist stellvertretender Direktor und leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz; Leitung des klinischen Schwerpunkts Geronto- und Neuropsychiatrie. Er forscht u.a. zu den Schwerpunkten Gesundes Altern und Neurodegeneration und leitet die Arbeitsgruppen „Mechanismen der Selbstregulation“ und „Funktionelle Bildgebung in der Psychiatrie“. Er ist zudem Leiter der AG Tüscher und des Clinical Investigation Center (CIC) sowie Gründungsmitglied des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) gGmbH Mainz.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie

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