Herz-Kreislauf-ErkrankungenpAVK: Umdenken in der Therapie

Lebensstiländerungen, Medikamente, individualisierte Therapie: Minimalinvasive Eingriffe sollen künftig später eingesetzt und der individualisierten konservativen Therapie in frühen Stadien der Vorzug gegeben werden.

Symbolbild Durchblutung Unterschenkel,
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236 Millionen Menschen weltweit leiden an der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Jetzt zeichnet sich ein Wandel in der Therapie der Durchblutungsstörungen ab, berichteten Experten der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin auf einer Pressekonferenz:

  • Minimalinvasive Eingriffe sollen künftig später und weniger häufig zum Einsatz kommen.
  • Die Behandlung mit Lebensstiländerungen und Medikamenten stattdessen an Bedeutung gewinnen.

"Insgesamt geht es bei der Therapie der pAVK weg von ‚endovaskulär first‘ hin zu einer stärker individualisierten Behandlung“, erklärte Prof. Markus Steinbauer. Eine entsprechende neue S3-Leitlinie soll 2023 erscheinen.

Die bisherige Leitlinie zur Behandlung der pAVK schrieb vor „Endovaskulär first“. „Die minimal-invasive Technik wurde bisher bevorzugt und unabhängig vom Stadium der Erkrankung und dem Gesundheitszustand der Patient*innen zur Verbesserung der Durchblutung durchgeführt“, berichtete Steinbauer. Zu diesen Eingriffen zählen Ballondilatationen oder das Einsetzen von Stents, mit denen die Gefäße erweitert und die volle Durchblutung wiederhergestellt werden soll. 

Frühe pAVK-Stadien zunächst konservativ behandeln

Die neuen Behandlungsempfehlungen werden mehr auf eine individualisierte Therapieauswahl und weniger auf das bisherige Endo-First-Prinzip ausgerichtet sein. So soll in frühen Stadien der Erkrankung (pAVK-Stadium II) zuerst konservativ behandelt werden. Steinbauer erklärte, auf welche Aspekte die konservative Behandlung zielt:

  • Änderung der Lebensführung
  • Reduktion von Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen
  • begleitende langfristige medikamentöse Therapie

Dazu gehören eine gesunde Ernährung, körperliche Bewegung und Rauchverzicht. Darüber hinaus aber auch die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes mellitus. Für die medikamentösen Therapien, die als Sekundärprophylaxe das Fortschreiten der Arteriosklerose aufhalten sollen, konnten zuletzt in neuen Studien sehr positive Ergebnisse vorgelegt werden. Dabei wurde die Wirkungsweise von drei Medikamentenklassen untersucht, die bei der Sekundärprävention von Durchblutungsstörungen zum Einsatz kommen: Cholesterinsenker, neue Diabetesmedikamente und die Kombination aus einem blutverdünnenden Medikament (Aspirin) und Rivaroxaban, ein Arzneistoff zur Hemmung der Blutgerinnung.

„Die aktuellen Studien haben ganz eindeutig gezeigt, dass diese Medikamente die Häufigkeit von Schlaganfällen und Herzinfarkten sehr stark senken und die Prognose sowie den Krankheitsverlauf erheblich verbessern“, betont Steinbauer. Demnach konnte die Herzinfarktrate um 42 Prozent und die Schlaganfallrate um 14 % gesenkt werden. 

Therapieplanung berücksichtigt Gesundheitszustand der Patient*innen

Nach der neuen Behandlungsleitlinie komme es vor allem darauf an, Art und Umfang der Intervention nach den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Patient*innen zu planen. „Nicht jeder Patient, nicht jede Patientin ist aufgrund der Anatomie oder des Wundbefundes für eine minimal-invasive Intervention geeignet“, erläutert Steinbauer, der Chefarzt an der Klinik für Gefäßchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg ist. „Manche benötigen aufgrund der Wund- und Infektsituation primär eine offene chirurgische Operation – beispielsweise eine Ausschälung des verkalkten Gefäßabschnitts oder die Umgehung eines Gefäßverschlusses durch einen Bypass“, sagt der DGG-Präsident.

Prähabilitation bei gebrechlichen Patient*innen

Darüber hinaus rückt die konservative Therapie auch bei älteren, gebrechlichen pAVK-Patient*innen stärker in den Vordergrund. „Manche der Betroffenen sind trotz hohem Alter fit und können sich von einer minimal-invasiven Intervention oder einer offenen Operation gut erholen“, berichtet Steinbauer. „Bei anderen müssen wir eine Demenz, eine Minderernährung, eine Anämie oder ein zu erwartendes postoperatives Delir berücksichtigen und abwägen, ob eine konservative oder palliative Therapie vorzuziehen ist.“

Eine weitere Option sei es, geriatrische Patient*innen vor einem Eingriff mittels Prähabilitation vorzubehandeln und damit das Risiko für Eingriffe zu reduzieren. „Mit Hilfe von Physiotherapie, Ernährungstherapie und ggf. Eiseninfusionen werden die Betroffenen gezielt gestärkt, sodass der Eingriff weniger belastend ist und auch die Mobilität und Lebensqualität zu erhalten werden kann.

Amputationsraten seit 2005 um knapp 40 Prozent gesenkt

Die neue Leitlinie dient dem Ziel, die Sterblichkeit und die Zahl der Amputationen weiter zu reduzieren. „Hier können wir bereits große Erfolge verzeichnen, die unter anderem auf die Verbesserung der Versorgung durch zertifizierte Gefäßzentren zurückzuführen sind“, sagt Steinbauer. So konnte seit 2005 die Amputationsrate der unteren Extremitäten um mehr als 38 Prozent gesenkt werden. „Wir hoffen, dass das seit 2019 angebotene Zweitmeinungsverfahren beim diabetischen Fußsyndrom und die neuen Therapieempfehlungen zu weiteren Fortschritten bei der Behandlung dieser Volkskrankheit führen werden“, so der DGG-Präsident. Die neue Leitlinie zur Behandlung der pAVK soll 2023 erscheinen. 

Quelle: Pressekonferenz/Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin