AntibiotikaresistenzenReduktion von Antibiotikaverordnungen: Wie kann die Integrative Medizin beitragen?

Unnötige Antibiotikaverordnungen begünstigen die Entwicklung von Resistenzen. Wie die Integrative Medizin beitragen kann, die Resistenzbildung einzudämmen, war Thema eines Symposiums des Kompetenznetz Integrative Medizin.

Antibiotika, Kapseln
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Strategien der Integrativen Medizin können zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen beitragen.

Antibiotikaresistenzen sind zu einem gravierenden Problem in der medizinischen Versorgung geworden. Am "European Antibiotic Awareness Day 2021" widmete sich ein Symposium der Frage, wie Behandlungsmethoden der Integrativen Medizin dazu beitragen können, nicht erforderliche Antibiotikaverordnungen zu reduzieren. Und wie so zum Erhalt der Wirksamkeit dieser Medikamente bei schweren Infektionserkrankungen beigetragen werden kann.

Was sind die häufigsten Gründe für Resistenzbildungen?

Prof. Philip Tarr, Internist und Infektiologe am Kantonsspital Baselland, gab einen Überblick zur Studienlage der Praxis von Antibiotikaverordnungen. Demnach werden die meisten Antibiotika im ambulanten Bereich verordnet. Die Verordnungshäufigkeit ist in europäischen Ländern beispielsweise bei akuter Bronchitis sehr unterschiedlich. Untersuchungen ergaben interessanterweise aber keine Unterschiede in der Heilungsgeschwindigkeit. 

Gründe für Resistenzbildungen

  • Durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Tiermast können Nahrungsmittel mit resistenten Bakterien belastet und auf den Menschen übertragen werden.
  • Der übermäßige Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin trägt zur Entstehung von Resistenzen bei.
  • Von Reisen in Gebiete mit hohen Resistenzraten (z.B. Türkei, Indien, Balkan) werden antibiotikaresistente Bakterien mit zurückgebracht und auf andere Menschen übertragen.

Ziel müsse sein, unnötige Antibiotikaverordnungen zu vermeiden, so Tarr. Hier müssten HausärztInnen und PädiaterInnen überzeugt werden, aber auch PatientInnen, sodass sie auch ohne Antiobiotiokarezept zufrieden die Praxis verlassen.

Wann und wie kann auf Antibiotikaverordnungen verzichtet werden?

Häufige Infekte wie die akute Bronchitis heilen meist auch ohne Antibiotika aus und schonen darüber hinaus die Mikrobiota. Zudem ist das Bewusstsein bei PatientInnen für die potenziellen Nebenwirkungen einer Antibiotikaeinnahme gestiegen. Antibiotikafreie Therapien werden zunehmend attraktiver, so Tarr. Trotzdem erwarten PatientInnen häufig beim Praxisbesuch ein Antibiotikarezept. Hier sei die Kommunikation eine wichtige Strategie. 

Verzögerte Verordnung von Antibiotika

Eine weitere Strategie kann unter bestimmten Voraussetzungen die verzögerte Verordnung von Antibiotika sein: d.h. nur dann ein Antibiotikum zu verordnen, wenn sich die Symptome verschlechtern bzw. sich nicht innerhalb von 72 Stunden bessern. Bei respiratorischen Infekten und bei Harnwegsinfekten zeigte diese Strategie in randomisierten Studien und Metaanalysen keine Nachteile im Vergleich zur sofortigen Antibiotikaverordnung.

So sei eine antibiotikafreie Therapie auch bei rezidivierenden Harnwegsinfekten erfolgreich, allerdings nur in leichten Erkrankungsstadien. Hier bietet die Integrative Medizin zahlreiche Optionen, die inzwischen auch wissenschaftlich gut belegt sind: Dazu gehören Phytotherapeutika wie Cranberry, Probiotika, D-Mannose, aber auch Akupunktur, Entspannungsverfahren und Verfahren zur Stressreduktion.

Untersuchungen haben ergeben, dass sich PatientInnen Strategien wünschen, die sie selbst umsetzen können, z.B. zur Prävention, zur Immunstimulation oder auch zur Symptomlinderung.

Die verzögerte Verordnung kann eine Möglichkeit sein, sei aber nicht in allen Fällen erfolgreich und nicht jede antibiotikafreie Therapie bleibe antibiotikafrei, betonte Tarr. Zudem könne die Symptomdauer länger sein. Auch hier ist die Kommunikation und ein vertrauensvolles Arzt-PatientInnen-Verhältnis essenziell.

Wie kann die Integrative Medizin beitragen?

Dr. Ulrich Geyer, Klinik für Integrative Medizin Kreisklinikum Heidenheim, bestätigte den wesentlichen Punkt der Kommunikation. Die Praxis werde häufig anders gelebt als die Leitlinien empfehlen. Das Wissen müsse so vermittelt werden, dass die PatientInnen keine Angst haben. Auch Geyer bestätigt: Studien zeigen keine Nachteile einer verzögerten Antibiotikaverordnung im Vergleich zur sofortigen Verordnung. Wichtig sei, den PatientInnen Maßnahmen an die Hand zu geben, wenn zunächst auf Antibiotika verzichtet werde. Gerade hier biete die Integrative Medizin viele Optionen, wie etwa Wickel oder Maßnahmen zur Stressreduktion.

Prof. Roman Huber, Universitätsklinikum Freiburg, ergänzte, dass inzwischen viele Optionen der Naturheilkunde und Komplementärmedizin, die bei Infekten infrage kommen, evidenzbasiert sind. Diese sind inzwischen auch in den DEGAM-Leitlinien enthalten, z.B. Phytopräparate, die bei Bronchitis oder Harnwegsinfekten die Symptome lindern können. Dass diese Optionen immer noch zu selten eingesetzt werden sei einerseits ein Kommunikationsproblem, aber auch "unser medizinalisiertes Gesundheitswesen". Das Wissen über die Ansätze der Integrativen Medizin sei immer noch zu wenig bekannt. Und natürlich sollte auch der Patientenwunsch in die Therapieentscheidung einbezogen werden: Die Erfahrung, dass Männer eher medikamentöse Therapien bevorzugen, Frauen häufiger für sanftere Ansätze offen sind, habe sich in Studien bestätigt.

Prof. Roman Huber: "Wir sollten für jeden etwas bereithalten und flexible Lösungen haben."

Rolf Heine, Leiter der Akademie für Pflegeberufe an der Filderklinik Filderstadt, gab schließlich einen Einblick in die vielfältigen Möglichkeiten der Integrativen Pflege. Beispiele für bewährte Anwendungen sind u.a.

  • Kamillen-Dampfbad bei Rhinosinusitis
  • Zitronen-Halswickel bei Halsschmerzen
  • Eukalyptus-Blasenauflage bei Harnwegsinfekt

Eine Übersicht zu intergrativen äußeren Anwendungen findet sich hier.

Die integrativen pflegerischen Maßnahmen werden oft ergänzend zur konventionellen Therapie eingesetzt, so Heine. Wichtige Aspekte seien dabei auch die Zuwendung und Fürsorge. Seine Erfahrung zeige, dass die Anwendungen die Selbstwirksamkeit stärken und oft auch im häuslichen Bereich fortwirken.

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